In den darauffolgenden Tagen erfuhr der leitende
Redakteur der auflagenstarken Bremer
Zeitung schmerzlich, wie wenig im Moment die Demokratie und die während der
Märzrevolution erlangte Pressefreiheit wert waren. Nachdem er sich am 11. September
1848 von der Haltung Waffenstillstand [von Malmö] zugunsten des Handels um jeden Preis deutlich distanzierte und sich klar
hinter das Votum der Nationalversammlung stellte, gab es eine Vielzahl von
Kündigungen der Abonnements. Für viele Bremer Bürger waren Handel und Gewerbe
Größen, denen sich die Politik unterzuordnen hatte. Für Althaus hingegen hatten
Einheit, Ehre und Freiheit des Vaterlandes oberste Priorität, auch um den Preis
der Aufgabe von territorialen Zugewinnen an der Grenze zu Dänemark und
Verzögerungen des Küsten- und Seehandels. Besonders das Letztere, Beeinträchtigungen des Seehandels, dürfte in
Bremen für großen Unmut gesorgt haben.
Der Rückgang
der Abonnenten brachte Althaus eine Menge Ärger mit dem Verleger, der sich in
dem Zusammenhang auch um das Anzeigengeschäft sorgen musste. Er wollte
diese bitteren Realitäten nicht so recht an sich heranlassen, wenn er am 13.
September 1848 im Tagebuch notierte: Diese
Gesichter des Himmelseinsturzes, wenn ein Abonnent gekündigt hat! Doch die
Misstöne drückten schwer auf seine Stimmung: So in’s Blaue hineinzuschreiben, wenn Dein Leben von nirgendher Dir
wieder entgegenkommt – so gar keine Frucht zu sehen, gar keine Genugthuung als
die innere, zu der man keine Zeit hat, und die sich endlich auf das leere
Gefühl der vollbrachten Arbeit beschränkt! Das ging vorbei. Hart werden und
Ausharren, sagte er sich. Er würde daraus lernen.
Es vergingen nur ein paar Tage bis zur nächsten
Härteprüfung. Im Frankfurter Parlament war mit dem Ablehnungsvotum keine Ruhe
eingekehrt. Wie sollte es weitergehen? Wie konnte man die preußische
Vorherrschaft stoppen? Wie sollte man den demokratischen Karren aus dem Sand
bekommen? Hektisches Agieren bestimmte das politische Geschehen. Dahlmanns
Bemühen um ein neues Reichsministerium schlug fehl und er gab den Auftrag zur
Regierungsbildung an den Reichsverweser zurück. Weitere Diskussionen und
Parlamentsdebatten führten zu Verschiebungen von Mehrheiten, sodass die
Nationalversammlung in einer erneuten Abstimmung am 16. September 1848 den
Waffenstillstandsvertrag schließlich doch akzeptierte und mit 257 gegen 236
Stimmen für die Ratifizierung zwischen Preußen und Dänemark votierte. Damit
hatte das erste frei gewählte deutsche Parlament das Vertrauen seiner Wähler
und das potentieller Verhandlungspartner verspielt. Außerdem hatte es sich
selbst als politische Kraft matt gesetzt, indem es den Beschluss über die
Errichtung der Zentralgewalt nicht umsetzte, obwohl Im Erlass vom 28. Juni 1848
der vierte Absatz lautete: Ueber Krieg
und Frieden und über Verträge mit auswärtigen Mächten beschließt die
Zentralgewalt im Einverständnisse mit der Nationalversammlung.
Theodor Althaus konnte es nicht fassen. Über das
leere Blatt auf seinem Stehpult hinweg blickte er auf die grünen stacheligen
Kugeln der Kastanien vor seinem Fenster. Wie sollte er beginnen? Sie würden
darauf schauen, was da nun morgen geschrieben stand in seinem Leitartikel. Viel
hatte er noch nicht erfahren, zwei Tage nach dem parlamentarischen
Donnerschlag. Die Informationen aus Frankfurt flossen spärlich. Die
Entscheidung war knapp gewesen und das ließ hoffen. Es war noch nicht aller
Tage Abend. Tumultartige Szenen vor der Paulskirche, hieß es. Kein Wunder, dass
die Menschen sich Luft machten in ihrer patriotischen
Leidenschaft. Wenigstens das Volk wusste, was es seinem Vaterland schuldig
war, im Gegensatz zur Frankfurter Majorität. Der Beschluß der Nationalversammlung über den Waffenstillstand,
schrieb er in die Kopfzeile. Das klang sachlich und würde niemanden
provozieren. Und doch. Nur schreiben,
was sie lesen wollten? Um den Verleger nicht zu verärgern? Dass er überhaupt darüber
nachdachte. Nein, ungeschönt und in voller Klarheit würde er das Dilemma in der
Paulskirche aufzeigen. Zum ersten Mal hätte die Nation als Einheit agieren
können und hatte es nicht getan. Dänemark hätte die Zentralgewalt anerkennen
müssen und hatte es nicht getan. Stattdessen diffuses Gerede von Verständigung
und Modifikationen. Wer? Wo? Wie? Nichts als diplomatisches Geschwätz. Wer
sollte eine Regierung denn auch ernst nehmen, die sich selbst nicht ernst nahm,
seine selbst gegebenen Gesetze feige verleugnete? Wer sollte so einem Land völkerrechtliche
Anerkennung gewähren? Und was war mit der Ehre Deutschlands und der Ehre der
Zentralgewalt? Wer hatte daran gedacht? All das schrieb er und machte
zum Schluss noch eine Bemerkung zur wichtigen materiellen Frage. Zumindest die
könnte ja jetzt in der bremischen Kaufmannsstadt in Ruhe und gedeihlich gelöst
werden.
Die Kritik an seinem Artikel in der Bremer
Bürgerschaft, weitere Kündigungen von Abonnenten und die neuesten Nachrichten
aus Frankfurt bereiteten ihm dann doch heftiges Kopf- und Bauchweh. Er wurde
krank, arbeitete aber weiter bis nach Mitternacht, um die nächste Ausgabe
einschließlich seiner Kommentare vorzubereiten, deren Inhalte er sich trotz
allem nicht vorschreiben ließ. Die tumultartigen Ausbrüche vor der Paulskirche
hatten sich an diesem 18. September 1848 in den Frankfurter Straßen und Gassen
ausgeweitet. Abgeordnete der Nationalversammlung wurden angefeindet und als
Verräter beschimpft. Der nach dem Rücktritt von Leiningens neu ernannte
dreiundvierzigjährige Reichsminister Anton Ritter von Schmerling aus Österreich
hatte, angeblich auf Bitten des Frankfurter Senats, preußische Truppen aus
Mainz angefordert, was zur Eskalierung der Unruhen und zum Barrikadenbau
führte, der allerdings ziemlich halbherzig und chaotisch angelegt war. Mit dem
Eintreffen weiterer Truppen, auch österreichischen, war der Aufstand am selben
Abend niedergeschlagen.
Außer schweren Schäden an Straßen und Gebäuden
hatten die Kämpfe viele Verletzte und mehr als vierzig Todesopfer gefordert,
darunter Aufständische, Zivilisten, Soldaten und Offiziere. Die preußischen
Abgeordneten Hans von Auerswald und Felix Fürst von Lichnowsky wurden von einer
Gruppe äußerst gewaltbereiter Fanatiker verfolgt, gejagt und mit
unvorstellbarer Brutalität ermordet. Das
war eine Bilanz, die in jedem Falle innehalten ließ. Vor allem die brutalen
Morde an Auerswald und Lichnowsky beherrschten die öffentliche Diskussion und
die Medien. Auch Theodor Althaus zeigte sich in der Ausgabe vom 22. September
1848 schockiert von diesen empörenden Grausamkeiten,
die jenen Tag als einen Schandfleck unsrer Geschichte hinstellen, wollte
jedoch das Geschehen nicht weiter kommentieren, bevor gerichtliche
Untersuchungen die wahren Tatbestände aufgeklärt hätten. Auch wollte er den
Septembertag nicht nur als fluchbeladenen sehen. Bei aller Schrecklichkeit des
Geschehens wollte er sich nicht darüber hinwegtäuschen lassen, dass an den
revolutionären Aktivitäten die Diskrepanz zwischen dem deutschen Volk und der
Nationalversammlung deutlich wurde, das sich von dem im Mai gewählten Parlament
nicht mehr vertreten fühlte.