Nach der literarischen Bestandsaufnahme seiner bisherigen
schriftstellerischen Arbeiten hatte Theodor Althaus Ende Juni 1847 endlich den
Absprung aus der lippischen Residenz geschafft. Wie musste der Außenseiter der
Detmolder Gesellschaft sich gefühlt haben, als er im Konversationszimmer des
Museums in Leipzig, vor sich ein Töpfchen Bier, seine Zeitung las, ohne dass
hinter seinem Rücken getuschelt wurde. Diese Enge hatte er hinter sich gelassen
und war umgezogen in die sächsische Messe- und Buchhandelsstadt. Nirgends gab
es so viele Schriftsteller, Verleger und Buchhändler wie in Leipzig. Und die
vier Männer ihm gegenüber auf dem Diwan machten ihm den Eindruck, als gehörten
sie zu dieser Branche. Als einer aufstand, um zu gehen, hörte Theodor einen
Namen, der ihm bekannt war. Er folgte dem blonden Mann auf den Platz vor dem
Museum und fragte ihn, ob er vielleicht Dr. Arnold Ruge sei. Ja, es war der
fünfundvierzigjährige Hochschullehrer und Schriftsteller mit bewegter
Vergangenheit einschließlich Festungshaft als politischer Gefangener und
vergeblichen Versuchen, in verschiedenen Städten von Deutschland Fuß zu fassen.
In der sächsischen Literatenmetropole hatte er für sich, seine Frau und vier
Kinder als Verleger eine Existenz gefunden. Ruge
mochte den jungen Detmolder und ließ ihn an familiären Unternehmungen
teilnehmen, wie Baden an heißen Tagen und Spaziergängen in die dörfliche
Umgebung, wobei Theodor den Verleger Otto Wigand und Familie kennenlernte, in
dessen Wigands Vierteljahrsschrift er zwei Jahre zuvor seine
Abhandlung über den Detmolder Dichter Ferdinand Freiligrath publiziert hatte.
Diese Kreise
waren es dann auch, die dem Schriftsteller aus der lippischen Provinz erste
honorierte Tätigkeiten im Literatur- und Kulturbetrieb verschafften. So schrieb
er eine Charakteristik von Nikolaus Lenau für Arnold Ruges Die politischen Lyriker unserer
Zeit und Rezensionen zur
Gegenwartsliteratur in verschiedenen Organen, wie zu Heines Atta Troll in Blätter
für literarische Unterhaltung, von Heinrich Brockhaus herausgegeben. Wigand
vermittelte ihm den Auftrag, den historischen Roman Le Piccinino von George Sand zu übersetzen, Ruge
band ihn in seiner Weltgeschichte
für die Jugend“ ein und
Robert Blum, den er im Redeübungsverein kennenlernte, bat ihn, an seinem Staatslexikon für das deutsche Volk mitzuarbeiten. Für Blums Lexikon
schrieb er Artikel zu den Begriffen Christenthum, Cultus (Cultusministerium) und Demagog (Demagogie, demagogische
Umtriebe) mit entsprechender
Akzentuierung seiner politischen Überzeugungen.
Außer mit
interessanter literarischer Arbeit war das Leben von Theodor Althaus in Leipzig
ausgefüllt mit lebendiger Geselligkeit. Im Café
français begegnete er den
gleichaltrigen österreichischen Dichtern Moritz Hartmann, Eduard Mautner und
Alfred Meißner, die sich in der sächsischen Stadt aufhielten, um den
unerträglichen Spionier- und Zensurpraktiken von Staatskanzler Clemens Lothar Fürst
Metternich zu entgehen. Er lernte
Ignaz Kuranda und Julian Schmidt von den Grenzboten kennen und Julius Fröbel,
der ihn von allen neuen Bekannten am meisten beeindruckte. Der zweiundvierzigjährige Fröbel wohnte
seit einem Jahr in Dresden. Vorher hatte er als Professor für Mineralogie in
Zürich gelehrt und nach dem reaktionären Züriputsch am 6. September 1839 das Literarische Comptoir gegründet, in dem er oppositionelle
Texte verlegte und auch in Deutschland verbreitete, wie die von Georg Herwegh
und Hoffmann von Fallersleben. Als der Verlag verboten wurde, schlugen Otto
Wigand und Arnold Ruge ihm vor, nach Leipzig zu kommen. Dort bekam er jedoch
keine Aufenthaltserlaubnis. Mit großem diplomatischem Geschick gelang es
Fröbel, sich in Dresden niederzulassen. Er kam nun regelmäßig nach Leipzig in
das Verlagsbüro von Ruge, mit dem er eng zusammenarbeitete.
Theodor Althaus
fühlte sich stark angezogen von dem so ruhig und souverän agierenden Mann, der
sich während der gemeinsamen Unternehmungen zu einem wahren Freund entwickelte.
Julius Fröbels soeben im Verlag von J. P. Grohe, Mannheim erschienene
Publikation System der
socialen Politik fand
seine uneingeschränkte Bewunderung, war sie doch aus der gleichen Motivation
entstanden wie die Zukunft
des Christenthums, dem Streben nach einem Zusammenleben in Freiheit und
Liebe auf der Grundlage der Menschenrechte und Volkssouveränität. Jedoch im
Vergleich zum Feuereifer seines jugendlichen Ungestüms fand Althaus bei dem älteren
Freund eine sachlich klar entwickelte Systematik, was ihn zutiefst beeindruckte
und seinen vollen Respekt gewann. Fröbels Werk war bereits die zweite Auflage,
die erste war ein Jahr zuvor, aus guten Gründen anonym, unter dem Titel Neue Politik von C. Junius herausgekommen.
Bei einem
Landspaziergang im Kreis um Fröbel und Ruge hatte Althaus die Gelegenheit, mit
dem Dramatiker Friedrich Hebbel zu fachsimpeln. Sie redeten über das
historische Drama, von Hölderlins’s Empedokles über Shakespeare und Goethe bis
Grabbe, von dem Hebbel nicht allzu viel hielt. Wenige Tage später traf er ihn
wieder im Café français.
Hebbel war fürchterlich verärgert über eine kritische Rezension seines Werkes
von Julian Schmidt in den Grenzboten,
die er gerade gelesen hatte. Der jungen Frau Hebbel gelang es schließlich,
ihren Fritz zu beruhigen, indem sie ihm eine Tasse Kaffee bestellte. Du fragst nach Hebbel, schrieb
Theodor am 17. August 1847 seiner Schwester Elisabeth, der hat allerdings seine harten
Seiten, an denen man sich die Zähne ausbeißen könnte, als dass man ihn von
einem Fehler überzeugte. Guten Rath nimmt er absolut nicht an. Ich merkte das
auf der Stelle und redete mit ihm also bloß von den Sachen, wo ich ziemlich mit
ihm übereinstimmte. […] Er muß Glück haben in der Wahl seiner Stoffe; wenn er
dies Glück einmal hat, kann der Effect sehr groß werden, die Maria Magdalena
ist ein Anfang dazu.
Eine weitere
Verbindung knüpfte er zu dem drei Jahre älteren Historiker Heinrich Wuttke, der
an der Leipziger Universität Vorlesungen hielt. Am 19. Oktober 1847 wanderte er
früh am Morgen zusammen mit ihm in südöstlicher Richtung aus der Stadt hinaus
über Feldwege, vorbei an Gebüsch, durch stille Dörfer, dann durch eine lange
Pappelallee hinauf zur höchsten Erhebung dieser Gegend. Auf diesem Hügel hatten
vierunddreißig Jahre zuvor die verbündeten Monarchen Kaiser Franz I. von
Österreich, Kaiser Alexander I. von Russland und König Wilhelm III. von Preußen
gestanden, die Kampfhandlungen der Völkerschlacht verfolgt und am Abend des 19.
Oktober 1813 die Nachricht vom Rückzug der Truppen Napoleons entgegen genommen.
Zur Erinnerung an diesen wichtigen Sieg hatte man auf dem Monarchenhügel ein
pyramidenförmiges Denkmal aus Sandstein errichtet, das an jenem Tage eingeweiht
wurde.
Über das Ereignis
verfasste Theodor Althaus einen Artikel für die Bremer Weser-Zeitung, in dem er die Organisation und vor
allem die Rede von Superintendent Großmann heftig kritisierte. Die Feier sei
nicht dazu angetan gewesen, die tausend Anwesenden anzusprechen und auf das
Wichtigste zu lenken, nämlich dass es ein Sieg der Kämpfer auf dem Schlachtfeld
war und nicht das Verdienst von drei Monarchen im Glauben an Gott, wie der
Redner weismachen wollte. Mit Wuttke war Althaus einig, dass eine Rede von
Robert Blum die richtigen Akzente gesetzt hätte. Ja, es hätte sogar schon seine
Anwesenheit gereicht. Eine Feier für das Volk sei diese Einweihungsfeier nicht
gewesen. Sein Fazit: Aber wenn an einem solchen Siegestage des Volks, das
Volk nur wie das Publikum zum allerhöchsten Fest, nur wie Staffage um den
Thron, den es doch allein wieder aufgerichtet hat, erscheint: dann wird es doch
selbst im Herbste zu dumpf und schwül in der deutschen Luft. Fort, fort von
hier!
Als der Artikel Das Denkmal auf dem Monarchenhügel
in Leipzig am 24. Oktober
1847 im Sonntagsblatt zur
Weser-Zeitung erschien, war
Theodor die Aufmerksamkeit in der Stadt Leipzig gewiss. Die Empörung bei den
Verantwortlichen war so groß, dass er schon fürchten musste, ausgewiesen zu
werden. Seine Freunde im Museum
und Café dagegen beglückwünschten ihn zu diesem klaren politischen Statement.
Ignaz Kuranda war so begeistert, dass er auf ihn zukam mit der Bitte, unbedingt
für die Grenzboten zu schreiben. Einige Tage später beim Schillerfest
merkte er dann noch einmal, dass er sich in den oppositionellen Kreisen
etabliert hatte. Seit 1840 wurde
dieses Fest jährlich von Robert Blum und dem von ihm gegründeten Schillerverein
organisiert. Als der Detmolder Querdenker abends den von Menschen dicht
gefüllten Festsaal im Hôtel de
Pologne in der Hainstraße
betrat, wurde er mit stürmischem Beifall empfangen. Und wie zu besten Zeiten
als Burschenschaftler, hielt er eine Rede vor hunderten Festgästen.
Die Dinge liefen gut in Leipzig. Für die Weser-Zeitung schrieb Althaus eine Artikelserie zum
aktuellen Bürgerkrieg in der Schweiz, einer Auseinandersetzung zwischen
den im Sonderbund vereinten katholisch konservativen Kantonen und
protestantisch-liberalen Kräften. Die Sonderbündler fühlten sich in ihrer Freiheit
unterdrückt, doch die andere Seite, die sogenannte Tagsatzung hatte die
Mehrheit im Lande und nach Althaus' Auffassung somit das Recht, sich gegen die
Minorität durchzusetzen. Das müssten auch die deutschen Philister begreifen. Für den Schriftsteller Theodor Althaus
ging es ebenfalls voran. Eine Auswahl seiner Prosatexte hatte er zu einer
Anthologie mit sieben Erzählungen zusammengestellt als Zeitbilder, denen
Erlebnisse und Visionen auf den Wanderungen am Rhein, Detmolder Lokalkolorit,
die Problematik einer Auswanderung nach Amerika und schließlich das brisante
Mätressenabenteuer des bayrischen Königs Ludwig I. zugrunde lagen. Der ein Jahr
jüngere Wilhelm Jurany wollte die Mährchen
aus der Gegenwart verlegen
und so gingen Althaus und Jurany eines Tages gemeinsam mit dem Manuskript zum
Zensor, um eine Druckerlaubnis zu bekommen. Bei einem preußischen oder
österreichischen Zensor hätte es sicherlich eine Menge Beanstandungen gegeben,
doch das ganz tractable kleine
Männchen in Sachsen forderte
nur Namensänderungen in der Erzählung Ein
Freiheitstanz, eine Satire
auf die Affäre des bayrischen Königs Ludwig I. und seiner attraktiven Geliebten
Lola Montez, als spanische
Tänzerin bekannt. Das Werk erschien unter dem Titel Mährchen aus der Gegenwart im Verlag von Wilhelm Jurany in
Leipzig.
Gegen Ende des
Jahres stellte er auch das Manuskript des ersten Teiles seiner Weltgeschichte für die Jugend fertig, in dem er Altertumsgeschichte
in 35 Geschichten nach Begriffen zum Beispiel von Alexander, Brutus und Cäsar für Kinder ab zehn Jahren
verständlich aufgeschrieben hatte. Und was wäre Leipzig ohne die Anbindung an
den musikalischen Bereich? Die fand er in der Bekanntschaft zu Dr. Franz
Brendel, Professor am von Felix Mendelsohn-Bartholdy gegründeten Conservatorium
und Herausgeber der Neuen
Zeitschrift für Musik. Auch
zu Frau Brendel entwickelte er Sympathien und war nun häufig im Brendel’schen
Hause zu Gast, wo auch etliche andere junge Künstler verkehrten. Dort lernte er den Dramatiker Wolfgang
Robert Griepenkerl aus Braunschweig kennen, mit dem er einerseits herrlich
streiten konnte und zu dem er andererseits eine gewisse Wesensverwandtschaft
entdeckte. Griepenkerl sei verrückt, schrieb er seiner Schwester, jedoch auf
eine positive Weise: … erstens
ist es die gute Verrücktheit, die neue Gedanken aufstöbert und sie nur verrückt
einseitig, allmächtig, auffaßt – und zweitens, wie Strauß sagt, wird für’s
erste Keiner dem Publicum gefallen, der ganz auf der Höhe steht; Schlechte
Aussichten für unsereinen, nicht wahr?
Über den Besuch
einer Aufführung von Mendelsons Elias im Gewandhaus berichtete er seiner
Mutter, dass er weniger des Genusses willen dort gewesen sei, sondern weil man
dergleichen doch kennen müsse. Die künstlerische Gestaltung fand vor seinem
kritischen Geist keine Gnade: Ich
hatte mir’s nicht als möglich gedacht, einen solchen Mangel an aller hohen
künstlerischen Einheit, an allem innerlichst musikalischen Sinn und Verstand,
in einem so vergötterten Künstler zu finden. Er
sah zwar auch schöne Stellen in dem Stück, doch für ihn war der Inhalt nicht
dazu angetan, Darsteller und Zuschauer im Herzen zu berühren. Wie bei der
Einweihungsfeier auf dem Monarchenhügel war ihm die Gleichgültigkeit gegenüber
den Notwendigkeiten der gegenwärtigen Wirklichkeit unerträglich.
Schneller als die
zähen Jahre in Detmold vergingen ihm die Monate im Leipziger Trubel. Das Jahr
ging zu Ende und er hatte außer einer Kurzreise im Herbst nach Dresden, wo er
sich die Sehenswürdigkeiten der Stadt ansah und Julius Fröbel traf, die Stadt
Leipzig nicht verlassen. Zum Weihnachtsfest reiste er dann nach Detmold, wo er
auch den Jahreswechsel und die ersten Tage des neuen Jahres verlebte. Nach den
arbeitsreichen und anregenden Monaten zuvor kam ihm die Ruhe in der
beschaulichen Residenz vor wie ein germanischer Winterschlaf.
Leseprobe aus: Theodor Althaus - Revolutionär in Deutschland
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