Der germanische
Winterschlaf war die berühmte Ruhe vor dem großen Sturm. Als Theodor Althaus am
27. Januar 1848 im Leipziger Theater einer Vorstellung von Glucks Iphigenie in Aulis beiwohnte, war es ihm
unmöglich, seine Aufmerksamkeit auf die Opernbühne zu lenken, denn unmittelbar
zuvor hatte er die Nachricht vom erfolgreichen Aufstand der Bevölkerung in
Palermo gegen den bourbonischen König Ferdinand II. am 12. Januar 1848
erhalten. Das war die größte Freude, die er seit langem erlebt hatte. Die Lichter von Palermo, nachts um drei
angezündet, sah er während der gesamten Vorstellung vor sich. Ich hoffe, du hast unseren ersten Sieg in
diesem Jahr gehörig genossen und den 12. Januar roth angestrichen, schrieb
er seiner Schwester nach Detmold.
Ein paar Tage später stand er im gedrängt vollen
Konversationssaal des Museums, eine gerade eingetroffene Zeitung in den Händen,
die Indépendance Belge, aus der er
fast atemlos einen Artikel über Sturmglocken von Notre Dame, dem Sturz von
König Louis Philippe am 24. Februar 1848, vorlas. Das war weit mehr als
Sizilien, das konnte umwerfende Auswirkungen auf die Länder des Deutschen
Bundes haben. Wie sah die neue Regierung in Frankreich aus? Gab es eine
Republik? Ungeduldig fiebernd wartete man auf weitere Nachrichten, auf Journale
oder Reisende mit dem Zug aus Brüssel oder aus Köln.
Am 5. März 1848 konnte er endlich die befreienden
Informationen in seinem Tagebuch notieren. Einen Tag nach dem Sturz des
Monarchen war in Paris die Republik ausgerufen und eine provisorische Regierung
gebildet worden: Ich habe Angst gehabt,
wie eine Mutter um ihr Kind, bis endlich, allendlich das Ja und Amen kam -
keine Regentschaft, sondern Republik, keine Freude, sondern Enthusiasmus, kein
neues Ministerium - eine neue Welt! Ich habe kaum Zeit zu denken […]. Ich kann
mich nicht satt lesen an den Verordnungen der provisorischen Regierung. Als ich
zum erstenmal die Ueberschrift las, hab ich geweint vor Freude:
Republique Francaise,
Liberté, Egalité, Fraternité
Als die Freudentränen versiegt waren, stellte sich
für den jungen Heißsporn die Frage: Und jetzt? Da war einer schon längst aktiv.
Robert Blum versammelte Gleichgesinnte um sich und hatte auch konkrete Pläne.
Zuerst wollte er in Leipzig und Sachsen Einfluss nehmen, im Stadtparlament und
im Redeübungsverein. Es hieß Forderungen und in Broschüren publizieren:
Geschworenengerichte, Presse- und Versammlungsfreiheit, Rücktritt der
sächsischen Regierung, Wahlreform, Volksbewaffnung anstelle von Soldaten. Blum
war in seinem Element. Sonst immer mit Reden vorneweg, saß Althaus jetzt nur
still dabei. Er musste die neuen Entwicklungen erst einmal begreifen. Wie
sollte ein freies einheitliches Deutschland aussehen? Noch ehe er sich über
seinen Anteil an Blums Aktivitäten klar werden konnte, bekam er ein Angebot von
der Weser-Zeitung. Jetzt wollte man
ihn als Leitartikler in Bremen sehen.
Am 9. März war er unterwegs nach Norddeutschland. Doch er hatte
kaum Zeit, sich in Bremen zu etablieren, als der nächste Donnerschlag durch das
Land hallte. Der kam aus Wien. Nach einem Sturm auf das Ständehaus war der
vierundsiebzigjährige Staatskanzler Fürst Metternich am Abend des 13. März 1848
ins Exil geflohen. In der
Bremer Redaktion wurde die neue Situation in den Ländern des deutschen Bundes erörtert
und die politische Richtung der Weser-Zeitung
festgelegt. Sollte Deutschland eine parlamentarische Monarchie oder eine
Republik werden? Letzteres würde die Abschaffung der Königs-, Fürsten- und
Herzogtümer bedeuten. Als glühender Verfechter der Republik konnte Althaus sich
nichts anderes vorstellen. Die Redakteure der Weser-Zeitung hingegen wollten einen gemäßigten Kurs fahren. Somit
kam eine enge Mitarbeit in der Bremer Redaktion für beide Seiten nicht mehr in
Betracht. An seinen Artikeln war man jedoch nach wie vor interessiert.
So fuhr Althaus zurück nach Leipzig, um weitere
Nachrichten zu den Ereignissen in Wien einzuholen und von dort nach Bremen zu
berichten. Als er am 19. März im Leipziger Museumssaal ankam, schlug bereits
die nächste Bombe ein. Die Extraausgaben der Zeitungen brachten erste Berichte
von heftigsten Straßenkämpfen in Berlin. Mit dem Abendzug machte er sich auf
den Weg in die preußische Hauptstadt, kam aber nur bis Magdeburg und
übernachtete im Hotel Stadt London.
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