Sonntag, 16. Dezember 2012

Freiheitstanz und Zensur

Zu Theodor Althaus Erzählung "Ein Freiheitstanz"

Theodor Althaus hat  die "Geschichte einer schönen Tänzerin“ ein Jahr vor den Märzereignissen des Jahres 1848 geschrieben. Er hatte sein Studium der Theologie und Philologie in Bonn, Jena und Berlin erfolgreich absolviert und auf Wanderungen an Weser und Rhein festgestellt, dass es für einen wie ihn, der die „faulen Früchte“ in seinem Lande nicht nur entdeckte, sondern auch offen benannte, keine berufliche Perspektive gab. Ihm blieb das Wort in Rede und Schrift. Das beherrschte er allerdings glänzend und so wurden seine Essays und Erzählungen in zahlreichen Büchern und Magazinen publiziert. Zeitgleich mit dem Scheitern der  deutschen Revolution im Mai 1849 landete Althaus im Gefängnis vor dem Clevertor in Hannover. Drei Jahre später starb er in Gotha, nicht einmal dreißig Jahre alt.
Am Beispiel der seinerzeit Aufsehen erregenden Affäre des bayrischen Königs Ludwig I. mit der spanischen Tänzerin Lola Montez gibt Theodor Althaus ein Bild der Situation in Deutschland zur Zeit des Vormärz. In dieser Satire wird eine Bandbreite der Ungereimtheiten in den monarchischen Strukturen der Metternichära vorgeführt, wie das Mätressenwesen, verantwortungsloser Umgang mit der Macht und philisterhaftes Untertanendenken. Die schöne Lola liegt vor den faszinierten Blicken des alternden Königs auf dem Diwan und „klätschelt“ mit ihrer kleinen Reitpeitsche ihr rechtes Bein. Die realen Namen der Protagonisten sowie des Schauplatzes mussten nach Beanstandungen des Leipziger Zensors geändert werden. So wurde aus Lola Carambola, aus König Ludwig der alte Herr, aus Minister Abel Herr von Kain und aus der Stadt München der Ort Klostersingen.


Friedrich Althaus (Theodors jüngerer Bruder) über „Märchen aus der Gegenwart“ und Zensur
speziell im Zusammenhang mit  „Ein Freiheitstanz“ in seiner Biografie
Theodor Althaus, Ein Lebensbild, Bonn, Verlag von Emil Strauß, 1888  (S. 244 – 246)

Das bedeutendste literarische Resultat dieser Leipziger Zeit [seines Bruders Theodor] waren ohne Frage die  „M ä r c h e n   a u s  d e r  G e g e n w a r t“ […]. In Deutschland blühte damals noch die Zensur, und eines Tages erlebte es Theodor, daß er mit seinem Verleger zum Zensor gehen musste, um das Urtheil dieser Autorität über sein Buch zu vernehmen. Unterwegs wurde ihm als nicht uninteressante Tatsache mitgeteilt, dass der Zensor nach der Zahl der censirten Bogen bezahlt werde und auf diese Weise etwa 1800 Taler jährlich verdiene, dafür aber auch „arbeiten müsse wie ein Pferd“. Übrigens fand er in dem gefürchteten Tyrannen der Presse „ein ganz traktables kleines Männchen“. Der Zensor bestand nur darauf, dass in einem der „Märchen“ die Namen geändert würden, „damit nichts direkt auf gewisse hohe Personen bezogen werden könne“, und erteilte für den Rest sein Placet.
Der Titel „Märchen aus der Gegenwart“ mochte Erwartungen wecken, die im gewöhnlichen Sinne des Worts nicht erfüllt wurden, aber in Wahrheit deutete er aufs Treffendste den eigentümlichen Inhalt des Buches an. Es waren Zeitbilder, teils in autobiographisch erzählender, teils in novellistischer Form – vorrevolutionäre Zeitbilder, an denen das Märchenhafte der überall hervorbrechende Gegensatz war, worin sie zu den Idealen einer ersehnten besseren Welt der Zukunft erscheinen. Dass es dies war, was der Verfasser selbst im Sinne hatte, bestätigte der Schlusssatz seines Buches: „Mögen wir hoffen oder fürchten – wenn wir es nur verstehen, dass alles Edle in seinem Jugenddrang der Welt eine Torheit und ‚den Leuten ein Märchen’ gewesen ist.“ Das Edle in seinem Jugenddrang, die schmerzliche Erkenntnis der Mängel der in den Wehen der Wiedergeburt gärenden gegenwärtigen Welt, das hochfliegende Streben und die begeisterte Hoffnung auf die Verwirklichung einer ihrem Ideal entsprechenderen menschlichen Gemeinschaft – das ist der wesentliche Inhalt der „Märchen“, wie es in anderer Form der wesentliche Inhalt der „Gedichte“ und der „Zukunft des Christentums“ gewesen war. Phantasie und Geist, leidenschaftliche Empfindung und scharfe psychologische Analyse, Erfahrung und Denken und künstlerische Gestaltungskraft wirken zu diesem Resultat zusammen.
Nur eins der „Märchen“ zeigt eine vorwiegend objektiv-humoristische Haltung, dasselbe, in welchem der Zensor die Namen geändert wünschte. Unter dem Titel „Ein Freiheitstanz“ stellte diese Novelle mit übersprudelndem Witz und Geist jenes seltsame Vorspiel der deutschen Revolution dar, in dem König Ludwig von Bayern, Lola Montez, Herr von Abel u. A. die Hauptrollen spielen. München erscheint in der Verkleidung von Klostersingen, König Ludwig als „der alte Herr“, Herr von Abel als Herr von Kain, Görres als Jürgen, Lola als Carambola. Dem größeren Publikum, dem es besonders darauf ankam, sich zeitgemäß zu unterhalten, musste diese lustige politische Komödie vor allem andern gefallen. In Bezug auf den Verfasser ist sie von Interesse als Spiegelbild einer humoristisch heitern Laune, die ihm keineswegs fehlte, wenn sie auch nur verhältnismäßig selten aus der vorwiegend ernsten Grundstimmung seines Geistes aufquoll. Nicht dass die übrigen „Märchen“ jener Laune absolut entbehrtem, aber ohne Frage heben sie sich in höherem Grade ab von dem idealen Hintergrunde der Sehnsucht und der Resignation.

Die Geschichte von König Ludwig und seiner Mätresse Lola Montez gibt's in

Theodor Althaus: Mährchen aus der Gegenwart


Biografisches:

1822 – 26. Oktober 1822 - Theodor Althaus wird in Detmold geboren.
1840 - Abitur am Detmolder Gymnasium
1840 / 1844 - Studium der Theologie in Bonn und Jena, Philologie in Berlin
1844 - Ohne berufliche Perspektive zurück im Elternhaus.
1845 - Vorträge in Detmold und Artikel für die Bremer „Weser-Zeitung“
1846 -  „Zukunft des Christenthums“
1846 -  „Eine Rheinfahrt im August“
1847 - Schriftsteller, Journalist und Übersetzer in Leipzig               
1848 - Korrespondent und leitender Redakteur der „Bremer Zeitung“
1849 - Leitender Redakteur der „Zeitung für Norddeutschland“ in Hannover
1849 - 14. Mai 1849 Gefängnis vor dem Clevertor wegen Staatsverrat
1850 - Entlassung aus dem Staatsgefängnis St. Godehard in Hildesheim
1850 - „Aus dem Gefängniß“
1851 - Lehrerstelle an der Hamburger Hochschule für Frauen
1851 - Ausweisung aus Hamburg
1852 – 2. April 1852 - Theodor Althaus stirbt in Gotha.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen