Montag, 28. Oktober 2013

Studium in Bonn


In der Frühe eines Oktobermorgens des Jahres 1840 stand der älteste Sohn der Familie Althaus im Wohnzimmer mit Ranzen und Wanderstock, umgeben von Vater, Mutter, Schwestern und Brüdern, bereit zum Abschied aus dem Elternhaus. Knapp achtzehnjährig hatte er am Detmolder Gymnasium einen ausgezeichneten Abiturabschluss erreicht und somit beste Voraussetzungen für ein Studium. Voller Neugier auf die Welt stiefelte er zusammen mit seinem zwei Jahre älteren Freund Rudolf Cruel aus dem lippischen Schöttmar los in Richtung Paderborn, von wo aus ihn eine Postkutsche an den Rhein brachte. An der Bonner Universität wollte er Theologie studieren.
Warum wählte ein Abiturient aus dem Fürstentum Lippe ausgerechnet Bonn als Studienort? Nun, es hatte sich wohl bis in alle Regionen des Deutschen Bundes herumgesprochen, dass gerade dort in jenem Herbst ein besonders frischer politischer Wind wehte. Das hatte mit dem Beginn der Amtszeit von König Friedrich Wilhelm IV. in Preußen zu tun. Eine seiner ersten Regierungshandlungen war eine teilweise Aufhebung der Karlbader Beschlüsse, was als Initialzeichen zum nationalen Aufbruch gesehen wurde. Für die Universitätsstadt am Rhein bedeutete das die Rückkehr von Professor Ernst Moritz Arndt, der nun nach zwanzig Jahren Berufsverbot wegen demagogischer Umtriebe rehabilitiert und sogar Rektor der Bonner Friedrich-Wilhelms-Universität wurde.
Ein weiterer Impuls für die Hoffnung auf ein einheitliches Deutschland war der Rücktritt des kriegswilligen französischen Außenministers Adolphe Thiers, der ein Ende der Auseinandersetzungen mit Frankreich um den freien deutschen Rhein bedeutete. Nein, sie sollten ihn nicht haben. Zu dem Zeitpunkt war Theodor Althaus bereits in Bonn angekommen und es war etwas ganz Besonderes, eine so wichtige politische Neuigkeit eher zu erfahren als die Eltern und Geschwister zu Hause. Da konnte er doch gleich am 26. Oktober 1840, seinem achtzehnten Geburtstag, die brandaktuelle Nachricht nach Detmold senden. Und es war auch etwas Besonderes, bei der Einschreibung vom gerade rehabilitierten Rektor der Universität persönlich begrüßt zu werden.
Am 4. November 1840 berichtete er seinem Vater über die Immatrikulation und seine ersten Eindrücke von den Lehrveranstaltungen. Nicht alle entsprachen den hohen Erwartungen des Studienanfängers. So beschwerte er sich über die beiden Vertreter der theologischen Fakultät:
Die ganze Zeit, seit ich hier gewesen bin, habe ich nur von Mittwoch bis jetzt die Synopse und die Psalmen bei Bleek hören können (fünf Stunden jede), und leider hat er keinen günstigen Eindruck auf mich gemacht. Einestheils ist sein Vortrag unter aller Kritik eintönig und unverständlich, sodann hat er die Kunst erfunden, jedes Mal in der folgenden Stunde noch langweiliger als in der vorhergehenden zu sein.
[…]

Zu  N i t z s c h  bin ich vier- oder fünfmal in die Dogmatik und praktische Theologie hospitiren gegangen. Er ist eben so klein, aber nicht ganz so dick als Bleek; sein Gesicht ist auch nicht so dumm, wie jenes, sein Vortrag nicht so eintönig; dennoch hat er mir nicht gefallen. Man sieht ihm an und hört ihm an, daß er ein tiefer Denker ist; aber er hat in seinem Vortrage etwas Affectirtes (z.B. beginnt er in einem großen Auditorium so leise, daß ich, nur sechs Fuß von ihm, ihn bei völliger Stille nie verstehen kann) und in seinem ganzen Wesen etwas Anmaßendes und Absprechendes; und – so tief er denken mag, er kann es nicht klar machen. Er hüllt sich, um seine Meinung nicht gerade heraus sagen zu müssen, in einen Mantel von philosophischen und gelehrten Kunstausdrücken ein und scheint, wenn er von ‚dem Unsinn einer populären Dogmatik’ spricht, nicht an den Unterschied zwischen populärer und klarer Darstellung zu denken […]



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