Donnerstag, 20. Dezember 2012

200 Jahre Brüder Grimm




Am 10. Februar 1844 veranstaltete der studentische Leseverein in Berlin einen Fackelzug für die Brüder Grimm: 

[...]
Doch Theodor hatte nicht lange Zeit darüber nachzudenken, als schon wieder eine Herausforderung auf ihn zukam. Ein Fackelzug für die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm in der Lennéstraße sollte veranstaltet werden. Die Brüder gehörten, wie Dahlmann, zu den sieben Göttinger Professoren, die 1837 gegen die willkürliche Aufhebung der Verfassung protestiert hatten und vom Hannoverschen König entlassen wurden. Im Zuge des vielversprechenden Amtsantritts von König Friedrich Wilhelm IV. waren sie im Jahre1840 rehabilitiert worden und hielten Vorlesungen an der Berliner Universität.
Als Cheforganisator der Veranstaltung hatte Althaus alle Hände voll zu tun, die vielen Meinungen unter einen Hut zu bringen und die Vorbereitungen zu koordinieren. Um jenaischen Verbindungsglanz nach Berlin zu holen, lieh man Kostüme bei  Ausstatter Noack. Die polizeiliche Erlaubnis wurde unter der Bedingung erteilt, dass einige wegen oppositionellen Verhaltens aufgefallene Studenten nicht teilnahmen, was natürlich im Vorfeld großen Unmut und erneute Diskussionen verursachte.
Als dann nach einer Menge Arbeit und vielen Schwierigkeiten am 10. Februar 1844 der Tag des Fackelzuges gekommen war, gab es einen fürchterlichen Schneesturm, sodass die Teilnehmer in Burschenschaftsoutfit abends auf dem Hof der Universität bis zu den Knien im Schnee standen. Als wäre das nicht genug, musste der Organisator noch beim Umlegen der Schärpen, Umschnallen der Schläger und beim Anzünden der Fackeln helfen. „…ein heilloser Gesammteindruck. […) denn überall war fürchterliches Pöbelgedränge und dabei ein entsetzlicher Mangel nicht nur an studentischem Tact, sondern an allgemeiner Anstelligkeit. Sie begriffen nichts als wozu man sie stieß und schob“, notierte er im Tagebuch.
Immerhin erreichte der Zug ohne Schneegestöber das Haus der Grimms in der Lennéstraße. Theodor und einige andere gingen hinauf in die Wohnung und huldigten den Brüdern Grimm mit einem dreifachen Hoch für ihr „echt deutsches Wesen und Wirken“. Da Jacob sich nicht gut fühlte, redete nur Wilhelm vom Balkon aus zu den Studenten, sinngemäß dahingehend, man solle die Wissenschaft nicht als etwas Totes, sondern als Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart sehen. Es folgten Hochrufe auf die Brüder, die Göttinger Sieben und Hoffmann von Fallersleben, der sich in der Grimm’schen Wohnung aufhielt und eigentlich nicht entdeckt werden wollte, weil er sich in Berlin gar nicht aufhalten durfte. Als dann auch noch Georg Herwegh in Abwesenheit gefeiert wurde, war es den Polizisten  zu bunt. Sie ritten in die Versammlung und trieben die Teilnehmer auseinander. Theodor ging noch einmal hoch zu den Grimms, wo er sich mit Hoffmann unterhalten konnte und ihn dabei an seinen Auftritt vor jenaischen Studenten zwei Jahre zuvor erinnerte.

Auszug aus: 

Renate Hupfeld, Theodor Althaus - Revolutionär in Deutschland


Taschenbuch bei  http://www.text-und-byte.de/




Sonntag, 16. Dezember 2012

Freiheitstanz und Zensur

Zu Theodor Althaus Erzählung "Ein Freiheitstanz"

Theodor Althaus hat  die "Geschichte einer schönen Tänzerin“ ein Jahr vor den Märzereignissen des Jahres 1848 geschrieben. Er hatte sein Studium der Theologie und Philologie in Bonn, Jena und Berlin erfolgreich absolviert und auf Wanderungen an Weser und Rhein festgestellt, dass es für einen wie ihn, der die „faulen Früchte“ in seinem Lande nicht nur entdeckte, sondern auch offen benannte, keine berufliche Perspektive gab. Ihm blieb das Wort in Rede und Schrift. Das beherrschte er allerdings glänzend und so wurden seine Essays und Erzählungen in zahlreichen Büchern und Magazinen publiziert. Zeitgleich mit dem Scheitern der  deutschen Revolution im Mai 1849 landete Althaus im Gefängnis vor dem Clevertor in Hannover. Drei Jahre später starb er in Gotha, nicht einmal dreißig Jahre alt.
Am Beispiel der seinerzeit Aufsehen erregenden Affäre des bayrischen Königs Ludwig I. mit der spanischen Tänzerin Lola Montez gibt Theodor Althaus ein Bild der Situation in Deutschland zur Zeit des Vormärz. In dieser Satire wird eine Bandbreite der Ungereimtheiten in den monarchischen Strukturen der Metternichära vorgeführt, wie das Mätressenwesen, verantwortungsloser Umgang mit der Macht und philisterhaftes Untertanendenken. Die schöne Lola liegt vor den faszinierten Blicken des alternden Königs auf dem Diwan und „klätschelt“ mit ihrer kleinen Reitpeitsche ihr rechtes Bein. Die realen Namen der Protagonisten sowie des Schauplatzes mussten nach Beanstandungen des Leipziger Zensors geändert werden. So wurde aus Lola Carambola, aus König Ludwig der alte Herr, aus Minister Abel Herr von Kain und aus der Stadt München der Ort Klostersingen.


Friedrich Althaus (Theodors jüngerer Bruder) über „Märchen aus der Gegenwart“ und Zensur
speziell im Zusammenhang mit  „Ein Freiheitstanz“ in seiner Biografie
Theodor Althaus, Ein Lebensbild, Bonn, Verlag von Emil Strauß, 1888  (S. 244 – 246)

Das bedeutendste literarische Resultat dieser Leipziger Zeit [seines Bruders Theodor] waren ohne Frage die  „M ä r c h e n   a u s  d e r  G e g e n w a r t“ […]. In Deutschland blühte damals noch die Zensur, und eines Tages erlebte es Theodor, daß er mit seinem Verleger zum Zensor gehen musste, um das Urtheil dieser Autorität über sein Buch zu vernehmen. Unterwegs wurde ihm als nicht uninteressante Tatsache mitgeteilt, dass der Zensor nach der Zahl der censirten Bogen bezahlt werde und auf diese Weise etwa 1800 Taler jährlich verdiene, dafür aber auch „arbeiten müsse wie ein Pferd“. Übrigens fand er in dem gefürchteten Tyrannen der Presse „ein ganz traktables kleines Männchen“. Der Zensor bestand nur darauf, dass in einem der „Märchen“ die Namen geändert würden, „damit nichts direkt auf gewisse hohe Personen bezogen werden könne“, und erteilte für den Rest sein Placet.
Der Titel „Märchen aus der Gegenwart“ mochte Erwartungen wecken, die im gewöhnlichen Sinne des Worts nicht erfüllt wurden, aber in Wahrheit deutete er aufs Treffendste den eigentümlichen Inhalt des Buches an. Es waren Zeitbilder, teils in autobiographisch erzählender, teils in novellistischer Form – vorrevolutionäre Zeitbilder, an denen das Märchenhafte der überall hervorbrechende Gegensatz war, worin sie zu den Idealen einer ersehnten besseren Welt der Zukunft erscheinen. Dass es dies war, was der Verfasser selbst im Sinne hatte, bestätigte der Schlusssatz seines Buches: „Mögen wir hoffen oder fürchten – wenn wir es nur verstehen, dass alles Edle in seinem Jugenddrang der Welt eine Torheit und ‚den Leuten ein Märchen’ gewesen ist.“ Das Edle in seinem Jugenddrang, die schmerzliche Erkenntnis der Mängel der in den Wehen der Wiedergeburt gärenden gegenwärtigen Welt, das hochfliegende Streben und die begeisterte Hoffnung auf die Verwirklichung einer ihrem Ideal entsprechenderen menschlichen Gemeinschaft – das ist der wesentliche Inhalt der „Märchen“, wie es in anderer Form der wesentliche Inhalt der „Gedichte“ und der „Zukunft des Christentums“ gewesen war. Phantasie und Geist, leidenschaftliche Empfindung und scharfe psychologische Analyse, Erfahrung und Denken und künstlerische Gestaltungskraft wirken zu diesem Resultat zusammen.
Nur eins der „Märchen“ zeigt eine vorwiegend objektiv-humoristische Haltung, dasselbe, in welchem der Zensor die Namen geändert wünschte. Unter dem Titel „Ein Freiheitstanz“ stellte diese Novelle mit übersprudelndem Witz und Geist jenes seltsame Vorspiel der deutschen Revolution dar, in dem König Ludwig von Bayern, Lola Montez, Herr von Abel u. A. die Hauptrollen spielen. München erscheint in der Verkleidung von Klostersingen, König Ludwig als „der alte Herr“, Herr von Abel als Herr von Kain, Görres als Jürgen, Lola als Carambola. Dem größeren Publikum, dem es besonders darauf ankam, sich zeitgemäß zu unterhalten, musste diese lustige politische Komödie vor allem andern gefallen. In Bezug auf den Verfasser ist sie von Interesse als Spiegelbild einer humoristisch heitern Laune, die ihm keineswegs fehlte, wenn sie auch nur verhältnismäßig selten aus der vorwiegend ernsten Grundstimmung seines Geistes aufquoll. Nicht dass die übrigen „Märchen“ jener Laune absolut entbehrtem, aber ohne Frage heben sie sich in höherem Grade ab von dem idealen Hintergrunde der Sehnsucht und der Resignation.

Die Geschichte von König Ludwig und seiner Mätresse Lola Montez gibt's in

Theodor Althaus: Mährchen aus der Gegenwart


Biografisches:

1822 – 26. Oktober 1822 - Theodor Althaus wird in Detmold geboren.
1840 - Abitur am Detmolder Gymnasium
1840 / 1844 - Studium der Theologie in Bonn und Jena, Philologie in Berlin
1844 - Ohne berufliche Perspektive zurück im Elternhaus.
1845 - Vorträge in Detmold und Artikel für die Bremer „Weser-Zeitung“
1846 -  „Zukunft des Christenthums“
1846 -  „Eine Rheinfahrt im August“
1847 - Schriftsteller, Journalist und Übersetzer in Leipzig               
1848 - Korrespondent und leitender Redakteur der „Bremer Zeitung“
1849 - Leitender Redakteur der „Zeitung für Norddeutschland“ in Hannover
1849 - 14. Mai 1849 Gefängnis vor dem Clevertor wegen Staatsverrat
1850 - Entlassung aus dem Staatsgefängnis St. Godehard in Hildesheim
1850 - „Aus dem Gefängniß“
1851 - Lehrerstelle an der Hamburger Hochschule für Frauen
1851 - Ausweisung aus Hamburg
1852 – 2. April 1852 - Theodor Althaus stirbt in Gotha.


Dienstag, 11. Dezember 2012

Vier Dichter aus Detmold


Wenn man sich in Detmold auf die Spuren von Theodor Althaus begibt, findet man um den Marktplatz herum all die stummen Zeugen seines Lebens und Schaffens. Da ist sein Geburtshaus in der Bruchstraße 2, ein paar Schritte entfernt das Pfarrhaus unter der Wehme, in dem Georg Weerth geboren wurde und in dem der Superintendent Georg Friedrich Althaus später mit seiner Familie wohnte. Das ist in Sichtweite der Stadtkirche und direkt nebenan des Detmolder Rathauses, in dem zu Althaus Zeiten der wichtigste gesellschaftliche Treffpunkt der Stadt untergebracht war, die "Ressource". Und wieder ein paar Schritte weiter findet man das Geburtshaus von Ferdinand Freiligrath und das Sterbehaus des Dramatikers Christian Dietrich Grabbe. 


Geburtshaus von Ferdinand Freiligrath (1810 - 1876)
Sterbehaus von Christian Dietrich Grabbe (1801 - 1836)

Geburtshaus von Weerth (1822 - 1856)

Geburtshaus von Theodor Althaus (1822 - 1852)







Informationen zu:



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Mittwoch, 28. November 2012

Nordischer Wintergarten


Wie ein „Nordischer Wintergarten“ musste Theodor Althaus die kleine Welt in Detmold vorgekommen sein, als seine Freundin Malwida von Meysenbug im Herbst 1844 für einige Monate in die Provence reiste. Ohne berufliche Perspektive nach dem Abschluss seines Studiums waren die Gespräche mit ihr mehr als nur Lichtblicke gewesen. Er hatte sich verliebt in die Frau, die seit seiner ersten Predigt in ihm einen jungen Apostel sah. Poetische Abschiedsgrüße gab er ihr mit auf die Reise und schrieb weitere Gedichte in seiner einsamen Dichterstube. 

Widmung

Wie diese Lieder sind entsprungen.
Zu sagen weiß ich selbst es kaum;
In dunkler Zeit ward ich umschlungen
Von einem fesselnd holden Traum.

Mir waren weit in kranken Stunden
Die zarten Geister all’ entflohn;
Da fühlte sich das Herz gesunden
An deiner Stimme süßem Ton.

Als ich dich sah, da fühlt’ ich wieder,
Daß jung und reich noch ist mein Herz,
Daß ich noch Blüthen hab’ und Lieder,
Nicht bloß des Geistes schweres Erz.

Und wie die Frühlingsblüthen danken
Der Sonne, die sie rief zum Licht:
So gönn’ auch diesen frischen Ranken,
Daß um dein Haupt ihr Kranz sich flicht.


Sehnsucht

Ich fühle mich vom Kampf ermüden,
Von all dem Grübeln bleich und matt;
Mein Herz, du sehnst dich wohl nach Frieden,
Nach einer holden Ruhestatt?

Du wärst wohl gern in Südens Fernen
Von sanften Lüften eingewiegt?
Doch ach, du musstest oft schon lernen,
Daß nur der Wunsch hinüberfliegt.

Es fröstelt dich in deinem Norden
Mit seinem bleichen Schneegewand;
Sein Himmel ist so grau geworden,
So schwer, wie ich es nie empfand.

Mein armes Herz, was nun beginnen?
Natur ist bis zum Frühling todt,
Und  S e h n s u c h t  nur hast du von innen
Nach einem warmen Lebensroth.

Ja, wenn dir das erschiene, trieben
Die Blumenknospen vor der Zeit,
Du würd’st dich in den Schnee verlieben,
Und sängst des Winters Herrlichkeit!


Hyazinthe.

O herrlicher Frost, o Winterpracht,
Wie könnt ihr die Brust so schwellen!
Der ganze Himmel ist blau und lacht,
Und mir sprudeln die frischesten Quellen.

Eine Frühlingsblume hab’ ich gesehn,
Trotz Eis und rauhen Lüften,
Eine Hyazinthe roth und schön:
Ich bin wie berauscht von Düften!

Es ist alles vergessen, ist alles gut,
Und das Leben geht auf im Norden!
Mir ist als würde hellroth mein Blut,
Das so schwarz und trübe geworden.

Es strömt ins Herz und in die Wangen mir,
So oft ich sie nur sehe;
Ich hab’ keine Ruh, bin ich fern von ihr –
Und noch minder in ihrer Nähe!

Da umflimmern mich rothe Phantasien,
Und keine Stunden zähl’ ich;
Im Herzen spür’ ich ein Wachsen und Blühn
Und ein Singen so heimlich und selig. –

Ach,  e i n e n  Aerger hab’ ich nur!
Misanthropisch könnte ich werden,
Wenn ich sehe, wie sie mir sind auf der Spur,
Die Philisterinnengeberden;

Wenn es überall schon schwatzt und gafft –
Wohl- oder Uebelgesinnte  -:
Ueber meine romantische Leidenschaft
Für die schöne Hyazinthe!



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Montag, 26. November 2012

Der Hallgartenkreis

Hallgarten im Rheingau
© Renate Hupfeld



Der Hallgartenkreis war ein Zusammenschluss von oppositionellen Politikern aus allen Teilen von Deutschland. Seit Beginn der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts fanden regelmäßige Versammlungen statt, zuletzt auf dem Weingut von Johann Adam Itzstein in Hallgarten, einem Ort im Rheingau zwischen Mainz und Bingen. Hier oben in den Weinbergen mit Blick auf den Rhein und das gegenüberliegende Rheinhessen tagten die Mitglieder mehr oder weniger konspirativ, planten eine Nach-Metternich-Ära und bereiteten somit das Entstehen des Frankfurter Parlamentes vor. Bekannte Mitglieder waren außer Itzstein Friedrich Daniel Bassermann, Robert Blum und der spätere Präsident der Nationalversammlung Heinrich von Gagern. 



Hallgarten – Blick auf Rhein und Rheinhessen
© Renate Hupfeld


Hintergrundinformationen zu: 

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Samstag, 24. November 2012

1837 "Sieben gegen den König"


Skulpturengruppe auf dem Platz der Göttinger Sieben in Hannover 
Foto: © Renate Hupfeld

aus: Sieben gegen den König, Texte und Materialien zum Hannoverschen Verfassungskonflikt 1837, Historisches Museum Hannover

Seite 7:

Sie sind keine Märchenfiguren

... auch nicht die Turmspitzen einer Stadt oder Hügel im Leinebergland: Die Göttinger Sieben waren Professoren der Universität Göttingen, die sich 1847 gegen König Ernst August von Hannover stellten. Der neue Regent hatte per Dekret das liberale hannoversche Staatsgrundgesetz außer Kraft gesetzt. Die Sieben fühlten sich weiterhin der Verfassung verpflichtet und verweigerten aus Gewissensgründen dem König die Huldigung. Die folgende Auseinandersetzung im November 1837 war im Kern ein 'Kampf der - politischen - Kulturen': Absolutismus gegen Konstitutionalismus.
Der Monarch von Gottes Gnaden kämpfte um seinen Vorrang gegenüber einer Verfassung, die seinen Handlungsspielraum einschränkte. Für den Moment musste sich das Neue der alten Macht noch beugen. Die Göttinger Sieben wurden entlassen, drei von ihnen außer Landes gezwungen. Aber sie waren nicht allein, eine breite Öffentlichkeit im In- und Ausland verfolgte das Geschehen und unterstützte die Verfolgten. Vier der Göttinger Sieben waren 1848 Mitglieder der Paulskirchenversammlung und gelten damit als Wegbereiter der parlamentarischen Demokratie in Deutschland.

Seite 26:

Ein König, sieben Professoren, zwei Welten

Mit seiner Verfügung vom 1. November 1837 erklärte König Ernst August das Staatsgrundgesetz von 1833 für 'erloschen'. Die Professoren der Göttinger Universität berieten daraufhin über mögliche Reaktionen, und Friedrich Christoph Dahlmann formulierte einen Protestbrief. Eher durch Zufall fanden sich sechs seiner Kollegen, die diese 'Protestaktion' ebenfalls unterschrieben.

So wurden

der Historiker und Staatsrechtler
Friedrich Christoph Dahlmannn,

die Germanisten
Wilhelm und Jacob Grimm,

der Staatsrechtler
Wilhelm Edurard Albrecht,

der Orientalist
Heinrich August Ewald,

der Literaturhistoriker
Georg Gottfried Gervinus,

und der Physiker
Wilhelm Weber

zu den Göttinger Sieben.

Die Motive der Unterzeichner waren unterschiedlich. Für Dahlmann, der ja zu den 'Vätern' der aufgehobenen Verfassung gehörte, war die Auseinandersetzung eine hochpolitische Angelegenheit. Den Brüdern Grimm, Albrecht und Ewald ging es um sittlicher Werte: Sie fühlten sich an ihren Diensteid auf die Verfassung gebunden und hielten es für unmoralisch, sich durch einen königlichen Verfassungsbruch entpflichten zu lassen. Bei Gerwinus mag eine allgemeine Lust an Provokationen mitgespielt haben, und Weber wird wohl die volle Tragweite des Protestes nicht übersehen haben. Alle sieben waren jedoch angesehene Wissenschaftler und geachtete Bürger Göttingens. In ihrem Protest zeigten sie sich nun als mündige Staatsbürger.

König Ernst August jedoch verlangte Untertanen. Aus seinem Verständnis als Monarch von Gottes Gnaden hatte er schon als Thronanwärter das Staatsgrundgesetz abgelehnt. Dies diente ihm nun als Rechtfertigung für die Aufhebung der Verfassung.



Lebensgeschichte eines Journalisten, der im Kampf um die Reichsverfassung
im "Gefängniß vor dem Cleverthor" in Hannover landete:

Theodor Althaus. Revolutionär in Deutschlad



Mittwoch, 21. November 2012

1848 Letzte Wochen in Bremen



In diesen dunkelgrauen Zeiten hatte der junge Redakteur manchmal das Gefühl, er müsse zusammenbrechen. Woher nahm er nur die Kraft, damit das nicht geschah? Er lernte zu schätzen, was es bedeutete, eine Familie und Freunde zu haben, die bedingungslos zu ihm hielten. Wie in ruhigeren Lebensphasen, nahm er sich wieder die Zeit, ihnen zu schreiben.
Friedrich bekam einen Brief nach Leipzig, wo er sein Studium fortsetzte, mit den gewohnten Ratschlägen. Vor allem riet er dem Bruder, er sollte das Beste wählen, das Leipzig zu bieten hätte, sei es Musik oder Theater. Dabei sagte er ihm seine finanzielle Unterstützung zu.
Auch dem Großvater schickte er einen ausführlichen Bericht nach Potsdam, in dem er sich für dessen Brief bedankte, ihm von den Belastungen durch seine Arbeit erzählte und einen Gruß von Tischlermeister Cord Wischmann ausrichtete, der sich gerne an den Prediger Dräseke in St. Ansgarii erinnerte und jetzt Vorsitzender des Bürgervereins war. In dem Zusammenhang berichtete er auch über die Unterstützung, die er von Wischmann und dessen Bürgerverein gegen die gemeinen Anfeindungen bekommen hatte.
Der Mutter schrieb er am 1. Dezember, dass nun bald die Übersiedlung nach Hannover anstehe, wo er mit einem jungen engagierten Verleger zusammenarbeiten würde. Es werde viel Arbeit auf ihn zukommen, sodass er schon jetzt sagen könne, dass er Weihnachten nicht nach Detmold komme. Es sei jedoch ein Trost, dann in Hannover doch ein Stückchen näher an Detmold zu sein als jetzt in Bremen. „Liebe Mutter!“, schrieb er. „Die Wege, auf denen ich sonst in meinen Briefen wohl lustwandelte, sind jetzt, in diesen Monaten, äußerst verwachsen, und es scheint zuweilen, als ob keine Seele je da gewesen wäre. Laß Dich’s nicht irren, wie ich’s auch nicht thue. Stellt man sich in die Ferne, so sieht man ja doch einen grünen Schimmer, nur ist es mehr Urwald als Gartenland, wie vorher. Es wird aber auch schon wieder eine Zeit kommen, wo freundliche Hände die Zweige auseinanderbiegen und doch noch Blumen und Sprossen im Schatten entdecken.“

Leseprobe aus: 

Theodor Althaus - Revolutionär in Deutschland

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Donnerstag, 15. November 2012

1848 Schwere Tage in Bremen

Leseprobe aus: Renate Hupfeld, Theodor Althaus - Revolutionär in Deutschland


Umtriebe gegen die "Bremer Zeitung"

[...]


Als Agitation und Boykott über die Zeitung hinaus sogar gegen die traditionelle Heyse’sche Verlagsbuchhandlung ausgedehnt wurden, entschied der Verleger, einen Schlussstrich zu ziehen und sich von der Zeitung zu trennen. Die Bremer Zeitung wurde an die Gebrüder Jänecke in Hannover verkauft, im Einvernehmen mit Theodor Althaus, der sie dort unter dem Namen „Zeitung für Norddeutschland“ weiter redigieren würde.
 „Schwere Tage“, notierte er. „Durch die unsittliche Finesse und die ganze Perfidie mich indirect als Rothen zu schildern, fühlte ich die letzten Fäden reißen.“
Dem bevorstehenden Ortswechsel konnte er durchaus positive Aspekte abgewinnen. Hannover war besser an das Eisenbahnnetz angebunden als Bremen und somit erreichten die neuesten Nachrichten die Redaktion schneller als bisher. Doch so richtig wollte der Blick nach vorne und das Entwickeln von Perspektiven noch nicht gelingen. Zu tief saß der verletzende Stachel. Die bittere Enttäuschung brachte sein inneres Gleichgewicht ins Wanken. Er bekam Husten und wurde krank.  „Konnte nicht schreiben, fühlte mich mit kurzen Unterbrechungen wie todt, wie vernichtet, sah mit Grauen dem Winter und mit Ekel dem Leben entgegen.“
Trost fand er in der Korrespondenz mit seiner Cousine Minna Schmitson in Frankfurt, die er auch seinerseits trösten musste, weil ihr Vater als Angestellter bei der Bundesmilitärkommission während des Straßenkampfes am 18. September eine Verwundung davongetragen hatte: „Aber es gilt auszuharren und treu zu bleiben. Ein Frühling kommt, in Menschenwelt und in Natur wird er uns wiederkehren!“
Einige Tage später war von der Hoffnung auf Frühlingserwachen nichts mehr zu spüren. Am liebsten hätte er losgeheult, als seine Schwester Elisabeth in seinem Zimmer vor ihm stand und ihn an sich drückte. Die treue Seele war zu seinem Geburtstag nach Bremen gekommen. Sechsundzwanzig Jahre alt wurde er und kam sich vor, als hätte er das ganze Leben schon hinter sich. Selbst die Freude über das Wiedersehen mit Elisabeth konnte seine Stimmung nicht verbessern. Ihr gegenüber gab er sich optimistisch, wusste er doch, sie würde alles der Mutter erzählen und die sollte sich keine Sorgen machen. Wie er sich wirklich fühlte, vertraute er nur seinem Tagebuch an: „Ich habe verloren, ich weiß nicht mehr zu sprechen wie sonst, seit ich so viel lese und schreibe. Ich kenne die Herzen nicht mehr so, seit ich mir selbst so wenig, so fast niemals angehöre.“
Der Umzug nach Hannover verzögerte sich, das politische Geschehen nahm unentwegt seinen Lauf. In der Frankfurter Paulskirche hatten die Abgeordneten der Nationalversammlung trotz zunehmender Fraktionsbildung noch immer ein gemeinsames Ziel, eine Reichsverfassung. Die Arbeit an den Grundrechten und einzelnen Passagen des Verfassungswerks ging voran. In Ausschüssen wurde diskutiert, bearbeitet und beschlossen. Darüber und über den Ablauf der Sitzungen in der Paulskirche informierte die Bremer Zeitung ihre Leser regelmäßig und ausführlich, ebenso über Entwicklungen und Geschehnisse in den einzelnen Ländern. 

Theodor Althaus - Revolutionär in Deutschland

erzählende Biografie von Renate Hupfeld

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Dienstag, 13. November 2012

1848 Trauerspiel in Wien



Leseprobe aus: Theodor Althaus - Revolutionär in Deutschland

Trauerspiel in Wien

[...]


Dabei hatte das „Trauerspiel Oesterreich“ so vielversprechend begonnen mit einem „Frühlingsschauer von Liebe, Dank, Jubel und stolzer Freude“, der Metternich, den verhassten Drahtzieher des Deutschen Bundes, verjagt hatte. Althaus dachte an seine vor der Knute Metternichs geflüchteten österreichischen Dichterfreunde in Leipzig und deren Erzählungen von jungen Märtyrern der Freiheit und von Klagelauten jenseits der schwarzgelben Schranken. In diesem Wiener Frühling war sowohl der Zusammenhalt der österreichischen Volksgruppen als auch die Zugehörigkeit zu Deutschland in Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gegeben. Doch mit den Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Volksgruppen und der militärischen Einmischung der Deutschen war das gemeinsame Ziel völlig verwischt und für Althaus in weite Ferne gerückt.
Und das Trauerspiel hatte den Höhepunkt noch nicht erreicht. Die Stadt Wien wurde von kaiserlichen Truppen unter Windischgrätz eingekesselt und am 31. Oktober 1848 zurück erobert. Zweitausend Todesopfer, viele Verletzte und schreckliche Verwüstungen hatte der Aufstand gekostet. Und die herrschenden Rächer wüteten gnadenlos mit Verhaftungen, Verhören und Todesurteilen.
Die schockierendste Nachricht des Jahres war in der zweiten Ausgabe der „Bremer Zeitung“ vom Montag, dem 13. November 1848, zu lesen. Es war die Wiedergabe einer amtlichen Bekanntmachung aus Wien, die jeden Freund der demokratischen Bewegung in tiefster Seele traf:
„Mittelst  st a n d r e c h t l i c h e n  U r t h e i l s  vom 8. d. M., ist  R o b e r t  B l u m, Buchhändler aus Leipzig, überwiesen durch sein eigenes Geständniß, wegen aufrüherischen Reden und bewaffneten Widerstande gegen die kaiserlichen Truppen in Folge der von S. Durchlaucht dem k. k. Herrn F. M. Fürsten zu Windischgrätz unterm 20. und 23. Oct. erlassenen Proclamationen  z u m  T o d e  v e r u r t h e i l t,  und das Urtheil am 9. November 1848 Morgens um halb acht Uhr in der Brigittenau mit  P u l v e r  u n d  B l e i  v o l l z o g e n   w o r d e n.“
Das war weit schlimmer, als Theodor Althaus es sich in seinen schlimmsten Visionen hätte vorstellen können. Ein erschütternder Schlag mitten in das Herz. Gab es denn nur noch Niederlagen? So sah die Konterrevolution aus. Es ging um Leben und Tod.
Robert Blum! Was für ein Mann! Gelebte Überzeugung. Stark wie keiner. Wie konnte das passieren? Es fiel Theodor Althaus schwer, an diesem Novembertag seine Gedanken zu ordnen, doch den Nachruf war er seinem Freund schuldig. Sein bitterer Tod sollte nicht umsonst gewesen sein.
Erst ein Jahr war vergangen, seitdem Blum beim Schillerfest in Leipzig gewirkt hatte, als Mann des Vertrauens, der das Volk aufhorchen ließ und der überzeugte. Dann die Märznacht, als noch das revolutionäre Ungestüm Triumphe feierte und er im kleinen Kreis die politischen Ziele seiner Gruppierung für das Vorparlament festlegte, voller Hoffnung und Zuversicht. Drei Monate später, im Juni,  als Führer der Linken seine Rede zur Zentralgewalt, belächelt und verlacht und doch so wahr, vor allem der Schluss:
„Wollen Sie das Himmelsauge der Freiheit brechen sehen und die alte Macht heraufführen:  s c h a f f e n  Sie ihre  D i c t a t u r.“
War das nun Wirklichkeit geworden? War nicht in der Zentralgewalt tatsächlich die alte Macht wieder hervorgekommen? Sogar zur Diktatur geworden, wenn sie es in Kauf nahm, dass ein vom deutschen Volke gewählter Vertreter für ein deutsches Parlament, auf deutschem Boden ohne rechtliche Grundlage hingerichtet wurde? Windischgrätz müsse sofort seines Kommandos enthoben, zur Verantwortung gezogen und bestraft werden, verlangte Althaus in seinem Leitartikel am 14. November 1848.




Sonntag, 4. November 2012

Erinnerungen an Robert Blum

Am 9. November 1848 wurde Robert Blum, Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung, in der Brigittenau bei Wien standrechtlich erschossen.



Theodor Althaus schreibt in seinem Buch "Aus dem Gefängniß"  (Bremen, Verlag von A. D. Geisler, 1850) über seine Erinnerungen an den Freund:

Die Robert-Blum-Legion im badischen Feldzuge! Wie ein Racheschrei aus dumpfer Ferne klang mir das Wort nur einmal herüber; eine Erinnerung, kaum aufgetaucht und schon wieder von den Ereignissen überfluthet. Die Legion ist verschollen; wer hat von ihren Thaten gehört? Sie wurde in das unselige Chaos jener Bewegung mit hineingerissen und zersprengt, ohne eine bleibende Gestalt im Andenken des Volks, wie ein zehntes Regiment oder wie die Hanauer Turner gewinnen zu können. Dann, bald darauf unter der preußischen Herrschaft, ward Robert Blum wieder genannt, als die giftigen Stiche des Hasses den Todten noch über das Grab hinaus verfolgten: Gefängniß für den Arbeiter, der das Bild des Volksmannes auf dem Pfeifenkopfe trug, Gefängniß selbst für die Trauerschleife am Hut, deren stumme Sprache vergebens an den Frieden der Todten und ihre Ungefährlichkeit mahnte! Es konnte nicht anders sein; ergrimmt über die, welche ihn als rächenden Geist auferwecken wollten, thaten seine Feinde wie die alten Ketzerrichter, wenn sie die verehrte Asche in den Wind streuen ließen. Und doch fanden sich noch immer Einzelne, die der Drohung Trotz boten und die Strafe ertrugen. War er denn wie Hecker, die Feuerzunge des jungen Ideals, Republikaner gewesen? Jeder glaubt, daß er es war; aber vor welcher Versammlung hat er jemals die Republik gepredigt oder die Fürstenvertreibung? Nie und nirgends! – So war euer Held denn einer von den Schwankenden, die ihr verachtet? – Der Mann mit dem Blum-Hute erwidert nur zwei Worte, um alle Verläumdungen zu widerlegen und alle Verehrung zu rechtfertigen: - „Er war  e i n  M a n n  d e s  V o l k s !“
Dem Bürger, der ihn Abends unter seinen Freunden beim Seidel Bier in vollster Behaglichkeit und gemächlich langsamer Conversation sah, mußte unbedingt das ganze Herz aufgehn bei diesem Ideale deutscher Wirthshausgemüthlichkeit. Der Proletarier, wenn er den mühseligen Weg des kölner Küpersohnes von unten auf bis ins deutsche Parlament beschrieben las, sah in ihm mit Befriedigung seines Gleichen, und wenn der Mann aus dem Volke nun selbst auf der Tribüne vor ihm stand, im bequem-nachlässigen Anzuge, mit dem Hemdkragen ohne Halstuch, mit dem dichten Bart- und Haupthaar um das geröthete Gesicht: dann fühlte er unwidersprechlich: der gehört ganz zu uns! Die Rede endlich erhob ihn und ließ den Redner in seinen Augen steigen, aber wie dankbar war das große Publikum auch da für die unübertroffne wohlthuende Deutlichkeit und Klarheit des Vortrags! Die Gedanken gingen nie über das Allgemeinverständliche in sentimentaler Ausschmückung und entsprechendem Tone hinaus, und hell bis in alle Winkel und Enden drang diese Glockenstimme. Es war insofern für Jeden eine Lust, ihn zu hören, und nach dem ermüdend ängstlichen Horchen auf so manche andre Nichtredner, ging ein allgemeines Aufathmen durch die Paulskirche, wenn Blum die Tribüne bestieg. Verwöhnte Ohren konnte auch er, wie Glockengeläut, ermüden, obwohl er nie zu lang sprach; das Volk aber konnte nicht satt werden, ihn zu hören. Was seine Lebensgeschichte, sein Ruhm und seine Reden vorbereitet hatten, vollendete jedes Mal seine persönliche Gegenwart unter dem Volke, während die Gebildeten oft von ihr enttäuscht wurden. Die Letzteren konnten sich über den würdelosen Eindruck seiner Erscheinung hinwegsetzen; die Massen empfingen dagegen mit Befriedigung diesen ganz ausgeprägten Repräsentanten ihres eignen Charakters, und dem idealen Bedürfnisse derselben genügte vollkommen seine Beredsamkeit die von uns gewöhnlich nur als gewaltiges Mittel zum Zweck der Massenwirkung bewundert wurde.
Man hätte demnach meinen können, zur Idealisirung und gar zum religiösen Cultus sei keine Persönlichkeit in eminenterem Grade ungeeignet gewesen als eben Robert Blum. Wie mächtig im Volke der dunkle Drang nach neuen Idealen und ihrer Verehrung ist, zeigte sich überraschend, als im November 1848 die gedrängten Trauerzüge durch die deutschen Städte zur Feier seines einsamen Märtyrertodes zogen. Die Choräle und Gebete, bei denen wir doch manches frivole Haupt sehr ernst entblößt sahen, hätten freilich nur dem Tode gelten können; aber die Redner sprachen ganz im Sinne des Volks, wenn sie ihn verglichen mit allen Heroen und Märtyrern, bis hinauf zu dem Galiläer, der für die Freiheit der ganzen Welt sein Blut gab. Und wieder muß man doch gestehen, daß sie es im Geiste des Todten thaten. Ich glaube, daß Blum, wenn er in einem ähnlichen Falle eine Leichenrede zu halten gehabt hätte, in ähnlicher Weise geredet haben würde, und die Thränen würden ihm aus vollem Herzen gekommen sein. Wer ihn auch nicht persönlich kannte, wird doch aus seinen letzten Zeilen die charakteristische Weichheit seines Herzens empfunden haben, und Niemand würde sich wundern, jene Worte: „Alles, was ich empfinde, rinnt in Thränen dahin!“ in einem Psalm zu lesen, statt in Blums Abschiedsbrief. Daß in fast allen seinen Reden die  m o r a l i s c h e  Anschauung ihren Platz neben der bloß politisch calculirenden fand, mag man als ein Resultat seiner Bildung bezeichnen, aber diese Bildung war  s e i n  geworden und eben so wenig berechnet als die große persönliche Gutmüthigkeit und Herzlichkeit seines Wesens. Viele haben ihn gehasst; er selbst hat schwerlich einen persönlichen Feind gehabt. Was er redete oder that: der Mittelpunkt war stets das Allgemeine, nur die Sache, der er so lange Jahre, länger und mehr als die Meisten wissen, gedient hatte.
[…]
Seine Persönlichkeit, so ganz aus Einem Guß, machte es allerdings schwer, ihn in dieser Beziehung anzugreifen; sie machte manchen doch wieder irre in der verwerfenden Kritik. Das Resultat dieses Schwankens war aber, daß seine Gegner ihn endlich, an der tieferen Erklärung verzweifelnd, für einen geschickt berechnenden Intriganten und nichts weiter erklärten. Man wird in allen Zeitungscorrespondenzen jener ersten Monate die Verlegenheit der Beobachter sehen; alle vermuthen, daß noch etwas hinter ihm stecke, keiner wagt zu entscheiden, was es denn eigentlich sei und wen man vor sich habe. – Einzelne wollten damals, wie schon früher, etwas Lauerndes in ihm bemerken; ich las etwas andres in seinem Auge und seinem ganzen Wesen. Etwas von Triumph und Hoffnung! Es war zuweilen, als spiele er nur mit den Dingen, als belustige seine Phantasie sich an diesen kleinlichen Kämpfen und Vorbereitungen auf größere Dinge. Die Schöpfung der Centralgewalt gab dieser Sicherheit den ersten Stoß, ich hörte es an einem sehr seltnen Ton seiner Stimme, den ich nur zweimal vernommen habe, so oft ich ihn auch öffentlich und im Privatleben reden hörte. Ein Ton, der aus dem tief erregten Seelengrunde hervor, die glatte Oberfläche mächtig zerbrach.
Das erstemal in Leipzig, im Privatkreise. Ein günstiger Zufall hatte mich gerade den Abend zu Blum geführt, wo die sächsische Partei vor der Abreise zum Vorparlamente die in Frankfurt und weiterhin zu befolgende Politik berieth. Es war eine kleine Gesellschaft, die das Wohnzimmer des Hauses bequem faßte, aber die Meinungen zu vereinigen, schien sehr schwer. Detaillirte Feldzugspläne wurden entwickelt, Einzelheiten riefen sehr abschweifende Debatten hervor, hartnäckige Wiederholungen waren häufiger als ausgleichendes Verständigen, und so waren nach einem frugalen Abendbrod die nächtlichen Stunden eine um die andre verflogen und eine unerfreuliche Zersplitterung schien das einzige Resultat zu sein. – Blum, der am oberen Ende des Tisches sein Ehrenrecht des Präsidiums bisher kaum dann und wann ausgeübt und selbst eigentlich noch gar nicht gesprochen hatte, pochte plötzlich auf den Tisch und ergriff das Wort, rasch, kurz und heftig; es war wie die Scene im Fiesko, wo mit Einemmal der Führer und Feldherr der Verschwornen sich unter ihnen aufrichtet. Die  T h a t  und nichts als die That, der er voranging, war der Ton dieser Worte; es grollte etwas wie Zorn über die unnützen Hindernisse, die eben diesen Weg ihm versperren wollten, in seiner Stimme. Und doch ergreift mich wieder mit tiefer Rührung das Bild, wie seine Schwester, halb seitwärts hinter seinem Stuhle lehnend, so zärtlich stolz auf den geliebten Bruder herabsah!
Das zweitemal war es im Parlament, in seiner Rede über die Centralgewalt. Die Rede floß wie die gewöhnlichen, eintönig hin und hielt sich in den allgemeinen Gründen gegen die Unverantwortlichkeit; aber in der Brust des Redners quoll unter diesem ebnen Strome das Gefühl empor, daß die Verantwortlichkeit der Nerv der Freiheit sei, das Erbtheil des Volks, die Ehre des Republikaners! Daß mit der Unverantwortlichkeit der erste Grundstein zu dem kaum gebrochnen Zwingdeutschland wieder gelegt, und seine Hoffnungen, auch seine persönlichen, wie eine Wolke fern verschwinden würden vor dem Einzuge der alten Macht. Das Wort vom „brechenden Himmelsauge der Freiheit,“ das vielverhöhnte, sprach er noch halb im alten Kanzelton, aber am Schluß brach jenes unausgesprochne  bittre Gefühl überwältigend aus in die mit vollem Haß und Ingrimm hingeschleuderten halb verschluckten Worte: „so  s c h a f f e n  S i e  I h r e  D i k t a t u r !“  Es war, als streckte er zum erstenmal die Löwenklaue hervor.
Doch sein ursprünglich sanguinisches Temperament, in dieser Zeit besonders lebhaft unter dem angewohnten Phlegma durchscheinend, wiegte ihn bald wieder in Hoffnungen ein. War es denn möglich, daß Gagern, der eben damals den kühnen demokratischen Griff gethan, ihn nur zum Vortheil der Fürsten gethan haben sollte oder wollte? Und würden die Fürsten, die doch beleidigt waren, diesen Vortheil auch nur erkennen? Mußte also die neue Centralgewalt, um sich den eifersüchtigen Fürsten gegenüber zu halten, nicht nothwendig populär auftreten und Concessionen an die Linke machen? Damals erschien dieser Gedankengang eben so vernünftig, wie er uns jetzt ein trauriges Lächeln ablockt. In ihm bewegte sich Blum und war guten Muthes.
Eines Abends, kurz vor der Ankunft des Reichsverwesers, begegnete ich ihm auf dem Rückweg in seine Wohnung. Wir geriethen in ein so eifriges Gespräch, daß wir obwohl es ziemlich spät war, noch in eine Gaststube traten und dort in einer ungestörten Ecke es fortsetzten. „Nun, sagte er, es treten jetzt zwei Möglichkeiten ein, entweder ein Johann von Gagerns Gnaden, oder – wenn das nicht, gleich Gagern  a l l e i n  hinterdrein. Für uns ist das ziemlich gleichbedeutend, wenn mir ein Ministerium angeboten würde, soll man das annehmen?“ – Ich erwiderte ihm „unbedingt!“ – und wie ich schon damals um seine schwankende Stellung besorgt war, leitete ich gleich darauf über, wie sein Verhältniß zu der Linken sich dann gestalten müsse. „Ja, sagte er ganz seelenruhig, daß man in dies erste Ministerium nur eintritt, um es nachher bei Gelegenheit sprengen zu können, das versteht sich von selbst.“ – Wir gingen noch auf weitere Combinationen ein, und meine Bedenklichkeiten gegen sein bisheriges Auftreten hörte er mit jenem ernsten Interesse an, das ich an ihm, den mit Lob so verwöhnten, von jeher sehr hoch geachtet hatte. – Dann begleitete ich ihn nach Haus und da wir oben auf seinem Zimmer noch Stimmen hörten, folgte ich seiner Einladung und wir fanden einige Freunde in lebhaftem Für und Wider über Gagern und den Charakter seines kühnen Griffs. Nur allzu sehr bewährte Meinungen wurden schon damals ausgesprochen. Blum hatte sichs bequem gemacht und lag halb träumend im Sopha; als aber ein geringschätziges Wort über Gagerns Rednergabe fiel, widersprach er eifrig. „O sagte er, Du hast ihn noch nicht ganz gesehn! Wenn der Gagern erst gereizt wird, dann wird er erhaben. Wie hat er im Vorparlament die Linke wahrhaft zermalmt!“ Und unbeirrt von allen Einwendungen überließ der Volksredner sich ganz der Lust, den Parlamentsredner mit einigen Freskozügen zu schildern. – „Sehn wir uns morgen?“ – Nein, erwiderte Blum, ich fahre nach Homburg, und ich  m u ß  dorthin. Es ist hier ein kleines verwaistes Mädchen, eine ausgezeichnete Klavierspielerin, für die will ich da ein concert zusammenbringen. – Sie heißt Marrder, Marie, wenn Sie das auch wissen wollen.“
Am nächsten Tage begegnete ich ihm, wie er mit seiner kleinen Clientin und einer Verwandten nach Homburg fuhr. Dreiviertel Jahre nachher brachte mich der Zufall unter mehrere Parlamentsabgeordnete der Gagernschen Partei; es war an öffentlicher Gasthaustafel, und einer dieser Herren erzählte als einen Beitrag zur Charakteristik der Linken: Blum habe, obwohl Familienvater, doch in Frankfurt mit zwei Maitressen gelebt und sei sogar öffentlich mit ihnen spazierengefahren! – Blum war längst todt, seine Freunde glücklicherweise noch nicht, ich dankte dem Zufall, der mich in den Stand setzte, die beschämende Erklärung dieser Verläumdung zu geben.
Im April hatte er mir gesagt: „Nun, in sechs Monaten haben wir doch die Republik.“ Im Sommer erinnerte ich ihn einmal scherzend daran. „O, erwiderte er, ich habe noch bis November Zeit!“

Kapitel aus: 

Anmerkung: Die zeittypische Rechtschreibung wurde beibehalten. 


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Theodor Althaus, Zeitbilder 1840 - 1850
Hrsg. von Renate Hupfeld
Aisthesis Verlag Bielefeld, 2010

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Theodor Althaus. Revolutionär in Deutschland