Dienstag, 5. September 2017
August Wilhelm Schlegel
Am 8. September 1767 wurde A.W. Schlegel geboren. Hier ein Anekdötchen des Studenten Theodor Althaus an der Bonner Universität:
"Im Wintersemester 1842/43 war Theodor wieder in Bonn. Er belegte Veranstaltungen verschiedener Fakultäten, hörte Metaphysik und Philosophie bei Brandis, einem Schulfreund seines Vaters aus Holzminden, über den römischen Theaterdichter Plautus bei dem Philologen Ritschl, neuere Geschichte bei Löbell und griechische Kunst bei August Wilhelm Schlegel, dessen bizarre Auftritte gewollt oder ungewollt für große Erheiterung sorgten. Wer wollte es Theodor Althaus verdenken, wenn er das Bild des älteren Herrn im Abendanzug neben dem Katheder mit vom Diener im Livrée sorgfältig geputztem silbernen Leuchter vor einem nach Parfum duftenden Auditorium den Seinen zu Hause nicht vorenthielt?"
aus: Theodor Althaus. Revolutionär in Deutschland
Bildquelle: Kalenderblatt im Arche Literaturkalender 2017
Donnerstag, 24. August 2017
Alexander von Humboldt
Während seiner Haft im Staatsgefängnis St. Godehard in Hildesheim hatte Theodor Althaus im Winter 1850 Zugang zur Hildesheimer Dombibliothek. Er las Hölderlins "Empedokles", Richard Wagners "Kunstwerk der Zukunft" und machte in den Werken von Flavius Josephus, einem Schriftsteller und Historiker aus dem ersten Jahrhundert nach Christus eine interessante Entdeckung. Er fand eine Textstelle, die Alexander von Humboldt in seinem geographisch historischen Werk "Kosmos" nicht erwähnt, also wohl übersehen hatte. Es handelte sich um die Überlieferung einer Reise des griechischen Handelsmanns Koläus von Samos, der im 7. Jahrhundert v. Ch. als erster Seefahrer die "Säulen des Herkules", so nannte man die Meerenge von Gibraltar, durchquert hatte, was bewies, dass der Erdkreis über das Mittelmeer hinaus reichte. Das ließ den Geschichtsschreiber Strabo vermuten, dass im Westen noch ein ferner Inselkontinent existierte. Am 22. Februar 1850 informierte Theodor Althaus den achtzigjährigen Humboldt in einem zweiseitigen Brief über diesen interessanten Zusammenhang, was der mit einem ehrlichen Dank und guten Wünschen für seine Zukunft beantwortete.
Episode aus: Theodor Althaus. Revolutionär in Deutschland
Statue Alexander von Humboldt vor der Humboldt Universität
Unter den Linden Berlin am 19. August 2017
Freitag, 11. August 2017
Schelling
Friedrich Wilhelm Joseph Schelling
(1775 - 1854)
Theodor Althaus hörte den 68-jährigen Schelling im Frühjahr 1843
an der Berliner Universität.
Er war enttäuscht und schrieb seinen Eltern nach Detmold:
"Große Vollheit, Lärm, Hitze
und am Ende kamen ganz gewöhnliche Sachen heraus."
(Theodor Althaus. Revolutionär in Deutschland, Seite 27)
Statue "Schelling der große Philosoph"
in München am 30. Juli 2017
Donnerstag, 10. August 2017
Gottfried Kinkel
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Gottfried Kinkel - Wikisource - gemeinfrei |
Theodor Althaus war 18 Jahre alt, als er an einem Oktobertag des Jahres 1840 die Wohnstube des Pfarrhauses Unter der Wehme in Detmold verließ, zu Fuß nach Paderborn ging und von dort mit der Postkutsche an den Rhein fuhr. Der älteste Sohn des lippischen Generalsuperintendenten hatte ein glänzendes Abiturexamen abgelegt und wollte an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn Theologie zu studieren. Und es war schon etwas Besonderes, von einer der ersten Amtshandlungen des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. zu profitieren und bei der Einschreibung vom gerade rehabilitierten Rektor Ernst Moritz Arndt persönlich begrüßt zu werden. Berechtigte Hoffnung auf ein einheitliches, freies und demokratisches Deutschland lag in der Luft. Doch in den beiden Vertretern der theologischen Fakultät, den Professoren Nitzsch und Bleek, sah der junge Stürmer aus dem Fürstentum Lippe diese Hoffnungen nicht erfüllt. Das sah er lediglich in den überzeugenden Vorträgen des fünfundzwanzigjährigen Dozenten Gottfried Kinkel. Bei ihm hörte er Kirchengeschichte und das mit Begeisterung und großem Respekt. Später gehörte er zum studentischen Kreis der wöchentlichen Kränzchen, zu denen Kinkel eine kleine Anzahl seiner Schüler in das Poppelsdorfer Schloss einlud. Die Verehrung des Theologiestudenten aus Detmold ging so weit, dass er seinem Dozenten bei bestimmten Themen seines Unterrichtsfaches inhaltlich zuarbeitete. So entwickelte sich über die Kränzchenabende hinaus eine Freundschaft, die auch nach Beendigung des Studiums anhielt.
Im Sommer des Jahres 1846 trafen sie wieder zusammen. Drei Jahre nach Beendigung des Theologiestudiums hatte sich für den Kandidaten Theodor Althaus keine berufliche Perspektive ergeben. Als Schriftsteller und Journalist lebte er im Detmolder Elternhaus und hatte gerade eine längere Schrift über die Zukunft des Christenthums verfasst. Während einer Wanderreise an den Rhein besuchte er seinen ehemaligen Dozenten Gottfried Kinkel in Bonn. Der war nach seiner Heirat mit der geschiedenen Johanna Mockel umhabilitiert worden und unterrichtete inzwischen das Fach Kunstgeschichte. Im vertrauten Gespräch stellten die beiden fest, wie wenig sich die Hoffnungen auf ein einheitliches demokratisches Deutschland erfüllt hatten. Deutschland war nach wie vor zersplittert in 36 Einzelstaaten, in denen der jeweilige König, Fürst oder Großherzog auf dem Hintergrund der Karlsbader Beschlüsse mehr oder weniger despotisch gegen seine Untertanen regierte. Wenige besaßen viel und weite Teile der Bevölkerung litten Not und hungerte.
In ihren jeweiligen Zusammenhängen kämpften Kinkel und Althaus gegen diese Ungerechtigkeiten. Unabhängig voneinander wurden sie im Strom des Revolutionsjahres 1848 mitgerissen und gehörten zu denjenigen, deren Laufbahn im Zusammenhang mit den Reichsverfassungskämpfen im Mai 1849 schicksalhaft endete. Kinkel landete nach der Teilnahme am Sturm auf das Siegburger Zeughaus sowie am badischen Aufstand im pommerschen Zuchthaus Naugard und Althaus als Redakteur der Zeitung für Norddeutschland wegen eines Artikels mit Aufruf zur Bildung eines Ausschusses zur Durchführung der in Frankfurt vollendeten Reichsverfassung im Staatsgefängnis St. Godehard in Hildesheim. Hier schrieb er im Jahre 1850 seine persönlichen Erinnerungen Aus dem Gefängniß, in denen er neben Robert Blum, Heinrich von Gagern und Julius Fröbel seinem Freund Gottfried Kinkel ein Kapitel widmete.
In seiner Publikation von 1850 "Aus dem Gefängniß. Deutsche Erinnerungen und Ideale" hat Theodor Althaus seinem Freund Gottfried Kinkel ein Kapitel gewidmet:
Kurzbiografie von Gottfried Kinkel:
1815 am 11. August wird Gottfried Kinkel in Oberkassel als Sohn eines evangelischen Theologen geboren
1831 Studium der Theologie an der Universität Bonn
1834 Studium der Theologie an der Universität Berlin
1837 Dozent für Kirchengeschichte an der Universität Bonn
1843 Heirat mit Johanna Mockel, katholisch und geschieden, somit kann Kinkel in der theologischen Fakultät nicht mehr lehren
1845 Professor für Kunst- und Literaturgeschichte in Bonn
1848 Redakteur der Bonner Zeitung
1848 gründet den demokratischen Verein Bonn
1849 nimmt im Mai am Siegburger Zeughaussturm und im Juni am badisch-pfälzischen Aufstand teil (Reichsverfassungskämpfe)
1849 am 4. August wird er zu lebenslanger Festungshaft verurteilt und inhaftiert, zunächst in Bruchsal, dann im pommerschen Naugard
1850 im Mai wird er in das Zuchthaus Spandau überwiesen
1850 am 6. November wird er in einer spektakulären Aktion von Carl Schurz befreit, flüchtet über Rostock und Warnemünde nach England und lässt sich in London nieder
1851 folgt Johanna Kinkel mit den vier Kindern nach
1852 Professor für Literaturgeschichte am Hyde-Park- und am Bedford-College
1858 Johanna Kinkel stirbt in London
1860 heiratet Minna Werner aus Königsberg
1861 Vorträge zur Kunstgeschichte im South-Kensington-Museum
1863 Examinator an der Universität London
1866 Professor für Kunstgeschichte am Polytechnikum Zürich
1882 am 13. November stirbt Gottfried Kinkel nach einem Schlaganfall, ohne vorherige Amnestie
1882 am 13. November stirbt Gottfried Kinkel nach einem Schlaganfall, ohne vorherige Amnestie
Freitag, 17. März 2017
Berlin am 18. März 1848
Am 20. März 1848 erreichte er gegen
Mittag Berlin. Es war ein seltsames Szenario in der Stadt. Männer, Frauen und
Kinder liefen zwischen Barrikaden und herausgerissenen Pflastersteinen. Die
meisten feierten einen Sieg. Doch andere suchten verzweifelt nach vermissten
Angehörigen.
Theodor ging von Kirche zu Kirche,
schaute in die jungen Gesichter der dort aufgebahrten Toten, die schrecklichen
Wunden, die stille Siegesgewissheit in den bleichen Zügen. Auf der Straße
sprach er die Menschen an, hörte ihre Berichte über die Ereignisse der Nacht
von Samstag auf Sonntag und setzte das Puzzle zusammen über die friedliche
Versammlung vor dem Schloss, die Proklamation des Königs, laute Rufe aus der
Menge, die Forderung nach Abzug der Soldaten, zunehmende Unruhe, plötzlich ein
Schuss von irgendwoher, noch ein Schuss und dann der fürchterliche Sturm.
Unaufhaltsam tobte der in Straßen und auf Plätzen. Alle machten mit beim Bau
der Barrikaden, vom einfachen Tagelöhner und Handwerker bis zum Beamten,
Studenten, Arzt und Advokaten. Frauen, Kinder und Greise waren dabei. Mit allen
Mitteln kämpften sie, beschafften Material für den Barrikadenbau, besorgten
Waffen, gossen Kugeln, steckten deutsche Fahnen auf, Frauen versorgten die
Kämpfenden mit Speisen und Getränken. Unaufhörlich tönten die Sturmglocken in
der Stadt. Die ganze Nacht. Bis zum nächsten Morgen. Bis kein einziger Soldat
mehr zu sehen war.
In einer Kirche fand er ein stilles
Plätzchen, wo er ungestört verweilen konnte. Nachdem er sich ein wenig gefangen
hatte, zog er Papier und Feder aus der Tasche und schrieb einen Artikel für die Weser-Zeitung.
Das war er den Toten schuldig. Ihr mutiger Kampf durfte nicht umsonst gewesen
sein.
Es war schon dunkel, als er am
Abend vor dem Haus des Großvaters in Potsdam stand. Obwohl das Fenster des
Balkonzimmers hell erleuchtet war, musste er lange auf Einlass warten. Später
erfuhr er den Grund. Dräseke war vor Übergriffen von Aufständischen gewarnt
worden und die im Hause Anwesenden, des Großvaters jüngere Tochter, Enkelin
Elisabeth aus Detmold und ein Diener, fürchteten den dunklen Mann an der Tür
und waren heilfroh, als es dann der älteste Enkel war. Der berichtete von den
Spuren der Berliner Horrornacht, bevor er sich völlig erschöpft zurückzog.
Elisabeth machte sich Sorgen und folgte dem Bruder in sein Zimmer. Der hatte
sich schon ins Bett gelegt. Sie erinnerte sich: Ich setzte mich zu ihm und
sah nun erst, wie verändert, wie von Erregung und Schmerz durchwühlt seine Züge
waren.
Am nächsten Tag war Theodor dabei,
als König Friedrich Wilhelm IV. mit schwarz-rot-goldener Armbinde durch die
Straßen von Berlin ritt und vor Studenten der Berliner Universität eine Rede
hielt, wobei er sich zu der verheißungsvollen Formulierung hinreißen ließ: Preußen
geht fortan in Deutschland auf. Und er nahm am 22. März auf dem
Gendarmenmarkt an der Trauerfeier für die 183 Toten teil, folgte dem
unbeschreiblich langen Leichenzug mit den bekränzten Särgen, zunächst bis zum
Schloss, wo sich der preußische König Friedrich Wilhelm IV. auf Verlangen des
Volkes mit gezogenem Hut vor den toten Revolutionären verbeugen musste, dann
vor die Tore der Stadt zur Beisetzung auf dem eigens eingerichteten Friedhof
der Märzgefallenen auf einem Hügel in Friedrichhain. Der Leichenzug.
Die seidenen, schwarzrothgoldenen Trauerfahnen […] nach den Thränen stumpfte
sich alles ab. Zu lang. Die anarchische Schwüle über Berlin, notierte er
im Tagebuch.
Er sei ein Mann geworden, meinte
Großvater Dräseke und da hatte er recht. Die harte Konfrontation mit den
menschlichen Tragödien, die rohe Gewalt gegen die eigenen Brüder, Söhne eines
Volkes, hatten ihn in tiefster Seele getroffen. Der Weg würde ein harter und
steiniger werden. Die faulen Früchte der Geschichte waren mächtiger,
als er es sich in seinen idealen Vorstellungen ausgemalt hatte. So einfach
fielen die nicht in sich zusammen. Wie sonst wäre es möglich, dass Soldaten als
Spielzeug eines konzeptlosen Monarchen mit vorgeblicher
Gottes-Gnaden-Legitimation ein so schreckliches Blutbad anrichteten?
Althaus' Artikel erschien
unter der Überschrift Die Berliner Revolution am 22. März 1848 auf
der Titelseite der Weser-Zeitung. Er hatte den historischen Stellenwert
des Geschehens als Bluttaufe der deutschen Freiheit erkannt und eine
überaus sensible Würdigung des leidenschaftlich entschlossenen Kampfes gegen die
starre Willkürherrschaft des schwachen preußischen Königs verfasst: Die giftige
Saat, die Untergrabung alles Vertrauens, das schwankende Spielen zwischen der
persönlichen Willkür und den gerechtesten Forderungen des Volkes, die
Demoralisation der höchsten Staatsgewalten, welche sich durch den Schein und
die Heuchelei eine erträumte Macht zu sichern wähnten, ist nun so blutig
aufgegangen. Deutschland wird den achtzehnten März dieses Jahres nie vergessen.
Auf der Rückfahrt nach Leipzig war
von anarchischer Schwüle nichts mehr zu spüren. Deutsche Fahnen
wehten auf den Bahnhöfen und viele Menschen trugen Bänder in Schwarz-Rot-Gold.
Nach den Aufständen in Palermo, Paris, Wien, Baden und Berlin gingen die
Menschen auf die Straße, wo sich die Empörung über die Knechtschaft der
vergangenen Jahrzehnte entlud. Der Anbruch einer neuen Zeit wurde gefeiert, ein
deutscher Frühling. Aus Furcht vor weiteren Unruhen erteilten die Könige und
Fürsten in den Ländern eiligst Lockerungsregelungen von den Karlsbader
Beschlüssen, wie Friedrich Wilhelm IV. in Preußen, Friedrich August in Sachsen
und Ernst August in Hannover mit beschwichtigenden Proklamationen, Aufhebung
von Pressezensur und Versammlungsverbot, Ministerien wurden eiligst
ausgewechselt und Versprechungen gemacht hinsichtlich Bürgerwehren anstelle von
gehorsamem Militär.
Althaus' Freunde in Leipzig hatten
unterdessen nicht geschlafen. Robert Blum hatte auf dem Marktplatz vor
Hunderten Zuhörern vom Balkon des Rathauses eine bejubelte Rede gehalten, in
der er den Rücktritt der sächsischen Regierung forderte und dafür plädierte,
das derzeitige Soldatentum abzuschaffen und alle Bürger zu bewaffnen, damit man
mit den jungen Brüdern Hand in Hand gehen könne. Arnold Ruge hatte Die
Reform gegründet, ein Organ für eine breite Leserschaft mit dem Ziel, bei allem
Enthusiasmus über die errungenen Erfolge Klarheit in das Chaos der
verschiedenen Meinungen, Begriffe und Sprachregelungen zu bringen.
Auf der großen politischen Bühne
hieß es jetzt zügig handeln, damit das durch die revolutionären Erhebungen
gewonnene Potential nicht verpuffte. Einundfünfzig Männer hatten bereits
Vorarbeit geleistet. Auf Einladung von Johann Adam Itzstein aus Hallgarten
waren sie zusammen gekommen und hatten am 5. März 1848 die sogenannte Erklärung
der Heidelberger Versammlung formuliert, in der sie auf Vorschlag von
Theodor Welcker sieben Mitglieder benannten, die für alle Länder des Deutschen
Bundes eine Nationalvertretung vorbereiten sollten. Dieser Siebenerausschuss tagte
am 12. März 1848 und brachte eine Einladung an die Ständemitglieder und eine
Auswahl von Vertrauensmännern aus allen Ländern zu einem Vorparlament auf den
Weg. Das berufene Gremium sollte die Grundlagen zur Wahl der Mitglieder einer
gesamtdeutschen Nationalversammlung schaffen und am 31. März 1848 in
Frankfurt zusammen kommen.
Im Wohnzimmer von Robert Blum tagte
wieder ein kleiner Kreis, um vor seiner Abreise nach Frankfurt zur Teilnahme am
Vorparlament die dort zu vertretende politische Richtung zu besprechen. Man
diskutierte wild durcheinander und kam stundenlang nicht auf den Punkt, bis
schließlich der Hausherr das Wort ergriff und kurz erklärte, wo es lang gehen
sollte. Wer konnte das besser einschätzen als Blum? Er hatte als jahrlanges
Mitglied des Hallgartenkreises sowie des Leipziger Stadtparlaments
den Überblick, genoss das Vertrauen der Bevölkerung und war ein Meister der
Rede, der Organisation und der Beschaffung von Mehrheiten nach demokratischen
Prinzipien. Seine Überzeugungskraft suchte ihresgleichen. Wenn er sprach, hörte
jeder zu. Das stellte auch Althaus an jenem Abend in Blums Wohnung bewundernd
fest.
Das Vorparlament mit 574
Teilnehmern tagte vom 31. März bis zum 3. April 1848 in der Frankfurter
Paulskirche. Es sah seine Aufgabe darin, die Art und Weise der Bildung einer
parlamentarischen Nationalversammlung mit dem Ziel der Erarbeitung einer
Verfassung für ganz Deutschland festzulegen und wählte aus seinen Reihen einen
Fünfzigerausschuss, der in Absprache mit der Bundesversammlung den Wahlmodus
für die Mitglieder der Nationalversammlung festlegen sollte. Robert Blum
gehörte diesem Fünfzigerausschuss an. Die Leipziger Angelegenheiten regelte er
während seiner Abwesenheit zusammen mit Vertrauten aus der Entfernung. Auch
Theodor gehörte dazu. Blum wusste, dass er sich auf ihn verlassen konnte.
Seinem Schwager und engem Mitarbeiter Georg Günther schrieb er am 13. April
1848: Wenn Althaus etwas schreibt, dann ist das gewiss gut, und ich bin im
voraus damit einverstanden.
Der Detmolder Pfarrerssohn befand
sich plötzlich auf einem für ihn völlig fremden Terrain. Da ihm geographisch
gesehen die politische Heimat fehlte, engagierte er sich nun in Leipzig. Neben
der Mitwirkung an Ruges Reform arbeitete er beim neu gegründeten
Vaterlandsverein mit, formulierte das politische Programm und stellte es in den
umliegenden Ortschaften, zum Beispiel in Volkmarsdorf und Lindenau, in
Referaten den Menschen vor. Das gefiel ihm sehr, allerdings meinte er, es
könnte noch besser werden. Zwar fühlte er sich angenehm erinnert an seine Zeit
als Prediger und Referent in der lippischen Heimat, doch in diese Welt der
Politik mit Meinungsbildung, Formulierung von Programmen und dem Bemühen um
Wählerstimmen musste er sich noch einarbeiten: Ich freute mich, o seit wie
lange wieder einmal an meiner eigenen Stimme, noch nicht an der Rede.
Außerdem versuchte er in
politischen Gremien Einfluss zu nehmen. Zusammen mit Musikprofessor Brendel
erarbeitete er im Namen des Tonkünstlervereins eine Bittschrift an die Stadt
Leipzig für mehr Förderung von Kunst im öffentlichen Leben. Und er verfasste
Aufrufe zur Mitgliedschaft im Verein, die er auch an weiter entfernt wohnende
Freunde und Bekannte schickte, wie Tischlermeister Cord Wischmann in Bremen und
Advokat Karl Vette in Detmold. Vette fing den Ball gleich auf und hatte die
Idee, Althaus als Kandidat des Fürstentums Lippe für die Nationalversammlung in
Frankfurt vorzuschlagen. Fast zu gleicher Zeit setzte auch der Vaterlandsverein
ihn auf die Kandidatenliste für Sachsen. Theodor machte sich nichts vor. Seine
Chancen waren gering. Wie sollte es ihm gelingen, in zwei Wochen die Menschen
davon zu überzeugen, dass er ihre Interessen für ein freies Deutschland in
Frankfurt gut vertreten würde? In Sachsen war er ein unbekannter junger Schriftsteller
aus dem Ausland. Die Menschen im Erzgebirge würden eher jemanden aus
ihrer Gegend wählen. Arnold Ruge, Robert Blum und Georg Günther hingegen hatten
gute Chancen, in die Nationalversammlung gewählt zu werden. Sie würden die
Stadt verlassen und die nächsten Monate in Frankfurt verbringen. Was sollte er
dann überhaupt noch in Leipzig? Er entschied, die Kandidatur in Lippe
anzunehmen. Auch wenn er sich dort gegen den Detmolder Gymnasialdirektor
Schierenberg kaum Chancen ausrechnete, sagte er sich, im Gegensatz zur
Aristokratie gehöre es zum Wesen der Demokratie, sich um Mehrheiten zu bemühen
und auch unterliegen zu können und das Mehrheitsvotum zu akzeptieren.
Renates Blog: Renates 18. März in Berlin
Bildquelle: Straßenkämpfe am Alexanderplatz in Berlin im Jahr 1848 während der Deutschen Revolution, gemeinfrei bei Wikipedia
Freitag, 3. Februar 2017
Berlin Februar 1844: Fackelzug für die Brüder Grimm
Ein Fackelzug für die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm
in der Lennéstraße sollte veranstaltet werden. Die Brüder gehörten, wie
Dahlmann, zu den sieben Göttinger Professoren, die 1837 gegen die willkürliche
Aufhebung der Verfassung protestiert hatten und vom Hannoverschen König
entlassen wurden. Im Zuge des vielversprechenden Amtsantritts von König
Friedrich Wilhelm IV. waren sie im Jahre 1840 rehabilitiert worden und hielten
Vorlesungen an der Berliner Universität. Als Cheforganisator der Veranstaltung
hatte Althaus alle Hände voll zu tun, die vielen Meinungen unter einen Hut zu
bringen und die Vorbereitungen zu koordinieren. Um jenaischen Verbindungsglanz
nach Berlin zu holen, lieh man Kostüme bei Ausstatter Noack. Die polizeiliche
Erlaubnis wurde unter der Bedingung erteilt, dass einige wegen oppositionellen
Verhaltens aufgefallene Studenten nicht an der Demonstration teilnahmen, was
natürlich im Vorfeld großen Unmut und erneute Diskussionen verursachte.
Als dann nach einer Menge Arbeit und vielen
Schwierigkeiten am 10. Februar 1844 der Tag des Fackelzuges gekommen war, gab
es einen fürchterlichen Schneesturm, sodass die Teilnehmer in
Burschenschaftsoutfit abends auf dem Hof der Universität bis zu den Knien im
Schnee standen. Als wäre das nicht genug, musste der Organisator noch beim
Umlegen der Schärpen, Umschnallen der Schläger und beim Anzünden der Fackeln
helfen, …ein heilloser Gesammteindruck
[…] denn überall war fürchterliches Pöbelgedränge und dabei ein entsetzlicher
Mangel nicht nur an studentischem Tact, sondern an allgemeiner Anstelligkeit.
Sie begriffen nichts als wozu man sie stieß und schob, notierte er später im
Tagebuch. Immerhin erreichte der Zug ohne Schneegestöber das Haus der Grimms in
der Lennéstraße. Theodor und einige Kommilitonen gingen hinauf in die Wohnung
und huldigten den Brüdern Grimm mit einem dreifachen Hoch für ihr echt deutsches Wesen und Wirken. Wilhelm
redete vom Balkon aus zu den Studenten, sinngemäß dahingehend, man solle die
Wissenschaft nicht als etwas Totes, sondern als Verbindung von Vergangenheit
und Gegenwart sehen. Es folgten Hochrufe auf die Brüder Jacob und Wilhelm, die Göttinger Sieben und Hoffmann von
Fallersleben, der sich in der Grimm’schen Wohnung aufhielt und eigentlich nicht
entdeckt werden wollte, weil er sich in Berlin gar nicht aufhalten durfte. Als
dann von den Studenten auch noch Georg Herwegh in Abwesenheit gefeiert wurde,
war es den Polizisten zu bunt. Sie ritten in die Versammlung und trieben die
Teilnehmer auseinander. Theodor ging noch einmal hoch zu den Grimms, wo er sich
mit Hoffmann unterhalten konnte und ihn dabei an seinen Auftritt vor jenaischen
Studenten zwei Jahre zuvor erinnerte.
Ein paar Tage später war er in einer Kneipe dabei,
als Hoffmann von Fallersleben einen öffentlichen Auftritt als fahrender Sänger
hatte. Nach dem Trinkspruch Deutschland
ohne Lumpenhunde gab der heimatlose Professor Gedichte, Lieder und
Erzählungen über seine Wanderungen zum Besten. Mit großem Erfolg bei den
Zuhörern, jedoch nicht bei den preußischen Behörden. Denn die teilten ihm am
nächsten Tage mit, dass er wegen Störung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit
schnellstens die Stadt zu verlassen habe. Althaus begleitete den Poeten
Hoffmann, bis der mit einer Kiste voller Bücher, Papieren und Zigarren in der
Postkutsche saß, sich mit einem Zündhölzchen eine anzündete und mit gewohntem
Spott die viel gerühmte Aufklärung in
Berlin vorführte.
Aus: Theodor Althaus. Revolutionär in Deutschland
Bildquelle: Berlin, Unter den Linden, Victoria Hotel zwischen 1890 und 1900
gemeinfrei bei Wikipedia
Bildquelle: Berlin, Unter den Linden, Victoria Hotel zwischen 1890 und 1900
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Sonntag, 29. Januar 2017
1843: Bettina von Arnim
Ein Besuch bei Bettina von Arnim, deren Wohnung auch
regelmäßig für Treffen und Gespräche offenstand, verlief so ganz nach Theodors
Geschmack. Studenten gingen bei Bettina ein und aus. Die Schwester von Achim
von Arnim, Witwe von Clemens Brentano und Mutter von sechs Kindern, hatte wegen
ihres offenen Wesens und ihrer Gastfreundschaft sehr viele Sympathien in der
Stadt. Ihr engagierter Einsatz für benachteiligte und verarmte
Bevölkerungsgruppen war außergewöhnlich. Sie selbst war wirtschaftlich
unabhängig und gehörte zur privilegierten Gruppe der Gesellschaft, war aber
bereit zu geben, was sie nur konnte. Und sie nahm kein Blatt vor den Mund.
Selbst dem preußischen König konnte sie die Wahrheit sagen und war mutig genug,
ihre Kritik unter dem provokanten Titel Dies
Buch gehört dem König zu veröffentlichen. In ihrer natürlichfrischen Art
erfreute die Sechsundfünfzigjährige das junge Stürmerherz. Theodor Althaus war
mächtig angetan von der quirligen Frau mit dem hessischen Dialekt. Wißt was? Geht bis neun Uhr spazieren, dann
kommt wieder, da woll mer schwätze, so viel Ihr Lust habt. Nehmt’s nit übel,
zitierte er sie im Brief an seine Mutter und schilderte, wie er zusammen mit
seinem Freund eineinhalb Stunden später dann an ihrem Teetisch saß, ab und an
die jüngste Tochter Gisela durch den Raum flog und die Hausherrin, ihr
Versprechen einhaltend, nach Herzenslust bis weit nach Mitternacht mit den zwei
Studenten schwätzte. Daß die Berliner
Gesellschaft diese Frau verrückt nennt, ist kein Wunder, denn sie gehört zu den
unbequemen Leuten, die die Wahrheit sagen, war sein Fazit im Brief an die
Mutter.
aus: Theodor Althaus. Revolutionär in Deutschland
Montag, 9. Januar 2017
Hannover im Januar 1849: Grundrechte für Deutschland
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Leineschloss in Hannover |
Trotz Bedenken und Verzögerungstaktik des hannoverschen
Ministeriums waren die Grundrechte des Deutschen Volkes mit
Einführungsgesetz, datiert am 27. Dezember 1848 und unterschrieben vom
Reichsverweser Erzherzog Johann sowie von den Reichsministern H. v. Gagern, v.
Peucker, v. Beckerath, Duckwitz und R. Mohl, in Frankfurt verkündet worden. Die
Bestimmungen in den acht Artikeln bildeten die Grundlage für das Zusammenleben
im demokratischen Staatengebilde, vor allem die Freiheit der Person, Aufhebung
der Standesunterschiede, Freiheit der Meinungsäußerung, der Presse, des
Glaubens, der Wissenschaft und Lehre, Versammlungsfreiheit und nicht zuletzt
die Unabhängigkeit der Gerichte.
In den Druckereien der verschiedenen deutschen Länder, u.a. bei
J. G. Heyse in Bremen und bei Lehnhardt in Mainz, war der Gesetzestext in
aufwändiger Gestaltung verlegt und in den Ländern verteilt worden. Die
Abonnenten der Zeitung für Norddeutschland erhielten als
Gratisbeilage ein schön gestaltetes Plakat mit Wappenvogel und Zierrahmen,
gedruckt bei den Gebrüdern Jänecke. Dieses Schmuckstück wurde zu Hunderten in
den Buchhandlungen verkauft und hing nun in Hannover an allen öffentlichen
Orten aus. Auch in dem Café, in dem Althaus seit den Ermahnungen der Schwester
jeden Abend nach Fertigstellung der Ausgabe für den nächsten Tag ein
Ruhestündchen verbrachte, war es an der Wand angebracht. Mit Genugtuung stellte
er fest, dass es ständig abgehängt und studiert wurde und von Hand zu Hand
ging. Es war nun Sache der einzelnen Regierungen, das gesamtdeutsche
Gesetzeswerk in den jeweiligen Ländern zu publizieren und umzusetzen.
Der 21. Januar 1849 war ein Sonntag. Nicht nur deshalb und
wegen des strahlenden Winterwetters war er ein ganz besonderer Tag. Nach einem
Aufruf Adolf Menschings vom Hannoveraner Volksverein, der nach dem März 1848
aus den wöchentlichen Versammlungen im Ballhof hervorgegangen war, sollte in
der Stadt die Anerkennung der Grundrechte des deutschen Volkes gefeiert werden.
Theodor berichtete seiner Schwester von dem herrlichen politischen
Sonnenschein, den Hannover an dem Tage erlebte. Am liebsten hätte er ihr
die helle Morgensonne mit dem Brief hinüber nach Detmold geschickt. Und noch
viel lieber hätte er Elisabeth dabeigehabt, als er nachmittags losging auf den
Marktplatz, wo sich Menschen aus allen Bevölkerungsgruppen versammelten, um für
die offizielle Verkündung des Reichsgesetzes im Königreich Hannover zu
demonstrieren. Er war auch dabei, als an die dreitausend Menschen vom Rathaus
durch die Kramerstraße über den Holzmarkt zum Neustädter Markt zogen, wo die
Grundrechte für das deutsche Volk öffentlich verlesen wurden.
Dieses eindrucksvolle Votum der hannoverschen Bevölkerung
führte jedoch keineswegs dazu, dass die gesamtdeutschen Grundrechte von der Regierung
des Königreichs Hannover anerkannt und publiziert wurden. Auch die Presse
kämpfte für das Reichsgesetz, mit Ausnahme der Hannoverschen Zeitung,
die als Sprachrohr der Regierung galt. Innenminister Stüve selbst verfasste
regelmäßig Artikel für dieses Organ. Er hielt nach wie vor an seinen Bedenken
fest und wartete, wie in den Aktenstücken vom Dezember 1848 angekündigt, auf
die Entscheidung der Ständemitglieder, deren Wahl in diesen kalten und
schneereichen Januartagen in vollem Gange war.
Bildquelle: gemeinfrei in "Königreich Hannover": https://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%B6nigreich_Hannover
Das Leineschloss in Hannover war die Residenz der Könige von Hannover von 1837 bis 1866.
Mittwoch, 4. Januar 2017
1849: "Zeitung für Norddeutschland"
Am 1. Januar 1849 erschien die erste Ausgabe der Zeitung
für Norddeutschland. Ihren Lesern stellte sie sich als überregionales
demokratisches Blatt vor. Der erste Leitartikel bekam die Überschrift Am
Jahreswechsel. In gewohnt glänzenden Formulierungen gab der leitende Redakteur
einen Rückblick auf die revolutionären Entwicklungen des Jahres 1848.
Alle Geister der alten Ordnung seien in Bewegung gebracht worden, jedoch in
eine rastlose Bewegung. Ungeahnt heftige Ereignisse und überstürzte Aktionen hätten
den Blick auf das große Ganze des Vaterlandes mitunter aus den Augen verlieren
lassen. Er erinnerte daran, dass trotz bitterer Niederlagen in Frankfurt die
Grundrechte als Reichsgesetz verkündet worden waren. Das große politische Ziel
des neuen Jahres müsse nun die Vollendung der gesetzlichen Voraussetzungen für
ein einheitliches Deutschland als Nation sein, und zwar in Form eines
Bundesstaates, in dem es nur ein Kriegsministerium, nur ein Ministerium des
Auswärtigen und nur eine Gewalt an der Spitze gebe. Nur dann sei Deutschland
Garant für europäische Freiheit und Gerechtigkeit. Und nur die souveräne
Nationalversammlung habe die Vollmacht, dieses Deutschland zu schaffen.
Welche Schwierigkeiten der Verwirklichung eines deutschen
Bundesstaates entgegenstanden, bestimmten in den folgenden ersten Januartagen
die Leitthemen. Am 4. Januar 1849 in Preußen und Deutschland beschäftigte
Althaus die Frage, welche Einzelstaaten überhaupt ohne Wenn und Aber
dazugehörten. Was war mit Schleswig und was vor allem mit dem Vielvölkerstaat
Österreich, dem es schon nicht gelang, intern die Zugehörigkeiten der einzelnen
Stämme zu klären? In der Nationalversammlung und in der Bevölkerung bildeten
sich zwei Lager, das der großdeutschen Lösung mit Österreich, wie immer das
aussehen könnte, und das der kleindeutschen Lösung unter der Führung von
Preußen mit der Option eines späteren Beitritts von Österreich. Und wie würde
selbst nach endgültiger Klärung der Zugehörigkeitsfrage die Umsetzung der
Reichsverfassung und demokratischer Strukturen in den Einzelstaaten aussehen,
angesichts der Tatsache, dass die monarchischen Regierungen Stück für Stück
verlorenes Terrain zurückeroberten und dass der Zentralgewalt die Mittel
fehlten? Notwendig sei ein allgegenwärtiger Aufschwung des demokratischen
Geistes und der patriotischen Gefühle der Männer der ersten Stunde von
Hallgarten und Heidelberg. Im Zusammenhang mit den monarchisch partikulären
Eskapaden Preußens meinte Althaus: Trotz alles Sträubens und Hinzögerns
wird Preußen s o in Deutschland aufgehen
m ü s s e n, wie
D e u t s c h l a n d
es will, und n i c h t, wie die Dynastie es
sich vielleicht einbildet.
Und wie sah es mit der Anerkennung und Umsetzung der
Reichsgesetze im Königreich Hannover aus? Machte doch das Ministerium Stüve-Bennigsen
keine Anstalten, sie zu publizieren, im Gegenteil. Bereits im Vorfeld der
Verkündung des Reichsgesetzes über die Grundrechte des deutschen Volkes hatte
das hannoversche Ministerium gegen eine Publizierung agiert. In zwei Schreiben
nach Frankfurt wurden Bedenken formeller und juristischer Art dargelegt, und
zwar am 4. November und am 17. Dezember 1848 an hannoversche Bevollmächtigte
bei der provisorischen Zentralgewalt. Mit dieser Verzögerungstaktik
beschäftigte sich Althaus in vier Leitartikeln, erschienen in der Zeit vom 6.
bis zum 12. Januar 1849. Er machte keinen Hehl daraus, dass er das Ministerium
als Hemmschuh für die nationale Sache betrachtete. Diese Betrachtung basierte
im Wesentlichen auf den zwei Ministerschreiben, Aktenstücke genannt. In diesen
wurden formelle und rechtliche Bedenken gegen eine Publizierung der
Reichsverfassung geäußert. Das hannoversche Ministerium gab an, vor der
Verkündung von Reichsgesetzen sei ein Votum der Stände einzuholen. Außerdem sei
sie vom juristischen Standpunkt aus bedenklich, man benötige das Protokoll
eines Bundesbeschlusses vom 10. Juli 1848, das man in Hannover jedoch nie
erhalten habe. Als dritter Grund wurde das mögliche Ausscheren Österreichs aus
dem zu gründenden Staatswesen angeführt und somit eine möglichen Verzerrung der
Mehrheitsentscheidung im Nachhinein. Alle Argumentationsansätze hielt Althaus
für verlogen und nur um der Verzögerung der gemeinsamen Sache willen
angebracht, was er in heftigen Wortattacken in den vier Artikeln zu Hannover
und Deutschland darlegte. Schon mit der Formulierung der Titelzeile nannte
er in der Ausgabe am 12. Januar 1849 die Dinge beim Namen: Die
ministerielle Ehrlichkeit und das große Hinderniß der deutschen Einheit.
Kapitel aus: Theodor Althaus. Revolutionär in Deutschland
Donnerstag, 17. November 2016
1848: Fiese Kampagne gegen die Bremer Zeitung
Indes waren in Bremen die Kämpfe gegen die Bremer Zeitung
vollends ausgebrochen. Der leitende Redakteur wurde offen angefeindet, darauf
angesprochen, wie ein Enkel von Dräseke so heillose Sachen schreiben könne und
provokativ gefragt, wie er sich denn die Einheit und Republik eigentlich denke.
Und es kam noch schlimmer. Mit Flugschriften und offenen Briefen agitierte man
gegen die Zeitung und speziell gegen die Artikel von Theodor Althaus. Im
Tagebuch notierte er: Das Complott brach endlich an der entscheidenden
Erklärung los. Haufenweis kamen die Absagebriefe im echten Bourgeoisstil. Die
Principale bleich, niedergeschlagen, sahen voraus, dass die ‚Bremer Zeitung’
für Bremen verloren sei […]. Da half es auch nicht, dass zwei mitgliederstarke
Bremer Vereine sich vehement für die freisinnige Tendenz der Leitartikel von
Althaus einsetzten und in offenen Briefen diese Art von Pressezensur
anprangerten. Der Bürgerverein äußerte sich empört über die Angriffe und
Demonstrationen von Aristokraten und Reaktionären, die vor den unparteiischen
Richterstuhl der öffentlichen Meinung gehörten. Noch schärfer formulierte der
demokratische Verein. Die längst beseitigte Staatszensur werde von jenen
Finsterlingen als Privatzensur wieder eingeführt und die Menschen somit um die
glücklich errungene Pressefreiheit gebracht. Die Solidaritätserklärungen der
beiden Bremer Vereine wurden von der Redaktion wunschgemäß publiziert und am 4.
Oktober 1848 in der zweiten Ausgabe der Bremer Zeitung gedruckt.
Als Agitation und Boykott über die Zeitung hinaus sogar
gegen die traditionelle Heyse’sche Verlagsbuchhandlung ausgedehnt wurden,
entschied der Verleger, einen Schlussstrich zu ziehen und sich von der Zeitung
zu trennen. Die Bremer Zeitung wurde an die Gebrüder Jänecke in Hannover
verkauft, im Einvernehmen mit Theodor Althaus, der sie dort unter dem Namen
Zeitung für Norddeutschland weiter redigieren würde. Schwere Tage, notierte er,
durch die unsittliche Finesse und die ganze Perfidie mich indirect als Rothen
zu schildern, fühlte ich die letzten Fäden reißen. Dem bevorstehenden
Ortswechsel konnte er durchaus positive Aspekte abgewinnen. Hannover war besser
an das Eisenbahnnetz angebunden als Bremen und somit erreichten die neuesten
Nachrichten die Redaktion schneller als bisher.
Doch so richtig wollte der Blick nach vorne und das
Entwickeln von Perspektiven noch nicht gelingen. Zu tief saß der verletzende
Stachel. Die bittere Enttäuschung brachte sein inneres Gleichgewicht ins
Wanken. Theodor bekam Husten und wurde krank. Konnte nicht schreiben, fühlte
mich mit kurzen Unterbrechungen wie todt, wie vernichtet, sah mit Grauen dem
Winter und mit Ekel dem Leben entgegen. Trost fand er in der Korrespondenz mit
seiner Cousine Minna Schmitson in Frankfurt, die er auch seinerseits trösten
musste, weil ihr Vater als Angestellter bei der Bundesmilitärkommission während
des Straßenkampfes am 18. September eine Verwundung davongetragen hatte: Aber
es gilt auszuharren und treu zu bleiben. Ein Frühling kommt, in Menschenwelt
und in Natur wird er uns wiederkehren!
De Traurigkeit war stärker als die Hoffnung auf
Frühlingserwachen. Als an seinem Geburtstag Schwester Elisabeth ihn an sich
drückte, wusste er nicht, ob er sich freuen oder heulen sollte. Die treue Seele
war extra nach Bremen gekommen. Sechsundzwanzig Jahre alt wurde er und kam sich
vor, als hätte er das ganze Leben schon hinter sich. Ihr gegenüber gab er zwar
sich optimistisch, wusste er doch, sie würde alles der Mutter erzählen und die
sollte sich nicht beunruhigen, doch wie er sich wirklich fühlte, vertraute er
seinem Tagebuch an: Ich habe verloren, ich weiß nicht mehr zu sprechen wie
sonst, seit ich so viel lese und schreibe. Ich kenne die Herzen nicht mehr so,
seit ich mir selbst so wenig, so fast niemals angehöre.
Kapitel aus: Theodor Althaus. Revolutionär in Deutschland
Samstag, 12. November 2016
Erinnerungen an Gottfried Kinkel
Als Volkswehrmann, in der Bluse, mit verwildertem Bart, ein Tuch um das
verwundete Haupt geknüpft: so nahmen sie ihn nach dem Gefechte bei Muggensturm
gefangen und führten ihn nach Karlsruhe. Wie manche Nacht zog die Gestalt
erschütternd an meinem Blick vorüber! Dann das heimliche Gericht, dann das
Ende: er ist frühmorgens heut im Walde erschossen! Dann nach dumpfen
Schmerzenstagen der Widerruf, und wochenlang die streitenden Gerüchte von
Begnadigung und Todesurteil. Die Seele wurde damals zuletzt wie starr und
gefühllos in den Zeiten der Qual, wo man mit so manchen Freunden mehr als
einmal sterben, dann die Mauer der ungewissen Entscheidung erdulden, und
endlich, wenn sie gefallen war, so oft in trostlose Öde ohne Hoffnung der
Auferstehung hinblicken mußte. Wie eine Gnade war es, wenn der letzte Befreier,
der Tod, die Brust erleichterte.
An Kinkel ging er vorüber. Ihm erschien das höhnische Antlitz jener
Begnadigung, gegen die das österreichische Begnadigen zu Pulver und Blei sich
wie sanfte Menschlichkeit darstellte; die Gnade, welche ihm widerfuhr, zu
ewiger Zuchthausstrafe, mußte auch im gehärteten Herzen noch einen Aufschrei
der ohnmächtigen Wut erwecken. Da saß er nun in Naugard in der halbdüstern,
unterirdischen Zelle, im Sträflingsanzug, Wolle spulend!
Diese Jahre haben harte Schicksale gesehn, aber vielleicht wenig so jähe
Wandlungen als diese, denn wer, der den Dichter gekannt, konnte sich ihn in
einer andren Welt denken, als in der klaren, heitren Sonnenwelt, aus der seine
ganze Natur recht wie geboren und ernährt war! Ein helles Zimmer, kunstsinnig
ausgeschmückt, froh belebte Gesellschaft, und draußen eine anmutige Landschaft
mit warmen Farben um und im geliebten Rhein: das war die Umgebung, an der er
sich so lange gefreut hatte, weil seine Natur sich da in ihrem Elemente fühlte.
Und dann womöglich Neueres und Schöneres, wenn das liebe Alte ausgenossen war.
„Ich muß fort von hier“, sagte er mir vor wenig Jahren in Bonn, „Ich habe diese
Gegend nun ausgesehn, erst wenn ich ein paar Stunden weit laufe, sehe ich
wieder Formen und Farbentöne.“ – Was wird dies geistvolle Auge noch sein, wenn
es Jahre lang die Linien seiner Zelle und die öden Farben des spärlichen
Tageslichtes ausgesehen hat?
Er ist kein Dichter des Brütens in der Einsamkeit: dort wird er selbst
es fühlen, daß nur in flüchtig verrauschender Stimmung auch dunkle dämonische Saiten
seiner Seele lyrisch erklangen. Früher mochte es scheinen, als würde sein
düstrer Genius sich aus einem Gefängnisse mit seltsamer Befriedigung eine von
außen lautlose, aber innerlich glühende brausende Heimat schaffen, wie im
Krater eines Vulkans. Er selbst gefiel sich zuweilen in solcher Anschauung
seines Charakters, wie er ihn auch einmal in einer Ode dem lichten friedlichen
Genius eines Freundes gegenüberstellte. Doch wenn solche Äußerungen zuerst
durch den Kontrast mit der ganzen Erscheinung des Menschen überraschten, so
fand der tiefere und verweilende Seelenblick nur eine Bestätigung des ersten
Urteils darin. Eben weil der Dichter so ganz dem heitren Tage und seiner
Lebensfülle angehörte, weil alle Kräfte in ihm so instinktartig zur Harmonie strebten,
neckte es ihn, wenn ich so sagen soll, daß der dunkle dämonische Ton nur
flüchtig und leise in diese Harmonie einklang; und wenn er ihn lebhaft
anschlug, so war es nur die freie Phantasie, welche dem Menschen so oft seinen
eignen Charakter gleichsam zu ergänzen sucht, indem sie hier einen stärkeren
Schatten, dort ein helleres Licht in sein Urbild malt. Es ist sehr schmerzlich,
so genau zu wissen, daß Kinkels Natur ihm von dieser Seite sein Schicksal nicht
erleichtern, sondern es nur bitterer empfinden lassen kann. Sein dichterisches
Schaffen ist nicht jenes Versenken in die unergründlichen Schachte des Innern,
aus denen die melancholischen Naturen oft so blaß und tiefsinnig wieder mit
ihren äußerlich unscheinbaren Schätzen zur Oberwelt steigen; nein, er braucht
dazu unablässig Aug’ und Ohr und den ganzen Reichtum neuer Anschauungen des
bunten Lebens, und frische Anregungen, aus diesem immer wieder ergänzten Stoffe
seine Bilder zu wählen. Bis in seinen Stil läßt sich dies Naturell verfolgen.
Da liebt er die alten derben Kernwörter, meidet das akademisch zugeschnitten
und philosophisch abstrakte, sucht neue Bildungen, und selbst als seine letzte
Entwicklung ihn schon vielfach gereift und geklärt hatte, quoll dennoch immer
wieder der alte Überreichtum des farbigen und tönenden Redeschmucks hervor, als
wollte er, um die gesamte Lebensfülle zu fassen, auch für die Sprache das
erobern, was nur der Musik vergönnt ist. Seine Natur gehört nicht zu den
vulkanischen, sie ist eine neptunische, wie die Goethe’s, der sich darum „ein
Kind des Friedens“ nannte. – Und doch derselbe Mensch ein Sohn der Revolution,
„der grimmen, lichterlohen“?
Man würde es leicht mit diesem Naturell in Einklang bringen, wenn er
durch den letzten Hülferuf des Vaterlandes aufgeweckt, als treuherziger Kämpfer
für die Reichsverfassung sich mit in den Strudel hätte reißen lassen. So war es
aber nicht. Hatte Kinkel doch schon, wie er von der Tribüne in Berlin stolz und
kurz erklärte, unter dem Donner der Junischlacht die rohe demokratischsoziale Republik
proklamiert! Und von ihm, schon ehe die Pfalz sich rührte, waren jene drohenden
Worte vom Kampf auf Leben und Tod gesprochen, welche nachher den „Bluthunden
der Reaktion“ zur Losung dienten, seinen Tod zu fordern, jene
Schlußworte: „siegen wir, dann wehe Euch! Keine Gnade!“ – Das alles würde man
ferner sehr begreiflich finden, wenn er ein fahrender PoetLiterat gewesen wäre,
ohne Familie, ohne Amt, ohne Heimat, der im Revolutionsrausch nur Abenteuer und
poetischen Stoff hätte gewinnen, und durch Tendenz und Tat nichts hätte
verlieren können. Aber wie viel hat er im Gegenteil geopfert!
Wer aus Kinkels geistiger Bildung die Erklärung holen will, wird noch
mehr erstaunen. All ihre Wurzeln scheinen erst recht fest in den konservativen
Boden getrieben zu sein, und man würde von einer solchen Bildung vielmehr
umgekehrt behaupten mögen, daß sie dem nicht revolutionären Charakter ihres
Trägers erst den rechten Halt gebe. Eine vorherrschende Neigung zum
Mittelalter, zu altdeutscher Dichtung und Geschichte; verhältnismäßig geringe
Bekanntschaft mit der modernen französischen Entwicklung; entschiedne Abneigung
gegen philosophischen Radikalismus; diese Richtungen dauerten weit über die
Jugendperiode, in seine letzte Zeit hinein. Wenige Dichter haben solchen Einfluß
auf ihn geübt, wie der konservative preußische Immermann, und seine ganze
Betrachtung der Geschichte blieb wesentlich auf dem künstlerischen Standpunkt;
weit entfernt von jener Geschichtsphilosophie, aus der so viele sich Waffen und
Leidenschaften für eine revolutionäre Zukunft holten. Alle Gelehrten von einer
Bildung, wie wir die eben skizzierten, sind reaktionär geblieben oder haben
sich doch bei Zeiten salviert; allen Poeten von ähnlicher Richtung waren die
Bassermann’schen Gestalten eben nur eine neue brauchbare „Gestalt“, und die
Revolution überhaupt wesentlich nur neues Material zum Denken und Dichten. Wo
faßte die Revolution denn gerade diesen Mann, und riß ihn so gewaltig gerade
unter ihre blutrote Sturmfahne?
Mitten in das warme Herz des gesunden Menschen, des ganzen Mannes, griff
sie hinein! Aber dem einseitig verkümmerten Geschlecht von heute scheint es wie
eine Fabel, daß Sophokles und Äschylus, vor deren olympisch reiner Harmonie es
noch immer bewundernd steht, auch Soldaten und Feldherrn waren! Und nur mit der
Phantasie kann dieses blasse Poetengeschlecht es sich vorstellen, daß der
männliche Dichter, eben weil er zur höchsten Harmonie in seinen Schöpfungen
strebt, auch den Nerv der Tat in sich zucken fühlt und jener Allgewalt der
Begeisterung, von der er so oft gesunden, endlich auch selbst ins Leben folgt.
Das einfache Gefühl der Guten findet eine ähnliche Erklärung schon aus
der bloßen Tatsache, und wendet dem Dichter herzliche Teilnahme zu. Die
Phantasie der meisten von ihnen wird sich natürlich nur den allgemeinen
Charakter dieses Schicksals ausmalen; und was Kinkels frühere Freunde
schrieben, blieb auch meist auf der Oberfläche und bei den erklärenden Worten:
Leidenschaft, Begeisterung und Ehrgeiz, als Quelle seines Entschlusses. Ich
freue mich des besseren Trostes, die Entwicklung des Freundes einigermaßen zu
überschauen. Es ist immer ein leidiger Trost; aber wenn Zorn und Schmerz
endlich matt geworden sind und doch das Herz noch immer nicht von dem traurigen
Bilde lassen kann, fühlt es sich wohl beruhigt, wenn der Kopf einmal sich mit
dem geistigen Bilde der Persönlichkeit beschäftigt. Die alte Panacee: von dem
was wir leiden zu reden und das was wir lieben, uns zu vergegenwärtigen.
Vor dreizehn Jahren, als Kinkel, kaum dem Jünglingsalter entwachsen, das
theologische Katheder in Bonn bestieg, und in den nächstfolgenden Jahren war er
ein so politischunschuldiger Mensch, wie nur je einer in der orthodoxen Schule
erzogen ist. All seine künstlerischen Neigungen und Anfänge schienen den
Theologen der rheinischen Universität nur als schöne Zugaben für ein
talentvolles Rüstzeug der Kirche des Herrn; er war der erklärte Liebling der
aristokratischgelehrten Gesellschaft. Ihm selbst konnte der Nationalismus für
seinen poetischen Sinn nicht die Fülle großer geschichtlicher Bilder und
mystisch glühender Farben gewähren, wie er sie in der Orthodoxie fand, und da
er der Philosophie überhaupt ferner stand, so konnte es geschehn, dass er zu
derselben Zeit, wo Bruno Bauer explodierte, harmlos noch seine orthodoxen Hefte
vortrug. Sein Geist und sein Herz waren damals aber schon nicht mehr dabei;
denn während die Neigung zur Geschichte und Kunst immer mächtiger aus der bald
ausgepreßten Theologie hervorwuchsen, hatte ein Schicksal, das er selbst sich
wie ein Mann schuf, ihn auch dem persönlichen Einflusse seiner alten Lehrer und
Kollegen gänzlich enthoben. Die edle geniale Frau, der seine glühende und
glückliche Liebe sich zuwandte, war von einem katholischen Gatten getrennt,
aber als Katholikin natürlich geschieden und frei. Gegen diese Liebe eiferte
die pharisäische Seelsorge der Bonner Theologen mit aller Macht ihrer
bornierten Orhodoxie, und an diesem Konflikte reifte Kinkel zum Manne, der die
ganze Entscheidung nicht scheute. Er wurde ein Geächteter in den Kreisen, wo er
früher der Liebling gewesen war, und nicht bloß das System, dem er bisher
anhing, offenbarte sich ihm in seiner Blöße, sondern mit voller
Herzensleidenschaft brach die Empörung gegen die gesamte Lebensanschauung,
deren Hülle er bisher sorglos mitgetragen hatte, hervor. „Ihr, die die heilige
Glut stets nur als Flamme des Herdes gekannt, wißt nicht, wie sich die Liebe
belohnt!“ Die Trennung der Kirche vom Staat ist vielleicht sein erstes
politischradikales Dogma gewesen; im Übrigen machte er den gemächlichen
konstitutionellen Fortschritt der ganzen öffentlichen Meinung mit.
Die Gesellschaft, zu der er eine Zeitlang regelmäßig die kleine Zahl
seiner Zuhörer nebst einigen nichttheologischen Freunden vereinigte, manchen
Herzen als ein Ideal akademischen Verkehrs unvergeßlich, gab in ihrer
Unterhaltung deutlich zu erkennen, wie weit der, welcher mit aller frohen Anmut
seines Naturells ihre Seele war, noch ein Theolog genannt werden konnte. Auf
dem Poppelsdorfer Schlosse, im Angesicht der reizenden Landschaft bis zum
Siebengebirge hin, hallte das hohe Zimmer sehr selten von theologischen
Disputationen wieder; weit öfter von der herrlichen Stimme des Virtuosen im
Vorlesen von Gedichten und in freier Schilderung poetischer und plastischer
Kunstwerke. Kunst und Poesie, die großen Gedanken der Humanität, zuweilen auch
Politik, hielten die Freunde bis Mitternacht im lebhaftesten Gespräch zusammen;
und die wenigsten ahnten, welch einen bitter ernsten Hintergrund die heitren
Scherzworte hatten, die der Wirth wohl einmal über das frugale Leben der
Privatdozenten hinwarf. In jener Zeit kämpfte Kinkel, sich eine gesicherte
Existenz zu erringen, und er erwarb sich damals das Recht, nachher in einer
seiner stürmenden Reden zu sagen: „Wir haben das Darben gründlich gelernt, wir
werden auch noch die kurze Frist aushalten!“
Nach Jahren gelang es ihm, eine außerordentliche Professur der
Kunstgeschichte zu erhalten und rasch reifte ihm nun die Ernte heran, die er
ausgesät. Seine poetischen und wissenschaftlichen Arbeiten fanden Anerkennung,
seine Kollegien waren gedrängt voll, die Vorträge vor einem gemsichten Publikum
in Köln und Bonn gaben ihm Gewinn und neue Freunde; die Gesellschaft endlich,
als sie die Liebe und Arbeit mit Erfolg gekrönt sah, huldigte wie immer diesem
ihren Gotte, und die beiden Geächteten waren nun gefeiert und gesucht. Im
reinsten Genusse des häuslichen Glückes, in voller Tätigkeit, allein den
ursprünglichen Neigungen seines Geistes folgend, blickte Kinkel sich nun nach
der alten Welt um und sah, daß ihre Systeme und Anschauungen wie welkes
Laub vor den frischen Trieben seines Lebensbaums abgefallen waren. Was andere
in langem schweren philosophischen Kampfe sich erringen: die eine und ganze
Freiheit, war ihm in stillem Werden gereift. In dem Maaß, wie er das Lebendige
inniger an sein Herz schloß, wich das innerlich Tote, dessen Reste in den
Winkeln seines Geistes fortvegetiert hatten, nun ganz fern zurück. Er war noch
weder Sozialist noch Republikaner; aber auf dem von aller toten Konvention und
allem theologischpolitischen alten Wust gereinigten Boden des freien Lebens,
Forschens und Dichtens, konnte nun keine andre Theorie mehr naturgemäß wachsen,
als die des freien Staates und der freien Gesellschaft. Die Prinzipien der
Kunst und Ethik, schon in ihm festgewurzelt, brauchten bloß zur Tätigkeit auf
den übrigen Lebensgebieten angeregt zu werden, um wie mit einem Schlag auch
diese zu erhellen.
Als ich ihn einige Zeit vor der Revolution sah, schien er oberflächlich
noch mit jener Genossenschaft verbunden, welche die volle Freiheit nur als ein
Eigentum des künstlerischen und genießenden Privatmenschen anerkennt und vor
den politischsozialen Konsequenzen ihrer eignen Prinzipien zurückschaudert; ich
meine jene Gebildeten, welche ihm seinen Radikalismus verzeihen, weil er ein
Dichter ist und ein Dichter alles darf. Von dieser letzten Romantik stammen
auch die Entschuldigungen seiner Tat, welche sie lediglich als poetische
Verirrung bezeichnen, in der Hoffnung, ihn einst wieder in das Reich des
Indifferentismus zurückkehren zu sehen. Weil Kinkel aber, trotz leiser
romantischer Anklänge in seiner Poesie, ein anderer Mensch war: darum wurde die
Märzrevolution der Frühlingshauch, der alle Keime seines Innern in Licht und
Leben rief.
Wie gern vermittelte seine Humanität gleichberechtigte Ansprüche und
Absichten im Leben! Aber das gesunde Gefühl und die Gerechtigkeit, aus denen
jene liebenswürdige Humanität ihm quoll, mußte sich eben so empören gegen das
blasse feige Vermitteln zwischen ewigem Recht und Unrecht. Als die Zeit zu
Taten rief, sprang er als Mann in die Reihe, und wofür sollte er, als Künstler,
als Dichter denn anders kämpfen, als für das Reich der neuen Welt, dessen
Gesetze in jenen Geisterreichen schon lange galten und dessen wirkliche
Gründung eben darum erst die wahre irdische Heimat für Wissenschaft und Kunst
erschaffen kann! Hatte nicht vor einem halben Jahrhundert schon Hölderlin aus
den Griechen und ihren deutschen Nachfolgern das Geheimniß gelesen: „Die neue
Theokratie des Schönen kann nur Raum finden in einem Freistaat?“ Was hat der
moderne Dichter vor unsren Klassikern denn als sein eigenstes voraus, wenn
nicht eben die, daß er sich als Bürger fühlt und jene irdische Heimat seiner
Kunst mit erobern hilft! Mit solchen Gedanken ist Kinkel in die Revolution
gegangen, an dies höchste und letzte Gut hat er sein Alles gesetzt, nicht
aber als fahrender Poet und Avantürier nicht wie ein Belletrist ein Abenteuer
versucht, um nachher einen Roman darüber schreiben zu können.
Mit allen Schätzen seines Talents und seines Charakters, an denen bisher
die gebildete Gesellschaft von Bonn sich erfreut hatte, trat er nun mitten
unter das Volk wie in eine neue und doch heimatliche Welt. Seine Lust am
Schauen und Beobachten aller Individualität und seine ursprüngliche Liebe zum
rheinischen Volkscharakter hatten ihm lang, eh er an eine solche Wirksamkeit
dachte, alle Mittel zu ihr gesammelt; mit leichter Sicherheit traf er den Ton
und die Wünsche des Handwerkers, wie der Bauern und Proletarier. Diese Klassen
waren es, welche bald in ihm ihren Führer verehrten, und deren Stimmen ihn
später zum Deputierten wählten. Was waren die studentisch herkömmlichen
Fackelzüge gegen das heitre improvisierte Geleit, wenn diese neuen Freunde ihn
mit frisch abgebrochenen grünen Zweigen auf der Heimkehr von einem Spaziergang
oder aus einem ländlichen demokratischen Verein, in ihrer Mitte triumphierend
nach Hause begleiteten! – Nicht seine ganze Wirksamkeit jener Zeiten ist nur in
persönlicher Erinnerung, oder in den kleinen Blättern der neuen Bonner Zeitung
und später in den Berliner stenographischen Berichten aufbewahrt. Er schrieb
damals ein kleinen Buch: „Handwerk, errette dich!“ Aus dem mag auch, wer ihn
nicht persönlich kennt, sich eine Anschauung von Kinkels republikanischem
Sozialismus zwischen den Zeilen herauslesen.
Kinkel gehört zu den bis jetzt noch selten öffentlich hervorgetretenen
Charakteren, welche revolutionär werden, weil sie im tiefsten und allein edlen
Sinne konservativ sind. Der vulgäre, abstrakte Konservatismus ist eine bloße
Verneinung und stößt nach rechts und links hin alles von sich, was das
Individuum in seinem geistigen, gemütlichen und materiellen Behagen zu stören
droht. Der wahre Konservatismus ist eine tiefgewurzelte Treue gegen Vernunft
und Freiheit in den philosophischen Charakteren, eine reiche unwandelbare Liebe
zur freien gesunden Natur in den poetischen Charakteren. In der letzteren Reihe
steht Kinkel. Gegen die bürokratische Willkür und das mechanische Zuschneiden
des alten Systems, gegen die engen Einschränkungen und das schlechtfranzösische
Zustutzen des ganzen politischsozialen Lebens, mit einem Wort: gegen diese
feinselige destruktive Macht empörte sich in ihm die ursprüngliche Liebe zur
heiligfreien Natur, zur unverkümmerten Entfaltung aller Individualität der
einzelnen, der Gemeinden, der Arbeitsgenossenschaften, des Volkes und der
gesamten Gesellschaft.
Wie die friedlichen conservativen Deutschen von 1813 gegen das ihnen
revolutionär aufgedrungene fremde Wesen zu den Waffen der Notwehr griffen, um
ihr eigenes konservativ zu behaupten, wie seine freie eigene Lebenswelt vom
alten System zerstört werde, endlich der Sporn, dies „Kind des Friedens“ in den
Kampf zu treiben. Schon in den ersten Tagen seines Aufenthalts in der Pfalz,
als alles um und in ihm noch Hoffnung war, schrieb er in die Heimat jenen
ergreifenden Brief, worin er als sein persönliches Ideal die Seligkeit eines
einfach bürgerlichen Lebens in froher Tätigkeit des Denkens und Dichtens, so
wahr bezeichnet und seinen Entschluß zum Kampfe nur aus der festen Überzeugung
ableitet, daß allein die volle Befreiung des Volkes der Weg zu solcher vollen
Lebensfreude für den einzelnen wie für alle sei. So ist auch sein Sozialismus
im edlen Sinne konservativ. Seine ganze Natur protestierte gegen die öden Systeme
des uniformiertenbürokratischen Kommunismus und der destruktiven
Gleichmacherei, unter der das ewige Naturrecht der Individualität verschwindet.
Den einzelnen und die durch freie Neigung zu gleicher Arbeit verbundenen
Genossenschaften ruft er zu eigener Tätigkeit auf: „Handwerk, errette dich
selbst!“ Sein sozialistisches Ideal in dieser Sphäre ist ein freier Organismus,
dessen Gesetze die Selbstständigkeit des Individuums, die höchste Ausbildung
aller Arbeitskräfte und jedes Handwerks in seiner Eigentümlichkeit zum Zweck
haben. Der Handwerker soll auf eigenen Füßen stehn, statt von den fabrikmäßigen
Spekulationen des Kapitals, wie jetzt, ausgebeutet und erdrückt zu werden. Die
soziale Gesetzgebung soll es ihm möglich machen, ein Haus und eine Familie zu gründen,
ein Meister und Lehrer seines Handwerks, statt ein entreprenierender Kapitalist
zu werden. Erst von ihr hofft der Dichter dann eine Wiedergeburt der einigen
edlen Erscheinung der mittelalterlichen Zustände, daß das Handwerk, so weit es
seiner Natur gegönnt ist, hinüberreiche in die höhere künstlerische Tätigkeit
und so der Gipfel dieser Lebensgestalt in die Lichtregion des Geistes und der
Schönheit erhoben werde. Aber eben weil nicht alle Arbeit dieses Adels in ihrer
Eigentümlichkeit fähig ist, muß allen der Stolz der republikanischen Freiheit,
der geistigen Bildung und die Fähigkeit zum Erkennen und Genuß des Schönen
erreichbar gemacht werden, damit auch der Geringste dann seines menschlichen
Adels so froh werde, wie jetzt sein Pariathum ihm die Seele zum Staube drückt.
Die Romantiker schaudern vor der Republik, weil ihre beschränkte Phantasie eine
Nivellierung der Kontraste und Individualitäten und damit das Ausgehn des
poetischen Stoffes fürchtet; die gesunde Phantasie des modernen Dichters schaut
den Reichtum der neuen Welt und er fordert die soziale Revolution, damit
endlich die vollbefriedigte Lust am Dasein die Seele der Poesie neu belebe. Er
weiß, daß nur eine großartige neue Weltgestalt eine ihr ebenbürtige Poesie
aus sich zeugen kann, die dann wahrhaft konservativ sein wird.
Über das rasche Werden dieser neuen Welt haben wir alle uns seit dem
März wohl mehr als einmal getäuscht; wer wollte es dem Dichter verargen, wenn
seine Phantasie seine Hoffnungen bestimmte! Auf den Höhen seiner Anschauung, wo
er nur große historische Gestalten sah, zog auch die Gestalt eines mächtigen
Führers ihm vorüber, als er sang:
„Wenn erst um uns die Pulverwolken nachten:
Dann kommt der eine, der befehlen kann!“
Die deutsche Geschichte war ärmer; mit bitteren Gefühlen mochte Kinkel
sich dieser Worte erinnern, als die ganze Revolution zuletzt scheiterte, weil
der eine fehlte, der befehlen kann.
Den Siegern aber wird ihr Plan nicht gelingen, den Gefangenen zu
erniedrigen, um dann das Beispiel und die Talente des begnadigten Apostaten für
ihre Zwecke nutzen zu können Sie begreifen das ganze Gewicht, welches Kinkel in
die Wagschale der Revolution warf. Durch politische Kenntnisse und
parlamentarische Beredsamkeit sind ihnen andere gefährlicher gewesen als er;
daß aber ein Dichter, daß eine Persönlichkeit, die so edle aristokratische
Eigenschaften glänzend in sich vereinigte, unter die rote Fahne trat, das
verschmerzen sie schwer. Denn auch der regelmäßige Trost der Verdächtigung ist
ihnen abgeschnitten; niemand glaubt an unlautere oder kleinliche Motive, wo er
ein solches Opfer der Überzeugung gebracht sieht, wo ein Staatsamt, eine
sichere Existenz, ein ganzes beneidenswertes Glück ohne Hoffnung auf
persönlichen Gewinn an eine schwankende gefährdete Sache gesetzt wird. Die
Rache ist umso unerbittlicher, je mehr der Märtyrer eine allgemeine Anerkennung
und Teilnahme in der gebildeten Nation und nicht bloß innerhalb einer
politischen Partei findet. Er wird dann nicht nur für das gestraft, was er tat,
sondern auch für das, was er ist. Diese Art der Rache hat Methode, denn
freilich wirkte er auch nicht bloß mit seinem Thun, sondern mit seiner ganzen
Persönlichkeit.
So brachten sie Kinkel nach Naugard und entehrten sich selbst, während
sie ihn zu erniedrigen glaubten. Als er sich zum erstenmal in der gemeinen
Sträflingsjacke, in Sklaventracht mit kurz geschorenem Haar erblickte, ist ihm
vielleicht seine eigene Gestalt von jenem Abend vorübergeschwebt, wo der vor
Goethe’s Iphigenie versammelte auserwählte Kreis ihn als Orest im edlen
griechischen Gewande sah? Als er im Kerker zum erstenmal erwachte, schien ihm
die Wirklichkeit nicht wie ein wüster Traum? Den er hätte wegschmeicheln mögen
mit jenen süßen Worten des halb schlummernden Orest:
Noch einen reiche mir aus Lethe’s Fluten
Den letzten kühlen Becher der Erquickung!
Bald ist der Traum des Lebens aus dem Busen
Hinweggespült .
Nein, armer Orest! Du lebst und vor dir gähnt die unabsehbare Wüste, auf
Lebenslänge! Wir sind noch gefesselt im öden Tauris. Wir zielten nach Ägith’s
fluchbeladenem Haupte und trafen nur das arme Mutterland. Aber der Schlaf
unserer langen Nächte ist sanft, denn die Eumeniden dieser Zeit umschweben
andere Häupter als die der Besiegten und Gefangenen.
Theodor Althaus erinnert sich: Aus dem Gefängniß. Deutsche Erinnerungen und Ideale (1850)
Bildquelle: Bernhard Höfling: Porträt Gottfried Kinkel, Druck, Köln, Kölnisches Stadtmuseum
Mittwoch, 9. November 2016
9. November 1848: Brief von Robert Blum an seine Frau Jenny
Mein teures, gutes, liebes Weib, lebe
wohl, wohl für die Zeit, die man ewig nennt, die es aber nicht ist. Erziehe
unsere - jetzt Deine Kinder zu edlen Menschen, dann werden sie ihrem Vater
nimmer Schande machen. Unser kleines Vermögen verkaufe mit Hilfe unserer
Freunde. Gott und gute Menschen werden Euch ja helfen. Alles, was ich empfinde,
rinnt in Tränen dahin, daher nochmals leb wohl, teures Weib! Betrachte unsre
Kinder als teures Vermächtnis, mit dem Du wuchern mußt, und ehre so Deinen
treuen Gatten. Leb wohl, leb wohl! Tausend, tausend, die letzten Küsse
von
Deinem Robert
aus: Robert Blum. Briefe und Dokumente. 1981. Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig S. 125/126
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