Mittwoch, 16. Januar 2013

Grundrechte für Deutschland und für Hannover



Trotz der Bedenken des Hannoverschen Ministeriums waren die „Grundrechte des Deutschen Volkes“ mit Einführungsgesetz, datiert am 27. Dezember 1848 und unterschrieben vom Reichsverweser Erzherzog Johann sowie von den Reichsministern H. v. Gagern, v. Peucker, v. Beckerath, Duckwitz und R. Mohl, in Frankfurt verkündet worden. Die Bestimmungen in den acht Artikeln bildeten die Grundlage für das Zusammenleben im demokratischen Staatengebilde, vor allem die Freiheit der Person, Aufhebung der Standesunterschiede, Freiheit der Meinungsäußerung, der Presse, des Glaubens, der Wissenschaft und Lehre, Versammlungsfreiheit und nicht zuletzt die Unabhängigkeit der Gerichte.
In den Druckereien der verschiedenen deutschen Länder, u.a.  bei J. G. Heyse in Bremen und bei Lehnhardt in Mainz, war der Gesetzestext in aufwändiger Gestaltung verlegt  und in den Ländern verteilt worden. Die Abonnenten der „Zeitung für Norddeutschland“ erhielten als Gratisbeilage ein schön gestaltetes Plakat mit Wappenvogel und Zierrahmen, gedruckt bei den Gebrüdern Jänecke. Dieses Schmuckstück wurde zu Hunderten in den Buchhandlungen verkauft und hing nun in Hannover an allen öffentlichen Orten aus. Auch in dem Café, in dem Althaus seit den Ermahnungen der Schwester jeden Abend nach Fertigstellung der Ausgabe für den nächsten Tag ein Ruhestündchen verbrachte, war es an der Wand angebracht. Mit Genugtuung stellte er fest, dass es ständig abgehängt und studiert wurde und von Hand zu Hand ging. Es war nun Sache der einzelnen Regierungen, das gesamtdeutsche Gesetzeswerk in den jeweiligen Ländern zu publizieren und umzusetzen.
Der 21. Januar 1849 war ein Sonntag. Nicht nur wegen des strahlenden Winterwetters war es ein ganz besonderer Tag. Nach einem Aufruf Adolf Menschings vom Hannoveraner Volksverein, der nach dem März 1848 aus den wöchentlichen Versammlungen im Ballhof hervorgegangen war, sollte in der Stadt die Anerkennung der Grundrechte des deutschen Volkes gefeiert werden. Theodor berichtete seiner Schwester von dem „herrlichen politischen Sonnenschein“, den Hannover an dem Tage erlebte. Am liebsten hätte er ihr die helle Morgensonne mit dem Brief hinüber nach Detmold geschickt. Und noch viel lieber hätte er Elisabeth dabei gehabt, als er nachmittags losging auf den Marktplatz, wo sich Menschen aus allen Bevölkerungsgruppen versammelten, um für die Verkündung und Publizierung des Reichsgesetzes im Königreich Hannover zu demonstrieren. Er war auch dabei, als an die dreitausend Menschen vom Rathaus durch die Kramerstraße über den Holzmarkt zum Neustädter Markt zogen, wo die Grundrechte für das deutsche Volk öffentlich verlesen wurden.
Dieses eindrucksvolle Votum der Hannoverschen Bevölkerung führte jedoch keineswegs dazu, dass die gesamtdeutschen Grundrechte von der Regierung des Königreichs Hannover anerkannt und publiziert wurden.
Auch die Presse kämpfte für das Reichsgesetz, mit Ausnahme der „Hannoverschen Zeitung“, die als Sprachrohr der Regierung galt. Innenminister Stüve selbst verfasste regelmäßig Artikel für dieses Organ. Er hielt nach wie vor an seinen Bedenken fest und wartete, wie in den Aktenstücken vom Dezember 1848 angekündigt, auf die Entscheidung der Ständemitglieder, deren Wahl in diesen kalten und schneereichen Januartagen in vollem Gange war.



Montag, 7. Januar 2013

Grundrechte des Deutschen Volkes 1849



Ws-KuLa [<a href="https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0">CC BY-SA 3.0</a>], <a href="https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bilderrevolution0163.jpg">from Wikimedia Commons</a>

Trotz der Bedenken des Hannoverschen Ministeriums waren die „Grundrechte des Deutschen Volkes“ mit Einführungsgesetz, datiert am 27. Dezember 1848 und unterschrieben vom Reichsverweser Erzherzog Johann sowie von den Reichsministern H. v. Gagern, v. Peucker, v. Beckerath, Duckwitz und R. Mohl, in Frankfurt verkündet worden. Die Bestimmungen in den acht Artikeln bildeten die Grundlage für das Zusammenleben im demokratischen Staatengebilde, vor allem die Freiheit der Person, Aufhebung der Standesunterschiede, Freiheit der Meinungsäußerung, der Presse, des Glaubens, der Wissenschaft und Lehre, Versammlungsfreiheit und nicht zuletzt die Unabhängigkeit der Gerichte.
In den Druckereien der verschiedenen deutschen Länder, u.a.  bei J. G. Heyse in Bremen und bei Lehnhardt in Mainz, war der Gesetzestext in aufwändiger Gestaltung verlegt  und in den Ländern verteilt worden. Die Abonnenten der „Zeitung für Norddeutschland“ erhielten als Gratisbeilage ein schön gestaltetes Plakat mit Wappenvogel und Zierrahmen, gedruckt bei den Gebrüdern Jänecke. Dieses Schmuckstück wurde zu Hunderten in den Buchhandlungen verkauft und hing nun in Hannover an allen öffentlichen Orten aus. Auch in dem Café, in dem Althaus seit den Ermahnungen der Schwester jeden Abend nach Fertigstellung der Ausgabe für den nächsten Tag ein Ruhestündchen verbrachte, war es an der Wand angebracht. Mit Genugtuung stellte er fest, dass es ständig abgehängt und studiert wurde und von Hand zu Hand ging. Es war nun Sache der einzelnen Regierungen, das gesamtdeutsche Gesetzeswerk in den jeweiligen Ländern zu publizieren und umzusetzen.
Der 21. Januar 1849 war ein Sonntag. Nicht nur wegen des strahlenden Winterwetters war es ein ganz besonderer Tag. Nach einem Aufruf Adolf Menschings vom Hannoveraner Volksverein, der nach dem März 1848 aus den wöchentlichen Versammlungen im Ballhof hervorgegangen war, sollte in der Stadt die Anerkennung der Grundrechte des deutschen Volkes gefeiert werden. Theodor berichtete seiner Schwester von dem „herrlichen politischen Sonnenschein“, den Hannover an dem Tage erlebte. Am liebsten hätte er ihr die helle Morgensonne mit dem Brief hinüber nach Detmold geschickt. Und noch viel lieber hätte er Elisabeth dabei gehabt, als er nachmittags losging auf den Marktplatz, wo sich Menschen aus allen Bevölkerungsgruppen versammelten, um für die Verkündung und Publizierung des Reichsgesetzes im Königreich Hannover zu demonstrieren. Er war auch dabei, als an die dreitausend Menschen vom Rathaus durch die Kramerstraße über den Holzmarkt zum Neustädter Markt zogen, wo die Grundrechte für das deutsche Volk öffentlich verlesen wurden.
Dieses eindrucksvolle Votum der Hannoverschen Bevölkerung führte jedoch keineswegs dazu, dass die gesamtdeutschen Grundrechte von der Regierung des Königreichs Hannover anerkannt und publiziert wurden.
Auch die Presse kämpfte für das Reichsgesetz, mit Ausnahme der „Hannoverschen Zeitung“, die als Sprachrohr der Regierung galt. Innenminister Stüve selbst verfasste regelmäßig Artikel für dieses Organ. Er hielt nach wie vor an seinen Bedenken fest und wartete, wie in den Aktenstücken vom Dezember 1848 angekündigt, auf die Entscheidung der Ständemitglieder, deren Wahl in diesen kalten und schneereichen Januartagen in vollem Gange war.

Bis hierher die Leseprobe ausTheodor Althaus - Revolutionär in Deutschland

Hier nun der Gesetzestext im Wortlaut: 

Reichsgesetz, betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes
vom 27. Dezember 1848

Der Reichsverweser, in Ausführung des Beschlusses der Reichsversammlung vom 21.
Dezember 1848, verkündet als Gesetz:

I. Grundrechte des deutschen Volkes

Dem deutschen Volke sollen die nachstehenden Grundrechte gewährleistet sein. Sie
sollen den Verfassungen der deutschen Einzelstaaten zur Norm dienen, und keine
Verfassung oder Gesetzgebung eines deutschen Einzelstaates soll dieselben je
aufheben oder beschränken können.

Artikel 1.

§ 1. Das deutsche Volk besteht aus den Angehörigen der Staaten, welche das
deutsche Reich bilden.

§ 2. Jeder Deutsche hat das deutsche Reichsbürgerrecht. Die ihm Kraft dessen
zustehenden Rechte kann er in jedem deutschen Lande ausüben. Ueber das Recht,
zur deutschen Reichsversammlung zu wählen, verfügt das Reichswahlgesetz.

§ 3. Jeder Deutsche hat das Recht, an jedem Orte des Reichsgebietes seinen
Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen, Liegenschaften jeder Art zu erwerben und
darüber zu verfügen, jeden Nahrungszweig zu betreiben, das Gemeindebürgerrecht
zu gewinnen.
Die Bedingungen für den Aufenthalt und Wohnsitz werden durch ein Heimathsgesetz,
jene für den Gewerbebetrieb durch eine Gewerbeordnung für ganz Deutschland von
der Reichsgewalt festgesetzt.

§ 4. Kein deutscher Staat darf zwischen seinen Angehörigen und andern Deutschen
einen Unterschied im bürgerlichen, peinlichen und Prozeß-Rechte machen, welcher
die letzteren als Ausländer zurücksetzt.

§ 5. Die Strafe des bürgerlichen Todes soll nicht stattfinden, und da, wo sie
bereits ausgesprochen ist, in ihren Wirkungen aufhören, soweit nicht hierdurch
erworbene Privatrechte verletzt werden.

§ 6. Die Auswanderungsfreiheit ist von Staats wegen nicht beschränkt;
Abzugsgelder dürfen nicht erhoben werden.
Die Auswanderungsangelegenheit steht unter dem Schutze und der Fürsorge des
Reichs.

Artikel 2.

§ 7. Vor dem Gesetze gilt kein Unterschied der Stände. Der Adel als Stand ist
aufgehoben.
Alle Standesvorrechte sind abgeschafft.
Die Deutschen sind vor dem Gesetze gleich.
Alle Titel, insoweit sie nicht mit einem Amte verbunden sind, sind aufgehoben
und dürfen nie wieder eingeführt werden.
Kein Staatsangehöriger darf von einem auswärtigen Staate einen Orden annehmen.
Die öffentlichen Ämter sind für alle Befähigten gleich zugänglich.
Die Wehrpflicht ist für alle gleich; Stellvertretung bei derselben findet nicht
statt.

Artikel 3.

§ 8. Die Freiheit der Person ist unverletzlich.
Die Verhaftung einer Person soll, außer im Falle der Ergreifung auf frischer
That, nur geschehen in Kraft eines richterlichen, mit Gründen versehenen
Befehls. Dieser Befehl muß im Augenblicke der Verhaftung oder innerhalb der
nächsten vier und zwanzig Stunden dem Verhafteten zugestellt werden.
Die Polizeibehörde muß Jeden, den sie in Verwahrung genommen hat, im Laufe des
folgenden Tages entweder freilassen oder der richterlichen Behörde übergeben.
Jeder Angeschuldigte soll gegen Stellung einer vom Gericht zu bestimmenden
Caution oder Bürgschaft der Haft entlassen werden, sofern nicht dringende
Anzeigen eines schweren peinlichen Verbrechens gegen denselben vorliegen.
Im Falle einer widerrechtlich verfügten oder verlängerten Gefangenschaft ist der
Schuldige und nöthigenfalls der Staat dem Verletzten zur Genugthuung und
Entschädigung verpflichtet.
Die für das Heer- und Seewesen erforderlichen Modificationen dieser Bestimmungen
werden besonderen Gesetzen vorbehalten.

§ 9. Die Todesstrafe, ausgenommen wo das Kriegsrecht sie vorschreibt, oder das
Seerecht im Fall von Meutereien sie zuläßt, so wie die Strafen des Prangers, der
Brandmarkung und der körperlichen Züchtigung, sind abgeschafft.

§ 10. Die Wohnung ist unverletzlich.
Eine Haussuchung ist nur zulässig:
1. In Kraft eines richterlichen, mit Gründen versehenen Befehls, welcher sofort
oder innerhalb der nächsten vier und zwanzig Stunden dem Betheiligten zugestellt
werden soll,
2. Im Falle der Verfolgung auf frischer That, durch den gesetzlich berechtigten
Beamten,
3. In den Fällen und Formen, in welchen das Gesetz ausnahmsweise bestimmten
Beamten auch ohne richterlichen Befehl dieselbe gestattet.
Die Haussuchung muß, wenn thunlich, mit Zuziehung von Hausgenossen erfolgen.
Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist kein Hinderniß der Verhaftung eines
gerichtlich Verfolgten.

§ 11. Die Beschlagnahme von Briefen und Papieren darf, außer bei einer
Verhaftung oder Haussuchung, nur in Kraft eines richterlichen, mit Gründen
versehenen Befehls vorgenommen werden, welcher sofort oder innerhalb der
nächsten vier und zwanzig Stunden dem Betheiligten zugestellt werden soll.

§ 12. Das Briefgeheimniß ist gewährleistet.
Die bei strafgerichtlichen Untersuchungen und in Kriegsfällen nothwendigen
Beschränkungen sind durch die Gesetzgebung festzustellen.

Artikel 4.

§ 13. Jeder Deutsche hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck und bildliche
Darstellung seine Meinung frei zu äußern.
Die Preßfreiheit darf unter keinen Umständen und in keiner Weise durch
vorbeugende Maßregeln, namentlich Censur, Concessionen, Sicherheitsbestellungen,
Staatsauflagen, Beschränkungen der Druckereien oder des Buchhandels, Postverbote
oder andere Hemmungen des freien Verkehrs beschränkt, suspendirt oder aufgehoben
werden.
Ueber Preßvergehen, welche von Amts wegen verfolgt werden, wird durch
Schwurgerichte geurtheilt.
Ein Preßgesetz wird vom Reiche erlassen werden.

Artikel 5.

§ 14. Jeder Deutsche hat volle Glaubens- und Gewissensfreiheit.
Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Ueberzeugung zu offenbaren.

§ 15. Jeder Deutsche ist unbeschränkt in der gemeinsamen häuslichen und
öffentlichen Uebung seiner Religion.
Verbrechen und Vergehen, welche bei Ausübung dieser Freiheit begangen werden,
sind nach dem Gesetze zu bestrafen.

§ 16. Durch das religiöse Bekenntniß wird der Genuß der bürgerlichen und
staatsbürgerlichen Rechte weder bedingt noch beschränkt. Den staatsbürgerlichen
Pflichten darf dasselbe keinen Abbruch thun.

§ 17. Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten
selbstständig, bleibt aber den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen.
Keine Religionsgesellschaft genießt vor andern Vorrechte durch den Staat; es
besteht fernerhin keine Staatskirche.
Neue Religionsgesellschaften dürfen sich bilden; einer Anerkennung ihres
Bekenntnisses durch den Staat bedarf es nicht.

§ 18. Niemand soll zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit gezwungen
werden.

§ 19. Die Formel des Eides soll künftig lauten: "So wahr mir Gott helfe".

§ 20. Die bürgerliche Gültigkeit der Ehe ist nur von der Vollziehung des
Civilactes abhängig; die kirchliche Trauung kann nur nach der Vollziehung des
Civilactes stattfinden.
Die Religionsverschiedenheit ist kein bürgerliches Ehehinderniß.

§ 21. Die Standesbücher werden von den bürgerlichen Behörden geführt.

Artikel 6. 

§ 23. Das Unterrichts- und Erziehungswesen steht unter der Oberaufsicht des
Staates, und ist, abgesehen vom Religionsunterricht, der Beaufsichtigung der
Geistlichkeit als solcher enthoben.

§ 24. Unterrichts- und Erziehungsanstalten zu gründen, zu leiten und an solchen
Unterricht zu ertheilen, steht jedem Deutschen frei, wenn er seine Befähigung
der betreffenden Staatsbehörde nachgewiesen hat.
Der häusliche Unterricht unterliegt keiner Beschränkung.

§ 25. Für die Bildung der deutschen Jugend soll durch öffentliche Schulen
überall genügend gesorgt werden.
Eltern oder deren Stellvertreter dürfen ihre Kinder oder Pflegebefohlenen nicht
ohne den Unterricht lassen, welcher für die unteren Volksschulen vorgeschrieben
ist.

§ 26. Die öffentlichen Lehrer haben die Rechte der Staatsdiener.
Der Staat stellt unter gesetzlich geordneter Betheiligung der Gemeinden aus der
Zahl der Geprüften die Lehrer der Volksschulen an.

§ 27. Für den Unterricht in Volksschulen und niederen Gewerbeschulen wird kein
Schulgeld bezahlt.
Unbemittelten soll auf allen öffentlichen Unterrichtsanstalten freier Unterricht
gewährt werden.

§ 28. Es steht einem jeden frei, seinen Beruf zu wählen und sich für denselben
auszubilden, wie und wo er will.

Artikel 7.

§ 29. Die Deutschen haben das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu
versammeln; einer besonderen Erlaubniß dazu bedarf es nicht.
Volksversammlungen unter freiem Himmel können bei dringender Gefahr für die
öffentliche Ordnung und Sicherheit verboten werden.

§ 30. Die Deutschen haben das Recht, Vereine zu bilden. Dieses Recht soll durch
keine vorbeugende Maßregel beschränkt werden.

§ 31. Die in den §§ 29 und 30 enthaltenen Bestimmungen finden auf das Heer und
die Kriegsflotte Anwendung, insoweit die militärischen Disciplinarvorschriften
nicht entgegenstehen.

Artikel 8.

§ 32. Das Eigenthum ist unverletzlich.
Eine Enteignung kann nur aus Rücksichten des gemeinen Besten, nur auf Grund
eines Gesetzes und gegen gerechte Entschädigung vorgenommen werden.
Das geistige Eigenthum soll durch die Reichsgesetzgebung geschützt werden.

§ 33. Jeder Grundeigenthümer kann seinen Grundbesitz unter Lebenden und von
Todes wegen ganz oder theilweise veräußern. Den Einzelstaaten bleibt überlassen,
die Durchführung des Grundsatzes der Theilbarkeit alles Grundeigenthums durch
Uebergangsgesetze zu vermitteln.
Für die todte Hand sind Beschränkungen des Rechts, Liegenschaften zu erwerben
und über sie zu verfügen, im Wege der Gesetzgebung aus Gründen des öffentlichen
Wohls zulässig.

§ 34. Jeder Unterthänigkeits- und Hörigkeitsverband hört für immer auf.

§ 35. Ohne Entschädigung sind aufgehoben:

1. Die Patrimonialgerichtsbarkeit und die grundherrliche Polizei, sammt den aus
diesen Rechten fließenden Befugnissen, Exemtionen und Abgaben.
2. Die aus dem guts- und schutzherrlichen Verbande fließenden persönlichen
Abgaben und Leistungen.
Mit diesen Rechten fallen auch die Gegenleistungen und Lasten weg, welche dem
bisher Berechtigten dafür oblagen.

§ 36. Alle auf Grund und Boden haftenden Abgaben und Leistungen, insbesondere
die Zehnten, sind ablösbar: ob nur auf Antrag des Belasteten oder auch des
Berechtigten, und in welcher Weise, bleibt der Gesetzgebung der einzelnen
Staaten überlassen.
Es soll fortan kein Grundstück mit einer unablösbaren Abgabe oder Leistung
belastet werden.

§ 37. Im Grundeigenthum liegt die Berechtigung zur Jagd auf eignem Grund und
Boden.
Die Jagdgerechtigkeit auf fremden Grund und Boden, Jagddienste, Jagdfrohnden und
andere Leistungen für Jagdzwecke sind ohne Entschädigung aufgehoben.
Nur ablösbar jedoch ist die Jagdgerechtigkeit, welche erweislich durch einen
lästigen mit dem Eigenthümer des belasteten Grundstücks abgeschlossenen Vertrag
erworben ist; über die Art und Weise der Ablösung haben die Landesgesetzgebungen
das Weitere zu bestimmen.
Die Ausübung des Jagdrechts aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und des
gemeinen Wohls zu ordnen, bleibt der Landesgesetzgebung vorbehalten.
Die Jagdgerechtigkeit auf fremdem Grund und Boden darf in Zukunft nicht wieder
als Grundgerechtigkeit bestellt werden.

§ 38. Die Familienfideicommisse sind aufzuheben. Die Art und Bedingungen der
Aufhebung bestimmt die Gesetzgebung der einzelnen Staaten.
Ueber die Familienfideicommisse der regierenden fürstlichen Häuser bleiben die
Bestimmungen den Landesgesetzgebungen vorbehalten.

§ 39. Aller Lehensverband ist aufzuheben. Das Nähere über die Art und Weise der
Ausführung haben die Gesetzgebungen der Einzelstaaten anzuordnen.

§ 40. Die Strafe der Vermögenseinziehung soll nicht stattfinden.

Artikel 9.

§ 41. Alle Gerichtsbarkeit geht vom Staate aus. Es sollen keine
Patrimonialgerichte bestehen.

§ 42. Die richterliche Gewalt wird selbstständig von den Gerichten geübt.
Cabinets- und Ministerialjustiz ist unstatthaft.
Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Ausnahmegerichte
sollen nie stattfinden.

§ 43. Es soll keinen privilegirten Gerichtsstand der Personen oder Güter geben.
Die Militärgerichtsbarkeit ist auf die Aburtheilung militärischer Verbrechen und
Vergehen, so wie der Militär-Disciplinarvergehen beschränkt, vorbehaltlich der
Bestimmungen für den Kriegsstand.

§ 44. Kein Richter darf, außer durch Urtheil und Recht, von seinem Amt entfernt,
oder an Rang und Gehalt beeinträchtigt werden.
Suspension darf nicht ohne gerichtlichen Beschluß erfolgen.
Kein Richter darf wider seinen Willen, außer durch gerichtlichen Beschluß in den
durch das Gesetz bestimmten Fällen und Formen, zu einer andern Stelle versetzt
oder in Ruhestand gesetzt werden.

§ 45. Das Gerichtsverfahren soll öffentlich und mündlich sein.
Ausnahmen von der Oeffentlichkeit bestimmt im Interesse der Sittlichkeit das
Gesetz.

§ 46. In Strafsachen gilt der Anklageprozeß.
Schwurgerichte sollen jedenfalls in schwereren Strafsachen und bei allen
politischen Vergehen urtheilen.

§ 47. Die bürgerliche Rechtspflege soll in Sachen besonderer Berufserfahrung
durch sachkundige, von den Berufsgenossen frei gewählte Richter geübt oder
mitgeübt werden.

§ 48. Rechtspflege und Verwaltung sollen getrennt und von einander unabhängig
sein.
Ueber Competenzconflicte zwischen den Verwaltungs- und Gerichtsbehörden in den
Einzelstaaten entscheidet ein durch das Gesetz zu bestimmender Gerichtshof.

§ 49. Die Verwaltungsrechtspflege hört auf; über alle Rechtsverletzungen
entscheiden die Gerichte.
Der Polizei steht keine Strafgerichtsbarkeit zu.

§ 50. Rechtskräftige Urtheile deutscher Gerichte sind in allen deutschen Landen
gleich wirksam und vollziehbar.

Ein Reichsgesetz wird das Nähere bestimmen.

II. Einführungs-Gesetz

Die Grundrechte des deutschen Volks werden im ganzen Umfange des deutschen
Reichs unter nachfolgenden Bestimmungen hiermit eingefügt:

Artikel 1.

Mit diesen Reichsgesetze treten in Kraft die Bestimmungen:
1) der Paragraphen eins und zwei,

2) des Paragraphen drei, jedoch in Beziehung auf Aufenthalt, Wohnsitz und
Gewerbebetrieb unter Vorbehalt der in Aussicht gestellten Reichsgesetze,

3) der Paragraphen vier, fünf und sechs,

4) des Paragraphen sieben unter Vorbehalt der in Art. 3 und 8 dieses Gesetzes
enthaltenen Beschränkungen,

5) des Paragraphen acht, und zwar rücksichtlich des letzten, Heer und Seewesen
betreffenden, Absatzes unter Verweisung auf Art. 3 dieses Gesetzes,

6) des Paragraphen zehn, unter Vorbehalt der unter Art. 3 und 7 enthaltenen
Bestimmungen,

7) des Paragraphen eilf und zwölf,

8) des Paragraphen dreizehn, mit der Maßgabe, daß, wo schwurgerichte noch nicht
eingeführt sind, bis zu deren Einführung über Preßvergehen die bestehenden
Gerichte entscheiden,

9) der Paragraphen vierzehn, fünfzehn, sechszehn, so wie des zweiten und dritten
Absatzes im Paragraphen siebzehn, und des Paragraphen achtzehn,

10) der Paragraphen zweiundzwanzig, vierundzwanzig, fünfundzwanzig und
achtundzwanzig,

11) der Paragraphen neunundzwanzig, dreißig und einunddreißig,

12) des Paragraphen zweiunddreißig, des zweiten Absatzes im Paragraphen
dreiunddreißig, der Paragraphen vierunddreißig, fünfunddreißig mit Ausnahme des
ersten Absatzes (Art. 3 Nr. 8), des zweiten Absatzes im Paragraphen
sechsunddreißig, dann siebenunddreißig unter Vorbehalt der über die Ablösung der
betreffenden Jagdgerechtigkeiten und über die Ausübung des Jagdrechts zu
erlassenden Gesetze (Art. 4),

13) des Paragraphen zweiundvierzig und des ersten Absatzes im Paragraphen
vierundvierzig.
Alle Bestimmungen einzelner Landesrechte, welche hiermit in Widerspruch stehen,
treten außer Kraft.

Artikel 2.

In Beziehung auf den im Paragraphen siebenzehn ausgesprochenen Grundsatz der
Selbstständigkeit der Religionsgesellschaften sollen die organischen
Einrichtungen und Gesetze, welche für die bestehenden Kirchen zur Durchführung
dieses Princips erforderlich sind, in den Einzelstaaten möglichst bald getroffen
und erlassen werden.

Artikel 3.

Abänderungen oder Ergänzungen der Landesgesetzgebungen, soweit dieselben durch
die folgenden Bestimmungen der Grundrechte geboten sind, sollen ungesäumt auf
verfassungsmäßigem Wege getroffen werden, und zwar

1) statt der im Paragraphen neun und Paragraphen vierzig abgeschafften Strafen
des Todes, des Prangers, der Brandmarkung, der körperlichen Züchtigung und der
Vermögenseinziehung durch gesetzliche Feststellung einer anderweiten Bestrafung
der betreffenden Verbrechen;

2) durch Ausfüllung der Lücken, welche in Folge der im Paragraphen sieben
ausgesprochenen Aufhebung der Standesunterscheide im Privatrechte eintreten;

3) durch Regelung der Wehrpflicht auf Grund der im Paragraphen sieben
enthaltenen Vorschrift;

4) durch Feststellung der beim Heer- und Seewesen vorbehaltenen Modificationen
des Paragraphen acht;

5) durch Erlassung der Gesetze, welche den dritten im Paragraphen zehn erwähnten
Fall der Haussuchung ordnen;

6) durch Erlassung der nach Paragraph neunzehn, zwanzig und einundzwanzig
erforderlichen Vorschriften über Eid, Ehe und Standesbücher;

7) durch Einrichtung des Schulwesens auf Grund der Paragraphen dreiundzwanzig,
sechsundzwanzig und siebenundzwanzig;

8) durch Aenderungen im Gerichts- und Verwaltungswesen, gemäß den Bestimmungen
des Paragraphen fünfunddreißig im ersten Absatz, der Paragraphen einundvierzig,
dreiundvierzig im zweiten und dritten Absatze, sowie der Paragraphen
fünfundvierzig bis einschließlich neunundvierzig.

Artikel 4.

Ebenso ist ungesäumt die weitere Feststellung der in den Paragraphen
dreiunddreißig, sechsunddreißig bis einschließlich neununddreißig geordneten
Eigenthumsverhältnisse in den einzelnen Staaten vorzunehmen.

Artikel 5.

Die Erlassung und Ausführung der vorstehend gedachten neuen Gesetze sollen von
Reichs wegen überwacht werden.

Artikel 6.

Bis zur Erlassung der in den Paragraphen drei, dreizehn, zweiunddreißig und
fünfzig erwähnten Reichsgesetze sind die betreffenden Verhältnisse der
Landesgesetzgebung unterworfen.

Artikel 7.

In den Fällen, in welchen nach dem Vorstehenden neue Gesetze erforderlich oder
in Aussicht gestellt sind, bleiben bis zur Erlassung derselben für die
betreffenden Verhältnisse die bisherige Gesetze in Kraft. Rücksichtlich der
Haussuchung bleibt denjenigen öffentlichen Beamten, welche zum Schutz der
Abgabenerhebung und des Waldeigenthums zur Haussuchung befugt sind, vorläufig
diese Befugniß.

Artikel 8.

Abänderungen der Grundverfassung einzelner deutscher Staaten, welche durch die
Abschaffung der Standesvorrechte nothwendig werden, sollen innerhalb von sechs
Monaten durch die gegenwärtigen Organe der Landesgesetzgebung nach folgenden
Bestimmungen herbeigeführt werden:

1) die durch die Verfassungsurkunden für den Fall der Verfassungsänderungen
vorgeschriebenen Erschwerungen der Beschlußnahme finden keine Anwendung,
vielmehr ist in den Formen der gewöhnlichen Gesetzgebung zu verfahren;

2) wenn in Staaten, wo zwei Kammern bestehen, dieser Weg keine Vereinigung
herbeiführen sollte, so treten diese zusammen, um in einer Versammlung durch
einfache Stimmenmehrheit die erforderlichen Beschlüsse zu fassen.
Uebrigens bleibt es den gegenwärtigen Organen der Landesgesetzgebung unbenommen,
sich darüber, daß die gedachten Abänderungen durch eine neu zu wählende
Landesversammlung vorgenommen werden, zu vereinbaren, für welche Vereinbarung
die Bestimmungen unter 1) und 2) gleichfalls maßgebend sind.
Sind in der bezeichneten Frist die betreffenden Gesetze nicht erlassen, so hat
die Reichsgewalt die Regierung des einzelnen Staates aufzufordern, ungesäumt auf
Grundlage des Reichswahlgesetzes eine aus einer einzigen Kammer bestehenden
Landesversammlung zur Revision der Landesverfassung und übrigen Gesetzgebung in
Uebereinstimmung mit den Beschlüssen der Nationalversammlung zu berufen.


Frankfurt, am 27. Dezember 1848


Der Reichsverweser
Erzherzog Johann
Die Reichsminister
H. v. Gagern
v. Peucker
v. Beckerath
Duckwitz
R. Mohl
Das vorstehende Reichsgesetz wurde in die Verfassung des deutschen Reiches vom
28. März 1849 übernommen, doch waren die Bestimmungen des Gesetzes als
unmittelbares Recht in Deutschland in Kraft und wurden erst durch Bundesbeschluß
(Beschluß der Bundesversammlung des Deutschen Bundes) vom 23. August 1851 formal
außer Kraft gesetzt.



Quellen:

Reichsgesetzblatt 1848 8. Stück, Ausgegeben Frankfurt a. M., den 28. December S. 49, 57

Ernst Rudolf Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte Band 1, Verlag
Kohlhammer