Donnerstag, 15. Januar 2015

1846 Geld sollte man besser im Rhein versenken



Rheinfahrt im August

Der August des Jahres 1846 geizte nicht mit wunderbaren Sommertagen. Theodor stand am Fenster seiner Studierstube und betrachtete den Sonnenuntergang über der Grotenburg. Mit der leichten Bewegung der zart angehauchten Wölkchen träumte er sich über den Horizont hinaus bis an den Rhein. Märchenhafte Bilder und Farben kamen ihm ins Gedächtnis. Erinnerungen an sanft ansteigende Weinfelder, Burg Rheinstein hoch über der Flusswindung, der schroffe Loreleyfelsen im Abendlicht, glitzernde Wellen im Ufersand und der Gedankenaustausch mit Menschen, die genauso dachten und fühlten wie er und die gleichen Hoffnungen hegten.
Einige Tage später machte er seinen Traum wahr und fuhr an den Rhein, wo er jetzt, sechs Jahre nach dem hoffnungsvollen Studienbeginn, eine Zeit der heftigen Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten seines Vaterlandes erlebte. In Köln traf er sich mit zwei Redakteuren der Kölnischen Zeitung, und zwar mit Levin Schücking und Karl-Heinrich Brüggemann, dem er zwei Jahre zuvor in Waßmanns Lokal in Berlin nach seiner ersten politischen Rede begegnet war. Mit seinem Freund Gottfried Kinkel saß er hoch über dem Fluss mit Blick auf das Siebengebirge, um festzustellen, dass die Rheingegend noch genauso schön war wie drei Jahre zuvor und dass dennoch so vieles verändert war. Nachdem Gottfried Kinkel die geschiedene Künstlerin Johanna Mockel geheiratet hatte, war er für eine Lehrtätigkeit in der theologischen Fakultät war untragbar geworden und lehrte nur noch im Fach Kunstgeschichte.
Mit dem Dampfboot fuhr Theodor in Etappen flussaufwärts nach Bingen. Von dort aus unternahm er eine Wanderung entlang der Nahe bis nach Kreuznach, wo er bei den Begegnungen mit Menschen den Eindruck hatte, er stoße mit jedem Schritt an eine faule Frucht der Geschichte. Die krassen Gegensätze zwischen bestens ausgestatteten Kurgästen auf der Kreuznacher Promenade und den schwitzenden Arbeitern mit zerschundenen Händen in den Weinfeldern waren ihm unerträglich. Von Kreuznach aus wanderte er weiter und hinter Bad Münster am Stein bergauf zur Ebernburg. Beim Gang zwischen den Ruinen fühlte er sich um einige Jahrhunderte zurückversetzt in die Reformationszeit, als der Burgbesitzer Franz von Sickingen, Freund des Volkes und von Martin Luther, hier gewohnt und entgegen allen Anfeindungen seiner Fürstenkollegen verfolgten Reformatoren Asyl gewährt hatte. Auch Sickingens gleichgesinnter Freund, der Dichter Ulrich Hutten, war für lange Zeit dort oben untergekommen. Diese besondere Bedeutung verschaffte der Burg den Beinamen Herberge der Gerechtigkeit.
Eine weitere Unternehmung führte den vierundzwanzigjährigen Wanderer in das wildromantische, zerklüftete Wispertal. Stundenlang ging er allein, umgeben nur von der großartigen Natur, die doch klüger war als die Menschen, die es nicht fertig brachten, diese Großartigkeit auch denen zugänglich zu machen, die in Hütten hausten. Welch ein Widerspruch! In dieser Profeteneinsamkeit  fochten die Gedanken in seinem Kopf einen fürchterlichen Kampf, der dann in leidenschaftlicher Empörung mit Feder und Tinte zum Ausbruch kam. In den sechsundneunzig Strophen von Eine Rheinfahrt im August erinnerte der Autor an die hochfliegenden Hoffnungen auf Freiheit und Gerechtigkeit, zeigte das schwache Elend der vielen, die sich abquälten, damit wenige alle Reichtümer besäßen, und stellte fest, das fluchbeladene Metall  richte nur Unheil und Blutvergießen an. Geld solle man besser im Rhein versenken wie den Nibelungenschatz. Gleichzeitig war dieses Gedicht eine Hymne an den mächtigen Fluss, der ruhig und unbeirrt seinen Weg nahm. An alle dem hatte der Rhein ja keine Schuld. Er war der ungekrönte König und auf ihm ruhten seine Hoffungen auf bessere Zeiten. Die Zukunftsvision von Freiheit, Liebe und Gerechtigkeit beherrschte Theodors gesamtes Denken, Fühlen und Handeln. Für die Verwirklichung dieses Ideals würde er alles geben. Als wollte er diesen Vorsatz besiegeln, taufte er sich eines Abends an einer Uferstelle selbst mit klarem Rheinwasser.
Ende September 1846 wurde Eine Rheinfahrt im August mit dem Untertitel Den Kölnern, den Schleswigholsteinern, Allen die den Rhein lieben gewidmet gedruckt, auch diesmal wieder beim Schünemann Verlag in Bremen. In dem Zusammenhang erfolgte eine Einladung von den Redakteuren der Weser-Zeitung, deren Verleger ja auch Schünemann war. Man wollte den jungen Literaten, der seit zwei Jahren regelmäßig brillante Texte für ihr Blatt lieferte, persönlich kennenlernen und mit ihm über eine ständige Mitarbeit in der Redaktion reden. Das waren attraktive Aussichten und eine Übersiedlung nach Bremen hatte zudem wegen der Erinnerung an die jahrelange Tätigkeit von Großvater Dräseke an der dortigen Gemeinde St. Ansgarii einen ganz besonderen Stellenwert. Drei Tage brauchte die Miethskutsche durch Sand- und Heidewege. Das Gespräch fand statt, doch die Redakteure der Weser-Zeitung  waren keinesfalls in allen Punkten mit Theodor einig. Seine politischen Ziele gingen weit über das hinaus, was eine Tageszeitung in Bremen sich leisten konnte. Man einigte sich auf eine befristete Mitarbeit, zunächst für ein halbes Jahr. Der Vertrag sollte sofort in Kraft treten.

Doch dann traf Theodor Althaus das Missgeschick gleich in zweierlei Weise. Er wurde ernsthaft krank und war monatelang nicht arbeits- und noch weniger reisefähig. Und noch schlimmer war, dass die Rheinfahrt vom Oberzensurgericht Preußen verboten wurde. Schünemann wurde aufgefordert, die Vertreibung der Schrift sofort zu stoppen, andernfalls würden gegen das Verlagshaus Sanktionen erfolgen. Eine schriftliche Eingabe des Verfassers an den preußischen Innenminister blieb trotz glänzender Argumentation ohne Erfolg. Schünemann distanzierte sich von Althaus, um weiteren Schwierigkeiten mit den preußischen Behörden aus dem Weg zu gehen. Man verschob das Inkrafttreten des Vertrages bis auf Weiteres. Die Zusammenarbeit in der bisherigen Art und Weise wurde jedoch beibehalten und es erschienen weiterhin Artikel von Althaus in der Weser-Zeitung, unter anderem einer über seine Gedanken bei der Wanderung auf die Ebernburg.

"Rheinfahrt im August", Kapitel aus:

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