Hier ein Auszug
aus der Lebensgeschichte von Theodor Althaus, der als leitender Redakteur der "Bremer Zeitung" das Frankfurter Desaster von Bremen aus beobachtet und sich mit seinen Leitartikeln aus dem Fenster gehängt hatte. Damit hatte er sich bei den Abonnenten
mächtig in die Nesseln gesetzt, denn vielen Bremer Bürgern waren ihre
Geschäfte wichtiger als demokratische Strukturen. Angesichts fieser Stimmungsmache gegen seine Person kostete es unglaubliche
Mühe, jeden Tag zwei Ausgaben herauszubringen:
"Zu
diesen enormen Belastungen durch Aufrechterhaltung und Organisation des
Betriebes der Bremer Zeitung beschäftigten ihn [Theodor Althaus] weiterhin und
zuvörderst die Angelegenheiten, die auf der großen politischen Bühne gespielt
wurden, derentwegen er ein Zeitungsmann geworden war. Aktuell war es die auf
Drängen von Frankreich, Großbritannien und Russland unmittelbar bevorstehende
Ratifizierung des Waffenstillstandsvertrages zwischen Preußen und Dänemark. Im
Leitartikel Die schleswig-holsteinische Angelegenheit, der am 21. August
1848 mit dem Untertitel Rückblick und Resultate erschien, beklagte
Althaus, wie schon einige Wochen zuvor, dass dieses ohne Einbeziehung des vom
Volk gewählten Parlamentes und den von diesem gewählten Vertretern der
deutschen Nation, also dem Reichsverweser im Einvernehmen mit der
Nationalversammlung, verhandelt wurde. Gegenüber England, Frankreich und
Russland, die sogar im Falle des Nichtzustandekommens des Waffenstillstandes
mit militärischen Maßnahmen drohten, nahm Deutschland nicht die Stellung ein,
die seiner wirklichen Macht entspräche. Blum hatte recht gehabt mit seinen
Bedenken und der Forderung nach einem Vollziehungsausschuss. Um politische
Ziele durchzusetzen, fehlten der provisorischen Zentralregierung jegliche
Mittel. Die Ohnmacht nach innen und außen war offensichtlich. Wo stand Heinrich
von Gagern, wo der Reichsverweser Johann von Österreich, wo der provisorische
Ministerpräsident Karl zu Leiningen und sein Ministerium? Wo stand die deutsche
Nation? Was nützten Gebietsgewinne, war doch in Althaus Formulierung erst
einmal wichtig: "… unsere Ehre ist der Respekt, den wir vor der Berechtigung
j e d e r Nationaleinheit und Nationalunabhängigkeit
beweisen; sei’s auch um den Preis, daß Deutschland nicht bis zur Königsau geht,
und einige Abgeordnete der dänischen Bezirke die Paulskirche verlassen müssen."
Nach
der erfolgten Ratifizierung des Vertrages am 26. August 1848 unter Vermittlung
von Schweden in Malmö wurde das eigenmächtige Verhalten der preußischen
Regierung sowohl in der deutschen Öffentlichkeit als auch in der Presse, den
verschiedenen politischen Gruppen und der Nationalversammlung so heftig und
kontrovers diskutiert, dass es am 5. September 1848 in der Paulskirche zur
Abstimmung kam, bei der 238 Parlamentarier mit 221 Gegenstimmen den
Waffenstillstand von Malmö in dieser Form ablehnten, was bedeutete, dass alle
Maßnahmen zur Umsetzung gestoppt wurden. Daraufhin trat das Ministerium
Leiningen zurück und Friedrich Christoph Dahlmann, der besonders
leidenschaftlich für die Ablehnung plädiert hatte, wurde vom Reichsverweser
Erzherzog Johann mit der Bildung eines neuen Kabinetts beauftragt. Preußen
hat im Namen des Bundes u n d in seinem eignen den
Waffenstillstand abgeschlossen, die Nationalversammlung hat seine Ausführung
sistirt, und so muß P r e u ß e n
b i e g e n oder die
C e n t r a l g e w a l t
muß b r e c h e n, resümierte Althaus
am 8. September 1848 im Leitartikel Die Entscheidung. Im Namen des Bundes!
Was hatte Blum prophezeit? Rückschritt in die Metternichära. Und Preußen als
Vorreiter. Ja, Preußen müsste sich fügen und die parlamentarische Abstimmung
gegen den Vertrag, für Einheit und Freiheit, akzeptieren. Sie war ein Sieg der
Demokratie.
In
den darauffolgenden Tagen erfuhr der leitende Redakteur der
auflagenstarken Bremer Zeitung schmerzlich, wie wenig im Moment die
Demokratie und die während der Märzrevolution erlangte Pressefreiheit wert
waren. Nachdem er sich am 11. September 1848 von der
Haltung Waffenstillstand [von Malmö] zugunsten des Handels um jeden
Preis deutlich distanzierte und sich klar hinter das Votum der Nationalversammlung
stellte, gab es eine Vielzahl von Kündigungen der Abonnements. Für viele Bremer
Bürger waren Handel und Gewerbe Größen, denen sich die Politik unterzuordnen
hatte. Für Althaus hingegen hatten Einheit, Ehre und Freiheit des Vaterlandes
oberste Priorität, auch um den Preis der Aufgabe von territorialen Zugewinnen
an der Grenze zu Dänemark und Verzögerungen des Küsten- und Seehandels.
Besonders das Letztere, Beeinträchtigungen des Seehandels, dürfte in Bremen für
großen Unmut gesorgt haben.
Der
Rückgang der Abonnenten brachte Althaus eine Menge Ärger mit dem Verleger, der
sich in dem Zusammenhang auch um das Anzeigengeschäft sorgen musste. Er wollte
diese bitteren Realitäten nicht so recht an sich heranlassen, wenn er am 13.
September 1848 im Tagebuch notierte: "Diese Gesichter des
Himmelseinsturzes, wenn ein Abonnent gekündigt hat! " Doch die Misstöne
drückten schwer auf seine Stimmung: "So in’s Blaue hineinzuschreiben, wenn
Dein Leben von nirgendher Dir wieder entgegenkommt – so gar keine Frucht zu sehen,
gar keine Genugthuung als die innere, zu der man keine Zeit hat, und die sich
endlich auf das leere Gefühl der vollbrachten Arbeit beschränkt!" Das ging
vorbei. Hart werden und Ausharren, sagte er sich. Er würde daraus lernen.
Es
vergingen nur ein paar Tage bis zur nächsten Härteprüfung. Im Frankfurter
Parlament war mit dem Ablehnungsvotum keine Ruhe eingekehrt. Wie sollte es
weitergehen? Wie konnte man die preußische Vorherrschaft stoppen? Wie sollte
man den demokratischen Karren aus dem Sand bekommen? Hektisches Agieren
bestimmte das politische Geschehen. Dahlmanns Bemühen um ein neues
Reichsministerium schlug fehl und er gab den Auftrag zur Regierungsbildung an
den Reichsverweser zurück. Weitere Diskussionen und Parlamentsdebatten führten
zu Verschiebungen von Mehrheiten, sodass die Nationalversammlung in einer
erneuten Abstimmung am 16. September 1848 den Waffenstillstandsvertrag
schließlich doch akzeptierte und mit 257 gegen 236 Stimmen für die
Ratifizierung zwischen Preußen und Dänemark votierte. Damit hatte das erste
frei gewählte deutsche Parlament das Vertrauen seiner Wähler und das
potentieller Verhandlungspartner verspielt. Außerdem hatte es sich selbst als
politische Kraft matt gesetzt, indem es den Beschluss über die Errichtung der
Zentralgewalt nicht umsetzte, obwohl Im Erlass vom 28. Juni 1848 der vierte
Absatz lautete: "Ueber Krieg und Frieden und über Verträge mit auswärtigen
Mächten beschließt die Zentralgewalt im Einverständnisse mit der
Nationalversammlung."
Theodor
Althaus konnte es nicht fassen. Über das leere Blatt auf seinem Stehpult hinweg
blickte er auf die grünen stacheligen Kugeln der Kastanien vor seinem Fenster.
Wie sollte er beginnen? Sie würden darauf schauen, was da nun morgen
geschrieben stand in seinem Leitartikel. Viel hatte er noch nicht erfahren,
zwei Tage nach dem parlamentarischen Donnerschlag. Die Informationen aus
Frankfurt flossen spärlich. Die Entscheidung war knapp gewesen und das ließ
hoffen. Es war noch nicht aller Tage Abend. Tumultartige Szenen vor der Paulskirche,
hieß es. Kein Wunder, dass die Menschen sich Luft machten in
ihrer patriotischen Leidenschaft. Wenigstens das Volk wusste, was es
seinem Vaterland schuldig war, im Gegensatz zur Frankfurter Majorität. "Der
Beschluß der Nationalversammlung über den Waffenstillstand", schrieb er in die
Kopfzeile. Das klang sachlich und würde niemanden provozieren. Und doch. Nur
schreiben, was sie lesen wollten? Um den Verleger nicht zu verärgern? Dass er
überhaupt darüber nachdachte. Nein, ungeschönt und in voller Klarheit würde er
das Dilemma in der Paulskirche aufzeigen. Zum ersten Mal hätte die Nation als
Einheit agieren können und hatte es nicht getan. Dänemark hätte die
Zentralgewalt anerkennen müssen und hatte es nicht getan. Stattdessen diffuses
Gerede von Verständigung und Modifikationen. Wer? Wo? Wie? Nichts als
diplomatisches Geschwätz. Wer sollte eine Regierung denn auch ernst nehmen, die
sich selbst nicht ernst nahm, seine selbst gegebenen Gesetze feige verleugnete?
Wer sollte so einem Land völkerrechtliche Anerkennung gewähren? Und was war mit
der Ehre Deutschlands und der Ehre der Zentralgewalt? Wer hatte daran gedacht?
All das schrieb er und machte zum Schluss noch eine Bemerkung zur wichtigen
materiellen Frage. Zumindest die könnte ja jetzt in der bremischen Kaufmannsstadt
in Ruhe und gedeihlich gelöst werden.
Die
Kritik an seinem Artikel in der Bremer Bürgerschaft, weitere Kündigungen von
Abonnenten und die neuesten Nachrichten aus Frankfurt bereiteten ihm dann doch
heftiges Kopf- und Bauchweh. Er wurde krank, arbeitete aber weiter bis nach
Mitternacht, um die nächste Ausgabe einschließlich seiner Kommentare
vorzubereiten, deren Inhalte er sich trotz allem nicht vorschreiben ließ. Die
tumultartigen Ausbrüche vor der Paulskirche hatten sich an diesem 18. September
1848 in den Frankfurter Straßen und Gassen ausgeweitet. Abgeordnete der
Nationalversammlung wurden angefeindet und als Verräter beschimpft. Der nach
dem Rücktritt von Leiningens neu ernannte dreiundvierzigjährige Reichsminister
Anton Ritter von Schmerling aus Österreich hatte, angeblich auf Bitten des
Frankfurter Senats, preußische Truppen aus Mainz angefordert, was zur
Eskalierung der Unruhen und zum Barrikadenbau führte, der allerdings ziemlich
halbherzig und chaotisch angelegt war. Mit dem Eintreffen weiterer Truppen,
auch österreichischen, war der Aufstand am selben Abend niedergeschlagen.
Außer
schweren Schäden an Straßen und Gebäuden hatten die Kämpfe viele Verletzte und
mehr als vierzig Todesopfer gefordert, darunter Aufständische, Zivilisten,
Soldaten und Offiziere. Die preußischen Abgeordneten Hans von Auerswald und
Felix Fürst von Lichnowsky wurden von einer Gruppe äußerst gewaltbereiter
Fanatiker verfolgt, gejagt und mit unvorstellbarer Brutalität ermordet. Das war
eine Bilanz, die in jedem Falle innehalten ließ. Vor allem die brutalen Morde
an Auerswald und Lichnowsky beherrschten die öffentliche Diskussion und die
Medien. Auch Theodor Althaus zeigte sich in der Ausgabe vom 22. September 1848
schockiert von diesen empörenden Grausamkeiten, die jenen Tag als einen
Schandfleck unsrer Geschichte hinstellen, wollte jedoch das Geschehen nicht
weiter kommentieren, bevor gerichtliche Untersuchungen die wahren Tatbestände
aufgeklärt hätten. Auch wollte er den Septembertag nicht nur als fluchbeladenen
sehen. Bei aller Schrecklichkeit des Geschehens wollte er sich nicht darüber
hinwegtäuschen lassen, dass an den revolutionären Aktivitäten die Diskrepanz
zwischen dem deutschen Volk und der Nationalversammlung deutlich wurde, das
sich von dem im Mai gewählten Parlament nicht mehr vertreten fühlte."