*Der Rückblick und das
Vorwärtschauen zu dem uns beim Uebergange vom alten in das neue Jahr die S i t t e auffordert, erscheint uns heute als eine selten so sehr empfundene
N o t h w e n d i g k e i t.
Die Weltbewegung des großen Jahres löste in den Geistern die alte Ordnung der
Gedanken, und wechselnd gewann einer nach dem andern von ihnen die ungemessene
Herrschaft; die Arbeit an dem allgemeinen Werke der Erneuung forderte einen so
rastlosen Dienst, daß die Parteien oft ohne viel Besinnen die Werkzeuge wählten
und die wahren Mittel und Kräfte wiederholt verkannten. Diese Rastlosigkeit,
dieses Ueberstürzen von ungeahnten Entwicklungen und Ereignissen Schlag auf
Schlag, ließ mehr als einmal das Ziel aus den Augen verlieren, wenn von den
erschütternden Stimmen der Revolution Herzen und Geister überwältigend bewegt
wurden.
Für diesen Blick auf das große
Ganze der nächsten Vergangenheit und Zukunft unsers Vaterlandes ist es jetzt,
wo die letzten Entscheidungen auf eine Weile vertagt und die Gemühter zu einer
Art von Erbebung in die Macht der Verhältnisse zurückgekehrt sind, ein
günstiger Zeitpunkt. Die Ruhe fördert die gute Sache nicht weniger als die
Leidenschaft, die Klarheit arbeitet für sie nicht schlechter, als die
aufgeregte Begeisterung. Die Schüler und Meister der alten Diplomatie haben nur
dadurch den alten Bau wieder zusammenfügen und die kühnen Pläne zum neuen
zerstören können, weil sie, niemals von eignem Herzensdrang beirrt, und stets
ungläubig an eine nachhaltige Macht der Geistesbewegungen, ruhig die
bestehenden Verhältnisse berechneten und mit den organisirten, disciplinirten
Kräften wirkten. Und darum, weil diese Umschau und ein
R e s u l t a t bringen soll zur Kräftigung und Sammlung
unserer Politik, versagen wir es uns, die Stimmen aus allen Höhen und Tiefen,
die Schlachtrufe, die Triumphlieder und Grabgesänge aus der deutschen und
europäischen Geschichte dieses Jahres in einen ergreifenden Chor zu sammeln.
Wir glauben zu der
E r k e n n t n i ß mitwirken zu müssen, welche jetzt mächtiger
ist, als Schmerz und Hoffen. –
Eine neue Welt ging uns Deutschen
auf; es war natürlich, daß wir zu viel auf das Allgemeine, auf alle höchsten
Güter der Menschheit blickten; aber das Viele, was wir erfassen wollten,
konnten wir nicht zugleich festhalten. Die edle menschliche Theilnahme an den
verwandten Völkerschicksalen ließ uns die ganze Bewegung zu sehr als eine
überall gleiche und dieselbe erscheinen. Wir vergaßen darüber das
E i g e n t h ü m l i c h e und
U n t e r s c h e i d e n d e der
d e u t s c h e n Bewegung stets im Auge zu behalten, aber
gerade d i e s müssen wir jetzt erkennen, weil nur aus
diesem
e i g e n s t e n Charakter die neuen Kräfte zu entwickeln
sind, deren wir nach so bittern Niederlagen bedürfen.
Uns erschien nach der Schmach
unserer politischen Zustände die
F r e i h e i t als das wesentliche Ziel und der eigentliche
Charakter der deutschen Revolution. Sie war und ist uns freilich so nothwendig
wie die Lebenslust, und immer bleibt die Ausbildung der Demokratie ein
wesentliches Ziel. Aber – in einem demokratischen Blatte dürfen wir es ohne
Furcht vor Missverständnissen sagen: - es war ein theilweiser Irrthum, wenn man
in der Freiheit das
E i g e n t h ü m l i c h e dieser Bewegung vorherrschend erkennen
wollte. Sie war es vielmehr, die Deutschland mit allen Völkern
g e m e i n s a m hatte; nicht die deutsche, sondern die
französische Revolution des vorigen Jahrhunderts hat die Printzipien der
Freiheit und Gleichheit, und diese allein, den Mächten der alten Welt blutig
abgerungen. Wir kannten sie, wir hatten sie allen liberalen
Glaubensbekenntnissen; und ohne große Kämpfe, ohne kräftigen Widerstand haben
wir diese Fahnen zum Siege getragen. Die demokratischen Institutionen , in den
Grundrechten der conservativen Reichsversammlung festgestellt, in die meisten
Einzelverfassungen schon übergegangen, ja selbst von der monarchischen Gewalt
in Preußen octroyirt,
s i n d
e r r u n g e n für Deutschland. Wir haben in ihnen die Mittel,
diesen Geist im ganzen Umfang der politischen
F o r m e n
von einer Stufe zur andern, und vom Mittelpunkt bis in alle Spitzen des
Lebens durchzubilden, und wer mit freiem Blick an der Schwelle des neuen Jahres
die großen Züge des Ganzen erfasst, wird diese Kräfte zu stolz empfinden, als
daß er dem Fastnachtsspiel des Belagerungszustandes, den Chicanen der Processe,
und allen widerwärtigen Kämpfen, in denen die alten Gewlaten einen
Scheinconstitutionalismus zurückzuerobern suchen, noch die Ehre anthäte, ihre
Besiegung für das wesentliche und hauptsächliche Ziel unsers Strebens zu
halten. Diesen Unwürdigkeiten werden die ersten Worte in den preußischen
Kammern ein Ende machen. Was an jenen Grundmauern der Demokratie noch fehlt,
wird bald vollendet sein; und dahin blickt kein banges und zweifelndes Auge.
Noch im alten Jahre sind diese
Grundrechte als Reichsgesetz verkündet, und wo sie Widerstand finden, richtet
er sich nicht gegen die Bestimmungen, in denen freie Völker die genügende
Gewähr der Freiheit erkennen. Aber lasst sie eingeführt sein, lasst in ihrem
Sinne die gesetzgebende Arbeit in den Einzelstaaten beginnen: damit ist unsere
Aufgabe nicht geschlossen und unser Ziel nicht erreicht. Mit diesen Freiheiten
sind die Schranken noch nicht gefallen, die uns gehemmt und eingeengt haben;
mit ihnen hat Deutschland noch keine Macht, in die große Arbeit der
Völkerbefreiung, der internationalen Verbrüderung und Gerechtigkeit ebenbürtig
einzutreten; mit ihnen mag der Preuße wie der Baier frei sein, - aber D e u t s c h l a n d ist noch keine N a t i o n. Das
volle Gefühl unserer Selbstständigkeit, das hohe Ziel unseres eigensten Berufs,
und endlich die von Geist zu Geist entzündete, von Hand zu Hand verbundene Kraft
zum öffentlichen Leben und großen Schaffen -
f e h l t
uns, so lange uns die
E i n h e i t fehlt!
Die Einheit Deutschlands! Sie war
es, gegen die der Haß am tiefsten wurzelte, für die die Liebe am nachhaltigsten
gedauert hat. Sie ist das Wort unserer Zukunft, das wir nicht ererbt noch
gelernt haben und deren Gesetze wir aus keiner Constitution herübernehmen
können wie die andern, --- weil ihre Erscheinung die n e u e Gestalt des Jahrhunderts, eine neue Form im
Völkerleben sein wird, wie weder Amerika noch Frankreich sie gebildet haben.
Was Deutschlands
e i n i g e r G e i s t für Europas Bildung geleistet hat, das hat
bis heute Deutschlands
p o l i t i s c h e
U n e i n i g k e i t an der
F r e i h e i t gesündigt; und wie ein getheiltes Deutschland
das Ziel und Mittel des europäischen Despotismus war, so wird nur ein einiges
Deutschland das Schwerdt und Schild der europäischen Freiheit und Gerechtigkeit
sein.
Wir werden daran zu Schanden
werden, wenn wir noch länger kurzsichtig, wie oft die Besten, diesen Kern
unserer Revolution und unserer Zukunft zerrütten lassen durch den Kampf um F o r m e n der Freiheit, die sich doch unfehlbar in
ihrer Entwickelung gleichmäßig demokratisch ausbilden werden. Diese Gleichmäßigkeit
der inneren Verfassung hat höchstens in freier Uebereinstimmung ihren Werth,
aber sie ist keine Nothwendigkeit. Lassen wir der Zeit, was langsam wächst und
für den Moment zu entbehren [ist?] aber
s c h a f f e n wir um
j e d e n P r e i s, was
nur durch die unbeugsame Energie gegen die noch widerstrebenden Kräfte geschaffen
oder
g e z w u n g e n werden muß, weil es n i c h t zu entbehren ist. Das ist der
B u n d e s s t a a t,
in welchem es nur e i n Ministerium des Kriegs und nur e i n Ministerium des Auswärtigen giebt, und in dem
nur e i n e Gewalt,
e i n Wille an der
Spitze steht. Einzig, geschlossen, fest, daß keine fremde Macht an den
Interessen von Staaten oder Dynastien
i n n e r h a l b Deutschlands Handhaben finde, um
Deutschland
s e l b s t
zu zerreichßen zum Vortheil des Egoismus oder des Wehrgeizes andrer
Nationen.
Wer soll dieß
Deutschlandschaffen? Die souveraine Nationalversammlung hat noch heute wie
damals die Vollmacht dazu durch die Schwierigkeit oder Unmöglichkeit, daß es a n d e r s zu Stande komme. Ist das so, dann müssten wir
demnach mit Verzagen die Umkehr der Verhältnisse sich vollenden sehn, durch
welche alle Einzelstaaten erstarkt sind und Frankfurt geschwächt ist?
Nein, wir schließen nicht mit
dieser Furcht. Was dem Reichstage nicht glücken könnte, das würden die Landtage
wieder aufnehmen, und wenn er Hülfe braucht, so werden diese organisirten
öffentlichen Kräfte, in edlem Wetteifer verbündet, das zu Ende führen, was aus
den kleinen Zusammenkünften von Hallgarten und Heidelberg in wenig Monaten zu
einer Macht gewachsen ist, mit der zu brechen doch selbst den Uebermüthigen der
Muth fehlt. –
So mögen denn die, deren letzte
Ziele noch weit über die Resultate dieses Jahres hinausliegen, sich jetzt mit
uns zu denen stellen, die eine solche Einheit gründen wollen. Wir verlangen
diese Entsagung und Selbstbeherrschung von unsren Freunden, wie wir sie selbst
auch ferner üben werden. Und wie man am Menschen nicht das stets bewegliche
Herz achtet, sondern den Charakter: so wird die einzig d a u e r n d e Empfehlung für eine Zeitung darin liegen,
wenn sie durch ihre Vergangenheit bewährt hat, daß das Vaterland ihr höher al
die Parteien, und die Ueberzeugungstreue mehr als Freundschaft und Feindschaft
gilt. Zu einem jubelnden „Glückauf“! ist es nicht die Zeit, aber einen Gruß und
Handschlag bringen wir Allen entgegen, die uns in der ernsten Arbeit begleiten
und fördern wollen!