Sonntag, 11. Januar 2015

1849 "Pressefreiheit" in Hannover



Gefängniß vor dem Cleverthor

Zwar empfand Althaus die politische Situation als persönliches Dilemma, doch es ging nicht nur ihm so. Weite Teile der Bevölkerung standen uneingeschränkt hinter der Reichsverfassung. Die Enttäuschung und Verbitterung angesichts der unerträglichen Missachtung des Volkswillens machte die tiefe Kluft zwischen Fürsten und Volk allzu deutlich sichtbar. Das absolute monarchische Prinzip stand dem so hart erkämpften demokratischen Prinzip gegenüber. Die starre Haltung der Herrschenden, die vor brutaler Härte nicht Halt machten, schürte das Gefühl der Ohnmacht gegen selbstgefällige Machtausübung. So war es kein Wunder, dass die Menschen wieder unruhig wurden. In allen Ländern gab es friedliche Demonstrationen und Aktionen zur Anerkennung und Umsetzung des Frankfurter Gesetzeswerkes in Form von Kundgebungen und Petitionen, so in Bayern, Franken und in der linksrheinischen Pfalz. Im pfälzischen Kaiserslautern wurde ein Landesausschuss gebildet zur Verteidigung der Reichsverfassung, die man gegen rechtsbrüchige Regierungen durchsetzen müsse.Ge
Als die Machthaber angesichts dieser Willensäußerungen aus dem Volke auf ihrem hohen Ross sitzen blieben und noch immer nicht einsahen, dass das absolute monarchische System dem Prinzip der Volkssouveränität weichen musste, passierte das Unausweichliche. Am 3. Mai 1849 fiel in Dresden der erste Schuss für die Durchsetzung der Reichsverfassung. Nachdem das Zeughaus gestürmt und die Aufständischen bewaffnet waren, flüchtete der sächsische König Friedrich August II. am folgenden Tage mit Familie und Ministern auf die Festung Königstein und die Rebellen proklamierten eine provisorische Regierung für Sachsen auf der Grundlage der Reichsverfassung.
Neue Hoffnung keimte auf. War das der Weg? War der Krieg zwischen Fürsten und Volk offen ausgebrochen? Dann müsste die deutsche Einheit mit Blut erkauft werden. Auch in Bayern, im Rheinland, in Westfalen, Württemberg, Baden, der Pfalz und in vielen anderen Gegenden Deutschlands kam es zu blutigen Volkserhebungen. Theodor Althaus fühlte sich wie erlöst vom Gefühl der Ohnmacht gegen die brutale monarchische Militärmaschinerie. Und er hatte Mitstreiter, die weitaus deutlichere Worte sprachen, als er es sich in Hannover herausgenommen hatte. Die Verfassung, welche die Vertreter des Volkes beschlossen und endgültig verkündet haben, soll durch die Gewalt rebellischer Regierungen umgestürzt, vernichtet werden, hieß es im Aufruf an das Deutsche Volk vom Kongress der Märzvereine Deutschlands am 6. Mai 1849 in Frankfurt, an der Spitze Julius Fröbel und Franz Raveaux. Alle Männer wurden aufgefordert, der Verfassung Treue zu schwören, sich zu bewaffnen und gemeinsam die Durchführung zu erkämpfen.
Vergleichsweise harmlos las sich dagegen der leitende Artikel Der zehnte Mai in Frankfurt am 13. Mai 1849 in der Zeitung für Norddeutschland. Inzwischen war der Dresdner Aufstand mit Hilfe von preußischen Truppen blutig niedergeschlagen worden. Die Nationalversammlung hatte daraufhin den Vertreter der Zentralgewalt aufgefordert, dem preußischen Reichsfriedensbruch entgegenzutreten und die Reichsverfassung gegen jeden Zwang und Unterdrückung in Schutz zu nehmen. Als der Reichsverweser Erzherzog Johann, als Vertreter der Zentralgewalt, sich weigerte, diesen mehrheitlich beschlossenen Auftrag des deutschen Parlamentes auszuführen, sah sich das Ministerium Gagern mit seiner Arbeit am Ende und bot seinen Rücktritt an, den der Reichsverweser auch annahm. Althaus folgerte, dass das Verfassungsprojekt in Frankfurt gescheitert war und er forderte, dass sich nun Gremien, Vereine und Bevölkerung in den Ländern verstärkt um die Durchsetzung des Frankfurter Verfassungswerkes bemühen sollten. Da das hannoversche Ministerium mit Preußen, Bayern und Sachsen zu denen gehörte, die die Verfassung nicht anerkannten, rief er am 13. Mai 1848 im Leitartikel Der zehnte Mai in Frankfurt auf, es müsse jetzt ein Landesausschuss für Vertheidigung und Durchführung der deutschen Reichsverfassung in Hannover eingesetzt werden.
Konnte er ahnen, dass sich Innenminister Stüve, in jenen Tagen als Mitglied des vom preußischen König einberufenen Kongresses zwecks Oktroyierung einer zu erstellenden gesamtdeutschen Verfassung in Berlin eingebunden, nun ausgerechnet am Tage des Erscheinens jenes Artikels in Nr. 132 der Zeitung für Norddeutschland in Hannover aufhielt? Das jedenfalls hatte für den aufmüpfigen Redakteur fatale Folgen. War es die Furcht vor Unruhen im Königreich Hannover oder das Verlangen, es dem unbequemen Kritiker heimzuzahlen? Vorstellbar, dass Stüve schon lange auf eine Gelegenheit gewartet hatte, Althaus auszuschalten. Nach dem Vorspiel mit Beleidigungsklage schlug er nun einen Tag nach Erscheinen des Artikels gnadenlos zu. Theodor Althaus wurde am Montag, dem 14. Mai 1849, nach Denunzierung von Innenminister Stüve, verhaftet und vom Stadtgericht Hannover in das Gefängnis vor dem Clevertor eingewiesen.
Wie sollte er das begreifen? Sechs Schritte hin, sechs Schritte zurück. Von Wand zu Wand. Stunde um Stunde. Wer hatte eigentlich das Recht, ihn einzusperren? Welchen Staat sollte er verraten haben? Lächerlich! Mit dem Artikel hatte er nichts anderes getan als sein Vaterland zu verteidigen. Und diejenigen, die das Dilemma von Deutschland zu verantworten hatten, die wahren Staatsverräter, sollten sich nicht zu früh freuen. Ja, sie hatten es geschafft, ihn hinter Schloss und Riegel zu bringen. Doch den Triumph hatten sie nicht verdient, seine Widersacher hier in der Stadt. Das war nicht das Ende. Die Arbeit von Monaten konnte nicht umsonst gewesen sein. Jede Formulierung hart erkämpft und endlich fertig gestellt das Werk. Eine Verfassung für ganz Deutschland. Er blieb stehen, Männerstimmen da draußen, rannte zum Fenster und machte sich an dem eisernen Hebel zu schaffen, bis der Flügel offenstand. Maispitzen vor blauem Himmel, gleichmäßig aufgeteilt im Kreuzgitter. Jedes kleine Quadrat ein Frühlingsbild in grün. Unten im Hof ein Meer von Blüten. Weiß, zartrosa angehaucht. Jemand rief einem anderen etwas zu, der rief zurück, von Gitter zu Gitter. Niemand hinderte sie. Häftlinge im Gefängnis vor dem Clevertor. Wie er. Doch vielleicht war für ihn morgen schon der Spuk vorbei. Er griff eine Zigarre aus der Schachtel, zündete sie an und schaute zu, wie der Rauch in Wölkchen hinauszog in Richtung Westen, dorthin, wo ein paar Eisenbahnstunden von Hannover entfernt sein Elternhaus stand. Noch wussten sie nichts in Detmold. Was würde sie tun, wenn sie es erführen? Und die Mutter noch kein Jahr in ihrem kalten Grab. Bei allem Schmerz ein kleiner Trost, dass sie dieses Unglück nicht mehr erleben musste. Würde sie verstehen, warum er den Artikel genauso schreiben musste? Für das Vaterland? Bedingungslos würde sie zu ihm halten, ebenso wie der Vater und seine kleine Schwester.
Noch am selben Nachmittag verfasste er in seiner Zelle den letzten Artikel als leitender Redakteur, versehen mit seinem Zeichen, dem Sternchen:


* Hannover, 14. Mai. Heute Mittag wurde ich als verantwortlicher Redakteur der Zeitung für Norddeutschland und Verfasser des leitenden Artikels in der Sonntagsnummer dieses Blattes vom Ministerium des Innern beim Stadtgericht ‚als  S t a a t s v e r r ä t h e r’ denuncirt und verhaftet. In dem erwähnten Artikel wurde aufgefordert: in Gemäßheit des Beschlusses der Nationalversammlung vom 10. Mai einen Landesausschuß in Hannover zu bilden mit denselben Befugnissen, welche die Centralgewalt durch ihren Commissar dem pfälzischen Landesausschuß übertragen hatte, d.h. wie ausdrücklich hinzugefügt war, ohne Eingreifen in die Befugnisse der bestehenden Behörden. Der Untersuchungsrichter äußerte unter Anderem auf einen ihm gemachten Einwand: „Die Centralgewalt sei keineswegs als oberste Instanz in allgemeindeutschen Angelegenheiten von Hannover anerkannt. Th. Althaus.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen