Auf der Rückfahrt nach Leipzig war von anarchischer Schwüle [in Berlin nach der Blutnacht vom 18. zum 19. März 1848] nichts mehr zu
spüren. Deutsche Fahnen wehten auf den Bahnhöfen und viele Menschen trugen
Bänder in Schwarz-Rot-Gold. Nach den Aufständen in Palermo, Paris, Wien, Baden
und Berlin gingen die Menschen auf die Straße, wo sich die Empörung über die
Knechtschaft der vergangenen Jahrzehnte entlud. Der Anbruch einer neuen Zeit
wurde gefeiert, ein deutscher Frühling. Aus Furcht vor weiteren Unruhen erteilten
die Könige und Fürsten in den Ländern eiligst Lockerungsregelungen von den
Karlsbader Beschlüssen, wie Friedrich Wilhelm IV. in Preußen, Friedrich August
in Sachsen und Ernst August in Hannover mit beschwichtigenden Proklamationen,
Aufhebung von Pressezensur und Versammlungsverbot, Ministerien wurden eiligst ausgewechselt
und Versprechungen gemacht hinsichtlich Bürgerwehren anstelle von gehorsamem
Militär.
Althaus' Freunde in Leipzig hatten unterdessen nicht
geschlafen. Robert Blum hatte auf dem Marktplatz vor Hunderten Zuhörern vom
Balkon des Rathauses eine bejubelte Rede gehalten, in der er den Rücktritt der sächsischen
Regierung forderte und dafür plädierte, das derzeitige Soldatentum abzuschaffen
und alle Bürger zu bewaffnen, damit man mit den jungen Brüdern Hand in Hand gehen
könne. Arnold Ruge hatte Die Reform
gegründet, ein Organ für eine breite Leserschaft mit dem Ziel, bei allem
Enthusiasmus über die errungenen Erfolge Klarheit in das Chaos der verschiedenen
Meinungen, Begriffe und Sprachregelungen zu bringen.
Auf der großen politischen Bühne hieß es jetzt zügig
handeln, damit das durch die revolutionären Erhebungen gewonnene Potential
nicht verpuffte. Einundfünfzig Männer hatten bereits Vorarbeit geleistet. Auf
Einladung von Johann Adam Itzstein aus Hallgarten waren sie zusammen gekommen
und hatten am 5. März 1848 die sogenannte Erklärung
der Heidelberger Versammlung formuliert, in der sie auf Vorschlag von
Theodor Welcker sieben Mitglieder benannten, die für alle Länder des Deutschen
Bundes eine Nationalvertretung vorbereiten sollten. Dieser Siebenerausschuss tagte am 12. März 1848 und brachte eine Einladung
an die Ständemitglieder und eine Auswahl von Vertrauensmännern aus allen
Ländern zu einem Vorparlament auf den Weg. Das berufene Gremium sollte die
Grundlagen zur Wahl der Mitglieder einer gesamtdeutschen Nationalversammlung
schaffen und am 31. März 1848 in Frankfurt zusammen kommen.
Im Wohnzimmer von Robert Blum tagte wieder ein
kleiner Kreis, um vor seiner Abreise nach Frankfurt zur Teilnahme am
Vorparlament die dort zu vertretende politische Richtung zu besprechen. Man
diskutierte wild durcheinander und kam stundenlang nicht auf den Punkt, bis
schließlich der Hausherr das Wort ergriff und kurz erklärte, wo es lang gehen
sollte. Wer konnte das besser einschätzen als Blum? Er hatte als jahrlanges
Mitglied des Hallgartenkreises sowie des
Leipziger Stadtparlaments den Überblick, genoss das Vertrauen der Bevölkerung
und war ein Meister der Rede, der Organisation und der Beschaffung von Mehrheiten
nach demokratischen Prinzipien. Seine Überzeugungskraft suchte ihresgleichen.
Wenn er sprach, hörte jeder zu. Das stellte auch Althaus an jenem Abend in
Blums Wohnung bewundernd fest.
Das Vorparlament mit 574 Teilnehmern tagte vom 31.
März bis zum 3. April 1848 in der Frankfurter Paulskirche. Es sah seine Aufgabe
darin, die Art und Weise der Bildung einer parlamentarischen
Nationalversammlung mit dem Ziel der Erarbeitung einer Verfassung für ganz Deutschland
festzulegen und wählte aus seinen Reihen einen Fünfzigerausschuss, der in
Absprache mit der Bundesversammlung den Wahlmodus für die Mitglieder der
Nationalversammlung festlegen sollte. Robert Blum gehörte diesem
Fünfzigerausschuss an. Die Leipziger Angelegenheiten regelte er während seiner
Abwesenheit zusammen mit Vertrauten aus der Entfernung. Auch Theodor gehörte
dazu. Blum wusste, dass er sich auf ihn verlassen konnte. Seinem Schwager und
engem Mitarbeiter Georg Günther schrieb er am 13. April 1848: Wenn Althaus etwas schreibt, dann ist das gewiss
gut, und ich bin im voraus damit einverstanden.
Auszug aus: Theodor Althaus - Revolutionär in Deutschland