Nach der erfolgten
Ratifizierung des Vertrages [Waffenstillstand von Malmö] am 26. August 1848 unter Vermittlung von Schweden
in Malmö wurde das eigenmächtige Verhalten der preußischen Regierung sowohl in
der deutschen Öffentlichkeit als auch in der Presse, den verschiedenen politischen
Gruppen und der Nationalversammlung so heftig und kontrovers diskutiert, dass
es am 5. September 1848 in der Paulskirche zur Abstimmung kam, bei der 238
Parlamentarier mit 221 Gegenstimmen den Waffenstillstand von Malmö in dieser
Form ablehnten, was bedeutete, dass alle Maßnahmen zur Umsetzung gestoppt
wurden. Daraufhin trat das Ministerium Leiningen zurück und Friedrich Christoph
Dahlmann, der besonders leidenschaftlich für die Ablehnung plädiert hatte,
wurde vom Reichsverweser Erzherzog Johann mit der Bildung eines neuen Kabinetts
beauftragt. Preußen hat im
Namen des Bundes u n d in seinem eignen den
Waffenstillstand abgeschlossen, die Nationalversammlung hat seine Ausführung
sistirt, und so muß P r e u ß e n
b i e g e n oder die
C e n t r a l g e w a l t
muß b r e c h e n, resümierte Althaus am 8. September
1848 im Leitartikel Die
Entscheidung. Im Namen des Bundes! Was hatte Blum prophezeit? Rückschritt
in die Metternichära. Und Preußen als Vorreiter. Ja, Preußen müsste sich fügen
und die parlamentarische Abstimmung gegen den Vertrag, für Einheit und
Freiheit, akzeptieren. Sie war ein Sieg der Demokratie.
In den darauffolgenden Tagen erfuhr der
leitende Redakteur der auflagenstarken Bremer
Zeitung schmerzlich, wie
wenig im Moment die Demokratie und die während der Märzrevolution erlangte
Pressefreiheit wert waren. Nachdem er sich am 11. September 1848 von der
Haltung Waffenstillstand
zugunsten des Handels um jeden Preis deutlich
distanzierte und sich klar hinter das Votum der Nationalversammlung stellte,
gab es eine Vielzahl von Kündigungen der Abonnements. Für viele Bremer Bürger
waren Handel und Gewerbe Größen, denen sich die Politik unterzuordnen hatte.
Für Althaus hingegen hatten Einheit, Ehre und Freiheit des Vaterlandes oberste
Priorität, auch um den Preis der Aufgabe von territorialen Zugewinnen an der
Grenze zu Dänemark und Verzögerungen des Küsten- und Seehandels. Besonders das Letztere,
Beeinträchtigungen des Seehandels, dürfte in Bremen für großen Unmut gesorgt
haben.
Der Rückgang der Abonnenten brachte
Althaus eine Menge Ärger mit dem Verleger, der sich in dem Zusammenhang auch um
das Anzeigengeschäft sorgen musste. Er
wollte diese bitteren Realitäten nicht so recht an sich heranlassen, wenn er am
13. September 1848 im Tagebuch notierte: Diese
Gesichter des Himmelseinsturzes, wenn ein Abonnent gekündigt hat! Doch die Misstöne drückten schwer auf
seine Stimmung: So in’s Blaue
hineinzuschreiben, wenn Dein Leben von nirgendher Dir wieder entgegenkommt – so
gar keine Frucht zu sehen, gar keine Genugthuung als die innere, zu der man
keine Zeit hat, und die sich endlich auf das leere Gefühl der vollbrachten
Arbeit beschränkt! Das ging
vorbei. Hart werden und Ausharren, sagte er sich. Er würde daraus lernen.
Es vergingen nur ein paar Tage bis zur
nächsten Härteprüfung. Im Frankfurter Parlament war mit dem Ablehnungsvotum
keine Ruhe eingekehrt. Wie sollte es weitergehen? Wie konnte man die preußische
Vorherrschaft stoppen? Wie sollte man den demokratischen Karren aus dem Sand
bekommen? Hektisches Agieren bestimmte das politische Geschehen. Dahlmanns
Bemühen um ein neues Reichsministerium schlug fehl und er gab den Auftrag zur
Regierungsbildung an den Reichsverweser zurück. Weitere Diskussionen und Parlamentsdebatten
führten zu Verschiebungen von Mehrheiten, sodass die Nationalversammlung in
einer erneuten Abstimmung am 16. September 1848 den Waffenstillstandsvertrag
schließlich doch akzeptierte und mit 257 gegen 236 Stimmen für die
Ratifizierung zwischen Preußen und Dänemark votierte. Damit hatte das erste
frei gewählte deutsche Parlament das Vertrauen seiner Wähler und das
potentieller Verhandlungspartner verspielt. Außerdem hatte es sich selbst als
politische Kraft matt gesetzt, indem es den Beschluss über die Errichtung der
Zentralgewalt nicht umsetzte, obwohl Im Erlass vom 28. Juni 1848 der vierte
Absatz lautete: Ueber Krieg
und Frieden und über Verträge mit auswärtigen Mächten beschließt die
Zentralgewalt im Einverständnisse mit der Nationalversammlung.
Theodor Althaus konnte es nicht fassen.
Über das leere Blatt auf seinem Stehpult hinweg blickte er auf die grünen
stacheligen Kugeln der Kastanien vor seinem Fenster. Wie sollte er beginnen?
Sie würden darauf schauen, was da nun morgen geschrieben stand in seinem
Leitartikel. Viel hatte er noch nicht erfahren, zwei Tage nach dem
parlamentarischen Donnerschlag. Die Informationen aus Frankfurt flossen
spärlich. Die Entscheidung war knapp gewesen und das ließ hoffen. Es war noch
nicht aller Tage Abend. Tumultartige Szenen vor der Paulskirche, hieß es. Kein
Wunder, dass die Menschen sich Luft machten in ihrer patriotischen Leidenschaft.
Wenigstens das Volk wusste, was es seinem Vaterland schuldig war, im Gegensatz
zur Frankfurter Majorität. Der
Beschluß der Nationalversammlung über den Waffenstillstand, schrieb er in
die Kopfzeile. Das klang sachlich und würde niemanden provozieren. Und doch. Nur schreiben, was sie lesen
wollten? Um den Verleger nicht zu verärgern? Dass er überhaupt darüber
nachdachte. Nein, ungeschönt und in voller Klarheit würde er das Dilemma in der
Paulskirche aufzeigen. Zum ersten Mal hätte die Nation als Einheit agieren
können und hatte es nicht getan. Dänemark hätte die Zentralgewalt anerkennen
müssen und hatte es nicht getan. Stattdessen diffuses Gerede von Verständigung
und Modifikationen. Wer? Wo? Wie? Nichts als diplomatisches Geschwätz. Wer
sollte eine Regierung denn auch ernst nehmen, die sich selbst nicht ernst nahm,
seine selbst gegebenen Gesetze feige verleugnete? Wer sollte so einem Land
völkerrechtliche Anerkennung gewähren? Und was war mit der Ehre Deutschlands
und der Ehre der Zentralgewalt? Wer hatte daran gedacht? All das schrieb er und machte zum
Schluss noch eine Bemerkung zur wichtigen materiellen Frage. Zumindest die könnte
ja jetzt in der bremischen Kaufmannsstadt in Ruhe und gedeihlich gelöst werden.
Die Kritik an seinem Artikel in der
Bremer Bürgerschaft, weitere Kündigungen von Abonnenten und die neuesten
Nachrichten aus Frankfurt bereiteten ihm dann doch heftiges Kopf- und Bauchweh.
Er wurde krank, arbeitete aber weiter bis nach Mitternacht, um die nächste
Ausgabe einschließlich seiner Kommentare vorzubereiten, deren Inhalte er sich
trotz allem nicht vorschreiben ließ. Die tumultartigen Ausbrüche vor der
Paulskirche hatten sich an diesem 18. September 1848 in den Frankfurter Straßen
und Gassen ausgeweitet. Abgeordnete der Nationalversammlung wurden angefeindet
und als Verräter beschimpft. Der nach dem Rücktritt von Leiningens neu ernannte
dreiundvierzigjährige Reichsminister Anton Ritter von Schmerling aus Österreich
hatte, angeblich auf Bitten des Frankfurter Senats, preußische Truppen aus
Mainz angefordert, was zur Eskalierung der Unruhen und zum Barrikadenbau
führte, der allerdings ziemlich halbherzig und chaotisch angelegt war. Mit dem
Eintreffen weiterer Truppen, auch österreichischen, war der Aufstand am selben
Abend niedergeschlagen.
Außer schweren Schäden an Straßen und
Gebäuden hatten die Kämpfe viele Verletzte und mehr als vierzig Todesopfer
gefordert, darunter Aufständische, Zivilisten, Soldaten und Offiziere. Die
preußischen Abgeordneten Hans von Auerswald und Felix Fürst von Lichnowsky
wurden von einer Gruppe äußerst gewaltbereiter Fanatiker verfolgt, gejagt und
mit unvorstellbarer Brutalität ermordet. Das
war eine Bilanz, die in jedem Falle innehalten ließ. Vor allem die brutalen
Morde an Auerswald und Lichnowsky beherrschten die öffentliche Diskussion und
die Medien. Auch Theodor Althaus zeigte sich in der Ausgabe vom 22. September
1848 schockiert von diesen empörenden
Grausamkeiten, die jenen Tag als einen Schandfleck unsrer Geschichte hinstellen,
wollte jedoch das Geschehen nicht weiter kommentieren, bevor gerichtliche
Untersuchungen die wahren Tatbestände aufgeklärt hätten. Auch wollte er den
Septembertag nicht nur als fluchbeladenen sehen. Bei aller Schrecklichkeit des
Geschehens wollte er sich nicht darüber hinwegtäuschen lassen, dass an den
revolutionären Aktivitäten die Diskrepanz zwischen dem deutschen Volk und der
Nationalversammlung deutlich wurde, das sich von dem im Mai gewählten Parlament
nicht mehr vertreten fühlte.
Außerdem müssten endlich auch in den
Ländern demokratische Strukturen geschaffen werden, forderte Althaus: Diese Revolution, die innerlich und
ohne viel gewaltsame Ausbrüche gereift ist, macht eine neue Form, eine
neue
V e r t r e t u n g des
wesentlich umgewandelten Volkswillens nothwendig, und wer ihr gesetzliches
Zustandekommen verhindert, wird, wie einst und immerfort, die Schuld des
gewaltsamen Weges tragen. Die festeste Stütze der Nationalversammlung aber
werden nicht Truppenconcentrationen und Belagerungszustand sein, sondern
c o n s t i t u i e r e n d e
L a n d t a g e, die den Particularismus
brechen und die Oberhoheit der deutschen Centralgewalt anerkennen werden.
Die Frage nach Ursachen und Schuld für
die Hintergründe der Ausschreitungen beschäftigte nicht nur die Presse und die
verschiedenen Gruppierungen im Umfeld der Frankfurter Nationalversammlung.
Nachdem die neue provisorische Reichsregierung mit ihren von Preußen und
Österreich unterstützten militärischen Maßnahmen mehr als eindrucksvoll
vorgeprescht und in die Kritik geraten war, sah sie sich veranlasst, eine
offizielle Darstellung zum Geschehen herauszugeben. Im Erlaß der Zentralregierung vom 22. September 1848 wollte von
Schmerling nicht näher genannten Verschwörern die Schuld zuschieben, wenn er
formulierte: Die unter dem
längst verführten Volke verbreiteten falschen Auslegungen über den Beschluß der
Nationalversammlung vom 16. September 1848 – wodurch der zu Malmö
abgeschlossene Waffenstillstand nicht ferner zu beanstanden sei – brachten
lange vorbereitete Pläne zur Ausführung. Am 17. September 1848 wurde nächst
Frankfurt eine große Volksversammlung abgehalten, dabei der Aufruhr offen
gepredigt und zum Sturme gegen die Majorität des Parlaments aufgefordert. Es
trafen von allen Seiten Bewaffnete ein […]. Unter dem Schutze zweier aus Mainz
beigezogener Bataillone hielt die Nationalversammlung am 18. September 1848
vormittags Sitzung, umringt von drohenden Haufen, deren Versuch, gewaltsam in
den Sitzungssaal einzudringen, durch Reichstruppen vereitelt wurde. Von 2 Uhr
bis gegen 9 Uhr abends dauerte der Straßenkampf gegen die zahlreich errichteten
Barrikaden […]. Erst am 19. morgens war die gesetzliche Macht vollständig
Meister der Stadt.
Beweise oder wenigstens schlüssige
Antworten auf die Frage, wer falsche Auslegungen verbreitete, das Volk
verführte und lange vorbereitete Pläne ausgeführt haben sollte, gab
Reichsminister von Schmerling nicht. Stattdessen machte er einen diffusen
Rundumschlag, meinte aber wohl vor allem die in der Paulskirche auf der linken
Seite sitzenden republikanisch gesinnten Demokraten. Für diese sogenannten Linken stellten sich die Hintergründe ganz
anders dar. Sie wehrten sich gegen die Kritik. In einer Kundmachung der Vereinigten Linken
in der Frankfurter Nationalversammlung über die Septemberkrise“ vom selben
Tage formulierten sie eine Gegendarstellung: Nicht
die Schwäche oder Niederlage Deutschlands, sondern hauptsächlich eine
unheilvolle Nachgiebigkeit gegen die Sondergelüste der preußischen Regierung
hat uns diesen Waffenstillstand aufgedrungen […]. War es ein Wunder, wenn das
Volk sich dasselbe Recht beilegte, welches sich die
E i n z e l r e g i e r u n g e n
durch wiederholte M i ß a c h t u n g
der Beschlüsse der Nartionalversammlung angemaßt hatten? Blutige Szenen haben
sich unter unsern Augen entwickelt, die wir eben so tief bedauern, als wir fest
überzeugt sind, daß sie hätten vermieden werden können, wenn man zur rechten
Zeit die geeigneten Maßregeln ergriffen hätte, welche wir nach Kräften
anrieten […]. Frankfurt steht jetzt unter der ehernen Zuchtrute des
Belagerungszustandes und Kriegsgesetzes, d.h. der Rechtlosigkeit […].
Wie die geeigneten
Maßregeln zur Verhinderung
der Ausschreitungen ausgesehen hätten, wurde in einem Artikel der von Robert
Blum und Georg Günther redigierten Deutschen
Reichstagszeitung erläutert,
den Althaus in der zweiten Ausgabe der Bremer
Zeitung vom 23. September
1848 wortgetreu abdrucken ließ. Demnach sprachen an jenem Montag, dem 18.
September 1848, die Abgeordneten Ernst Schilling, Ludwig Simon von Trier und
Robert Blum mit Vermittlungsabsichten im Reichsministerium vor, nachdem sie
sich mit den Demonstranten vor der Paulskirche ausgetauscht hatten. Dem
Reichsverweser Erzherzog Johann und Reichsminister von Schmerling rieten sie
dringend, die Truppen aus Frankfurt zurückzuziehen. Man könne nach ihrer
Einschätzung darauf vertrauen, dass sich die Demonstration ohne militärischen
Einsatz friedlich auflösen werde. Davon habe jedoch Schmerling überhaupt nichts
wissen wollen. Mit herzloser
Kälte und grinzendem Lächeln habe
er einen Truppenabzug abgelehnt. Kurz nach diesen Friedensbemühungen der drei
Abgeordneten sei der erste Schuss gefallen und die verhängnisvollen Kämpfe
hätten begonnen. So wurde es im Artikel der Reichstagszeitung und in der Bremer Zeitung publiziert.
Je mehr Wahrheiten über die Frankfurter
Ereignisse zum Ende des Monats hin offenbar wurden, desto klarer wurde selbst
den in der Paulskirche rechts sitzenden Konservativen, dass in der Tat
sechstausend Soldaten gegen vierhundert Barrikadenkämpfer ein lächerliches
Missverhältnis war. Ebenfalls wurde der Unterschied zwischen brutaler Mordlust und Empörung
des beleidigten Nationalgefühls, als der wahren Quelle des Kampfes, wie
Althaus ihn im Artikel Zur
Orientierung am 3. Oktober
1848 herausstellte, inzwischen emotionsloser gesehen. Und nicht zuletzt war
auch klar, dass das heraufbeschworene Komplott wohl außer Schmerling niemandem
bekannt war, denn Beweise gab es nicht. Schon
einige Tage zuvor hatte Althaus festgestellt, dass dieser unheilvolle
Septembertag einen Wendepunkt in der Geschichte der deutschen Revolution
darstellte. Wieder einmal wurde ihm klar, wie recht Robert Blum mit seiner
Junirede zur Zentralgewalt gehabt hatte. Gagern war als erster Mann der Nation
vom Thron herabgestiegen in die Partei der Konservativen und hatte mit seiner
Zustimmung zum Waffenstillstand das Vertrauen des Volkes verloren. Den kühnen Griff hatte er Schmerling überlassen, der
sich mit Belagerungszustand und Kartäschen diktatorisch gegen Blums
diplomatische Vermittlungsversuche gestellt hatte. Man befinde sich in einer
Übergangsphase, in der man das Vertrauen des Volkes zurückgewinnen müsse,
resümierte Althaus. Doch anstatt zügig die konstituierende Arbeit vor allem in
den Ländern zu tun, werde derzeit die Agitation für demokratische Gesetze
als Anarchie denunzirt und in politischen Streitigkeiten die Zeit
vergeudet
Leseprobe aus: Theodor Althaus - Revolutionär in Deutschland