Montag, 25. März 2013

1848: Die Berliner Revolution






Artikel von Theodor Althaus in der „Weser-Zeitung“  am 22. März 1848:

D i e  B e r l i n e r  R e v o l u t i o n

* Also auch die deutsche Freiheit hat ihre  B l u t t a u f e  haben sollen, - auch die Pflastersteine jener polizeigewohnten, soldatenerfüllten Hauptstadt haben sich erhoben zu einem furchtbaren Proteste gegen den alten Willkürstaat, und die Wiedergeburt der Monarchie Friedrichs des Großen war nur möglich unter den Wehen einer zweiten Bartholomäusnacht. Preußens neuer Morgen ist unter Blut und Thränen in den sturmumwölkten Himmel getreten, und erschüttert von so tragischen Ereignissen, von einem auf deutschem Boden so ungewohnten Bürgerkriege, gebricht es uns an der Stimmung laut zu triumphiren über einen Sieg, der in seinen Folgen – das hoffen wir fest – der guten Sache Deutschlands zum Heil gereichen wird, der aber in dem ersten Augenblicke mehr seine furchtbare, als seine glorreiche Seite uns zuzuwenden scheint.
B e r l i n  und  R e v o l u t i o n! Welche widerstreitende Ideenverbindungen knüpfen sich an diese Worte! Diese vom märkischen Stande umstäubte, kasernenartige Stadt der politischen Gleichgültigkeit, der unfruchtbaren Nation, der geradlinigen Polizeimäßigkeit, auf welche die Provinzen mit einer gewissen mannhaften Verachtung herabzusehen gewohnt waren, diese Metropole der selbstgefälligsten und zuversichtlichsten Beamtenherrschaft wird urplötzlich in einen Zustand versetzt, der an Wildheit und Leidenschaftlichkeit selbst die letzten Ereignisse von Paris und Palermo hinter sich zurücklässt! Bestürzt und betäubt von so unerwartetem Wandel, schaudernd über jene schreckliche Sonntagnacht, in welcher über die monderleuchtete Hauptstadt das Geheul der Sturmglocken und der Donner der Kanonen hinrollte, wird ganz Deutschland fragen: wie konnte das geschehen? wie war das möglich, nachdem der König in einer wahrhaft tiefen und um…..den Weise die Erfüllung aller deutschen Wünsche zu seinem Wahlspruche gemacht hatte? Wahrlich, daß ein solches Volk, welches buchstäblich zum Märtyrer seiner Unterthanentreue geworden ist und selbst die Verhöhnung der andern ertragen hat, um seiner Geduld und Loyalität willen, zu so blutiger Rachewut aufflammen konnte, daß es mit der Energie der Verzweiflung in den breiten geraden Gassen sich kühn den Bayonetten, Kartäschen und Rossen einer wohlgeübten und kampfbereiten Armee von 20.000 Mann, entgegen warf, das muß eine Ursache und Wurzel haben, tiefer als die augenblickliche Entrüstung über eine noch so ruchlose militärische Gewaltthat, - haben doch selbst die Kölner und die Leipziger Aergeres geduldig über sich ergehen lassen; - es kann nur erklärt werden durch jenes von der alten Regierung durch unzählige Hinhaltungen, Vertröstungen und Ausflüchte im Volke gemährte  M i ß t r a u e n   g e g e n  d e n  T h r o n, welches nur eines Anstoßes bedurfte, um jenen Schrei in deutscher Zunge zu wiederholen, welcher vor dem Hotel des französischen Ministers die weltgeschichtliche Bedeutung gewann; „O n  n o u s  [t r a h i t?]!“
                               „Das sind des Himmels furchtbare Gerichte!“
Die giftige Saat, die Untergrabung alles Vertrauens, das schwankende Spielen zwischen der persönlichen Willkür und den gerechtesten Forderungen des Volkes, die Demoralisation der höchsten Staatsgewalten, welche sich durch den Schein und die Heuchelei eine erträumte Macht zusichern wähnten, ist nun so blutig aufgegangen. Deutschland wird den achtzehnten März dieses Jahres nie vergessen; der eine Tag hat in unserem Vaterlande von aller Macht und Größe mehr vernichtet als Jahrzehnde vermocht hätten, und mit ihm ist, wie mit einer zweiten Schlacht von Jena, eine europäische Großmacht zusammengebrochen. Ein Zufall, ein unheilvolles Mißverständniß reichte hin sie zu stürzen und jenen Gewaltbesitz zu zertrümmern, von dem es vor kaum einem Jahre im „Weißen Saale“ so stolz hieß: „Keine Macht der Erde soll ihn schmälern!“
Das Erbe der Gestürzten Größe anzutreten und zu neuer festerer und edlerer Lebensfülle zu erweitern, das ist jetzt Sache des preußischen und des ganzen deutschen Volks. Es hat sich sein unveräußerliches Hoheitsrecht zum zweiten Male mit seinem Blute erkämpft; daß es für dasselbe zu siegen wußte, davon zeugen die Schlachtfelder von Leipzig bis Paris, - mög’ es nun den Sieg auch zu nutzen verstehen. Die Berliner Revolution hat gesiegt unter dem Schatten der schwarz-roth-goldenen Fahne; hat sie auch  f ü r  diese Fahne gesiegt, hat sie jenes eigensüchtige, ausschließliche Preußenthum überwunden, um ihre  Errungenschaften auf dem Altare des ganzen Deutschlands niederzulegen, dann mögen wir getrost auf den Grabstein ihrer Opfer niederschreiben: „Sie sind nicht umsonst gestorben“.

Informationen zu: Renate Hupfeld, Theodor Althaus - Revolutionär in Deutschland





Sonntag, 17. März 2013

18. März 1848 - Berlin auf den Barrikaden


Am 20. März 1848 erreichte er gegen Mittag Berlin. Es war ein seltsames Szenario in der Stadt. Männer, Frauen und Kinder liefen zwischen Barrikaden und herausgerissenen Pflastersteinen. Die meisten feierten einen Sieg. Doch andere suchten verzweifelt nach vermissten Angehörigen.
Theodor ging von Kirche zu Kirche, schaute in die jungen Gesichter der dort aufgebahrten Toten, die schrecklichen Wunden, die stille Siegesgewissheit in den bleichen Zügen. Auf der Straße sprach er die Menschen an, hörte ihre Berichte über die Ereignisse der Nacht von Samstag auf Sonntag und setzte das Puzzle zusammen über die friedliche Versammlung vor dem Schloss, die Proklamation des Königs, laute Rufe aus der Menge, die Forderung nach Abzug der Soldaten, zunehmende Unruhe, plötzlich ein Schuss von irgendwoher, noch ein Schuss und dann der fürchterliche Sturm. Unaufhaltsam tobte der in Straßen und auf Plätzen. Alle machten mit beim Bau der Barrikaden, vom einfachen Tagelöhner und Handwerker bis zum Beamten, Studenten, Arzt und Advokaten. Frauen, Kinder und Greise waren dabei. Mit allen Mitteln kämpften sie, beschafften Material für den Barrikadenbau, besorgten Waffen, gossen Kugeln, steckten deutsche Fahnen auf, Frauen versorgten die Kämpfenden mit Speisen und Getränken, Unaufhörlich tönten die Sturmglocken in der Stadt. Die ganze Nacht. Bis zum nächsten Morgen. Bis kein Soldat einziger mehr zu sehen war.
In einer Kirche fand er ein stilles Plätzchen, wo er ungestört verweilen konnte. Nachdem er sich ein wenig gefangen hatte, zog er Papier und Feder aus der Tasche und schrieb einen Artikel für die  „Weser-Zeitung“. Das war er den Toten schuldig. Ihr mutiger Kampf durfte nicht umsonst gewesen sein.
Es war schon dunkel, als er am Abend vor dem Haus des Großvaters in Potsdam stand. Obwohl das Fenster des Balkonzimmers hell erleuchtet war, musste er lange auf Einlass warten. Später erfuhr er den Grund. Dräseke war vor Übergriffen von Aufständischen gewarnt worden und die im Hause Anwesenden, des Großvaters jüngere Tochter, Enkelin Elisabeth aus Detmold und ein Diener, fürchteten den dunklen Mann an der Tür und waren heilfroh, als es dann der älteste Enkel war. Der berichtete von den Spuren der Berliner Horrornacht, bevor er sich völlig erschöpft zurückzog. Elisabeth machte sich Sorgen und folgte dem Bruder in sein Zimmer. Der hatte sich schon ins Bett gelegt: Sie erinnerte sich: „Ich setzte mich zu ihm und sah nun erst, wie verändert, wie von Erregung und Schmerz durchwühlt, seine Züge waren.“
Am nächsten Tag war Theodor dabei, als König Friedrich Wilhelm IV. mit schwarz-rot-goldener Armbinde durch die Straßen von Berlin ritt und vor Studenten der Berliner Universität eine Rede hielt, wobei er sich zu der Formulierung hinreißen ließ: „Preußen geht fortan in Deutschland auf.“
Und er nahm am 22. März auf dem Gendarmenmarkt an der Trauerfeier für die 183 Toten teil, folgte dem unbeschreiblich langen Leichenzug mit den bekränzten Särgen, zunächst bis zum Schloss, wo sich der preußische König Friedrich Wilhelm IV. auf Verlangen des Volkes mit gezogenem Hut vor den toten Revolutionären verbeugen musste, dann vor die Tore der Stadt zur Beisetzung auf dem eigens eingerichteten „Friedhof der Märzgefallenen“ auf einem Hügel in Friedrichhain.
„Der Leichenzug. Die seidenen, schwarzrothgoldenen Trauerfahnen […] nach den Thränen stumpfte sich alles ab. Zu lang. Die anarchische Schwüle über Berlin“, notierte er im Tagebuch.
Er sei ein Mann geworden, meinte Großvater Dräseke und da hatte er recht. Die harte Konfrontation mit den menschlichen Tragödien, die rohe Gewalt gegen die eigenen Brüder, Söhne eines Volkes, hatte ihn in tiefster Seele getroffen.
Der Weg würde ein harter und steiniger werden. Die „faulen Früchte der Geschichte“ waren mächtiger, als er es sich in seinen idealistischen Vorstellungen ausgemalt hatte. So einfach fielen die nicht in sich zusammen. Wie sonst wäre es möglich, dass Soldaten als Spielzeug eines konzeptlosen Monarchen mit vorgeblicher Gottes-Gnaden-Legitimation ein so schreckliches Blutbad anrichteten?
Althaus Artikel  erschien unter der Überschrift  „D i e  B e r l i n e r  R e v o l u t i o n“  am 22. März 1848 auf der Titelseite der „Weser-Zeitung“. Er hatte den historischen Stellenwert des Geschehens als „Bluttaufe der deutschen Freiheit“ erkannt und eine überaus sensible Würdigung des leidenschaftlich entschlossenen Kampfes gegen die starre Willkürherrschaft des schwachen preußischen Königs verfasst: „Die giftige Saat, die Untergrabung alles Vertrauens, das schwankende Spielen zwischen der persönlichen Willkür und den gerechtesten Forderungen des Volkes, die Demoralisation der höchsten Staatsgewalten, welche sich durch den Schein und die Heuchelei eine erträumte Macht zu sichern wähnten, ist nun so blutig aufgegangen. Deutschland wird den achtzehnten März dieses Jahres nie vergessen.“

Auszug aus: Renate Hupfeld, Theodor Althaus - Revolutionär in Deutschland

Und hier ist der Leitartikel in der Bremer Weser-Zeitung vom 22. März 1848: Die Berliner Revolution




Informationen und Rezensionen

Das Cover oben auf dem Bild gehört zu:

Christoph Hamann und Volker Schröder, Demokratische Tradition und revolutionärer Geist
Centaurus Verlag & Media KG, Freiburg 2010


Montag, 4. März 2013

1848 Sturmglocken von Notre-Dame



Der germanische Winterschlaf war die berühmte Ruhe vor dem großen Sturm. Als Theodor Althaus am 27. Januar 1848 im Leipziger Theater einer Vorstellung von „Iphigenie in Aulis“ beiwohnte, war es ihm unmöglich, seine Aufmerksamkeit auf Gluck’s Oper zu lenken, denn unmittelbar zuvor hatte er die Nachricht vom Aufstand der Bevölkerung in Palermo gegen den bourbonischen König Ferdinand II. am 12. Januar 1848 erhalten. Das war die größte Freude, die er seit langem erlebt hatte. Die „Lichter von Palermo“,  nachts um drei angezündet, sah er während der gesamten Vorstellung vor sich. „Ich hoffe, du hast unseren ersten Sieg in diesem Jahr gehörig genossen und den 12. Januar roth angestrichen“, schrieb er seiner Schwester nach Detmold.
Ein paar Tage später stand er im gedrängt vollen Konversationssaal des Museums, eine gerade eingetroffene Zeitung in den Händen, die  „Indépendance Belge“,  aus der er fast atemlos einen Artikel über Sturmglocken von Notredame, dem Sturz von König Louis Philippe am 24. Februar 1848, vorlas. Das war weit mehr als Sizilien, das konnte umwerfende Auswirkungen auf die Länder des Deutschen Bundes haben. Wie sah die neue Regierung in Frankreich aus? Gab es eine Republik? Ungeduldig fiebernd wartete man auf weitere Nachrichten, auf Journale oder Reisende mit  dem Zug aus Brüssel oder aus Köln.
Am 5. März 1848 konnte er endlich die befreienden Informationen in seinem Tagebuch notieren. Einen Tag nach dem Sturz des Monarchen war in Paris die Republik ausgerufen und eine provisorische Regierung gebildet worden:
 „Ich habe Angst gehabt, wie eine Mutter um ihr Kind, bis endlich, allendlich das Ja und Amen kam - keine Regentschaft, sondern Republik, keine Freude, sondern Enthusiasmus, kein neues Ministerium - eine neue Welt! Ich habe kaum Zeit zu denken […]  Ich kann mich nicht satt lesen an den Verordnungen der provisorischen Regierung. Als ich zum erstenmal die Ueberschrift las, hab ich geweint vor Freude:

Republique Francaise,
Liberté, Egalité, Fraternité“

Leseprobe aus: Renate Hupfeld, Theodor Althaus - Revolutionär in Deutschland



Informationen und Rezensionen

Foto: © Renate Hupfeld