Donnerstag, 19. Juni 2014

Robert Blum und die Zentralgewalt


Ein weiterer Freund aus Leipziger Zeit hatte in Frankfurt eine Bühne gefunden. Robert Blum ließ ihn mit einer unglaublich leidenschaftlich vorgetragenen Rede in der Nationalversammlung schon fast erschrocken aufhorchen. In den Frankfurter Tagen war Theodor dem vielbeschäftigten Mann schon einige Male begegnet. Die bereits in Leipzig erlebte Kraft seiner Aktivitäten und Worte übertraf Blum am 20. Juni 1848 mit seiner Rede zur Zentralgewalt, wie man die von Gagern ins Spiel gebrachte und zur Diskussion stehende provisorische Regierung für Deutschland nannte. In Form eines Direktoriums oder Ministeriums sollte diese Zentralgewalt installiert werden. Die Schärfe des Tones der Rede übertraf alles, was Theodor bisher von Blum erlebt hatte. Der verglich die Nationalversammlung mit dem an den Felsen angeketteten Prometheus, stark wie er, doch an ihren Zweifeln angekettet.
Blum war gegen ein Direktorium. Weder sei so ein Gremium legitimiert, noch habe es die Mittel, Deutschland zu vertreten. Er und seine Partei sahen die Gefahr, dass eine Zentralgewalt, die ja notgedrungen schwach sein müsste, die Fürstenmacht in den Einzelstaaten wieder stärken und die gerade errungene parlamentarische Macht in Gefahr bringen würde. Er und seine Mitstreiter schlugen einen Vollziehungsausschuss vor. Der sollte sich darum kümmern, dass die gefassten Beschlüsse der Nationalversammlung ausgeführt würden. Andernfalls sah er die erkämpfte Freiheit wie ein Himmelsauge brechen. In unbeschreiblicher Intensität trug er seinen Appell an die Abgeordneten vor: Wollen Sie der Anarchie entgegentreten. Sie können es nur durch den innigen Anschluß an die Revolution und ihren bisherigen Gang. Das Direktorium, das Sie schaffen wollen, ist aber kein Anschluß daran; es ist Widerstand, es ist Reaktion, es ist Konterrevolution – und die Kraft erregt die Gegenkraft. Man wirft mitunter schielende Blicke auf einzelne Parteien und Personen und sagt, daß sie die Anarchie, die Wühlerei und was weiß ich wollen. Diese Partei läßt sich den Vorwurf der Wühlerei gern gefallen; sie hat gewühlt und ein Menschenalter lang, mit Hintansetzung von Gut und Blut mindestens von allen Gütern, die diese Erde gewährt; sie hat den Boden ausgehöhlt, auf dem die Tyrannei stand, bis sie fallen mußte, und Sie wären nicht hier, wenn nicht gewühlt worden wäre. Bei diesen Worten reagierten die Anwesenden in der Paulskirche mit stürmischem, anhaltendem Beifall und dann noch einmal nach dem leidenschaftlich vorgetragenen Schlusssatz: So schaffen Sie Ihre Diktatur.
Waren die Abgeordneten zu gutgläubig? Sah Blum zu schwarz? Jedenfalls blieben seine Warnungen erfolglos. Am 28. Juni 1848 beschloss die Frankfurter Nationalversammlung das Gesetz über die Einführung einer provisorischen deutschen Zentralgewalt, die bis zur Ausführung der Reichsverfassung tätig sein sollte. Und am Folgetag wählte sie, wiederum auf Vorschlag Heinrich von Gagerns, der ihn selbst als kühnen Griff  bezeichnete, Erzherzog Johann von Österreich zum Reichsverweser als Oberhaupt eines zu bildenden Ministeriums. Althaus konnte sich mit der Konstruktion Zentralgewalt mit Reichsverweser und Reichsministerium arrangieren. Er hatte eher Bedenken gegen Blums Strategie. Wie sollte ein Vollziehungsausschuss funktionieren?
Beim Zweiergespräch in der stillen Ecke eines Frankfurter Wirtshauses konnte Theodor seine Zweifel ansprechen. Im Gegensatz zu seinem Freund hatte er zu Gagern und dessen politischem Handeln ungetrübtes Vertrauen, der würde das Schiff schon in die richtige Bahn lenken. Blum hingegen sprach spöttisch vom Reichsverweser als Johann von Gagerns Gnaden. Der Jüngere musste zugestehen, dass er Blums Befürchtungen, diese Konstruktion Zentralgewalt könnte einen Rückschritt in Metternichzeiten nach sich ziehen, nicht einfach wegwischen konnte, zumal bereits erste Anzeichen aufkommender Reaktion zu erkennen waren. Die durch die Revolution geschwächten Landesregierungen eroberten ihre verlorene Macht allmählich zurück. Mit dem Antrag des Kölner Parlamentariers Franz Raveaux nach Klärung der Priorität bei gleichzeitiger Mitgliedschaft in der preußischen und der Frankfurter Nationalversammlung sowie einem tödlichen Konflikt in Mainz zwischen preußischem Militär und Bürgerwehr war deutlich geworden, dass im monarchischen System die Priorität der deutschen Nation gegenüber den einzelnen Ländern nicht gegeben war. Im Falle der Doppelmandate wurde keine eindeutige Regelung zugunsten der Nationalversammlung geschaffen. So konnte mittels Einberufung der preußischen Landstände durch die Regierung in Berlin die Parlamentsarbeit in Frankfurt in erheblichem Maße gestört werden. Auch im Falle des Mainzer Konflikts war die Gewichtung klar. Die Bürgerwehr zog sich zurück und das preußische Militär behielt die Oberhand. Die Frage, wie Blum sich denn nun seinen Mitstreitern gegenüber verhalten werde, wenn er in der provisorischen Zentralregierung ein Ministeramt angeboten bekäme, beantwortete der mit beeindruckender Konsequenz. Er würde in das erste Ministerium nur eintreten, um es nachher bei Gelegenheit sprengen zu können.

Ende des Monats Juni 1848 war für Theodor Althaus nach sechs Wochen die Zeit als politischer Beobachter im Frankfurter Sommer zu Ende. Ihn lockte ein Angebot, bei der Bremer Zeitung als Nachfolger von Karl Theodor Andree die Stelle als leitender Redakteur zu übernehmen. Andree wollte Bremen verlassen, in seiner Heimatstadt Braunschweig die Deutsche Reichszeitung redigieren und sich verstärkt seinen Studien und Publikationen im geographischen Bereich widmen. 

Leseprobe aus:

Theodor Althaus - Revolutionär in Deutschland (Taschenbuch)


Fotos: © Renate Hupfeld (Frankfurt Römerberg am 14. April 2011)

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