Donnerstag, 15. Januar 2015

1846 Geld sollte man besser im Rhein versenken



Rheinfahrt im August

Der August des Jahres 1846 geizte nicht mit wunderbaren Sommertagen. Theodor stand am Fenster seiner Studierstube und betrachtete den Sonnenuntergang über der Grotenburg. Mit der leichten Bewegung der zart angehauchten Wölkchen träumte er sich über den Horizont hinaus bis an den Rhein. Märchenhafte Bilder und Farben kamen ihm ins Gedächtnis. Erinnerungen an sanft ansteigende Weinfelder, Burg Rheinstein hoch über der Flusswindung, der schroffe Loreleyfelsen im Abendlicht, glitzernde Wellen im Ufersand und der Gedankenaustausch mit Menschen, die genauso dachten und fühlten wie er und die gleichen Hoffnungen hegten.
Einige Tage später machte er seinen Traum wahr und fuhr an den Rhein, wo er jetzt, sechs Jahre nach dem hoffnungsvollen Studienbeginn, eine Zeit der heftigen Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten seines Vaterlandes erlebte. In Köln traf er sich mit zwei Redakteuren der Kölnischen Zeitung, und zwar mit Levin Schücking und Karl-Heinrich Brüggemann, dem er zwei Jahre zuvor in Waßmanns Lokal in Berlin nach seiner ersten politischen Rede begegnet war. Mit seinem Freund Gottfried Kinkel saß er hoch über dem Fluss mit Blick auf das Siebengebirge, um festzustellen, dass die Rheingegend noch genauso schön war wie drei Jahre zuvor und dass dennoch so vieles verändert war. Nachdem Gottfried Kinkel die geschiedene Künstlerin Johanna Mockel geheiratet hatte, war er für eine Lehrtätigkeit in der theologischen Fakultät war untragbar geworden und lehrte nur noch im Fach Kunstgeschichte.
Mit dem Dampfboot fuhr Theodor in Etappen flussaufwärts nach Bingen. Von dort aus unternahm er eine Wanderung entlang der Nahe bis nach Kreuznach, wo er bei den Begegnungen mit Menschen den Eindruck hatte, er stoße mit jedem Schritt an eine faule Frucht der Geschichte. Die krassen Gegensätze zwischen bestens ausgestatteten Kurgästen auf der Kreuznacher Promenade und den schwitzenden Arbeitern mit zerschundenen Händen in den Weinfeldern waren ihm unerträglich. Von Kreuznach aus wanderte er weiter und hinter Bad Münster am Stein bergauf zur Ebernburg. Beim Gang zwischen den Ruinen fühlte er sich um einige Jahrhunderte zurückversetzt in die Reformationszeit, als der Burgbesitzer Franz von Sickingen, Freund des Volkes und von Martin Luther, hier gewohnt und entgegen allen Anfeindungen seiner Fürstenkollegen verfolgten Reformatoren Asyl gewährt hatte. Auch Sickingens gleichgesinnter Freund, der Dichter Ulrich Hutten, war für lange Zeit dort oben untergekommen. Diese besondere Bedeutung verschaffte der Burg den Beinamen Herberge der Gerechtigkeit.
Eine weitere Unternehmung führte den vierundzwanzigjährigen Wanderer in das wildromantische, zerklüftete Wispertal. Stundenlang ging er allein, umgeben nur von der großartigen Natur, die doch klüger war als die Menschen, die es nicht fertig brachten, diese Großartigkeit auch denen zugänglich zu machen, die in Hütten hausten. Welch ein Widerspruch! In dieser Profeteneinsamkeit  fochten die Gedanken in seinem Kopf einen fürchterlichen Kampf, der dann in leidenschaftlicher Empörung mit Feder und Tinte zum Ausbruch kam. In den sechsundneunzig Strophen von Eine Rheinfahrt im August erinnerte der Autor an die hochfliegenden Hoffnungen auf Freiheit und Gerechtigkeit, zeigte das schwache Elend der vielen, die sich abquälten, damit wenige alle Reichtümer besäßen, und stellte fest, das fluchbeladene Metall  richte nur Unheil und Blutvergießen an. Geld solle man besser im Rhein versenken wie den Nibelungenschatz. Gleichzeitig war dieses Gedicht eine Hymne an den mächtigen Fluss, der ruhig und unbeirrt seinen Weg nahm. An alle dem hatte der Rhein ja keine Schuld. Er war der ungekrönte König und auf ihm ruhten seine Hoffungen auf bessere Zeiten. Die Zukunftsvision von Freiheit, Liebe und Gerechtigkeit beherrschte Theodors gesamtes Denken, Fühlen und Handeln. Für die Verwirklichung dieses Ideals würde er alles geben. Als wollte er diesen Vorsatz besiegeln, taufte er sich eines Abends an einer Uferstelle selbst mit klarem Rheinwasser.
Ende September 1846 wurde Eine Rheinfahrt im August mit dem Untertitel Den Kölnern, den Schleswigholsteinern, Allen die den Rhein lieben gewidmet gedruckt, auch diesmal wieder beim Schünemann Verlag in Bremen. In dem Zusammenhang erfolgte eine Einladung von den Redakteuren der Weser-Zeitung, deren Verleger ja auch Schünemann war. Man wollte den jungen Literaten, der seit zwei Jahren regelmäßig brillante Texte für ihr Blatt lieferte, persönlich kennenlernen und mit ihm über eine ständige Mitarbeit in der Redaktion reden. Das waren attraktive Aussichten und eine Übersiedlung nach Bremen hatte zudem wegen der Erinnerung an die jahrelange Tätigkeit von Großvater Dräseke an der dortigen Gemeinde St. Ansgarii einen ganz besonderen Stellenwert. Drei Tage brauchte die Miethskutsche durch Sand- und Heidewege. Das Gespräch fand statt, doch die Redakteure der Weser-Zeitung  waren keinesfalls in allen Punkten mit Theodor einig. Seine politischen Ziele gingen weit über das hinaus, was eine Tageszeitung in Bremen sich leisten konnte. Man einigte sich auf eine befristete Mitarbeit, zunächst für ein halbes Jahr. Der Vertrag sollte sofort in Kraft treten.

Doch dann traf Theodor Althaus das Missgeschick gleich in zweierlei Weise. Er wurde ernsthaft krank und war monatelang nicht arbeits- und noch weniger reisefähig. Und noch schlimmer war, dass die Rheinfahrt vom Oberzensurgericht Preußen verboten wurde. Schünemann wurde aufgefordert, die Vertreibung der Schrift sofort zu stoppen, andernfalls würden gegen das Verlagshaus Sanktionen erfolgen. Eine schriftliche Eingabe des Verfassers an den preußischen Innenminister blieb trotz glänzender Argumentation ohne Erfolg. Schünemann distanzierte sich von Althaus, um weiteren Schwierigkeiten mit den preußischen Behörden aus dem Weg zu gehen. Man verschob das Inkrafttreten des Vertrages bis auf Weiteres. Die Zusammenarbeit in der bisherigen Art und Weise wurde jedoch beibehalten und es erschienen weiterhin Artikel von Althaus in der Weser-Zeitung, unter anderem einer über seine Gedanken bei der Wanderung auf die Ebernburg.

"Rheinfahrt im August", Kapitel aus:

Sonntag, 11. Januar 2015

1849 "Pressefreiheit" in Hannover



Gefängniß vor dem Cleverthor

Zwar empfand Althaus die politische Situation als persönliches Dilemma, doch es ging nicht nur ihm so. Weite Teile der Bevölkerung standen uneingeschränkt hinter der Reichsverfassung. Die Enttäuschung und Verbitterung angesichts der unerträglichen Missachtung des Volkswillens machte die tiefe Kluft zwischen Fürsten und Volk allzu deutlich sichtbar. Das absolute monarchische Prinzip stand dem so hart erkämpften demokratischen Prinzip gegenüber. Die starre Haltung der Herrschenden, die vor brutaler Härte nicht Halt machten, schürte das Gefühl der Ohnmacht gegen selbstgefällige Machtausübung. So war es kein Wunder, dass die Menschen wieder unruhig wurden. In allen Ländern gab es friedliche Demonstrationen und Aktionen zur Anerkennung und Umsetzung des Frankfurter Gesetzeswerkes in Form von Kundgebungen und Petitionen, so in Bayern, Franken und in der linksrheinischen Pfalz. Im pfälzischen Kaiserslautern wurde ein Landesausschuss gebildet zur Verteidigung der Reichsverfassung, die man gegen rechtsbrüchige Regierungen durchsetzen müsse.Ge
Als die Machthaber angesichts dieser Willensäußerungen aus dem Volke auf ihrem hohen Ross sitzen blieben und noch immer nicht einsahen, dass das absolute monarchische System dem Prinzip der Volkssouveränität weichen musste, passierte das Unausweichliche. Am 3. Mai 1849 fiel in Dresden der erste Schuss für die Durchsetzung der Reichsverfassung. Nachdem das Zeughaus gestürmt und die Aufständischen bewaffnet waren, flüchtete der sächsische König Friedrich August II. am folgenden Tage mit Familie und Ministern auf die Festung Königstein und die Rebellen proklamierten eine provisorische Regierung für Sachsen auf der Grundlage der Reichsverfassung.
Neue Hoffnung keimte auf. War das der Weg? War der Krieg zwischen Fürsten und Volk offen ausgebrochen? Dann müsste die deutsche Einheit mit Blut erkauft werden. Auch in Bayern, im Rheinland, in Westfalen, Württemberg, Baden, der Pfalz und in vielen anderen Gegenden Deutschlands kam es zu blutigen Volkserhebungen. Theodor Althaus fühlte sich wie erlöst vom Gefühl der Ohnmacht gegen die brutale monarchische Militärmaschinerie. Und er hatte Mitstreiter, die weitaus deutlichere Worte sprachen, als er es sich in Hannover herausgenommen hatte. Die Verfassung, welche die Vertreter des Volkes beschlossen und endgültig verkündet haben, soll durch die Gewalt rebellischer Regierungen umgestürzt, vernichtet werden, hieß es im Aufruf an das Deutsche Volk vom Kongress der Märzvereine Deutschlands am 6. Mai 1849 in Frankfurt, an der Spitze Julius Fröbel und Franz Raveaux. Alle Männer wurden aufgefordert, der Verfassung Treue zu schwören, sich zu bewaffnen und gemeinsam die Durchführung zu erkämpfen.
Vergleichsweise harmlos las sich dagegen der leitende Artikel Der zehnte Mai in Frankfurt am 13. Mai 1849 in der Zeitung für Norddeutschland. Inzwischen war der Dresdner Aufstand mit Hilfe von preußischen Truppen blutig niedergeschlagen worden. Die Nationalversammlung hatte daraufhin den Vertreter der Zentralgewalt aufgefordert, dem preußischen Reichsfriedensbruch entgegenzutreten und die Reichsverfassung gegen jeden Zwang und Unterdrückung in Schutz zu nehmen. Als der Reichsverweser Erzherzog Johann, als Vertreter der Zentralgewalt, sich weigerte, diesen mehrheitlich beschlossenen Auftrag des deutschen Parlamentes auszuführen, sah sich das Ministerium Gagern mit seiner Arbeit am Ende und bot seinen Rücktritt an, den der Reichsverweser auch annahm. Althaus folgerte, dass das Verfassungsprojekt in Frankfurt gescheitert war und er forderte, dass sich nun Gremien, Vereine und Bevölkerung in den Ländern verstärkt um die Durchsetzung des Frankfurter Verfassungswerkes bemühen sollten. Da das hannoversche Ministerium mit Preußen, Bayern und Sachsen zu denen gehörte, die die Verfassung nicht anerkannten, rief er am 13. Mai 1848 im Leitartikel Der zehnte Mai in Frankfurt auf, es müsse jetzt ein Landesausschuss für Vertheidigung und Durchführung der deutschen Reichsverfassung in Hannover eingesetzt werden.
Konnte er ahnen, dass sich Innenminister Stüve, in jenen Tagen als Mitglied des vom preußischen König einberufenen Kongresses zwecks Oktroyierung einer zu erstellenden gesamtdeutschen Verfassung in Berlin eingebunden, nun ausgerechnet am Tage des Erscheinens jenes Artikels in Nr. 132 der Zeitung für Norddeutschland in Hannover aufhielt? Das jedenfalls hatte für den aufmüpfigen Redakteur fatale Folgen. War es die Furcht vor Unruhen im Königreich Hannover oder das Verlangen, es dem unbequemen Kritiker heimzuzahlen? Vorstellbar, dass Stüve schon lange auf eine Gelegenheit gewartet hatte, Althaus auszuschalten. Nach dem Vorspiel mit Beleidigungsklage schlug er nun einen Tag nach Erscheinen des Artikels gnadenlos zu. Theodor Althaus wurde am Montag, dem 14. Mai 1849, nach Denunzierung von Innenminister Stüve, verhaftet und vom Stadtgericht Hannover in das Gefängnis vor dem Clevertor eingewiesen.
Wie sollte er das begreifen? Sechs Schritte hin, sechs Schritte zurück. Von Wand zu Wand. Stunde um Stunde. Wer hatte eigentlich das Recht, ihn einzusperren? Welchen Staat sollte er verraten haben? Lächerlich! Mit dem Artikel hatte er nichts anderes getan als sein Vaterland zu verteidigen. Und diejenigen, die das Dilemma von Deutschland zu verantworten hatten, die wahren Staatsverräter, sollten sich nicht zu früh freuen. Ja, sie hatten es geschafft, ihn hinter Schloss und Riegel zu bringen. Doch den Triumph hatten sie nicht verdient, seine Widersacher hier in der Stadt. Das war nicht das Ende. Die Arbeit von Monaten konnte nicht umsonst gewesen sein. Jede Formulierung hart erkämpft und endlich fertig gestellt das Werk. Eine Verfassung für ganz Deutschland. Er blieb stehen, Männerstimmen da draußen, rannte zum Fenster und machte sich an dem eisernen Hebel zu schaffen, bis der Flügel offenstand. Maispitzen vor blauem Himmel, gleichmäßig aufgeteilt im Kreuzgitter. Jedes kleine Quadrat ein Frühlingsbild in grün. Unten im Hof ein Meer von Blüten. Weiß, zartrosa angehaucht. Jemand rief einem anderen etwas zu, der rief zurück, von Gitter zu Gitter. Niemand hinderte sie. Häftlinge im Gefängnis vor dem Clevertor. Wie er. Doch vielleicht war für ihn morgen schon der Spuk vorbei. Er griff eine Zigarre aus der Schachtel, zündete sie an und schaute zu, wie der Rauch in Wölkchen hinauszog in Richtung Westen, dorthin, wo ein paar Eisenbahnstunden von Hannover entfernt sein Elternhaus stand. Noch wussten sie nichts in Detmold. Was würde sie tun, wenn sie es erführen? Und die Mutter noch kein Jahr in ihrem kalten Grab. Bei allem Schmerz ein kleiner Trost, dass sie dieses Unglück nicht mehr erleben musste. Würde sie verstehen, warum er den Artikel genauso schreiben musste? Für das Vaterland? Bedingungslos würde sie zu ihm halten, ebenso wie der Vater und seine kleine Schwester.
Noch am selben Nachmittag verfasste er in seiner Zelle den letzten Artikel als leitender Redakteur, versehen mit seinem Zeichen, dem Sternchen:


* Hannover, 14. Mai. Heute Mittag wurde ich als verantwortlicher Redakteur der Zeitung für Norddeutschland und Verfasser des leitenden Artikels in der Sonntagsnummer dieses Blattes vom Ministerium des Innern beim Stadtgericht ‚als  S t a a t s v e r r ä t h e r’ denuncirt und verhaftet. In dem erwähnten Artikel wurde aufgefordert: in Gemäßheit des Beschlusses der Nationalversammlung vom 10. Mai einen Landesausschuß in Hannover zu bilden mit denselben Befugnissen, welche die Centralgewalt durch ihren Commissar dem pfälzischen Landesausschuß übertragen hatte, d.h. wie ausdrücklich hinzugefügt war, ohne Eingreifen in die Befugnisse der bestehenden Behörden. Der Untersuchungsrichter äußerte unter Anderem auf einen ihm gemachten Einwand: „Die Centralgewalt sei keineswegs als oberste Instanz in allgemeindeutschen Angelegenheiten von Hannover anerkannt. Th. Althaus.



Dienstag, 6. Januar 2015

1. Januar 1849: Am Jahreswechsel





*Der Rückblick und das Vorwärtschauen zu dem uns beim Uebergange vom alten in das neue Jahr die  S i t t e  auffordert, erscheint uns heute als  eine selten so sehr empfundene  N o t h w e n d i g k e i t. Die Weltbewegung des großen Jahres löste in den Geistern die alte Ordnung der Gedanken, und wechselnd gewann einer nach dem andern von ihnen die ungemessene Herrschaft; die Arbeit an dem allgemeinen Werke der Erneuung forderte einen so rastlosen Dienst, daß die Parteien oft ohne viel Besinnen die Werkzeuge wählten und die wahren Mittel und Kräfte wiederholt verkannten. Diese Rastlosigkeit, dieses Ueberstürzen von ungeahnten Entwicklungen und Ereignissen Schlag auf Schlag, ließ mehr als einmal das Ziel aus den Augen verlieren, wenn von den erschütternden Stimmen der Revolution Herzen und Geister überwältigend bewegt wurden.
Für diesen Blick auf das große Ganze der nächsten Vergangenheit und Zukunft unsers Vaterlandes ist es jetzt, wo die letzten Entscheidungen auf eine Weile vertagt und die Gemühter zu einer Art von Erbebung in die Macht der Verhältnisse zurückgekehrt sind, ein günstiger Zeitpunkt. Die Ruhe fördert die gute Sache nicht weniger als die Leidenschaft, die Klarheit arbeitet für sie nicht schlechter, als die aufgeregte Begeisterung. Die Schüler und Meister der alten Diplomatie haben nur dadurch den alten Bau wieder zusammenfügen und die kühnen Pläne zum neuen zerstören können, weil sie, niemals von eignem Herzensdrang beirrt, und stets ungläubig an eine nachhaltige Macht der Geistesbewegungen, ruhig die bestehenden Verhältnisse berechneten und mit den organisirten, disciplinirten Kräften wirkten. Und darum, weil diese Umschau und ein  R e s u l t a t  bringen soll zur Kräftigung und Sammlung unserer Politik, versagen wir es uns, die Stimmen aus allen Höhen und Tiefen, die Schlachtrufe, die Triumphlieder und Grabgesänge aus der deutschen und europäischen Geschichte dieses Jahres in einen ergreifenden Chor zu sammeln. Wir glauben zu der  E r k e n n t n i ß  mitwirken zu müssen, welche jetzt mächtiger ist, als Schmerz und Hoffen. –
Eine neue Welt ging uns Deutschen auf; es war natürlich, daß wir zu viel auf das Allgemeine, auf alle höchsten Güter der Menschheit blickten; aber das Viele, was wir erfassen wollten, konnten wir nicht zugleich festhalten. Die edle menschliche Theilnahme an den verwandten Völkerschicksalen ließ uns die ganze Bewegung zu sehr als eine überall gleiche und dieselbe erscheinen. Wir vergaßen darüber das  E i g e n t h ü m l i c h e  und  U n t e r s c h e i d e n d e  der  d e u t s c h e n  Bewegung stets im Auge zu behalten, aber gerade  d i e s  müssen wir jetzt erkennen, weil nur aus diesem  e i g e n s t e n  Charakter die neuen Kräfte zu entwickeln sind, deren wir nach so bittern Niederlagen bedürfen.
Uns erschien nach der Schmach unserer politischen Zustände die  F r e i h e i t  als das wesentliche Ziel und der eigentliche Charakter der deutschen Revolution. Sie war und ist uns freilich so nothwendig wie die Lebenslust, und immer bleibt die Ausbildung der Demokratie ein wesentliches Ziel. Aber – in einem demokratischen Blatte dürfen wir es ohne Furcht vor Missverständnissen sagen: - es war ein theilweiser Irrthum, wenn man in der Freiheit das  E i g e n t h ü m l i c h e  dieser Bewegung vorherrschend erkennen wollte. Sie war es vielmehr, die Deutschland mit allen Völkern  g e m e i n s a m  hatte; nicht die deutsche, sondern die französische Revolution des vorigen Jahrhunderts hat die Printzipien der Freiheit und Gleichheit, und diese allein, den Mächten der alten Welt blutig abgerungen. Wir kannten sie, wir hatten sie allen liberalen Glaubensbekenntnissen; und ohne große Kämpfe, ohne kräftigen Widerstand haben wir diese Fahnen zum Siege getragen. Die demokratischen Institutionen , in den Grundrechten der conservativen Reichsversammlung festgestellt, in die meisten Einzelverfassungen schon übergegangen, ja selbst von der monarchischen Gewalt in Preußen octroyirt,  s i n d  e r r u n g e n  für Deutschland. Wir haben in ihnen die Mittel, diesen Geist im ganzen Umfang der politischen  F o r m e n  von einer Stufe zur andern, und vom Mittelpunkt bis in alle Spitzen des Lebens durchzubilden, und wer mit freiem Blick an der Schwelle des neuen Jahres die großen Züge des Ganzen erfasst, wird diese Kräfte zu stolz empfinden, als daß er dem Fastnachtsspiel des Belagerungszustandes, den Chicanen der Processe, und allen widerwärtigen Kämpfen, in denen die alten Gewlaten einen Scheinconstitutionalismus zurückzuerobern suchen, noch die Ehre anthäte, ihre Besiegung für das wesentliche und hauptsächliche Ziel unsers Strebens zu halten. Diesen Unwürdigkeiten werden die ersten Worte in den preußischen Kammern ein Ende machen. Was an jenen Grundmauern der Demokratie noch fehlt, wird bald vollendet sein; und dahin blickt kein banges und zweifelndes Auge.
Noch im alten Jahre sind diese Grundrechte als Reichsgesetz verkündet, und wo sie Widerstand finden, richtet er sich nicht gegen die Bestimmungen, in denen freie Völker die genügende Gewähr der Freiheit erkennen. Aber lasst sie eingeführt sein, lasst in ihrem Sinne die gesetzgebende Arbeit in den Einzelstaaten beginnen: damit ist unsere Aufgabe nicht geschlossen und unser Ziel nicht erreicht. Mit diesen Freiheiten sind die Schranken noch nicht gefallen, die uns gehemmt und eingeengt haben; mit ihnen hat Deutschland noch keine Macht, in die große Arbeit der Völkerbefreiung, der internationalen Verbrüderung und Gerechtigkeit ebenbürtig einzutreten; mit ihnen mag der Preuße wie der Baier frei sein, - aber  D e u t s c h l a n d  ist noch keine  N a t i o n. Das volle Gefühl unserer Selbstständigkeit, das hohe Ziel unseres eigensten Berufs, und endlich die von Geist zu Geist entzündete, von Hand zu Hand verbundene Kraft zum öffentlichen Leben und großen Schaffen -  f e h l t  uns, so lange uns die  E i n h e i t  fehlt!
Die Einheit Deutschlands! Sie war es, gegen die der Haß am tiefsten wurzelte, für die die Liebe am nachhaltigsten gedauert hat. Sie ist das Wort unserer Zukunft, das wir nicht ererbt noch gelernt haben und deren Gesetze wir aus keiner Constitution herübernehmen können wie die andern, --- weil ihre Erscheinung die  n e u e  Gestalt des Jahrhunderts, eine neue Form im Völkerleben sein wird, wie weder Amerika noch Frankreich sie gebildet haben. Was Deutschlands  e i n i g e r  G e i s t  für Europas Bildung geleistet hat, das hat bis heute Deutschlands  p o l i t i s c h e  U n e i n i g k e i t  an der  F r e i h e i t  gesündigt; und wie ein getheiltes Deutschland das Ziel und Mittel des europäischen Despotismus war, so wird nur ein einiges Deutschland das Schwerdt und Schild der europäischen Freiheit und Gerechtigkeit sein.
Wir werden daran zu Schanden werden, wenn wir noch länger kurzsichtig, wie oft die Besten, diesen Kern unserer Revolution und unserer Zukunft zerrütten lassen durch den Kampf um  F o r m e n  der Freiheit, die sich doch unfehlbar in ihrer Entwickelung gleichmäßig demokratisch ausbilden werden. Diese Gleichmäßigkeit der inneren Verfassung hat höchstens in freier Uebereinstimmung ihren Werth, aber sie ist keine Nothwendigkeit. Lassen wir der Zeit, was langsam wächst und für den Moment zu entbehren [ist?] aber  s c h a f f e n  wir um  j e d e n  P r e i s, was nur durch die unbeugsame Energie gegen die noch widerstrebenden Kräfte geschaffen oder  g e z w u n g e n  werden muß, weil es  n i c h t  zu entbehren ist. Das ist der  B u n d e s s t a a t, in welchem es nur  e i n  Ministerium des Kriegs und nur  e i n  Ministerium des Auswärtigen giebt, und in dem nur  e i n e  Gewalt,  e i n  Wille an der Spitze steht. Einzig, geschlossen, fest, daß keine fremde Macht an den Interessen von Staaten oder Dynastien  i n n e r h a l b  Deutschlands Handhaben finde, um Deutschland  s e l b s t  zu zerreichßen zum Vortheil des Egoismus oder des Wehrgeizes andrer Nationen.
Wer soll dieß Deutschlandschaffen? Die souveraine Nationalversammlung hat noch heute wie damals die Vollmacht dazu durch die Schwierigkeit oder Unmöglichkeit, daß es  a n d e r s  zu Stande komme. Ist das so, dann müssten wir demnach mit Verzagen die Umkehr der Verhältnisse sich vollenden sehn, durch welche alle Einzelstaaten erstarkt sind und Frankfurt geschwächt ist?
Nein, wir schließen nicht mit dieser Furcht. Was dem Reichstage nicht glücken könnte, das würden die Landtage wieder aufnehmen, und wenn er Hülfe braucht, so werden diese organisirten öffentlichen Kräfte, in edlem Wetteifer verbündet, das zu Ende führen, was aus den kleinen Zusammenkünften von Hallgarten und Heidelberg in wenig Monaten zu einer Macht gewachsen ist, mit der zu brechen doch selbst den Uebermüthigen der Muth fehlt. –
So mögen denn die, deren letzte Ziele noch weit über die Resultate dieses Jahres hinausliegen, sich jetzt mit uns zu denen stellen, die eine solche Einheit gründen wollen. Wir verlangen diese Entsagung und Selbstbeherrschung von unsren Freunden, wie wir sie selbst auch ferner üben werden. Und wie man am Menschen nicht das stets bewegliche Herz achtet, sondern den Charakter: so wird die einzig  d a u e r n d e  Empfehlung für eine Zeitung darin liegen, wenn sie durch ihre Vergangenheit bewährt hat, daß das Vaterland ihr höher al die Parteien, und die Ueberzeugungstreue mehr als Freundschaft und Feindschaft gilt. Zu einem jubelnden „Glückauf“! ist es nicht die Zeit, aber einen Gruß und Handschlag bringen wir Allen entgegen, die uns in der ernsten Arbeit begleiten und fördern wollen!



1848/49 "Grundrechte des deutschen Volkes"




Trotz der Bedenken des Hannoverschen Ministeriums waren die „Grundrechte des Deutschen Volkes“ mit Einführungsgesetz, datiert am 27. Dezember 1848 und unterschrieben vom Reichsverweser Erzherzog Johann sowie von den Reichsministern H. v. Gagern, v. Peucker, v. Beckerath, Duckwitz und R. Mohl, in Frankfurt verkündet worden. Die Bestimmungen in den acht Artikeln bildeten die Grundlage für das Zusammenleben im demokratischen Staatengebilde, vor allem die Freiheit der Person, Aufhebung der Standesunterschiede, Freiheit der Meinungsäußerung, der Presse, des Glaubens, der Wissenschaft und Lehre, Versammlungsfreiheit und nicht zuletzt die Unabhängigkeit der Gerichte.
In den Druckereien der verschiedenen deutschen Länder, u.a.  bei J. G. Heyse in Bremen und bei Lehnhardt in Mainz, war der Gesetzestext in aufwändiger Gestaltung verlegt  und in den Ländern verteilt worden. Die Abonnenten der „Zeitung für Norddeutschland“ erhielten als Gratisbeilage ein schön gestaltetes Plakat mit Wappenvogel und Zierrahmen, gedruckt bei den Gebrüdern Jänecke. Dieses Schmuckstück wurde zu Hunderten in den Buchhandlungen verkauft und hing nun in Hannover an allen öffentlichen Orten aus. Auch in dem Café, in dem Althaus seit den Ermahnungen der Schwester jeden Abend nach Fertigstellung der Ausgabe für den nächsten Tag ein Ruhestündchen verbrachte, war es an der Wand angebracht. Mit Genugtuung stellte er fest, dass es ständig abgehängt und studiert wurde und von Hand zu Hand ging. Es war nun Sache der einzelnen Regierungen, das gesamtdeutsche Gesetzeswerk in den jeweiligen Ländern zu publizieren und umzusetzen.
Der 21. Januar 1849 war ein Sonntag. Nicht nur wegen des strahlenden Winterwetters war es ein ganz besonderer Tag. Nach einem Aufruf Adolf Menschings vom Hannoveraner Volksverein, der nach dem März 1848 aus den wöchentlichen Versammlungen im Ballhof hervorgegangen war, sollte in der Stadt die Anerkennung der Grundrechte des deutschen Volkes gefeiert werden. Theodor berichtete seiner Schwester von dem „herrlichen politischen Sonnenschein“, den Hannover an dem Tage erlebte. Am liebsten hätte er ihr die helle Morgensonne mit dem Brief hinüber nach Detmold geschickt. Und noch viel lieber hätte er Elisabeth dabei gehabt, als er nachmittags losging auf den Marktplatz, wo sich Menschen aus allen Bevölkerungsgruppen versammelten, um für die Verkündung und Publizierung des Reichsgesetzes im Königreich Hannover zu demonstrieren. Er war auch dabei, als an die dreitausend Menschen vom Rathaus durch die Kramerstraße über den Holzmarkt zum Neustädter Markt zogen, wo die Grundrechte für das deutsche Volk öffentlich verlesen wurden.
Dieses eindrucksvolle Votum der Hannoverschen Bevölkerung führte jedoch keineswegs dazu, dass die gesamtdeutschen Grundrechte von der Regierung des Königreichs Hannover anerkannt und publiziert wurden.
Auch die Presse kämpfte für das Reichsgesetz, mit Ausnahme der „Hannoverschen Zeitung“, die als Sprachrohr der Regierung galt. Innenminister Stüve selbst verfasste regelmäßig Artikel für dieses Organ. Er hielt nach wie vor an seinen Bedenken fest und wartete, wie in den Aktenstücken vom Dezember 1848 angekündigt, auf die Entscheidung der Ständemitglieder, deren Wahl in diesen kalten und schneereichen Januartagen in vollem Gange war.

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