Gefängniß vor dem Cleverthor
Zwar empfand Althaus die politische Situation als persönliches Dilemma, doch es ging nicht nur ihm so. Weite Teile der Bevölkerung standen uneingeschränkt hinter der Reichsverfassung. Die Enttäuschung und Verbitterung angesichts der unerträglichen Missachtung des Volkswillens machte die tiefe Kluft zwischen Fürsten und Volk allzu deutlich sichtbar. Das absolute monarchische Prinzip stand dem so hart erkämpften demokratischen Prinzip gegenüber. Die starre Haltung der Herrschenden, die vor brutaler Härte nicht Halt machten, schürte das Gefühl der Ohnmacht gegen selbstgefällige Machtausübung. So war es kein Wunder, dass die Menschen wieder unruhig wurden. In allen Ländern gab es friedliche Demonstrationen und Aktionen zur Anerkennung und Umsetzung des Frankfurter Gesetzeswerkes in Form von Kundgebungen und Petitionen, so in Bayern, Franken und in der linksrheinischen Pfalz. Im pfälzischen Kaiserslautern wurde ein Landesausschuss gebildet zur Verteidigung der Reichsverfassung, die man gegen rechtsbrüchige Regierungen durchsetzen müsse.Ge
Zwar empfand Althaus die politische Situation als persönliches Dilemma, doch es ging nicht nur ihm so. Weite Teile der Bevölkerung standen uneingeschränkt hinter der Reichsverfassung. Die Enttäuschung und Verbitterung angesichts der unerträglichen Missachtung des Volkswillens machte die tiefe Kluft zwischen Fürsten und Volk allzu deutlich sichtbar. Das absolute monarchische Prinzip stand dem so hart erkämpften demokratischen Prinzip gegenüber. Die starre Haltung der Herrschenden, die vor brutaler Härte nicht Halt machten, schürte das Gefühl der Ohnmacht gegen selbstgefällige Machtausübung. So war es kein Wunder, dass die Menschen wieder unruhig wurden. In allen Ländern gab es friedliche Demonstrationen und Aktionen zur Anerkennung und Umsetzung des Frankfurter Gesetzeswerkes in Form von Kundgebungen und Petitionen, so in Bayern, Franken und in der linksrheinischen Pfalz. Im pfälzischen Kaiserslautern wurde ein Landesausschuss gebildet zur Verteidigung der Reichsverfassung, die man gegen rechtsbrüchige Regierungen durchsetzen müsse.Ge
Als die Machthaber angesichts dieser Willensäußerungen
aus dem Volke auf ihrem hohen Ross sitzen blieben und noch immer nicht
einsahen, dass das absolute monarchische System dem Prinzip der
Volkssouveränität weichen musste, passierte das Unausweichliche. Am 3. Mai 1849 fiel in Dresden der erste
Schuss für die Durchsetzung der Reichsverfassung. Nachdem das Zeughaus gestürmt
und die Aufständischen bewaffnet waren, flüchtete der sächsische König
Friedrich August II. am folgenden Tage mit Familie und Ministern auf die
Festung Königstein und die Rebellen proklamierten eine provisorische Regierung
für Sachsen auf der Grundlage der Reichsverfassung.
Neue Hoffnung keimte auf. War das der Weg? War der
Krieg zwischen Fürsten und Volk offen ausgebrochen? Dann müsste die deutsche
Einheit mit Blut erkauft werden. Auch in Bayern, im Rheinland, in Westfalen,
Württemberg, Baden, der Pfalz und in vielen anderen Gegenden Deutschlands kam
es zu blutigen Volkserhebungen. Theodor
Althaus fühlte sich wie erlöst vom Gefühl der Ohnmacht gegen die brutale
monarchische Militärmaschinerie. Und er hatte Mitstreiter, die weitaus
deutlichere Worte sprachen, als er es sich in Hannover herausgenommen hatte. Die Verfassung, welche die Vertreter des
Volkes beschlossen und endgültig verkündet haben, soll durch die Gewalt
rebellischer Regierungen umgestürzt, vernichtet werden, hieß es im Aufruf
an das Deutsche Volk vom Kongress der Märzvereine Deutschlands am 6. Mai 1849
in Frankfurt, an der Spitze Julius Fröbel und Franz Raveaux. Alle Männer wurden
aufgefordert, der Verfassung Treue zu schwören, sich zu bewaffnen und gemeinsam
die Durchführung zu erkämpfen.
Vergleichsweise harmlos las sich dagegen der
leitende Artikel Der zehnte Mai in
Frankfurt am 13. Mai 1849 in der Zeitung
für Norddeutschland. Inzwischen war der Dresdner Aufstand mit Hilfe von
preußischen Truppen blutig niedergeschlagen worden. Die Nationalversammlung
hatte daraufhin den Vertreter der Zentralgewalt aufgefordert, dem preußischen Reichsfriedensbruch entgegenzutreten und
die Reichsverfassung gegen jeden Zwang
und Unterdrückung in Schutz zu nehmen. Als der Reichsverweser Erzherzog
Johann, als Vertreter der Zentralgewalt, sich weigerte, diesen mehrheitlich
beschlossenen Auftrag des deutschen Parlamentes auszuführen, sah sich das
Ministerium Gagern mit seiner Arbeit am Ende und bot seinen Rücktritt an, den
der Reichsverweser auch annahm. Althaus
folgerte, dass das Verfassungsprojekt in Frankfurt gescheitert war und er
forderte, dass sich nun Gremien, Vereine und Bevölkerung in den Ländern
verstärkt um die Durchsetzung des Frankfurter Verfassungswerkes bemühen
sollten. Da das hannoversche Ministerium mit Preußen, Bayern und Sachsen zu
denen gehörte, die die Verfassung nicht anerkannten, rief er am 13. Mai 1848 im
Leitartikel Der zehnte Mai in Frankfurt auf,
es müsse jetzt ein Landesausschuss für
Vertheidigung und Durchführung der deutschen Reichsverfassung in Hannover
eingesetzt werden.
Konnte er ahnen, dass sich Innenminister Stüve, in
jenen Tagen als Mitglied des vom preußischen König einberufenen Kongresses
zwecks Oktroyierung einer zu erstellenden gesamtdeutschen Verfassung in Berlin
eingebunden, nun ausgerechnet am Tage des Erscheinens jenes Artikels in Nr. 132
der Zeitung für Norddeutschland in
Hannover aufhielt? Das jedenfalls hatte für den aufmüpfigen Redakteur fatale
Folgen. War es die Furcht vor Unruhen
im Königreich Hannover oder das Verlangen, es dem unbequemen Kritiker
heimzuzahlen? Vorstellbar, dass Stüve schon lange auf eine Gelegenheit gewartet
hatte, Althaus auszuschalten. Nach dem Vorspiel mit Beleidigungsklage schlug er
nun einen Tag nach Erscheinen des Artikels gnadenlos zu. Theodor Althaus wurde
am Montag, dem 14. Mai 1849, nach Denunzierung von Innenminister Stüve,
verhaftet und vom Stadtgericht Hannover in das Gefängnis vor dem Clevertor
eingewiesen.
Wie sollte er das begreifen? Sechs Schritte hin,
sechs Schritte zurück. Von Wand zu Wand. Stunde um Stunde. Wer hatte eigentlich
das Recht, ihn einzusperren? Welchen Staat sollte er verraten haben?
Lächerlich! Mit dem Artikel hatte er nichts anderes getan als sein Vaterland zu
verteidigen. Und diejenigen, die das Dilemma von Deutschland zu verantworten
hatten, die wahren Staatsverräter, sollten sich nicht zu früh freuen. Ja, sie
hatten es geschafft, ihn hinter Schloss und Riegel zu bringen. Doch den Triumph
hatten sie nicht verdient, seine Widersacher hier in der Stadt. Das war nicht
das Ende. Die Arbeit von Monaten konnte nicht umsonst gewesen sein. Jede
Formulierung hart erkämpft und endlich fertig gestellt das Werk. Eine
Verfassung für ganz Deutschland. Er blieb stehen, Männerstimmen da draußen,
rannte zum Fenster und machte sich an dem eisernen Hebel zu schaffen, bis der
Flügel offenstand. Maispitzen vor blauem Himmel, gleichmäßig aufgeteilt im
Kreuzgitter. Jedes kleine Quadrat ein Frühlingsbild in grün. Unten im Hof ein
Meer von Blüten. Weiß, zartrosa angehaucht. Jemand rief einem anderen etwas zu,
der rief zurück, von Gitter zu Gitter. Niemand hinderte sie. Häftlinge im
Gefängnis vor dem Clevertor. Wie er. Doch vielleicht war für ihn morgen schon
der Spuk vorbei. Er griff eine Zigarre aus der Schachtel, zündete sie an und
schaute zu, wie der Rauch in Wölkchen hinauszog in Richtung Westen, dorthin, wo
ein paar Eisenbahnstunden von Hannover entfernt sein Elternhaus stand. Noch
wussten sie nichts in Detmold. Was würde sie tun, wenn sie es erführen? Und die
Mutter noch kein Jahr in ihrem kalten Grab. Bei allem Schmerz ein kleiner
Trost, dass sie dieses Unglück nicht mehr erleben musste. Würde sie verstehen,
warum er den Artikel genauso schreiben musste? Für das Vaterland? Bedingungslos
würde sie zu ihm halten, ebenso wie der Vater und seine kleine Schwester.
Noch am selben Nachmittag verfasste er in seiner
Zelle den letzten Artikel als leitender Redakteur, versehen mit seinem Zeichen,
dem Sternchen:
* Hannover, 14. Mai. Heute Mittag wurde ich
als verantwortlicher Redakteur der Zeitung für Norddeutschland und Verfasser
des leitenden Artikels in der Sonntagsnummer dieses Blattes vom Ministerium des
Innern beim Stadtgericht ‚als S t a a t s v e r r ä t h e r’
denuncirt und verhaftet. In dem erwähnten Artikel wurde aufgefordert: in
Gemäßheit des Beschlusses der Nationalversammlung vom 10. Mai einen
Landesausschuß in Hannover zu bilden mit denselben Befugnissen, welche die
Centralgewalt durch ihren Commissar dem pfälzischen Landesausschuß übertragen
hatte, d.h. wie ausdrücklich hinzugefügt war, ohne Eingreifen in die Befugnisse
der bestehenden Behörden. Der Untersuchungsrichter äußerte unter Anderem auf
einen ihm gemachten Einwand: „Die Centralgewalt sei keineswegs als oberste
Instanz in allgemeindeutschen Angelegenheiten von Hannover anerkannt. Th.
Althaus.
Kapitel aus: Theodor Althaus - Revolutionär in Deutschland
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