Aus: Theodor Althaus: "Die Zukunft des Christenthums". Seine Wahrheit, seine Verkehrung und seine Wiedergeburt durch Freiheit und Liebe. Dem deutschen Volke gewidmet. Darmstadt. Druck und Verlag von Carl Wilhelm Leske 1847
Christus der Demagog – und die christliche Polizei
Weil wir Geistesverwandte sind und das ursprünglich
christliche Werk fortsetzen, müssen wir auch in der Art desselben Geistes
äußerlich wirken – wie gern würden wir es thun, wenn der Staat nicht Christi
Beispiel nachzuahmen verböte und unmöglich machte. Es ist aber im Grunde nicht
dieser moderne gegenwärtige Staat, oder unsre jetzt le enden Fürsten, welche es
verbieten; denn von denen, welche im Vaterlande bekannt sind, wollen viele
echte Christen sein, und zeigen, daß das Beste des Volkes nach ihrer Art ihnen
wahrhaft und ohne Redensart am Herzen liegt. Vielmehr hat das Alte Christenthum
in seiner ganzen Entwickelung an diesem Verbote gearbeitet, und die Staaten
folgen nur dem, was mit wenigen Ausnahmen in der Meinung der Rechtgläubigen für
christlich gilt. Seit Christus zum Gott, zum allmächtigen Schöpfer Himmels und
der Erden erhoben wurde, verstand es sich von selbst, daß wir sein Beispiel nur
in gewissen Sachen nachahmen dürfen; und so ist es ganz natürlich, daß der
Staat und die Frommen jetzt, wenn wir Christus in seiner Predigt und seiner
volksthümlichen Wirksamkeit nachahmen wollen, alsbald sprechen: Halt! Ihr dürft
ihm nur in der Liebe nachfolgen – als wenn die Liebe nicht drängte zum
Apostelamt und zum Reden von den Dächern -; oder: das war einmal und kommt
nicht wieder – als wenn das Reich Gottes schon fertig wäre! – In Christus ist
keine servile Ader, kein knechtisches Wort ist aus seinem Munde gekommen, er
hat geredet, was Wahrheit war, menschlich frei, begeistert; wohl in besonnener
Würde und Macht, aber mit dem Feuer des Zorns nicht allein gegen die Sünde,
sondern auch gegen die Sünder, die im hohen Rathe seines Volks auf Mosis Stuhle
saßen, g e g e n s e i n e g o t t g e s e tz t e O b r i g k e i t. Was er gegen diese Hohen
geredet hat – verstümmelt, arm, zerstückelt wie es und überliefert ist, bleibt
es ein ewiges Muster und Krone volksthümlicher Beredsamkeit – wessen Schuld ist
es, daß wenn jetzt ein Freier bei Nacht gefangen wird und gefragt: was lehrest
du? – er nicht sagen kann: ich habe geredet frei, offen vor allem Volk? Man
braucht gewöhnlich, wenn man das Urschristliche erkennen will, jetzt, wie
damals in den ersten Zeiten, nur zu forschen, was angesehen, hoch, und vor
allem anständig ist bei den Hohen dieser Welt; in der Rede ist es: du sollst
fein höflich reden mit Rücksicht gegen die Vornehmen, wenn du gleichwohl dem
niederen Volke seine Sünden vorhalten darfst. Christus erhielt von seinen Feinden
unwillig ein anderes Zeugniß, sie wussten nicht, wie sie ihn damit ehrten:
Meister, wir wissen, daß du wahrhaftig bist und fragest nach Niemand, denn du
achtest nicht das Ansehen der Menschen, sondern lehrest den Weg Gottes recht.
(Marc. 12, 14) Wir gut für uns Spätgeborne, daß damals eine einfache
Schilderung des Bestehenden noch nicht zum Hochverrath gestempelt war, daß man
in Judäa noch die Freiheit der alten Welt achtete und Christum nicht alsbald
gefangen nehmen oder des Landes verweisen konnte, sondern erst warten mußte,
bis sein religiöses Verbrechen gegen das Gesetz des Landes reif war! Christus
und die Seinen – obwohl keiner von ihnen seine Hoheit, Gewalt und Freiheit den
Herren der Welt gegenüber erreicht zu haben scheint, trat auf nach der alten
prophetischen weise und rief zum Reich Gottes in der einfach natürlichen d e m a g o g i s ch e n Art. Aber weil er nur mit Waffen des Geistes kämpfte,
wiegelte er das Volk nicht auf, entwich ihnen, als sie ihm zum König machen
wollten und wies alle Hülfe der Seinen die zum Schwert greifen wollten, ruhig
ab. Er zahlte den Zins, predigte keine politische Rebellion und war kein
Empörer. Aber zu schweigen verstand er sich nicht, sondern er wirkte die Werke
dessen, der ihn gesandt hatte, so lang es Tag war – von unsern Zeiten hätte man
vor wenig Jahren noch sagen können – und vielerorts noch heut: es ist gekommen
die Nacht, da niemand wirken kann. Er zog im Lande umher, von Tausenden
begleitet – man war noch nicht auf den Einfall gekommen, die Volksversammlungen
zu verbieten - ; er predigte, wenn auch angefochten und bedroht, dennoch drei
Jahre lang. Denn erst der moderne Staat, der sich den christlichen nennt, hat
die Virtuosität im Verbieten der Wahrheit mit der Schnelligkeit ihrer
Unterdrückung zu vereinigen gewußt.
Aber der alte vergessene Traum vom Gottesreich wacht wieder
auf in der Welt, und die innre Stimme mahnt, daß die Wahrheit etwas höheres sei
als liebevolles Verschweigen, und ihr Schwert in den Zeiten der Erfüllung
heiliger als der Palmzweig, und die Stimmen, die: Friede predigen, wo doch kein
Friede ist. Der deutsche Geist steht auf, die deutsche Brust wird weit, zum
Volke zu reden, und wir wissen, daß der christliche Geist der ist, welcher den
Propheten im härnen Gewand dem König zurufen ließ: es ist nicht recht! Welcher
auch uns nicht sorgen lässt, wie oder was wir reden sollen; welcher sich in den
Märtyrern und den großen Priestern der Vorzeit und in Luthers noch freien Reden
nicht unbezeugt gelassen hat – das ist unser Geist. Und dürften wir nur der
Wahrheit gehorchen wie wir wollen, nach rechts und links! Nun aber glauben
Viele schweigen zu müssen, weil die Männer der Freiheit nur g e g e n
ihre Freunde freies Wort vergönnt erhalten.
Ihr Fürsten und fürstlich Gesinnten, irrt euch nicht! Außer
allen Parteien, an deren Unterdrückung ihr Arbeitet, außer allen die ihr
oberflächlich sondert in Radikale, Communisten, Atheisten, Liberale – außer
allen, ja und in ihnen, wie wir wissen und vertrauen, ist eine andre Partei,
unsichtbar zur Zeit, schwach dem Anscheine nach, verläumdet von ihren Freunden,
übersehen am liebsten von euch. Sie weiß, was sie will, und wird nicht aufhören
es zu fordern – aber sie führt ihre Waffen auch gegen sich selbst, denn es sind
Wahrheit und Gerechtigkeit, Waffen des Geistes: darum ist sie noch k e i n e
Partei im Sinne des Worts, d a r u m
aber ist ihr auch die Zukunft und ihr wird der Sieg sein. Wir schmähen
euch nicht, wir rufen nicht zur Empörung, wir halten keine Revolution mit Mord
und Blut für nothwendig – wir gehorchen euren Gesetzen; wir erkennen euer menschliches
Recht an, denn euer ist das Bild und die Umschrift, ihr seid unsre Herren. Aber
euer göttliches und unantastbaren Recht anzuerkennen haben wir verlernt an all
dem göttlich-privilegirten Auswurf der Menschheit, der auf Thronen gesessen hat;
haben wir verlernt, seit das Bewusstsein unsres menschlichen Wesens in uns
erwacht ist;: und wo das Volk noch christlich ist, werden wir ihm die Wahrheit
des Christenthums zum Bewusstsein bringen und die Freiheit in Christi Geist, in
unserm, dem menschlichen, dem göttlichen Geist wieder auferstehen lassen. Die
Freiheit ist uns kein zügelloses, selbstsüchtiges Verlangen, das euch nur eure
Macht missgönnt, sondern sie ist der Drang zum Reiche Gottes in der That und
Wahrheit, und nur mit Gott, Liebe, Wahrheit – nur mit allem, was uns heilig ist
zwischen Himmel und Erde, könnt ihr sie aus unsrer Brust reißen.
Wir sind keine Kinder und Unmündige, sondern Männer, welche
das Ziel der Menschheit erkannt haben. Wir wiederholen es euch so ernst, wie es
uns mit unserer Sache ernst ist: wir wollen
n u r die Waffen des Geistes
gebrauchen, wir wollen uns nicht empören, wir wollen euren Gesetzen gehorchen,
oder, wenn es einmal einer um des Gewissens willen nicht kann, ruhig dulden, was
ihr über uns verhängt. Aber eben so offen sagen wir euch: mit ein paar Privilegien
für uns und mit ein paar Concessionen für das Volk werdet ihr uns nie zufrieden
stellen; wir werden unzufrieden bleiben, so lang wir nicht erreicht haben, was
kräftigen und begeisterten und besonnenen Menschen möglich ist. Keine
menschliche Schranke erkennen wirk an deren Niederreißung des menschlichen
Geistes Kraft sich nicht erproben sollte, wenn Liebe und Freiheit es
verlangen-; wenn wir eine solche feststellten, so wären wir g o t t l o s
und wäre es uns nicht Ernst mit dem Reiche Gottes. Und seht, so
riesengroß dieser Kampf auch ist, so wahr es sich um eine neue Welt handelt –
er ist doch vor dem Auge des Geistes nur ein Nachspiel und eine Erfüllung des
ersten Kampfes, den Christus gekämpft hat gegen das göttliche Gesetz. Gleiche
Feinde, gleiches Ziel, gleiche Waffen. Ein altes Gesetz ist aus dem Herzen zu
reißen, um die Wahrheit leuchten zu lassen, die sich in der Zeit unter den
Händen der Menschen zur Lüge verkehrt hatte. Aber weil wir im alten Gesetz die
ewige Wahrheit, die in der ersten That hervorbrach, erkannt haben, und das
Christenthum s e l b st zum Kampf gegen seine Verkehrung ruft, und
alle Begeistrung jenes ersten Sieges wach wird und mächtig in den Herzen: darum
wissen und glauben wir: gleicher Kampf, gleicher Sieg! Und wenn auch tausendmal
das Loos unsres Freundes uns einzelnen in diesem Geschlecht zurufen sollte:
gleicher Untergang! Denn sind wir mit ihm zum Tode gepflanzt, werden wir ihm
auch in der Auferstehung gleich sein. (Röm. 6, 5.)
So haben wir denn, ehe von der Wiedergeburt geredet ist, das
ursprüngliche Leben, zu dem das veraltete und erstarrte wieder geboren werden
muß dargelegt, und – wir hoffen es – klar und rund genug gesagt, was sie neue
Zeit der Gerechtigkeit als das Wesen des Christenthums erkennen muß und wird.
Es ist, mit einem Worte, sein göttlicher Geist, der sich in der That bewährt
hat und aus seinem Leben darum ewig neu sich wiedergebärt und Leben schafft,
weil in ihm die ewigen Gedanken, die fortan alle Geschichte und alles
menschliche Werden zum Dasein fördern und bewegen, zuerst erschienen sind. Das
Wesen ruht, wie schon eine alte richtige Unterscheidung gefunden hat, nicht in
seinen Lehrsätzen, sondern in seinen Grundsätzen, nur wußte und wagte man
nicht, dieß Wesen in seiner Fülle zu entfalten. Nennt man zu den Grundgedanken,
die sich im reich Gottes zusammenschließen lassen, noch: Wahrheit, im Sinn des
vierten Evangeliums hauptsächlich, so ist damit theils nur die nothwendige Bestimmung
hinzugefügt, daß in jenem Gedanken die höchste Wahrheit ist; theils will es
heißen: daß er kämpft g e g e n alle Lüge, die sich am schneidendsten in der
bloßen Form und Aeußerlichkeit offenbart, und
f ü r den Geist, in dem allein
die Wahrheit ist, der allein die Thaten rechtfertigt die aus ihm geboren sind.
Wir haben es aber mit dem Leben der gegenwärtigen Zeit zu
thun, und in ihr tritt uns ein in die heilige Schrift eingeschränktes, und noch
dazu von der Kirche dogmatisch festestelltes – ein Altes Christenthum ein im
schlechten Sinne fast überall menschliches Christenthum entgegen. Was geschehen
ist und besteht, kann uns von der Erkenntniß der Wahrheit nicht zurückhalten,
vielmehr ist die Geschichte nach ihrer ersten Betrachtung Lehrmeisterin zur
Wahrheit. Darum wenden wir uns wieder zu ihr, denn bevor wir von einem neuen
Baue reden können, müssen wir das A l t
e v e r s t a n d e n und mit ihm Abrechnung gehalten haben. (S. 76 - 81)
Anmerkung: Die zeittypische Rechtschreibung wurde beibehalten.
Diesen und mehr Texte von Theodor Althaus gibt es in einer Sammlung:
Theodor Althaus, Zeitbilder 1840 - 1850
Hrsg. von Renate Hupfeld
Aisthesis Verlag Bielefeld, 2010
Erzählende Biografie:
Renate Hupfeld: Theodor Althaus - Revolutionär in Deutschland
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