Dienstag, 13. November 2012

1848 Trauerspiel in Wien



Leseprobe aus: Theodor Althaus - Revolutionär in Deutschland

Trauerspiel in Wien

[...]


Dabei hatte das „Trauerspiel Oesterreich“ so vielversprechend begonnen mit einem „Frühlingsschauer von Liebe, Dank, Jubel und stolzer Freude“, der Metternich, den verhassten Drahtzieher des Deutschen Bundes, verjagt hatte. Althaus dachte an seine vor der Knute Metternichs geflüchteten österreichischen Dichterfreunde in Leipzig und deren Erzählungen von jungen Märtyrern der Freiheit und von Klagelauten jenseits der schwarzgelben Schranken. In diesem Wiener Frühling war sowohl der Zusammenhalt der österreichischen Volksgruppen als auch die Zugehörigkeit zu Deutschland in Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gegeben. Doch mit den Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Volksgruppen und der militärischen Einmischung der Deutschen war das gemeinsame Ziel völlig verwischt und für Althaus in weite Ferne gerückt.
Und das Trauerspiel hatte den Höhepunkt noch nicht erreicht. Die Stadt Wien wurde von kaiserlichen Truppen unter Windischgrätz eingekesselt und am 31. Oktober 1848 zurück erobert. Zweitausend Todesopfer, viele Verletzte und schreckliche Verwüstungen hatte der Aufstand gekostet. Und die herrschenden Rächer wüteten gnadenlos mit Verhaftungen, Verhören und Todesurteilen.
Die schockierendste Nachricht des Jahres war in der zweiten Ausgabe der „Bremer Zeitung“ vom Montag, dem 13. November 1848, zu lesen. Es war die Wiedergabe einer amtlichen Bekanntmachung aus Wien, die jeden Freund der demokratischen Bewegung in tiefster Seele traf:
„Mittelst  st a n d r e c h t l i c h e n  U r t h e i l s  vom 8. d. M., ist  R o b e r t  B l u m, Buchhändler aus Leipzig, überwiesen durch sein eigenes Geständniß, wegen aufrüherischen Reden und bewaffneten Widerstande gegen die kaiserlichen Truppen in Folge der von S. Durchlaucht dem k. k. Herrn F. M. Fürsten zu Windischgrätz unterm 20. und 23. Oct. erlassenen Proclamationen  z u m  T o d e  v e r u r t h e i l t,  und das Urtheil am 9. November 1848 Morgens um halb acht Uhr in der Brigittenau mit  P u l v e r  u n d  B l e i  v o l l z o g e n   w o r d e n.“
Das war weit schlimmer, als Theodor Althaus es sich in seinen schlimmsten Visionen hätte vorstellen können. Ein erschütternder Schlag mitten in das Herz. Gab es denn nur noch Niederlagen? So sah die Konterrevolution aus. Es ging um Leben und Tod.
Robert Blum! Was für ein Mann! Gelebte Überzeugung. Stark wie keiner. Wie konnte das passieren? Es fiel Theodor Althaus schwer, an diesem Novembertag seine Gedanken zu ordnen, doch den Nachruf war er seinem Freund schuldig. Sein bitterer Tod sollte nicht umsonst gewesen sein.
Erst ein Jahr war vergangen, seitdem Blum beim Schillerfest in Leipzig gewirkt hatte, als Mann des Vertrauens, der das Volk aufhorchen ließ und der überzeugte. Dann die Märznacht, als noch das revolutionäre Ungestüm Triumphe feierte und er im kleinen Kreis die politischen Ziele seiner Gruppierung für das Vorparlament festlegte, voller Hoffnung und Zuversicht. Drei Monate später, im Juni,  als Führer der Linken seine Rede zur Zentralgewalt, belächelt und verlacht und doch so wahr, vor allem der Schluss:
„Wollen Sie das Himmelsauge der Freiheit brechen sehen und die alte Macht heraufführen:  s c h a f f e n  Sie ihre  D i c t a t u r.“
War das nun Wirklichkeit geworden? War nicht in der Zentralgewalt tatsächlich die alte Macht wieder hervorgekommen? Sogar zur Diktatur geworden, wenn sie es in Kauf nahm, dass ein vom deutschen Volke gewählter Vertreter für ein deutsches Parlament, auf deutschem Boden ohne rechtliche Grundlage hingerichtet wurde? Windischgrätz müsse sofort seines Kommandos enthoben, zur Verantwortung gezogen und bestraft werden, verlangte Althaus in seinem Leitartikel am 14. November 1848.




Sonntag, 4. November 2012

Erinnerungen an Robert Blum

Am 9. November 1848 wurde Robert Blum, Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung, in der Brigittenau bei Wien standrechtlich erschossen.



Theodor Althaus schreibt in seinem Buch "Aus dem Gefängniß"  (Bremen, Verlag von A. D. Geisler, 1850) über seine Erinnerungen an den Freund:

Die Robert-Blum-Legion im badischen Feldzuge! Wie ein Racheschrei aus dumpfer Ferne klang mir das Wort nur einmal herüber; eine Erinnerung, kaum aufgetaucht und schon wieder von den Ereignissen überfluthet. Die Legion ist verschollen; wer hat von ihren Thaten gehört? Sie wurde in das unselige Chaos jener Bewegung mit hineingerissen und zersprengt, ohne eine bleibende Gestalt im Andenken des Volks, wie ein zehntes Regiment oder wie die Hanauer Turner gewinnen zu können. Dann, bald darauf unter der preußischen Herrschaft, ward Robert Blum wieder genannt, als die giftigen Stiche des Hasses den Todten noch über das Grab hinaus verfolgten: Gefängniß für den Arbeiter, der das Bild des Volksmannes auf dem Pfeifenkopfe trug, Gefängniß selbst für die Trauerschleife am Hut, deren stumme Sprache vergebens an den Frieden der Todten und ihre Ungefährlichkeit mahnte! Es konnte nicht anders sein; ergrimmt über die, welche ihn als rächenden Geist auferwecken wollten, thaten seine Feinde wie die alten Ketzerrichter, wenn sie die verehrte Asche in den Wind streuen ließen. Und doch fanden sich noch immer Einzelne, die der Drohung Trotz boten und die Strafe ertrugen. War er denn wie Hecker, die Feuerzunge des jungen Ideals, Republikaner gewesen? Jeder glaubt, daß er es war; aber vor welcher Versammlung hat er jemals die Republik gepredigt oder die Fürstenvertreibung? Nie und nirgends! – So war euer Held denn einer von den Schwankenden, die ihr verachtet? – Der Mann mit dem Blum-Hute erwidert nur zwei Worte, um alle Verläumdungen zu widerlegen und alle Verehrung zu rechtfertigen: - „Er war  e i n  M a n n  d e s  V o l k s !“
Dem Bürger, der ihn Abends unter seinen Freunden beim Seidel Bier in vollster Behaglichkeit und gemächlich langsamer Conversation sah, mußte unbedingt das ganze Herz aufgehn bei diesem Ideale deutscher Wirthshausgemüthlichkeit. Der Proletarier, wenn er den mühseligen Weg des kölner Küpersohnes von unten auf bis ins deutsche Parlament beschrieben las, sah in ihm mit Befriedigung seines Gleichen, und wenn der Mann aus dem Volke nun selbst auf der Tribüne vor ihm stand, im bequem-nachlässigen Anzuge, mit dem Hemdkragen ohne Halstuch, mit dem dichten Bart- und Haupthaar um das geröthete Gesicht: dann fühlte er unwidersprechlich: der gehört ganz zu uns! Die Rede endlich erhob ihn und ließ den Redner in seinen Augen steigen, aber wie dankbar war das große Publikum auch da für die unübertroffne wohlthuende Deutlichkeit und Klarheit des Vortrags! Die Gedanken gingen nie über das Allgemeinverständliche in sentimentaler Ausschmückung und entsprechendem Tone hinaus, und hell bis in alle Winkel und Enden drang diese Glockenstimme. Es war insofern für Jeden eine Lust, ihn zu hören, und nach dem ermüdend ängstlichen Horchen auf so manche andre Nichtredner, ging ein allgemeines Aufathmen durch die Paulskirche, wenn Blum die Tribüne bestieg. Verwöhnte Ohren konnte auch er, wie Glockengeläut, ermüden, obwohl er nie zu lang sprach; das Volk aber konnte nicht satt werden, ihn zu hören. Was seine Lebensgeschichte, sein Ruhm und seine Reden vorbereitet hatten, vollendete jedes Mal seine persönliche Gegenwart unter dem Volke, während die Gebildeten oft von ihr enttäuscht wurden. Die Letzteren konnten sich über den würdelosen Eindruck seiner Erscheinung hinwegsetzen; die Massen empfingen dagegen mit Befriedigung diesen ganz ausgeprägten Repräsentanten ihres eignen Charakters, und dem idealen Bedürfnisse derselben genügte vollkommen seine Beredsamkeit die von uns gewöhnlich nur als gewaltiges Mittel zum Zweck der Massenwirkung bewundert wurde.
Man hätte demnach meinen können, zur Idealisirung und gar zum religiösen Cultus sei keine Persönlichkeit in eminenterem Grade ungeeignet gewesen als eben Robert Blum. Wie mächtig im Volke der dunkle Drang nach neuen Idealen und ihrer Verehrung ist, zeigte sich überraschend, als im November 1848 die gedrängten Trauerzüge durch die deutschen Städte zur Feier seines einsamen Märtyrertodes zogen. Die Choräle und Gebete, bei denen wir doch manches frivole Haupt sehr ernst entblößt sahen, hätten freilich nur dem Tode gelten können; aber die Redner sprachen ganz im Sinne des Volks, wenn sie ihn verglichen mit allen Heroen und Märtyrern, bis hinauf zu dem Galiläer, der für die Freiheit der ganzen Welt sein Blut gab. Und wieder muß man doch gestehen, daß sie es im Geiste des Todten thaten. Ich glaube, daß Blum, wenn er in einem ähnlichen Falle eine Leichenrede zu halten gehabt hätte, in ähnlicher Weise geredet haben würde, und die Thränen würden ihm aus vollem Herzen gekommen sein. Wer ihn auch nicht persönlich kannte, wird doch aus seinen letzten Zeilen die charakteristische Weichheit seines Herzens empfunden haben, und Niemand würde sich wundern, jene Worte: „Alles, was ich empfinde, rinnt in Thränen dahin!“ in einem Psalm zu lesen, statt in Blums Abschiedsbrief. Daß in fast allen seinen Reden die  m o r a l i s c h e  Anschauung ihren Platz neben der bloß politisch calculirenden fand, mag man als ein Resultat seiner Bildung bezeichnen, aber diese Bildung war  s e i n  geworden und eben so wenig berechnet als die große persönliche Gutmüthigkeit und Herzlichkeit seines Wesens. Viele haben ihn gehasst; er selbst hat schwerlich einen persönlichen Feind gehabt. Was er redete oder that: der Mittelpunkt war stets das Allgemeine, nur die Sache, der er so lange Jahre, länger und mehr als die Meisten wissen, gedient hatte.
[…]
Seine Persönlichkeit, so ganz aus Einem Guß, machte es allerdings schwer, ihn in dieser Beziehung anzugreifen; sie machte manchen doch wieder irre in der verwerfenden Kritik. Das Resultat dieses Schwankens war aber, daß seine Gegner ihn endlich, an der tieferen Erklärung verzweifelnd, für einen geschickt berechnenden Intriganten und nichts weiter erklärten. Man wird in allen Zeitungscorrespondenzen jener ersten Monate die Verlegenheit der Beobachter sehen; alle vermuthen, daß noch etwas hinter ihm stecke, keiner wagt zu entscheiden, was es denn eigentlich sei und wen man vor sich habe. – Einzelne wollten damals, wie schon früher, etwas Lauerndes in ihm bemerken; ich las etwas andres in seinem Auge und seinem ganzen Wesen. Etwas von Triumph und Hoffnung! Es war zuweilen, als spiele er nur mit den Dingen, als belustige seine Phantasie sich an diesen kleinlichen Kämpfen und Vorbereitungen auf größere Dinge. Die Schöpfung der Centralgewalt gab dieser Sicherheit den ersten Stoß, ich hörte es an einem sehr seltnen Ton seiner Stimme, den ich nur zweimal vernommen habe, so oft ich ihn auch öffentlich und im Privatleben reden hörte. Ein Ton, der aus dem tief erregten Seelengrunde hervor, die glatte Oberfläche mächtig zerbrach.
Das erstemal in Leipzig, im Privatkreise. Ein günstiger Zufall hatte mich gerade den Abend zu Blum geführt, wo die sächsische Partei vor der Abreise zum Vorparlamente die in Frankfurt und weiterhin zu befolgende Politik berieth. Es war eine kleine Gesellschaft, die das Wohnzimmer des Hauses bequem faßte, aber die Meinungen zu vereinigen, schien sehr schwer. Detaillirte Feldzugspläne wurden entwickelt, Einzelheiten riefen sehr abschweifende Debatten hervor, hartnäckige Wiederholungen waren häufiger als ausgleichendes Verständigen, und so waren nach einem frugalen Abendbrod die nächtlichen Stunden eine um die andre verflogen und eine unerfreuliche Zersplitterung schien das einzige Resultat zu sein. – Blum, der am oberen Ende des Tisches sein Ehrenrecht des Präsidiums bisher kaum dann und wann ausgeübt und selbst eigentlich noch gar nicht gesprochen hatte, pochte plötzlich auf den Tisch und ergriff das Wort, rasch, kurz und heftig; es war wie die Scene im Fiesko, wo mit Einemmal der Führer und Feldherr der Verschwornen sich unter ihnen aufrichtet. Die  T h a t  und nichts als die That, der er voranging, war der Ton dieser Worte; es grollte etwas wie Zorn über die unnützen Hindernisse, die eben diesen Weg ihm versperren wollten, in seiner Stimme. Und doch ergreift mich wieder mit tiefer Rührung das Bild, wie seine Schwester, halb seitwärts hinter seinem Stuhle lehnend, so zärtlich stolz auf den geliebten Bruder herabsah!
Das zweitemal war es im Parlament, in seiner Rede über die Centralgewalt. Die Rede floß wie die gewöhnlichen, eintönig hin und hielt sich in den allgemeinen Gründen gegen die Unverantwortlichkeit; aber in der Brust des Redners quoll unter diesem ebnen Strome das Gefühl empor, daß die Verantwortlichkeit der Nerv der Freiheit sei, das Erbtheil des Volks, die Ehre des Republikaners! Daß mit der Unverantwortlichkeit der erste Grundstein zu dem kaum gebrochnen Zwingdeutschland wieder gelegt, und seine Hoffnungen, auch seine persönlichen, wie eine Wolke fern verschwinden würden vor dem Einzuge der alten Macht. Das Wort vom „brechenden Himmelsauge der Freiheit,“ das vielverhöhnte, sprach er noch halb im alten Kanzelton, aber am Schluß brach jenes unausgesprochne  bittre Gefühl überwältigend aus in die mit vollem Haß und Ingrimm hingeschleuderten halb verschluckten Worte: „so  s c h a f f e n  S i e  I h r e  D i k t a t u r !“  Es war, als streckte er zum erstenmal die Löwenklaue hervor.
Doch sein ursprünglich sanguinisches Temperament, in dieser Zeit besonders lebhaft unter dem angewohnten Phlegma durchscheinend, wiegte ihn bald wieder in Hoffnungen ein. War es denn möglich, daß Gagern, der eben damals den kühnen demokratischen Griff gethan, ihn nur zum Vortheil der Fürsten gethan haben sollte oder wollte? Und würden die Fürsten, die doch beleidigt waren, diesen Vortheil auch nur erkennen? Mußte also die neue Centralgewalt, um sich den eifersüchtigen Fürsten gegenüber zu halten, nicht nothwendig populär auftreten und Concessionen an die Linke machen? Damals erschien dieser Gedankengang eben so vernünftig, wie er uns jetzt ein trauriges Lächeln ablockt. In ihm bewegte sich Blum und war guten Muthes.
Eines Abends, kurz vor der Ankunft des Reichsverwesers, begegnete ich ihm auf dem Rückweg in seine Wohnung. Wir geriethen in ein so eifriges Gespräch, daß wir obwohl es ziemlich spät war, noch in eine Gaststube traten und dort in einer ungestörten Ecke es fortsetzten. „Nun, sagte er, es treten jetzt zwei Möglichkeiten ein, entweder ein Johann von Gagerns Gnaden, oder – wenn das nicht, gleich Gagern  a l l e i n  hinterdrein. Für uns ist das ziemlich gleichbedeutend, wenn mir ein Ministerium angeboten würde, soll man das annehmen?“ – Ich erwiderte ihm „unbedingt!“ – und wie ich schon damals um seine schwankende Stellung besorgt war, leitete ich gleich darauf über, wie sein Verhältniß zu der Linken sich dann gestalten müsse. „Ja, sagte er ganz seelenruhig, daß man in dies erste Ministerium nur eintritt, um es nachher bei Gelegenheit sprengen zu können, das versteht sich von selbst.“ – Wir gingen noch auf weitere Combinationen ein, und meine Bedenklichkeiten gegen sein bisheriges Auftreten hörte er mit jenem ernsten Interesse an, das ich an ihm, den mit Lob so verwöhnten, von jeher sehr hoch geachtet hatte. – Dann begleitete ich ihn nach Haus und da wir oben auf seinem Zimmer noch Stimmen hörten, folgte ich seiner Einladung und wir fanden einige Freunde in lebhaftem Für und Wider über Gagern und den Charakter seines kühnen Griffs. Nur allzu sehr bewährte Meinungen wurden schon damals ausgesprochen. Blum hatte sichs bequem gemacht und lag halb träumend im Sopha; als aber ein geringschätziges Wort über Gagerns Rednergabe fiel, widersprach er eifrig. „O sagte er, Du hast ihn noch nicht ganz gesehn! Wenn der Gagern erst gereizt wird, dann wird er erhaben. Wie hat er im Vorparlament die Linke wahrhaft zermalmt!“ Und unbeirrt von allen Einwendungen überließ der Volksredner sich ganz der Lust, den Parlamentsredner mit einigen Freskozügen zu schildern. – „Sehn wir uns morgen?“ – Nein, erwiderte Blum, ich fahre nach Homburg, und ich  m u ß  dorthin. Es ist hier ein kleines verwaistes Mädchen, eine ausgezeichnete Klavierspielerin, für die will ich da ein concert zusammenbringen. – Sie heißt Marrder, Marie, wenn Sie das auch wissen wollen.“
Am nächsten Tage begegnete ich ihm, wie er mit seiner kleinen Clientin und einer Verwandten nach Homburg fuhr. Dreiviertel Jahre nachher brachte mich der Zufall unter mehrere Parlamentsabgeordnete der Gagernschen Partei; es war an öffentlicher Gasthaustafel, und einer dieser Herren erzählte als einen Beitrag zur Charakteristik der Linken: Blum habe, obwohl Familienvater, doch in Frankfurt mit zwei Maitressen gelebt und sei sogar öffentlich mit ihnen spazierengefahren! – Blum war längst todt, seine Freunde glücklicherweise noch nicht, ich dankte dem Zufall, der mich in den Stand setzte, die beschämende Erklärung dieser Verläumdung zu geben.
Im April hatte er mir gesagt: „Nun, in sechs Monaten haben wir doch die Republik.“ Im Sommer erinnerte ich ihn einmal scherzend daran. „O, erwiderte er, ich habe noch bis November Zeit!“

Kapitel aus: 

Anmerkung: Die zeittypische Rechtschreibung wurde beibehalten. 


Diesen und mehr Texte von Theodor Althaus gibt es in einer Sammlung:
Theodor Althaus, Zeitbilder 1840 - 1850
Hrsg. von Renate Hupfeld
Aisthesis Verlag Bielefeld, 2010

Und hier gibt's die Lebensgeschichte von Theodor Althaus digital und print:

Theodor Althaus. Revolutionär in Deutschland

Dienstag, 30. Oktober 2012

1847 "Die Zukunft des Christenthums"


Aus: Theodor Althaus: "Die Zukunft des Christenthums". Seine Wahrheit, seine Verkehrung und seine Wiedergeburt durch Freiheit und Liebe. Dem deutschen Volke gewidmet. Darmstadt. Druck und Verlag von Carl Wilhelm Leske 1847

Christus der Demagog – und die christliche Polizei 

Weil wir Geistesverwandte sind und das ursprünglich christliche Werk fortsetzen, müssen wir auch in der Art desselben Geistes äußerlich wirken – wie gern würden wir es thun, wenn der Staat nicht Christi Beispiel nachzuahmen verböte und unmöglich machte. Es ist aber im Grunde nicht dieser moderne gegenwärtige Staat, oder unsre jetzt le enden Fürsten, welche es verbieten; denn von denen, welche im Vaterlande bekannt sind, wollen viele echte Christen sein, und zeigen, daß das Beste des Volkes nach ihrer Art ihnen wahrhaft und ohne Redensart am Herzen liegt. Vielmehr hat das Alte Christenthum in seiner ganzen Entwickelung an diesem Verbote gearbeitet, und die Staaten folgen nur dem, was mit wenigen Ausnahmen in der Meinung der Rechtgläubigen für christlich gilt. Seit Christus zum Gott, zum allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erden erhoben wurde, verstand es sich von selbst, daß wir sein Beispiel nur in gewissen Sachen nachahmen dürfen; und so ist es ganz natürlich, daß der Staat und die Frommen jetzt, wenn wir Christus in seiner Predigt und seiner volksthümlichen Wirksamkeit nachahmen wollen, alsbald sprechen: Halt! Ihr dürft ihm nur in der Liebe nachfolgen – als wenn die Liebe nicht drängte zum Apostelamt und zum Reden von den Dächern -; oder: das war einmal und kommt nicht wieder – als wenn das Reich Gottes schon fertig wäre! – In Christus ist keine servile Ader, kein knechtisches Wort ist aus seinem Munde gekommen, er hat geredet, was Wahrheit war, menschlich frei, begeistert; wohl in besonnener Würde und Macht, aber mit dem Feuer des Zorns nicht allein gegen die Sünde, sondern auch gegen die Sünder, die im hohen Rathe seines Volks auf Mosis Stuhle saßen, g e g e n   s e i n e  g o t t g e s e tz t e  O b r i g k e i t. Was er gegen diese Hohen geredet hat – verstümmelt, arm, zerstückelt wie es und überliefert ist, bleibt es ein ewiges Muster und Krone volksthümlicher Beredsamkeit – wessen Schuld ist es, daß wenn jetzt ein Freier bei Nacht gefangen wird und gefragt: was lehrest du? – er nicht sagen kann: ich habe geredet frei, offen vor allem Volk? Man braucht gewöhnlich, wenn man das Urschristliche erkennen will, jetzt, wie damals in den ersten Zeiten, nur zu forschen, was angesehen, hoch, und vor allem anständig ist bei den Hohen dieser Welt; in der Rede ist es: du sollst fein höflich reden mit Rücksicht gegen die Vornehmen, wenn du gleichwohl dem niederen Volke seine Sünden vorhalten darfst. Christus erhielt von seinen Feinden unwillig ein anderes Zeugniß, sie wussten nicht, wie sie ihn damit ehrten: Meister, wir wissen, daß du wahrhaftig bist und fragest nach Niemand, denn du achtest nicht das Ansehen der Menschen, sondern lehrest den Weg Gottes recht. (Marc. 12, 14) Wir gut für uns Spätgeborne, daß damals eine einfache Schilderung des Bestehenden noch nicht zum Hochverrath gestempelt war, daß man in Judäa noch die Freiheit der alten Welt achtete und Christum nicht alsbald gefangen nehmen oder des Landes verweisen konnte, sondern erst warten mußte, bis sein religiöses Verbrechen gegen das Gesetz des Landes reif war! Christus und die Seinen – obwohl keiner von ihnen seine Hoheit, Gewalt und Freiheit den Herren der Welt gegenüber erreicht zu haben scheint, trat auf nach der alten prophetischen weise und rief zum Reich Gottes in der einfach natürlichen  d e m a g o g i s ch e n  Art. Aber weil er nur mit Waffen des Geistes kämpfte, wiegelte er das Volk nicht auf, entwich ihnen, als sie ihm zum König machen wollten und wies alle Hülfe der Seinen die zum Schwert greifen wollten, ruhig ab. Er zahlte den Zins, predigte keine politische Rebellion und war kein Empörer. Aber zu schweigen verstand er sich nicht, sondern er wirkte die Werke dessen, der ihn gesandt hatte, so lang es Tag war – von unsern Zeiten hätte man vor wenig Jahren noch sagen können – und vielerorts noch heut: es ist gekommen die Nacht, da niemand wirken kann. Er zog im Lande umher, von Tausenden begleitet – man war noch nicht auf den Einfall gekommen, die Volksversammlungen zu verbieten - ; er predigte, wenn auch angefochten und bedroht, dennoch drei Jahre lang. Denn erst der moderne Staat, der sich den christlichen nennt, hat die Virtuosität im Verbieten der Wahrheit mit der Schnelligkeit ihrer Unterdrückung zu vereinigen gewußt.
Aber der alte vergessene Traum vom Gottesreich wacht wieder auf in der Welt, und die innre Stimme mahnt, daß die Wahrheit etwas höheres sei als liebevolles Verschweigen, und ihr Schwert in den Zeiten der Erfüllung heiliger als der Palmzweig, und die Stimmen, die: Friede predigen, wo doch kein Friede ist. Der deutsche Geist steht auf, die deutsche Brust wird weit, zum Volke zu reden, und wir wissen, daß der christliche Geist der ist, welcher den Propheten im härnen Gewand dem König zurufen ließ: es ist nicht recht! Welcher auch uns nicht sorgen lässt, wie oder was wir reden sollen; welcher sich in den Märtyrern und den großen Priestern der Vorzeit und in Luthers noch freien Reden nicht unbezeugt gelassen hat – das ist unser Geist. Und dürften wir nur der Wahrheit gehorchen wie wir wollen, nach rechts und links! Nun aber glauben Viele schweigen zu müssen, weil die Männer der Freiheit nur  g e g e n  ihre Freunde freies Wort vergönnt erhalten.
Ihr Fürsten und fürstlich Gesinnten, irrt euch nicht! Außer allen Parteien, an deren Unterdrückung ihr Arbeitet, außer allen die ihr oberflächlich sondert in Radikale, Communisten, Atheisten, Liberale – außer allen, ja und in ihnen, wie wir wissen und vertrauen, ist eine andre Partei, unsichtbar zur Zeit, schwach dem Anscheine nach, verläumdet von ihren Freunden, übersehen am liebsten von euch. Sie weiß, was sie will, und wird nicht aufhören es zu fordern – aber sie führt ihre Waffen auch gegen sich selbst, denn es sind Wahrheit und Gerechtigkeit, Waffen des Geistes: darum ist sie noch  k e i n e  Partei im Sinne des Worts, d a r u m  aber ist ihr auch die Zukunft und ihr wird der Sieg sein. Wir schmähen euch nicht, wir rufen nicht zur Empörung, wir halten keine Revolution mit Mord und Blut für nothwendig – wir gehorchen euren Gesetzen; wir erkennen euer menschliches Recht an, denn euer ist das Bild und die Umschrift, ihr seid unsre Herren. Aber euer göttliches und unantastbaren Recht anzuerkennen haben wir verlernt an all dem göttlich-privilegirten Auswurf der Menschheit, der auf Thronen gesessen hat; haben wir verlernt, seit das Bewusstsein unsres menschlichen Wesens in uns erwacht ist;: und wo das Volk noch christlich ist, werden wir ihm die Wahrheit des Christenthums zum Bewusstsein bringen und die Freiheit in Christi Geist, in unserm, dem menschlichen, dem göttlichen Geist wieder auferstehen lassen. Die Freiheit ist uns kein zügelloses, selbstsüchtiges Verlangen, das euch nur eure Macht missgönnt, sondern sie ist der Drang zum Reiche Gottes in der That und Wahrheit, und nur mit Gott, Liebe, Wahrheit – nur mit allem, was uns heilig ist zwischen Himmel und Erde, könnt ihr sie aus unsrer Brust reißen.
Wir sind keine Kinder und Unmündige, sondern Männer, welche das Ziel der Menschheit erkannt haben. Wir wiederholen es euch so ernst, wie es uns mit unserer Sache ernst ist: wir wollen  n u r  die Waffen des Geistes gebrauchen, wir wollen uns nicht empören, wir wollen euren Gesetzen gehorchen, oder, wenn es einmal einer um des Gewissens willen nicht kann, ruhig dulden, was ihr über uns verhängt. Aber eben so offen sagen wir euch: mit ein paar Privilegien für uns und mit ein paar Concessionen für das Volk werdet ihr uns nie zufrieden stellen; wir werden unzufrieden bleiben, so lang wir nicht erreicht haben, was kräftigen und begeisterten und besonnenen Menschen möglich ist. Keine menschliche Schranke erkennen wirk an deren Niederreißung des menschlichen Geistes Kraft sich nicht erproben sollte, wenn Liebe und Freiheit es verlangen-; wenn wir eine solche feststellten, so wären wir  g o t t l o s  und wäre es uns nicht Ernst mit dem Reiche Gottes. Und seht, so riesengroß dieser Kampf auch ist, so wahr es sich um eine neue Welt handelt – er ist doch vor dem Auge des Geistes nur ein Nachspiel und eine Erfüllung des ersten Kampfes, den Christus gekämpft hat gegen das göttliche Gesetz. Gleiche Feinde, gleiches Ziel, gleiche Waffen. Ein altes Gesetz ist aus dem Herzen zu reißen, um die Wahrheit leuchten zu lassen, die sich in der Zeit unter den Händen der Menschen zur Lüge verkehrt hatte. Aber weil wir im alten Gesetz die ewige Wahrheit, die in der ersten That hervorbrach, erkannt haben, und das Christenthum  s e l b st  zum Kampf gegen seine Verkehrung ruft, und alle Begeistrung jenes ersten Sieges wach wird und mächtig in den Herzen: darum wissen und glauben wir: gleicher Kampf, gleicher Sieg! Und wenn auch tausendmal das Loos unsres Freundes uns einzelnen in diesem Geschlecht zurufen sollte: gleicher Untergang! Denn sind wir mit ihm zum Tode gepflanzt, werden wir ihm auch in der Auferstehung gleich sein. (Röm. 6, 5.)
So haben wir denn, ehe von der Wiedergeburt geredet ist, das ursprüngliche Leben, zu dem das veraltete und erstarrte wieder geboren werden muß dargelegt, und – wir hoffen es – klar und rund genug gesagt, was sie neue Zeit der Gerechtigkeit als das Wesen des Christenthums erkennen muß und wird. Es ist, mit einem Worte, sein göttlicher Geist, der sich in der That bewährt hat und aus seinem Leben darum ewig neu sich wiedergebärt und Leben schafft, weil in ihm die ewigen Gedanken, die fortan alle Geschichte und alles menschliche Werden zum Dasein fördern und bewegen, zuerst erschienen sind. Das Wesen ruht, wie schon eine alte richtige Unterscheidung gefunden hat, nicht in seinen Lehrsätzen, sondern in seinen Grundsätzen, nur wußte und wagte man nicht, dieß Wesen in seiner Fülle zu entfalten. Nennt man zu den Grundgedanken, die sich im reich Gottes zusammenschließen lassen, noch: Wahrheit, im Sinn des vierten Evangeliums hauptsächlich, so ist damit theils nur die nothwendige Bestimmung hinzugefügt, daß in jenem Gedanken die höchste Wahrheit ist; theils will es heißen: daß er kämpft  g e g e n  alle Lüge, die sich am schneidendsten in der bloßen Form und Aeußerlichkeit offenbart, und  f ü r  den Geist, in dem allein die Wahrheit ist, der allein die Thaten rechtfertigt die aus ihm geboren sind.
Wir haben es aber mit dem Leben der gegenwärtigen Zeit zu thun, und in ihr tritt uns ein in die heilige Schrift eingeschränktes, und noch dazu von der Kirche dogmatisch festestelltes – ein Altes Christenthum ein im schlechten Sinne fast überall menschliches Christenthum entgegen. Was geschehen ist und besteht, kann uns von der Erkenntniß der Wahrheit nicht zurückhalten, vielmehr ist die Geschichte nach ihrer ersten Betrachtung Lehrmeisterin zur Wahrheit. Darum wenden wir uns wieder zu ihr, denn bevor wir von einem neuen Baue reden können, müssen wir das  A l t e  v e r s t a n d e n  und mit ihm Abrechnung gehalten haben. (S. 76 - 81)

Anmerkung: Die zeittypische Rechtschreibung wurde beibehalten. 

Diesen und mehr Texte von Theodor Althaus gibt es in einer Sammlung:
Theodor Althaus, Zeitbilder 1840 - 1850
Hrsg. von Renate Hupfeld
Aisthesis Verlag Bielefeld, 2010

Erzählende Biografie:
Renate Hupfeld: Theodor Althaus - Revolutionär in Deutschland

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Donnerstag, 25. Oktober 2012

190. Geburtstag von Theodor Althaus

Vor 190 Jahren, am 26. Oktober 1822, wurde Theodor Althaus als ältester Sohn des zweiten Predigers der Stadtkirche in Detmold im Pfarrhaus in der Bruchstraße geboren. Derzeit bestand Deutschland aus 36 Einzelstaaten, in denen nach den Karlsbader Beschlüssen je nach Fürstenwillkür ein schwächer oder stärker ausgeprägtes polizeiliches Überwachungssystem zur Unterdrückung von nationalen und liberalen Bestrebungen herrschte. Im Fürstentum Lippe regierte seit zwei Jahren Leopold II., dessen wichtigste Interessen nicht dem lippischen Volk, sondern der Jagd und dem Theater galten.

Stadtkirche am Marktplatz in Detmold

Pfarrhaus in Detmold

Der junge Althaus entwickelte sich zu einem wachen Geist mit außerordentlicher Begabung in allen Bereichen, vielseitigen Interessen und einer zunehmend kritischen Haltung gegenüber Ungereimtheiten und Ungerechtigkeit. Seit Beginn des Studiums in Bonn im Jahre 1840 war sein wichtigstes Ziel ein einheitliches demokratisches Deutschland mit Gerechtigkeit für alle Menschen. Dafür gab er alles und landete schließlich im Gefängnis. Er wurde nicht einmal dreißig Jahre alt. 
Anhand der umfangreichen Schriften von Theodor Althaus und seiner schicksalhaften Laufbahn wird klar, wie schwierig und verlustreich die Anfänge der Demokratie in Deutschland waren. Der junge Detmolder steht stellvertretend für viele, die im Kampf um deutsche Einheit und demokratische Strukturen Freiheit, Heimat und Leben verloren haben. Hier ist seine Geschichte - zum 190. Geburtstag im neuen Outfit: 

Hier geht's zum Buch:







Montag, 15. Oktober 2012

Berufliche Perspektive und Preußische Zensur

Leseprobe aus: Renate Hupfeld: Theodor Althaus (1822 - 1852) - Revolutionär in Deutschland


Ende September 1846 wurde „Eine Rheinfahrt im August“ mit dem Untertitel „Den Kölnern, den Schleswigholsteinern, Allen die den Rhein lieben gewidmet“, gedruckt, auch diesmal wieder beim Schünemann Verlag in Bremen.
In dem Zusammenhang erfolgte eine Einladung von den Redakteuren der „Weser-Zeitung“, deren Verleger ja auch Schünemann war. Man wollte den jungen Literaten, der seit zwei Jahren regelmäßig brillante Texte lieferte, persönlich kennenlernen und mit ihm über eine ständige Mitarbeit in der Redaktion reden. Das waren attraktive Aussichten und eine Übersiedlung nach Bremen hatte zudem wegen der Erinnerung an die jahrelange Tätigkeit von Großvater Dräseke an der dortigen Gemeinde St. Ansgarii einen ganz besonderen Stellenwert. Drei Tage brauchte die „Miethskutsche“ durch Sand- und Heidewege.
Das Gespräch fand statt, doch die Redakteure der „Weser-Zeitung“ waren keinesfalls in allen Punkten mit Theodor einig. Seine politischen Ziele gingen über das hinaus, was eine Tageszeitung sich seinerzeit in Bremen leisten konnte. Man einigte sich auf eine befristete Mitarbeit, zunächst für ein halbes Jahr. Der Vertrag sollte sofort in Kraft treten.
Doch dann traf Theodor Althaus das Missgeschick gleich in zweierlei Weise. Er wurde ernsthaft krank und war monatelang nicht arbeits- und noch weniger reisefähig. Und noch schlimmer war, dass die „Rheinfahrt“ vom Oberzensurgericht Preußen verboten wurde. Schünemann wurde aufgefordert, die Vertreibung der Schrift sofort zu stoppen, andernfalls werden Sanktionen folgen. Eine schriftliche Eingabe des Verfassers an den preußischen Innenminister blieb trotz glänzender Argumentation ohne Erfolg.
Unter diesen Umständen distanzierte sich Schünemann, um weiteren Schwierigkeiten mit den preußischen Behörden aus dem Weg zu gehen. Man verschob das Inkrafttreten des Vertrages bis auf Weiteres. 

Taschenbuch bei  http://www.text-und-byte.de/

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Dienstag, 9. Oktober 2012

Literarische Abende bei von Meysenbugs

Leseprobe aus: Renate Hupfeld, Theodor Althaus (1822 - 1852) - Revolutionär in Deutschland

Dennoch wurde zu weiteren Salonabenden in das Meysenbug’sche Palais eingeladen. Der Akzent lag auf literarischen Themen, z.B. Goethes „Faust“ und die „Albigenser“ von Nikolaus Lenau. Doch diese Zusammenkünfte wurden zunehmend schwieriger für Malwida und Theodor, zumal sie sich nie zu zweit aussprechen konnten, sondern immer in Gesellschaft waren. Misstöne gab es vor allem zwischen Theodor und Malwidas jüngerer Schwester. In einem Brief entschuldigte er sich für seine Unliebenswürdigkeit gegenüber Laura am Abend zuvor:
„Wenn man einen ganzen Abend zusammen ist, und an das sich Gehen lassen gewöhnt, wie ich, so kann es nicht fehlen, daß die Stimmungen wechseln. Und bei mir, daß ich gerade in solche gerathe, wo ich nicht in Ihren Kreis passe. Wenn man zu zweien ist, ists eine andere Sache; …“
Überdeutlich wurde hier, wie unwohl Althaus sich im Salon der von Meysenbugs fühlte, er gehörte nicht dazu und wollte es wohl auch gar nicht. Nur Malwida zuliebe ließ er sich darauf ein, denn er liebte sie trotz allem und die Übereinstimmung seiner Ansichten mit ihren, vor allem in philosophisch-religiösen Fragen, war für ihn ein Gewinn, sogar in zunehmendem Maße, denn je mehr er sich in der Residenz isolierte, desto wichtiger war die Anbindung an die Freundin, die trotz des kalten Gegenwinds treu zu ihm hielt. Er vertraute darauf, dass die Liebe stärker war als der gesellschaftliche Druck. So schrieb er im selben Brief:
„Eins haben Sie aber wenigstens sicher bei meiner – ich möchte fast sagen lieblosen Art – daß Sie mich jedes Mal so haben, wie ich bin und nicht wie ich mich machen könnte. Es ist das freilich ein schlechter Trost, da ich Ihnen mit dieser Art weh thun mußte – aber ich glaube es ist dennoch immer für Sie. – Sie denken zu gut von mir, Sie haben mich zu lieb. Wir beide wissen, was diese Liebe Edles in mir gemacht hat, aber ich habe mich auch von ihr verwöhnen lassen. Wir vertrauen aber auch beide, daß wir irgendwie die Harmonie wieder finden werden, einerlei in welcher Art.“

Resignieren war ohnehin nicht seine Sache. Von der Ressourcenmisere ließ er sich nicht einschüchtern und gründete zusammen mit dem gleichaltrigen Theologen Carl Volkhausen einen Leseverein, in dem Bücher und Broschüren angeschafft und zu einem geringen Beitrag in Detmold und vielen anderen lippischen Orten verbreitet wurden. Natürlich legten die Gründer Wert auf Texte progressiven Inhalts zu Politik, Religion und Gesellschaft wie die von Feuerbach und Strauß, die in Publikationen das derzeit gelebte Christentum kritisiert hatten, sowie Georg Herwegh und Johann Jacoby, die sich mit allen Mitteln für ein demokratisches Deutschland einsetzten. Zu den Mitgliedern des neuen Lesevereins gehörten Beamte,  Ärzte, Advokaten, Kaufleute und Gutsbesitzer. 


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Sonntag, 23. September 2012

Morgenblatt und Morgenzeitung

Den Jahreswechsel von 1844 nach 1845 verbrachte Theodor Althaus, Kandidat der Theologie, im Elternhaus, dem Pfarrhaus des Superintendenten unter der Wehme in Detmold. Eine Anstellung war auch nach dem Studium in philologischen Bereichen in Berlin nicht in Sicht. Er versuchte es mit dem Verfassen von Artikeln, die er dann entsprechenden Organen in den deutschen Ländern anbot, so am 11. Januar 1845 einen über Schillers Maria Stuart dem Morgenblatt der Augsburger Zeitung und am Tag darauf einen über die deutschen Studenten der Hannoverschen Morgenzeitung:

























Einer geehrten Redaktion des Morgenblattes erlaube ich mir
inliegendes Manuscript: hier Vorlesung über Maria Stuart,
Trauerspiel von Schiller – zur Aufnahme in Ihr Blatt anzu-
bieten. In unsern Tagen, wo so viel unberufenes Reden über
Schillers Mangel an Objektivität geführt wird, ist es wohl pas-
send  an einem seiner größten Dramen nachzuweisen, wie er
die Erforderniße des historischen Dramas in höchstem Sinne er-
füllt, und wie bei aller Freiheit in der Composition doch ein unüber-
trefflich lebensvolles Bild vom Kampf einer alten und neuen
Weltanschauung hingestellt ist. Ich habe in der gesammten Litera-
tur über dieß Stück höchstens Andeutungen und Fragmente von
meiner Auffassung gefunden, die wesentlich in der zweiten Hälfte, erst
die volle Schönheit des Dramas, und sein ungemeines Interesse gerade
für unsre Tage, wie ich hoffe, auseinandergesetzt hat. Die Hinlei-
tung entwickelt kurz das, was wir von einem historischen Drama
in höchstem Sinn verlangen; die historische Entwickelung schien mir
für das Verständniß, und weil über das Recht der Maria bei
dem gebildeten Publicum so wenig Klarheit ist, nothwendig.
Sollten Sie das Manuscript nicht zur Aufnahme geeignet erachten,
so bitte ich mir daßelbe baldigst auf buchhändlerischem Wege zurück.
Wird es gedruckt, so ersuche ich Sie, mir unter meiner Adresse
mit dem Honorar zugleich einen Abdruck der betreffenden Num-
mern zu übersenden; und würde ich gern von Zeit zu Zeit interes-
santere Punkte literarischen und belletristischen Inhalts für Ihr
Blatt arbeiten.

     Detmold, 11. Jan. 45                                        Hochachtungsvoll                                                                                            
                                                                                  Theodor Althaus.



Einer geehrten Redaktion  der Hannoverschen Morgenzeitung
erlaube ich mir einliegenden Aufsatz „Die Deutschen Studenten“
zu übersenden. Es ist soviel ich weiß, die erste derartige
Uebersicht der Revolution, die sich unter ihnen Bahn gebrochen
hat in ihrem Zusammenhange; die Fakten sind sämmtlich
authentisch und aus der Autopsie größtentheils geschöpft.
Neben der Gründlichkeit, die einem nicht zur gewöhnlichen
Belletristik sich haltenden Blattes erwünscht sein muß, werden
Sie aber auch hoffentlich nicht die Rücksicht auf Unterhaltung
vermissen, weit mehr habe ich leicht zu verbinden gesucht.
Man muß das Publicum für eine Sache interessieren durch
die gewöhnlichen Mittel, wenn man tieferer Theilnahme den
Weg bahnen will.
Mit dem Honorar, oder auf buchhändlerischem Wege, ersuche ich
Sie mir einen (wo möglich zwei) Abdruck der betreffenden
Nummern zukommen zu lassen. Im Fall der Nichtaufnahme
würden Sie mich durch baldige Remittierung (durch die hiesige
Mayersche Hofbuchhandlung) verpflichten. Meinen Namen
möchte ich nicht genannt.

     Detmold, 12. Jan. 45                                 Ergebenst                                                                                          
                                                                                  Theodor Althaus.





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Donnerstag, 13. September 2012

Ferdinand Freiligrath

Leseprobe aus: Renate Hupfeld, Theodor Althaus (1822 - 1852) - Revolutionär in Deutschland

Theodor Althaus hatte sich verliebt und die Geliebte war viele Tagesreisen entfernt in Hyères an der französischen Mittelmeerküste. Er vermisste ihre Zuneigung, die gemeinsamen Gespräche, in denen er sich mit seinen Ideen und Vorstellungen verstanden und akzeptiert fühlte. Sie war diejenige, die bedingungslos hinter ihm stand, wenn jemand ihn kritisierte. Und Kritiker hatte er nicht wenige im überschaubaren Detmold, wo er nicht unbedingt das kurzweilige Programm suchte. Oberflächliches Geplauder lehnte er als Zeitverschwendung ab.
Die meiste Zeit verbrachte er in seiner Studierstube am Schreibtisch mit Ausblick in südwestliche Richtung, wo hoch über den Buchenwäldern auf der Grotenburg der Sockel des Hermannsdenkmals entstand. Häufig schaute er sehnsüchtig hinüber zum Haus der von Meysenbugs in der Hornschen Straße mit dem Fenster von Malwida,  der er so oft in der Dunkelheit seine Wolkenträume herübergeschickt hatte. In gereimter Form  bewahrte er sie nun in seinem „Nordischen Wintergarten“ auf, um sie ihr nach ihrer Rückkehr im nächsten Frühjahr zu schenken.


Nicht nur poetische Träumereien verfasste er in seiner Studierstube. Er beschäftigte sich intensiv mit einem Dichter aus seiner Heimatstadt Detmold, der gerade in allen Ländern des Deutschen Bundes von sich reden machte, sogar für heftige Diskussionen sorgte. Es war Ferdinand Freiligrath, der bis dahin in St. Goar am Rhein gewohnt hatte und dessen Sammlung politischer Gedichte unter dem Titel „Ein Glaubensbekenntniß“ erschienen war.  Diese Publikation von Zeitgedichten war nicht nur wegen der politischen Inhalte von besonderer Brisanz, sondern auch wegen einer Maßnahme des Autors, die Theodor Althaus in tiefstem Herzen nachvollziehen konnte und bewunderte. Freiligrath verzichtete auf eine monatliche Pension, die der preußische König Friedrich Wilhelm VI. ihm zwei Jahre zuvor gewährt hatte. Wenn er dessen selbstherrliches Regieren gegen das Volk nicht mehr akzeptierte, wollte er auch keine finanzielle Unterstützung. Unabhängigkeit und Meinungsfreiheit waren ihm wichtiger als ein sicheres Einkommen.
Die Konsequenzen blieben nicht aus. Sofort nach Erscheinen wurde das Werk verboten und Freiligrath aus Preußen ausgewiesen. Er ging ins Exil nach Belgien.
Althaus verfasste einen längeren Essay. In geschliffener Sprache gab er dem Leser ein ausführliches Portrait des Dichters und führte ihn durch Freiligraths Gedichtwelten und -figuren, die er bestens recherchiert hatte. Vor allem gelang es ihm, die politischen Hintergründe und die ganze Tragweite für das weitere Leben des Verfassers klar und verständlich darzustellen.
Wie Hoffmann von Fallersleben und Herwegh, traf nun auch den vierunddreißigjährigen Detmolder Dichter das Schicksal eines heimatvertriebenen politischen Poeten. In seiner Darstellung sparte Althaus nicht mit kritischen Anspielungen auf sechsunddreißig monarchische Regierungen, die Recht und Freiheit bekämpften und somit gegen das Volk agierten, auch nicht mit spöttischen Wortspielereien: „Das Glaubensbekenntniß, von dem hier die Rede gewesen ist, ist verboten, das wundert uns nicht […]; wir wissen, dass heutzutage nur gewisse Glaubensbekenntnisse Glück machen.“
Die Rezension  wurde in „Wigands Vierteljahrsschrift“ in Leipzig gedruckt, ein schöner Erfolg für den jungen Detmolder Verfasser.



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Montag, 10. September 2012

Malwida von Meysenbug



In ein offenes Herz hatte er ein Jahr zuvor gesät. Die sechs Jahre ältere Malwida von Meysenbug hatte nicht vergessen, was der große junge Mann mit den langen dunklen Locken im April 1843 von der Kanzel der Detmolder Stadtkirche gepredigt hatte. Seine Botschaften hatten ihre aristokratisch geprägten Ansichten ins Wanken gebracht, Zweifel ausgeräumt, Fragen beantwortet und ihr den Impuls zu einer für eine junge Frau in ihren Kreisen ungewöhnliche Aktion gegeben. Sie gründete einen Verein für Arme, in dem Mädchen und junge Frauen der besser gestellten Gesellschaft sich zusammenfanden, um mit Hilfe von Sammlungen und Spenden arme Familien zu unterstützen, von denen es nicht wenige in Detmold gab.
Im Rahmen dieser Treffen entstand eine Freundschaft zwischen ihr und der siebzehnjährigen Elisabeth, der Schwester ihres Apostels, so nannte Malwida den verehrten Prediger insgeheim. Es blieb nicht aus, dass im vertrauten Gespräch hin und wieder über ihren Bruder und dessen Gedanken und Ideen geredet wurde.
Als Malwida von Meysenbug zusammen mit ihrer Schwester Laura eines Abends in die Althaus’sche Wohnstube eingeladen war, erfolgte die erste persönliche Begegnung mit Theodor Althaus. Beide fühlten sich sofort einer vom anderen angezogen und empfanden eine starke Übereinstimmung ihrer Gedanken in vielen Punkten.
Beim nächsten Treffen, das im Meysenbug’schen Palais stattfand, konnte die im Gedankenaustausch erlebte Nähe nicht intensiviert werden, weil Malwida in der elterlichen Umgebung eine seltsame Befangenheit spürte. Jedoch stellten beide eine weitere Gemeinsamkeit fest, ihre Zuneigung zu Theodors Schwester Elisabeth, die sie die „Kleine“ nannten.
Die Kleine war dann auch in den folgenden Sommerwochen immer dabei, wenn die beiden sich trafen. Sie war ihre Vertraute, nahm an den Gesprächen teil und spielte den Briefboten vom Pfarrhaus zum Palais der Meysenbugs in der Hornschen Straße.
Elisabeth war auch dabei, als Theodor den ersten Schritt auf seine Freundin zu ging, um ihr zu zeigen, wie sehr er sie mochte. Überraschend standen Bruder und Schwester eines frühen Morgens an der Post, um Malwida zu verabschieden, die sich auf den Weg in südliche Gegenden machte, um zusammen mit ihrer Schwägerin, deren Kindern und Dienstpersonal den Winter in angenehmem Klima zu verbringen. Theodor übergab ihr einen Blumenstrauß mit Briefanhang, auf dem ein Zitat aus einem Gedicht von Torquato Tasso zu lesen war: „I suoi pensieri in lui dormir non ponno.“ Die Botschaft war zwar in italienischer Sprache verfasst, jedoch klar. Er wollte der Angebetenen mitteilen, dass er immer an sie dachte und sie ihm schlaflose Stunden bereitete.


Theodor Althaus - Revolutionär in Deutschland



Sonntag, 2. September 2012

Brüder Grimm und Hoffmann von Fallersleben

aus Renate Hupfeld: Theodor Althaus (1822 - 1852) - Revolutionär in Deutschland

„Jawohl! Das ist der Conflict des Fortschritts mit dem Recht der Persönlichkeit. […] Wir wissen recht wohl, dass über fünfzig Jahre ein großer Theil von dem, was wir wollen, erlangt sein wird, aber wir sind die Opfer; wir genießen die Segnungen nicht mehr, unsere Existenz müssen wir theilweise drangeben. Die Freiheit ist zu erstürmen, aber nur wie eine Festung, wenn der Graben mit den Leichen derer, die um sie kämpfen, gefüllt ist.“
Trotz des schwierigen Beginns und der geringen Erfolgsaussichten arbeitete das Komitee eine Satzung aus, die  dann von Herrn Lachmann, dem Rektor der Universität, abgelehnt wurde. Ein Besuch bei Herrn von Ladenberg, der Theodor eingeladen hatte, um ihm für seine Rede auf dem Professorenball zu danken, gab ihm Gelegenheit, die Sache dort noch einmal anzusprechen. Das war aber von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil zum einen Theodor einem Regierungsvertreter gegenüber nicht offen die wahren politischen Absichten der Gruppierung ansprechen konnte und zum anderen gehörte diese Angelegenheit nicht in Ladenbergs Kompetenzbereich, sondern in den von Kultusminister Eichhorn und der wiederum würde nicht gegen das Votum von Rektor Lachmann agieren. Das Projekt „Leseverein zusammen mit Professoren“ verlief im Sande.
Doch Theodor hatte nicht lange Zeit darüber nachzudenken, als schon wieder eine Herausforderung auf ihn zukam. Ein Fackelzug für die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm in der Lennéstraße sollte veranstaltet werden. Die Brüder gehörten, wie Dahlmann, zu den sieben Göttinger Professoren, die 1837 gegen die willkürliche Aufhebung der Verfassung protestiert hatten und vom Hannoverschen König entlassen wurden. Im Zuge des vielversprechenden Amtsantritts von König Friedrich Wilhelm IV. waren sie im Jahre1840 rehabilitiert worden und hielten Vorlesungen an der Berliner Universität.
Als Cheforganisator der Veranstaltung hatte Althaus alle Hände voll zu tun, die vielen Meinungen unter einen Hut zu bringen und die Vorbereitungen zu koordinieren. Um jenaischen Verbindungsglanz nach Berlin zu holen, lieh man Kostüme bei  Ausstatter Noack. Die polizeiliche Erlaubnis wurde unter der Bedingung erteilt, dass einige wegen oppositionellen Verhaltens aufgefallene Studenten nicht teilnahmen, was natürlich im Vorfeld großen Unmut und erneute Diskussionen verursachte.
Als dann nach einer Menge Arbeit und vielen Schwierigkeiten am 10. Februar 1844 der Tag des Fackelzuges gekommen war, gab es einen fürchterlichen Schneesturm, sodass die Teilnehmer in Burschenschaftsoutfit abends auf dem Hof der Universität bis zu den Knien im Schnee standen. Als wäre das nicht genug, musste der Organisator noch beim Umlegen der Schärpen, Umschnallen der Schläger und beim Anzünden der Fackeln helfen. „…ein heilloser Gesammteindruck. […) denn überall war fürchterliches Pöbelgedränge und dabei ein entsetzlicher Mangel nicht nur an studentischem Tact, sondern an allgemeiner Anstelligkeit. Sie begriffen nichts als wozu man sie stieß und schob“, notierte er im Tagebuch.
Immerhin erreichte der Zug ohne Schneegestöber das Haus der Grimms in der Lennéstraße. Theodor und einige andere gingen hinauf in die Wohnung und huldigten den Brüdern Grimm mit einem dreifachen Hoch für ihr „echt deutsches Wesen und Wirken“. Da Jacob sich nicht gut fühlte, redete nur Wilhelm vom Balkon aus zu den Studenten, sinngemäß dahingehend, man solle die Wissenschaft nicht als etwas Totes, sondern als Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart sehen. Es folgten Hochrufe auf die Brüder, die Göttinger Sieben und Hoffmann von Fallersleben, der sich in der Grimm’schen Wohnung aufhielt und eigentlich nicht entdeckt werden wollte, weil er sich in Berlin gar nicht aufhalten durfte. Als dann auch noch Georg Herwegh in Abwesenheit gefeiert wurde, war es den Polizisten  zu bunt. Sie ritten in die Versammlung und trieben die Teilnehmer auseinander. Theodor ging noch einmal hoch zu den Grimms, wo er sich mit Hoffmann unterhalten konnte und ihn dabei an seinen Auftritt vor jenaischen Studenten zwei Jahre zuvor erinnerte.
Ein paar Tage später war er in einer Kneipe dabei, als Hoffmann von Fallersleben einen öffentlichen Auftritt als fahrender Sänger hatte. Nach dem Trinkspruch „Deutschland ohne Lumpenhunde“ gab der heimatlose Professor Gedichte, Lieder und Erzählungen über seine Wanderungen zum Besten. Mit großem Erfolg bei den Zuhörern, jedoch nicht bei den preußischen Behörden. Denn die teilten ihm am nächsten Tage mit, dass er wegen Störung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit schnellstens die Stadt zu verlassen habe.
Althaus begleitete den Poeten Hoffmann, bis der mit einer Kiste voller Bücher und Papieren in der Postkutsche saß, sich mit einem Zündhölzchen eine Zigarre anzündete und mit gewohntem Spott die viel gerühmte „Aufklärung in Berlin“ vorführte.

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Mittwoch, 29. August 2012

Henriette Herz und Bettina von Arnim

Was wäre ein Studium in Berlin ohne Besuch eines der berühmten Salons, in denen Studenten zumeist sehr gern gesehene Gäste waren? Die fast achtzigjährige Henriette Herz konnte bereits auf einige Jahrzehnte regelmäßiger Gesprächsabende in ihrer Wohnung zurückblicken, als Theodor Althaus bei ihr zu Gast war. Über Ludwig Tieck und Schleiermacher wurde geredet und sich über Friedrich Rückert ausgetauscht, den Althaus in Neuses bei Coburg besucht hatte. Henriette Herz war dem Dichter im Jahre 1819, mehr als zwanzig Jahre zuvor, in Italien begegnet. Sie erinnerte sich an einen großen Mann mit düsterem Gesicht, langem Haar und schwarzem Rock, der sich nicht mit den anderen zusammen auf die Wiese setzen wollte, weil er Angst vor Schlangen hatte.


Ein Besuch bei Bettina von Arnim, deren Wohnung auch regelmäßig für Treffen und Gespräche offenstand, verlief so ganz nach Theodors Geschmack. Studenten gingen bei Bettina ein und aus. Die Schwester von Achim von Arnim, Witwe von Clemens Brentano und Mutter von sechs Kindern hatte wegen ihres offenen Wesens und ihrer Gastfreundschaft sehr viele Sympathien in der Stadt. Ihr engagierter Einsatz für benachteiligte und verarmte Bevölkerungsgruppen war außergewöhnlich. Sie selbst war wirtschaftlich unabhängig und gehörte zur privilegierten Gruppe der Gesellschaft, war aber bereit zu geben, was sie nur konnte. Und sie nahm kein Blatt vor den Mund. Selbst dem preußischen König konnte sie die Wahrheit sagen, sogar aufschreiben und unter dem provokanten Titel „Dies Buch gehört dem König“ veröffentlichen.
Mit ihrer natürlichfrischen Art erfreute die Sechsundfünfzigjährige das junge Stürmerherz. Theodor Althaus war mächtig angetan von der quirligen Frau mit dem hessischen Dialekt. „Wißt was? Geht bis neun Uhr spazieren, dann kommt wieder, da woll mer schwätze, so viel Ihr Lust habt. Nehmt’s nit übel“, zitierte er sie im Brief an seine Mutter und schilderte, wie er zusammen mit seinem Freund eineinhalb Stunden später dann an ihrem Teetisch saß, ab und an die jüngste Tochter Gisela durch den Raum flog und die Hausherrin, ihr Versprechen einhaltend, nach Herzenslust bis weit nach Mitternacht mit den zwei Studenten schwätzte.
„Daß die Berliner Gesellschaft diese Frau verrückt nennt, ist kein Wunder, denn sie gehört zu den unbequemen Leuten, die die Wahrheit sagen!“, war sein Fazit im Brief an die Mutter.


aus: Theodor Althaus - Revolutionär in Deutschland


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Dienstag, 28. August 2012

Student in Berlin

aus: Theodor Althaus - Revolutionär in Deutschland:

Der Kandidat der Theologie war einundzwanzig Jahre alt, als er Ende Oktober 1843 mit der Dampfeisenbahn die preußische Hauptstadt erreichte. Sofort berichtete er in die Heimat über seine ersten Eindrücke in einer großen Stadt. Vier Bahnhöfe gab es in Berlin, den Hamburger, Frankfurter, Anhalter und den Potsdamer Bahnhof. 


Die Dorotheenstraße, in der er wohnte, war eine der kürzeren, doch so lang wie Detmold von einem Ende zum anderen. Sie führte auf die Friedrichstraße, auf der man vom Oranienburger Tor im Norden bis zum Halleschen Tor im Süden eine gute Stunde zu laufen hatte. Mitten durch die Stadt floss die Spree, über die mehr als zehn Brücken führten und auf der reger Schiffsverkehr herrschte. Doch noch viel regerer Verkehr herrschte auf den Straßen. Zweitausend Pferdedroschken gab es in Berlin, deren Benutzung allerdings für einen Studenten nicht billig war und von Theodor nur hin und wieder bei ganz schlechtem Wetter in Frage kam. Wichtig waren die Konditoreien, in denen es die neuesten Zeitungen zu lesen gab. Dort war es jedoch auch teuer, sodass er lieber ins Museum auf der Spreeinsel ging, wo er nichts bezahlen musste.


Als Theodor Althaus sich immatrikulieren wollte, gab es Schwierigkeiten, weil man in der Berliner Universität mit dem lippischen Kandidatenstatus nicht zufrieden war. Es war also nicht selbstverständlich, dass er aufgenommen wurde.  Er hatte noch ein Abgangszeugnis der Universität Bonn zu besorgen. Fürchtete er vielleicht, die Sache Nitzsch könnte ihn auf diese Weise verfolgen? Doch alles ging gut, Bonn legte ihm keinen Stein in den Weg und schickte das erforderliche Dokument.
Es dauerte eine Weile, bis der Detmolder Anbindungen zu Gleichaltrigen fand. Wie in Bonn, trat Verbindungsleben nicht offen in Erscheinung und hatte schon gar nicht den jenaischen Glanz. Überhaupt musste man in der preußischen Hauptstadt mit Demonstrationen jeglicher Art vorsichtig sein. Überangepasste „Musensöhne“ wie die in den Bonner Seminaren von Nitzsch hatten es da leichter als der ungeduldige Rebell aus Lippe. Diese traf er auch in Berlin. Bei der Wahl der Lehrveranstaltungen lagen Theodors Schwerpunkte in den Disziplinen Philosophie und Philologie. Damit hatte er neben Theologie auch in diesen Bereichen die Möglichkeit, Qualifikationen zu erwerben und seine Berufsaussichten zu verbessern. Er hörte Ranke, Boeckh, Neander, Trendelenburg, Nauwerck, Schelling und Mundt.
Die Lieben in Detmold  bekamen auch wieder das eine oder andere Anekdötchen zu lesen, so zu Schelliing: „Große Vollheit, Lärm, Hitze und am Ende kamen ganz gewöhnliche Sachen heraus.“  Und Theodor Mundt scheine ohne feste Basis zu sein,  jedes Hin- und Herreden werde langweilig. Auch mit ein paar Witzchen gelinge es ihm nicht, die Inhalte so darzustellen, dass bei den Zuhörern etwas haften bleibe.
Kommilitonen zunächst enttäuschend und provozieren seinen Unmut, den er im Tagebuch heraus ließ:
„Alte Jenenser, die noch vor einem halben Jahre Eichelfresser waren, sind aus innerer Haltlosigkeit, Feigheit, Schwachheit etwas Positives zu vertheidigen, in den bequemen Sumpf des Materialismus und Communismus versunken. […] Einige studiren Theologie fort, weil ihre Großmutter sie sonst enterbt: flache Spötter, Menschen, in denen kein produktiver Funke steckt.“

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