Samstag, 14. November 2015

Theodors letztes Weihnachtsfest



Kurz vor Weihnachten fühlte er sich immerhin so kräftig, dass er seiner Schwester nach Berlin einen langen Brief schreiben konnte. Er bedankte sich für die Köstlichkeiten und die warme Decke, die sie ihm in einem großen Paket geschickt hatte und beschrieb, wie er im Sofa saß und es sich mit schönen warmen Füßen unter der Decke und Elisabeths Leckereien gemütlich machte. Er berichtete von der lieben Frau Seebach, der Krankenwärterin, die abends beim Zubettgehen auch immer darauf achtete, dass er schöne warme Füße habe. Mit Wehmut dachte er an das bevorstehende Weihnachtsfest und schrieb von einer schlank gewachsenen dunklen Tanne vor seinem Fenster gerade so hoch, daß sie mit ihrer schönen Krone wohl Platz hätte zum Fest in einem hohen weiten Saale, wo ganze Scharen von Kindern in ihrem Lichterkranz tanzen könnten.
Obwohl Verwandte und Freunde ihn zu Weihnachten wieder mit Geschenken und Aufmerksamkeiten erfreuten, vermisste er seine Lieben weit mehr als im Vorjahr im Gefängnis. Er fühlte sich sehr einsam, war aber getröstet durch einen stillen jungen Mann, mit dem Frau Seebach ihn zusammengebracht hatte und der am zweiten Feiertag bei Tee und Kuchen ein paar Stunden mit ihm verbrachte, wobei Theodor ihm eingehend von vergangenen Zeiten erzählen musste, als er noch mit Arnold Ruge, Moritz Hartmann und Eduard Meißner in Leipzig gemeinsame Träume hatte.
Nach Weihnachten besuchte ihn Malwida von Meysenbug. In ihren Memoiren berichtete sie darüber: „Ich fand ihn auf dem Sofa liegend, er schien tief gerührt, mich zu sehen. Ich war bis in das Innerste erschüttert von seinem Anblick und dachte, dass das nicht die einzigen Helden sind, die auf dem Schlachtfeld für die Freiheit sterben. Er starb ja auch, ein Kämpfer, an den Folgen des Kampfes. Sein Zimmer war gross und luftig, aber es war doch das Zimmer eines Hospitals, und er war allein da, fern von allen, die er liebte. Er war noch nicht dreissig Jahr, aber er schien mindestens vierzig; ein langer schwarzer Bart hob seine Blässe und Magerkeit noch mehr hervor, und wenn ein Lächeln auf seine Lippen kam, so war es traurig zum Weinen.“
Die Freundin hatte sich in einem Gasthof eingemietet und blieb eine Woche in Gotha. Täglich besuchte sie Theodor und blieb so lange, bis er sich ausruhen musste. Auch den Silvesterabend verbrachten sie mit Erinnerungen an ihre Zeit in Detmold, ihre gemeinsamen Ideale von Liebe und Freiheit und an seine Mutter. Bevor Malwida Gotha verließ, besorgte sie ihm einen bequemen Lehnstuhl, weil ihr aufgefallen war, wie schwer das Sofasitzen ihm fiel. Malwida erinnert sich:  „Er war sehr gerührt, und als er mir die Hand zum Abschied reichte, sagte er mit bewegter Stimme: 'Man hat behaupten wollen, dass die demokratischen Frauen kein Herz hätten; es ist an mir, dem zu widersprechen.’“


Auszug aus:

Freitag, 6. November 2015

Schwere Tage in Bremen




Indes waren in Bremen die Kämpfe gegen die Bremer Zeitung vollends ausgebrochen. Der leitende Redakteur [Theodor Althaus] wurde offen angefeindet, darauf angesprochen, wie ein Enkel von Dräseke so heillose Sachen schreiben könne und provokativ gefragt, wie er sich denn die Einheit und Republik eigentlich denke. Und es kam noch schlimmer. Mit Flugschriften und offenen Briefen agitierte man gegen die Zeitung und speziell gegen die Artikel von Theodor Althaus. Im Tagebuch notierte er: Das Complott brach endlich an der entscheidenden Erklärung los. Haufenweis kamen die Absagebriefe im echten Bourgeoisstil. Die Principale bleich, niedergeschlagen, sahen voraus, dass die ‚Bremer Zeitung’ für Bremen verloren sei […]. Da half es auch nicht, dass zwei mitgliederstarke Bremer Vereine sich vehement für die freisinnige Tendenz der Leitartikel von Althaus einsetzten und in offenen Briefen diese Art von Pressezensur anprangerten. Der Bürgerverein äußerte sich empört über die Angriffe und Demonstrationen von Aristokraten und Reaktionären, die vor den unparteiischen Richterstuhl der öffentlichen Meinung gehörten. Noch schärfer formulierte der demokratische Verein. Die längst beseitigte Staatszensur werde von jenen Finsterlingen als Privatzensur wieder eingeführt und die Menschen somit um die glücklich errungene Pressefreiheit gebracht. Die Solidaritätserklärungen der beiden Bremer Vereine wurden von der Redaktion wunschgemäß publiziert und am 4. Oktober 1848 in der zweiten Ausgabe der Bremer Zeitung gedruckt.
Als Agitation und Boykott über die Zeitung hinaus sogar gegen die traditionelle Heyse’sche Verlagsbuchhandlung ausgedehnt wurden, entschied der Verleger, einen Schlussstrich zu ziehen und sich von der Zeitung zu trennen. Die Bremer Zeitung wurde an die Gebrüder Jänecke in Hannover verkauft, im Einvernehmen mit Theodor Althaus, der sie dort unter dem Namen Zeitung für Norddeutschland weiter redigieren würde. Schwere Tage, notierte er, durch die unsittliche Finesse und die ganze Perfidie mich indirect als Rothen zu schildern, fühlte ich die letzten Fäden reißen. Dem bevorstehenden Ortswechsel konnte er durchaus positive Aspekte abgewinnen. Hannover war besser an das Eisenbahnnetz angebunden als Bremen und somit erreichten die neuesten Nachrichten die Redaktion schneller als bisher.
Doch so richtig wollte der Blick nach vorne und das Entwickeln von Perspektiven noch nicht gelingen. Zu tief saß der verletzende Stachel. Die bittere Enttäuschung brachte sein inneres Gleichgewicht ins Wanken. Theodor bekam Husten und wurde krank. Konnte nicht schreiben, fühlte mich mit kurzen Unterbrechungen wie todt, wie vernichtet, sah mit Grauen dem Winter und mit Ekel dem Leben entgegen. Trost fand er in der Korrespondenz mit seiner Cousine Minna Schmitson in Frankfurt, die er auch seinerseits trösten musste, weil ihr Vater als Angestellter bei der Bundesmilitärkommission während des Straßenkampfes am 18. September eine Verwundung davongetragen hatte: Aber es gilt auszuharren und treu zu bleiben. Ein Frühling kommt, in Menschenwelt und in Natur wird er uns wiederkehren!
De Traurigkeit war stärker als die Hoffnung auf Frühlingserwachen. Als an seinem Geburtstag Schwester Elisabeth ihn an sich drückte, wusste er nicht, ob er sich freuen oder heulen sollte. Die treue Seele war extra nach Bremen gekommen. Sechsundzwanzig Jahre alt wurde er und kam sich vor, als hätte er das ganze Leben schon hinter sich. Ihr gegenüber gab er zwar sich optimistisch, wusste er doch, sie würde alles der Mutter erzählen und die sollte sich nicht beunruhigen, doch wie er sich wirklich fühlte, vertraute er seinem Tagebuch an: Ich habe verloren, ich weiß nicht mehr zu sprechen wie sonst, seit ich so viel lese und schreibe. Ich kenne die Herzen nicht mehr so, seit ich mir selbst so wenig, so fast niemals angehöre.