Leitartikel von Theodor Althaus in der Bremer Zeitung am 10. November 1848
* In der Geschichte der deutschen
Einheit sind wir seit einiger Zeit auf einem Wendepunkte angelangt, wo eine
Orientirung zur Nothwendigkeit wird. Rasch ändern mit den fortschreitenden
revolutionären Begebenheiten die Worte ihre Bedeutung, und so verwirren sich
die alten und neuen Leidenschaften in deren Anwendung. Je beweglicher die
öffentliche Meinung und die Herzen des Volks dem Einfluß der großen einfachen
Gedanken, der weitschallenden Losungsworte hingegeben sind, desto schärfer muß
man stets von neuem untersuchen, ob der Inhalt des Gedankens, die Bedeutung des
Wortes noch dieselbe geblieben ist, ob der alte Kampfruf noch gegen denselben
Feind, die alte begeisternde Losung noch zu demselben Ziele führt.
Ein Blick in die Gegenwart zeigt
uns, daß die
„d e u t s c h e E i n h e i t“,
wie sie jetzt im Kampf als Waffe gilt, nicht mehr dieselbe Bedeutung hat wie im
Anfang der Revolution. Das Ziel, für welches die absolutistische Rechte in
Berlin schwärmt, für welches die preußische Camarilla und das Ministerium der
bewaffneten Reaction dieselben preußischen Truppen zur Disposition stellen, mit
denen sie die Conterrevolution zerschmetternd einführen wollen, kann unmöglich
dasselbe sein, nach welchem die Demokraten streben. Jene Losung passt für uns
nicht mehr von dem Augenblicke an, wo unsere Feinde sie in den Mund genommen
und uns damit den offenbarsten Beweis gegeben haben, daß sie nur ein M i t t e l für andere
Z w e c k e
ist.
In der ersten Periode unserer
Revolution war die
w i r k l i c h e Einheit das Ziel der Patrioten und zugleich
das M i t t e l der
D e m o k r a t e n; in der
gegenwärtigen zweiten Periode ist die
f o r m e l l e Einheit das
M i t t e l
der
R e a c t i o n, während die Sache
noch immer das Ziel der Demokraten geblieben ist. Sie haben sich nur
augenblicklich gegen die Form gewendet, eben weil diese Form grade von der
Reaction mit Erfolg als Mittel benutzt wird. Die
V e r w i r r u n g, wo man
Freund und Feind nicht mehr erkennt, entsteht dadurch, daß man die S a c h e nicht von der
F o r m
unterscheidet. Es ist im Interesse der Reaction, diese Verwirrung zu
erhalten, um die Demokraten in der öffentlichen Meinung und in den patriotischen
Herzen der Menge zu ruiniren; eben darum ist es in u n s t e m höchsten Interesse, diese Verwirrung
aufzuklären, um die Reaction zu entlarven und die Demokraten zu vertheidigen.
Die
w i r k l i c h e Einheit Deutschlands besteht darin, daß in der
definitiven Verfassung des Bundesstaats die Leitung der auswärtigen
Angelegenheiten, die Handelspolitik und Zollgesetzgebung, Krieg und Frieden,
Verwendung des Heers und der Flotte von einer souveränen Reichsgewalt abhängen,
ohne irgendwelche Vereinbarung mit den Einzelstaaten. Das sind die wesentlichen
Lebensbedingungen für Deutschland, das ist die Sache, um die es sich bei der
deutschen Einheit handelt; und der
w i r k l i c h e, unter allen
Umständen zu vernichtende
P a r t i k u l a r i s m u s
ist nur das Bestreben, den Einzelstaaten
eine Selbstständigkeit zu erhalten, welche diese Einheit irgendwie
beeinträchtigen kann.
Gegen diesen Partikularismus
richtete sich der Kampf zweier in Bezug auf Freiheitsfragen sehr getrennter
Parteien in der ersten Periode unserer Revolution; ein Kampf gegen die
Regierungen und die Conservativen. Der einen der beiden damals verbundenen
Parteien war es um die
E i n h e i t – und Freiheit, der anderen
um
D e m o k r a t i e - und
Einheit zu thun.
Diesen Kampf dürfen wir in dem
nichtösterreichischen Deutschland wohl getrost als einen siegreich
b e e n d i g t e n bezeichnen; die Verfassungsdebatten in
Frankfurt geben Zeugniß davon, daß nur eine geringe Minorität im sinne des
Particularismus noch hier und da ein kleines Recht zu retten sucht; die Sache
der wirklichen Einheit wird von einer weit überwiegenden Majorität geführt,“ in
deren Reihen die Republikaner überall voran sind.
Ihnen also wirklichen
Particularismus vorzuwerfen, ist eine bloße Parteioperation. Auch gebraucht man
gegen sie nur das
W o r t, weil es aus seiner Zeit noch einen gehässigen
Klang hat; aber selbst die feindseligsten Blätter haben ihnen niemals den
Vorwurf machen können, daß sie auf eine definitive Bundesverfassung
hinarbeiteten, in welcher die doch nothwendige Souveränetät der Reichsgewalt
des einen Deutschland durch die Selbstständigkeit der Einzelstaaten
beeinträchtigt werden könnte, und nur
d a s wäre
w i r k l i c h e r Particularismus.
Vielmehr beziehn sich diese
Vorwürfe alle nicht auf die
d e f i n i t i v e Verfassung, sondern auf den p r o v i s o r i s c h e n Zustand; nicht auf die
w i r k l i c h e, sondern auf
die
f o r m e l l e Einheit, und endlich weit weniger auf
G e s e t z e der
N a t i o n a l v e r s a m m l u n g,
als vielmehr auf
M a ß r e g e l n des
R e i c h s m i n i s t e r i u m s.
Die
f o r m e l l e Einheit besteht gegenwärtig erstens darin,
daß die Einzelstaaten die in Frankfurt beschlossene Reichsverfassung ohne weiteres
annehmen, und zweitens, sich allen Maßregeln und Beschlüssen des
Reichsministeriums unbedingt fügen sollen.
W a r u m nun die demokratische Partei, vor allem in
der berliner Versammlung, gegen diese Form aufgetreten ist, warum in Sachsen
die Linke sich mit den „gewissenhaften“ Ministern in diesem Sinne vereinigt
hat: das liegt doch sonnenklar vor jedem Blick, der nur die Wahrheit sehen w i l l. die Demokraten haben
es gethan, weil sie am Centralsitz dieser Einheit sehr oft schlecht für
die
F r e i h e i t gesorgt sahen; sie wollten ein eventuelles
Veto gegen die Reichsverfassung sich vorbehalten, weil sie Grund zu dr Furcht
hatten, daß diese Verfassung nicht demokratisch sondern altconstitutionell
ausfallen würde; sie protestirten gegen die Maßregeln der Centralgewalt, weil
sie Maßregeln der Reaction darin sahen, - mit einem Wort: sie nahmen f ü r d e n A u g e n b l i c k Position gegen die
p r o v i s o r i s c h e
f o r m e l l e E i n h e i t,
weil sie nicht wie es schon einmal geschah, mit diesem Losungsworte das
Vaterland um die
w i r k l i c h e u n d d e f i n i tt i v e
F r e i h e i t gebracht sehn wollten. Es war und ist nicht
der zähe Geiz des herzlosen Particularismus, sondern die schmerzliche Nothwehr
des Lebens und der Freiheit. Und ebenso war bei den Conservativen die
plötzliche Parteinahme gegen den sogenannten souveränen Nationalwillen, sondern
die hämische Berechnung, der Demokratie mit ihren eignen früheren Waffen den
Todesstreich zu versetzen; ihre Gemeinschaft in der deutschen Einheit war nichts
als ihr Complott zu Gunsten der Reaction, für die ihnen die Centralgewalt
äußerst brauchbar schien.
S o liegen die Sachen, und diese Sachlage muß man
um so kräftiger darstellen und wiederholen, je mehr sie mit Treulosigkeit
verdreht, je mehr die politische und gegenwärtige Bedeutung des
Einheitsgedankens durch die juristische Form verhüllt werden soll.
Wem das noch nicht klar geworden
ist, den weisen wir auf den Conflict zwischen
F r a n k f u r t und
B e r l i n. Jeder weiß, daß wir den über die p o s e n s c h e Angelegenheit meinen.
Sollen wir in ihr die Fehler und
die Schuld auf beiden Seiten finden oder müssen wir es ein
V e r h ä n g n i ß nennen, daß auf diesem Gipfelpunkt die
Einheit und die Freiheit sich zum verderben begegnen! Fast unvermeidlich
scheint es.
In Frankfurt ward – um der
deutschen Einheit willen – beschlossen, Posen zu theilen. In Berlin geben die
Freiheitssympathien für die Posen den letzten (nicht den einzigen) Ausschlag zu
dem Beschluß: Posen soll ungetheilt bleiben.
Daß die Nationalversammlung –
wenn auch nur durch motivirte Tagesordnung – nun den berliner Beschluß für
ungültig erklärt hat, war eine Nothwendigkeit; sie konnt ihre Souveränetät,
zumal sie kein gutes Gewissen gegen Oesterreich hatte, nicht selbst morden. Daß
sie dieß aber
j e t z t beschloß,
ist ein Verhängniß, daß sie vielleicht nur zu bald bitter bereuen wird als eine
schwere Schuld.
J e t z t, wo
jede Stunde das Wort zur Contrerevolution in Potsdam reifen kann;
j e t z t, wo der Absolutismus von Gottes Gnaden, der nicht
geradezu mit seiner Willkür der Volksvertretung entgegentreten mag, nur auf
einen
p o p u l ä r e n Anlaß, nur auf eine
G e l e g e n h e i t
wartet, das kaum verhaltene Wort: ich sanctionire nicht! Zum erstenmal zu
sprechen! – j e t z t
giebt die Nationalversammlung den Reiz und Anlaß, unter dem edlen
revolutionär gesetzlichen Schild der deutschen Einheit – den Stoß zu führen,
der die Demokratie ins Herz treffen soll!
Ihr Beschluß lockt, das erste
protestirende Wort zu sprechen, dem nur der Geschützdonner des Bürgerkriegs den
vollen Klang und nur der Belagerungszustand von Berlin die Unverletzlichkeit
verschaffen kann! Und wenn
o h n e diese
Mittel, dann desto schlimmer, dann ist es eine
m o r a l i s c h e Niederlage der demokratischen Partei.
So oder so! dem Absolutismus ist nun weit das Thor geöffnet,
durch das er heuchlerisch als Diener des Gesetzes, als Beschützer der deutschen
Einheit, den langersehnten Triumphzug an der Spitze seiner treuen Garden halten
kann.
Was im Namen der
F r e i h e i t geschah, pflegt man an Frankreich zu lernen;
für Deutschland scheint das Blatt der Geschichte vorbehalten: was alles im Namen
der
E i n h e i t geschah.
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