Ein deutscher Sommer umgab den erfolgreichen Journalisten Althaus,
als er auf dem Oberdeck eines Eisenbahnwagens von Frankfurt nach Hanau fuhr.
Ihm war, als wäre eine drückende Schwere von ihm gewichen. Das herrliche Land und die
republicanischen Menschen, Alles kam mir so zweckmäßig, so menschlich, so
interessant vor, nichts vergeblich oder unnöthig. Die Felder, die Aehren, jeder
Pflug, jede Egge, jeder gebahnte Weg und alle Spuren der Menschenthätigkeit
waren meinem Herzen und meinen Sinnen näher als zuvor. Alles hatte Sprache
gewonnen – eine Heimath freier Bürger, ein Vaterland!, schwärmte er in
seiner Erinnerung.
Dieses Gefühl der
Leichtigkeit brachte er mit ins Elternhaus, wo er auf dem Weg nach Bremen einen
Tag lang Station machte. Bei herrlichem Sommerwetter unternahm die Familie
einen Ausflug durch Fichten- und Buchenwälder zum Forsthaus Hartröhren. Weil
die Mutter das ganze Frühjahr hindurch krank gewesen und noch immer sehr
schwach war, fuhr man mit dem Wagen und als der Weg zu Fuß steil bergauf ging,
blieb Theodor neben ihr sitzen, behielt sie im Arm und erzählte von seinen
Neuigkeiten und Plänen, bis die anderen zurückkamen. Sollte ihr Ältester nun
endlich seinen Weg gefunden haben? Es sah gut aus.
Als er sich
schließlich in Bremen am 5. Juli 1848 in seinem Zimmer in der kleinen Straße Contrescarpe nahe dem Herdentore eingerichtet
hatte, blickte er aus dem Fenster zwischen den Kastanienbäumen über Wall und
Stadtgraben hinweg und entdeckte den Turm von St. Ansgarii. Dort hatte
Großvater Johann Heinrich Bernhard Dräseke im Jahre 1815 eine Predigerstelle
angetreten und mit seiner Familie in der Nähe des Ansgariitores gewohnt, bis er
im Jahre 1832 vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. zum Bischof ernannt
und Domprediger von Magdeburg wurde. Außerdem war Dräseke Vorsitzender
der Freimaurerloge Zum Ölzweig und Ehrenbürger der Stadt Bremen
geworden. Der Enkel wohnte also nicht weit entfernt von der Kirche, in dem der
Großvater gewirkt, und dem Hause, in dem der Vater Georg Friedrich Althaus bei
einem Besuch des Predigers dessen älteste Tochter kennengelernt hatte, seine
Mutter Julie Dräseke.
Zum ersten Mal in
seinem Leben hatte Theodor das Gefühl, eine Lebenssituation zu haben, in der er
auf festem Boden frei und ohne Zensur leben und wirken konnte. Zum ersten Mal
auch ging ihm der Gedanke an ein sweet
home durch Kopf und Herz.
Nach der Arbeit wanderte er zum Punkendeich, nahm sich einen Kahn, ruderte die
Weser hinauf und badete im Fluss. Als
leitender Redakteur einer überregionalen Tageszeitung hatte er eine berufliche
Aufgabe, in der er sich verwirklichen konnte. Die politische Richtung der Bremer Zeitung, geprägt von dem
erfahrenen Journalisten Karl Andree, stimmte mit seinen Vorstellungen von
Volkssouveränität und Demokratie überein. Der Schwerpunkt lag auf den ganz
Deutschland bewegenden aktuellen Entwicklungen zu einem deutschen Staatswesen
mit parlamentarischen Strukturen. So war ihm das wichtigste Anliegen, in seinem
Organ den Bemühungen der Abgeordneten in Frankfurt um Verwirklichung und
Gestaltung der deutschen Nation eine Stimme zu geben. An seiner Seite hatte er
in Dr. Wohlbrück einen hervorragenden Mitarbeiter, der weitgehend mit ihm
konform ging und sich im Wesentlichen der auswärtigen Angelegenheiten annahm.
Nach den
Entscheidungen für die provisorische Zentralgewalt, Reichsverweser und
Reichsministerium wurde im Frankfurter Parlament in diesen ersten Julitagen des
Jahres 1848 heftig über den kriegerischen Konflikt zwischen Deutschland und
Dänemark um die Herzogtümer Schleswig und Holstein debattiert. Im Rahmen der
nationalen Bestrebungen war die Frage der Zugehörigkeit dieser beiden
nördlichen Gebiete in den Fokus geraten. Wegen komplizierter Erbfolge- und
ungeklärter Verfassungsregelungen auf beiden Seiten war die Lage verworren.
Preußen war in den umkämpften Regionen mit Truppen unter Friedrich von Wrangel
präsent und hatte von der Bundesversammlung die Vollmacht erhalten, einen
Waffenstillstand mit Dänemark anzustreben, was angesichts des stagnierenden
deutschen See- und Küstenhandels nicht von der Hand zu weisen war. Allerdings
hatte die Bundesversammlung ihre Befugnisse an die provisorische Zentralgewalt
weitergegeben.
Althaus mag an
Blums leidenschaftliche Junirede zu den Grenzen der provisorischen
Zentralgewalt gedacht haben, als er schon bald nach Beginn seiner redigierenden
Tätigkeit einen entschiedenen Standpunkt zu diesem geplanten Waffenstillstand
einnahm. Im Leitartikel der Bremer
Zeitung vom 8. Juli 1848
sprach er Preußen schlichtweg die Legitimation ab, Deutschland nach außen zu
vertreten: Der Auftrag, den
Preußen vom Bundestag empfangen hatte, ist erloschen mit der in Frankfurt
beschlossenen Aufhebung des Bundestages. Nach dem neuen Gesetz über die
Bundeszentralgewalt könne der Vertrag zwischen Deutschland und Dänemark nicht
in Berlin, sondern nur in Frankfurt ratifiziert werden, und zwar vom
Reichsverweser im Einverständnis mit der Nationalversammlung. Mit Rücksicht auf
die in Bremen befürchteten Handelseinschränkungen hieß es am Schluss des
Artikels besänftigend: Wir
bedauern im Interesse des deutschen Handels diese neue Verzögerung; aber wir
erinnern auch daran, dass die hier fortwährenden Störungen auf der andern Seite
reich ersetzt werden durch das allen Verkehr beflügelnde innere Vertrauen, wenn
im Einklang mit der großen Mehrheit der Nationalversammlung unsere neue
Centralgewalt gleich mit ihrem ersten Schritt die laute und allgemeine Anerkennung
sich v e r d i e n t , die ihr bis
jetzt nur in Erwartung und Hoffnung entgegenkommt.
In der Erwartung,
die Zentralgewalt möge der Nationalversammlung und ihren Beschlüssen die
Anerkennung verschaffen, die sie verdiente, wurde der sechsundfünfzigjährige
Erzherzog Johann von Österreich am 11. Juli 1848 unter großer Anteilnahme der
Bevölkerung in Frankfurt empfangen, um das Amt des Reichsverwesers anzutreten
und eine provisorische Zentralregierung zu bilden. Die Freude über dieses
Ereignis schwappte in alle Regionen von Deutschland über, so auch nach Bremen
in das Althaus’sche Tagebuch: Bei
der Reichsverweserfeier war ich auf dem Kanonenboot. Bei der Illumination die
‚Bremer’ und die ‚Weserzeitung’, erstere schmeichelhaft kühn dargestellt.
Kühn musste der
leitende Redakteur sich auch bei einem regionalen Zwischenspiel vorgekommen
sein, als er eines Abends mit den Setzern seiner Zeitungsdruckerei ein
Vermittlungsgespräch über deren Lohnforderungen und Androhung eines Streiks
führte. Zumindest handelte er einen Kompromiss aus dahingehend, dass am Sonntag
keine Zeitung mehr erscheinen sollte. Über finanzielle Forderungen musste der
Druckereibesitzer, Prinzipale genannt, entscheiden. Dieser Ruhetag kam auch ihm selbst
zugute, denn auf seinem Schreibtisch türmten sich Berge von Zeitungen und
Manuskripten, sodass er kaum einmal dazu kam, private Kontakte zu pflegen.
Einen Besuch bei Familie Wohlbrück erlebte er schon fast als Störung der
Arbeitsabläufe. Und ein Treffen mit Adolph Stahr, der ihm nicht nur einen
Artikel anbieten wollte, sondern auch noch seine Mährchen kritisierte, empfand er als ärgerliche
Zumutung. Ja, das Arbeitspensum in der Redaktion war enorm. Er hatte dafür zu
sorgen, dass täglich zwei Ausgaben seines Organs erschienen und diese Verantwortung
brachte ihn oft bis an die Grenze der Belastbarkeit. Zudem nahm er die Dinge
sehr genau und hätte am liebsten vom Korrekturlesen bis zum Setzen alles selbst
gemacht. Der Schwester berichtete er am 26. August 1848 über den nachlässig
arbeitenden Korrektor, den genervten Drucker, der auch noch krank wurde, und
Wohlbrück, der sich auf Reisen befand, sodass er zu dem innenpolitischen auch
noch den Bereich der auswärtigen Politik zu bearbeiten hatte. Da nahm ich gestern Nachmittag auch
die englischen und französischen Zeitungen, und als ich nach Hause kam, besah
ich mich im Spiegel. Heute Mittag um halb zwei, als es Alles fertig war,
glaubte ich gerade so lange geträumt zu haben, und morgen werde ich beim Kaffee
die Zeitung lesen, die ich heute gemacht habe, um doch auch zu wissen, was drin
steht.
Zu diesen enormen
Belastungen durch Aufrechterhaltung und Organisation des Betriebes der Bremer Zeitung beschäftigten ihn weiterhin und
zuvörderst die Angelegenheiten, die auf der großen politischen Bühne gespielt
wurden, derentwegen er ein Zeitungsmann geworden war. Aktuell war es die auf
Drängen von Frankreich, Großbritannien und Russland unmittelbar bevorstehende
Ratifizierung des Waffenstillstandsvertrages zwischen Preußen und Dänemark. Im Leitartikel Die schleswig-holsteinische
Angelegenheit, der am 21. August 1848 mit dem Untertitel Rückblick und Resultate erschien, beklagte Althaus, wie schon
einige Wochen zuvor, dass dieses ohne Einbeziehung des vom Volk gewählten
Parlamentes und den von diesem gewählten Vertretern der deutschen Nation, also
dem Reichsverweser im Einvernehmen mit der Nationalversammlung, verhandelt
wurde. Gegenüber England, Frankreich und Russland, die sogar im Falle des
Nichtzustandekommens des Waffenstillstandes mit militärischen Maßnahmen
drohten, nahm Deutschland nicht die Stellung ein, die seiner wirklichen Macht
entspräche. Blum hatte recht gehabt mit seinen Bedenken und der Forderung nach
einem Vollziehungsausschuss. Um politische Ziele durchzusetzen, fehlten der
provisorischen Zentralregierung jegliche Mittel. Die Ohnmacht nach innen und
außen war offensichtlich. Wo stand Heinrich von Gagern, wo der Reichsverweser
Johann von Österreich, wo der provisorische Ministerpräsident Karl zu Leiningen
und sein Ministerium? Wo stand die deutsche Nation? Was nützten Gebietsgewinne,
war doch in Althaus Formulierung erst einmal wichtig: … unsere Ehre ist der Respekt, den
wir vor der Berechtigung j e d e r
Nationaleinheit und Nationalunabhängigkeit beweisen; sei’s auch um den Preis,
daß Deutschland nicht bis zur Königsau geht, und einige Abgeordnete der
dänischen Bezirke die Paulskirche verlassen müssen.
Nach der
erfolgten Ratifizierung des Vertrages am 26. August 1848 unter Vermittlung von
Schweden in Malmö wurde das eigenmächtige Verhalten der preußischen Regierung
sowohl in der deutschen Öffentlichkeit als auch in der Presse, den
verschiedenen politischen Gruppen und der Nationalversammlung so heftig und
kontrovers diskutiert, dass es am 5. September 1848 in der Paulskirche zur
Abstimmung kam, bei der 238 Parlamentarier mit 221 Gegenstimmen den
Waffenstillstand von Malmö in dieser Form ablehnten, was bedeutete, dass alle
Maßnahmen zur Umsetzung gestoppt wurden. Daraufhin trat das Ministerium
Leiningen zurück und Friedrich Christoph Dahlmann, der besonders
leidenschaftlich für die Ablehnung plädiert hatte, wurde vom Reichsverweser
Erzherzog Johann mit der Bildung eines neuen Kabinetts beauftragt. Preußen hat im Namen des
Bundes u n d in seinem eignen den Waffenstillstand
abgeschlossen, die Nationalversammlung hat seine Ausführung sistirt, und so
muß P r e u ß e n
b i e g e n oder die
C e n t r a l g e w a l t
muß b r e c h e n, resümierte Althaus am 8. September
1848 im Leitartikel Die
Entscheidung. Im Namen des Bundes! Was hatte Blum prophezeit? Rückschritt
in die Metternichära. Und Preußen als Vorreiter. Ja, Preußen müsste sich fügen
und die parlamentarische Abstimmung gegen den Vertrag, für Einheit und
Freiheit, akzeptieren. Sie war ein Sieg der Demokratie.
In den
darauffolgenden Tagen erfuhr der leitende Redakteur der auflagenstarken Bremer Zeitung schmerzlich, wie wenig im Moment die
Demokratie und die während der Märzrevolution erlangte Pressefreiheit wert
waren. Nachdem er sich am 11. September 1848 von der Haltung Waffenstillstand zugunsten des
Handels um jeden Preis deutlich
distanzierte und sich klar hinter das Votum der Nationalversammlung stellte,
gab es eine Vielzahl von Kündigungen der Abonnements. Für viele Bremer Bürger
waren Handel und Gewerbe Größen, denen sich die Politik unterzuordnen hatte.
Für Althaus hingegen hatten Einheit, Ehre und Freiheit des Vaterlandes oberste
Priorität, auch um den Preis der Aufgabe von territorialen Zugewinnen an der
Grenze zu Dänemark und Verzögerungen des Küsten- und Seehandels. Besonders das Letztere,
Beeinträchtigungen des Seehandels, dürfte in Bremen für großen Unmut gesorgt
haben.
Der Rückgang der
Abonnenten brachte Althaus eine Menge Ärger mit dem Verleger, der sich in dem
Zusammenhang auch um das Anzeigengeschäft sorgen musste. Er wollte diese bitteren Realitäten
nicht so recht an sich heranlassen, wenn er am 13. September 1848 im Tagebuch
notierte: Diese Gesichter des
Himmelseinsturzes, wenn ein Abonnent gekündigt hat! Doch die Misstöne drückten schwer auf
seine Stimmung: So in’s Blaue
hineinzuschreiben, wenn Dein Leben von nirgendher Dir wieder entgegenkommt – so
gar keine Frucht zu sehen, gar keine Genugthuung als die innere, zu der man
keine Zeit hat, und die sich endlich auf das leere Gefühl der vollbrachten
Arbeit beschränkt! Das ging
vorbei. Hart werden und Ausharren, sagte er sich. Er würde daraus lernen.
Es vergingen nur
ein paar Tage bis zur nächsten Härteprüfung. Im Frankfurter Parlament war mit
dem Ablehnungsvotum keine Ruhe eingekehrt. Wie sollte es weitergehen? Wie
konnte man die preußische Vorherrschaft stoppen? Wie sollte man den
demokratischen Karren aus dem Sand bekommen? Hektisches Agieren bestimmte das
politische Geschehen. Dahlmanns Bemühen um ein neues Reichsministerium schlug
fehl und er gab den Auftrag zur Regierungsbildung an den Reichsverweser zurück.
Weitere Diskussionen und Parlamentsdebatten führten zu Verschiebungen von
Mehrheiten, sodass die Nationalversammlung in einer erneuten Abstimmung am 16.
September 1848 den Waffenstillstandsvertrag schließlich doch akzeptierte und
mit 257 gegen 236 Stimmen für die Ratifizierung zwischen Preußen und Dänemark
votierte. Damit hatte das erste frei gewählte deutsche Parlament das Vertrauen
seiner Wähler und das potentieller Verhandlungspartner verspielt. Außerdem
hatte es sich selbst als politische Kraft matt gesetzt, indem es den Beschluss
über die Errichtung der Zentralgewalt nicht umsetzte, obwohl Im Erlass vom 28.
Juni 1848 der vierte Absatz lautete: Ueber
Krieg und Frieden und über Verträge mit auswärtigen Mächten beschließt die
Zentralgewalt im Einverständnisse mit der Nationalversammlung.
Theodor Althaus
konnte es nicht fassen. Über das leere Blatt auf seinem Stehpult hinweg blickte
er auf die grünen stacheligen Kugeln der Kastanien vor seinem Fenster. Wie sollte
er beginnen? Sie würden darauf schauen, was da nun morgen geschrieben stand in
seinem Leitartikel. Viel hatte er noch nicht erfahren, zwei Tage nach dem
parlamentarischen Donnerschlag. Die Informationen aus Frankfurt flossen
spärlich. Die Entscheidung war knapp gewesen und das ließ hoffen. Es war noch
nicht aller Tage Abend. Tumultartige Szenen vor der Paulskirche, hieß es. Kein
Wunder, dass die Menschen sich Luft machten in ihrer patriotischen Leidenschaft.
Wenigstens das Volk wusste, was es seinem Vaterland schuldig war, im Gegensatz
zur Frankfurter Majorität. Der
Beschluß der Nationalversammlung über den Waffenstillstand, schrieb er in
die Kopfzeile. Das klang sachlich und würde niemanden provozieren. Und doch. Nur schreiben, was sie lesen
wollten? Um den Verleger nicht zu verärgern? Dass er überhaupt darüber
nachdachte. Nein, ungeschönt und in voller Klarheit würde er das Dilemma in der
Paulskirche aufzeigen. Zum ersten Mal hätte die Nation als Einheit agieren
können und hatte es nicht getan. Dänemark hätte die Zentralgewalt anerkennen
müssen und hatte es nicht getan. Stattdessen diffuses Gerede von Verständigung
und Modifikationen. Wer? Wo? Wie? Nichts als diplomatisches Geschwätz. Wer
sollte eine Regierung denn auch ernst nehmen, die sich selbst nicht ernst nahm,
seine selbst gegebenen Gesetze feige verleugnete? Wer sollte so einem Land
völkerrechtliche Anerkennung gewähren? Und was war mit der Ehre Deutschlands
und der Ehre der Zentralgewalt? Wer hatte daran gedacht? All das schrieb er und machte zum
Schluss noch eine Bemerkung zur wichtigen materiellen Frage. Zumindest die
könnte ja jetzt in der bremischen Kaufmannsstadt in Ruhe und gedeihlich gelöst
werden.
Die Kritik an
seinem Artikel in der Bremer Bürgerschaft, weitere Kündigungen von Abonnenten
und die neuesten Nachrichten aus Frankfurt bereiteten ihm dann doch heftiges
Kopf- und Bauchweh. Er wurde krank, arbeitete aber weiter bis nach Mitternacht,
um die nächste Ausgabe einschließlich seiner Kommentare vorzubereiten, deren
Inhalte er sich trotz allem nicht vorschreiben ließ. Die tumultartigen
Ausbrüche vor der Paulskirche hatten sich an diesem 18. September 1848 in den
Frankfurter Straßen und Gassen ausgeweitet. Abgeordnete der Nationalversammlung
wurden angefeindet und als Verräter beschimpft. Der nach dem Rücktritt von
Leiningens neu ernannte dreiundvierzigjährige Reichsminister Anton Ritter von
Schmerling aus Österreich hatte, angeblich auf Bitten des Frankfurter Senats,
preußische Truppen aus Mainz angefordert, was zur Eskalierung der Unruhen und
zum Barrikadenbau führte, der allerdings ziemlich halbherzig und chaotisch
angelegt war. Mit dem Eintreffen weiterer Truppen, auch österreichischen, war
der Aufstand am selben Abend niedergeschlagen.
Außer schweren
Schäden an Straßen und Gebäuden hatten die Kämpfe viele Verletzte und mehr als
vierzig Todesopfer gefordert, darunter Aufständische, Zivilisten, Soldaten und
Offiziere. Die preußischen Abgeordneten Hans von Auerswald und Felix Fürst von
Lichnowsky wurden von einer Gruppe äußerst gewaltbereiter Fanatiker verfolgt,
gejagt und mit unvorstellbarer Brutalität ermordet. Das war eine Bilanz, die in jedem
Falle innehalten ließ. Vor allem die brutalen Morde an Auerswald und Lichnowsky
beherrschten die öffentliche Diskussion und die Medien. Auch Theodor Althaus
zeigte sich in der Ausgabe vom 22. September 1848 schockiert von diesen empörenden Grausamkeiten, die jenen
Tag als einen Schandfleck unsrer Geschichte hinstellen, wollte jedoch das
Geschehen nicht weiter kommentieren, bevor gerichtliche Untersuchungen die
wahren Tatbestände aufgeklärt hätten. Auch wollte er den Septembertag nicht nur
als fluchbeladenen sehen. Bei aller Schrecklichkeit des Geschehens wollte er
sich nicht darüber hinwegtäuschen lassen, dass an den revolutionären
Aktivitäten die Diskrepanz zwischen dem deutschen Volk und der
Nationalversammlung deutlich wurde, das sich von dem im Mai gewählten Parlament
nicht mehr vertreten fühlte.
Außerdem müssten
endlich auch in den Ländern demokratische Strukturen geschaffen werden,
forderte Althaus: Diese
Revolution, die innerlich und ohne viel gewaltsame Ausbrüche gereift ist, macht
eine neue Form, eine neue
V e r t r e t u n g des
wesentlich umgewandelten Volkswillens nothwendig, und wer ihr gesetzliches
Zustandekommen verhindert, wird, wie einst und immerfort, die Schuld des
gewaltsamen Weges tragen. Die festeste Stütze der Nationalversammlung aber
werden nicht Truppenconcentrationen und Belagerungszustand sein, sondern
c o n s t i t u i e r e n d e
L a n d t a g e, die den Particularismus brechen
und die Oberhoheit der deutschen Centralgewalt anerkennen werden.
Die Frage nach
Ursachen und Schuld für die Hintergründe der Ausschreitungen beschäftigte nicht
nur die Presse und die verschiedenen Gruppierungen im Umfeld der Frankfurter
Nationalversammlung. Nachdem die neue provisorische Reichsregierung mit ihren
von Preußen und Österreich unterstützten militärischen Maßnahmen mehr als
eindrucksvoll vorgeprescht und in die Kritik geraten war, sah sie sich
veranlasst, eine offizielle Darstellung zum Geschehen herauszugeben. Im Erlaß der Zentralregierung vom 22. September 1848 wollte von
Schmerling nicht näher genannten Verschwörern die Schuld zuschieben, wenn er
formulierte: Die unter dem
längst verführten Volke verbreiteten falschen Auslegungen über den Beschluß der
Nationalversammlung vom 16. September 1848 – wodurch der zu Malmö
abgeschlossene Waffenstillstand nicht ferner zu beanstanden sei – brachten
lange vorbereitete Pläne zur Ausführung. Am 17. September 1848 wurde nächst
Frankfurt eine große Volksversammlung abgehalten, dabei der Aufruhr offen
gepredigt und zum Sturme gegen die Majorität des Parlaments aufgefordert. Es
trafen von allen Seiten Bewaffnete ein […]. Unter dem Schutze zweier aus Mainz
beigezogener Bataillone hielt die Nationalversammlung am 18. September 1848
vormittags Sitzung, umringt von drohenden Haufen, deren Versuch, gewaltsam in
den Sitzungssaal einzudringen, durch Reichstruppen vereitelt wurde. Von 2 Uhr
bis gegen 9 Uhr abends dauerte der Straßenkampf gegen die zahlreich errichteten
Barrikaden […]. Erst am 19. morgens war die gesetzliche Macht vollständig
Meister der Stadt.
Beweise oder
wenigstens schlüssige Antworten auf die Frage, wer falsche Auslegungen
verbreitete, das Volk verführte und lange vorbereitete Pläne ausgeführt haben
sollte, gab Reichsminister von Schmerling nicht. Stattdessen machte er einen
diffusen Rundumschlag, meinte aber wohl vor allem die in der Paulskirche auf
der linken Seite sitzenden republikanisch gesinnten Demokraten. Für diese
sogenannten Linken stellten sich die Hintergründe ganz
anders dar. Sie wehrten sich gegen die Kritik. In einer Kundmachung der Vereinigten Linken
in der Frankfurter Nationalversammlung über die Septemberkrise“ vom selben
Tage formulierten sie eine Gegendarstellung: Nicht
die Schwäche oder Niederlage Deutschlands, sondern hauptsächlich eine
unheilvolle Nachgiebigkeit gegen die Sondergelüste der preußischen Regierung
hat uns diesen Waffenstillstand aufgedrungen […]. War es ein Wunder, wenn das
Volk sich dasselbe Recht beilegte, welches sich die
E i n z e l r e g i e r u n g e n
durch wiederholte
M i ß a c h t u n g der
Beschlüsse der Nartionalversammlung angemaßt hatten? Blutige Szenen haben sich
unter unsern Augen entwickelt, die wir eben so tief bedauern, als wir fest überzeugt
sind, daß sie hätten vermieden werden können, wenn man zur rechten Zeit die
geeigneten Maßregeln ergriffen hätte, welche wir nach Kräften anrieten
[…]. Frankfurt steht jetzt unter der ehernen Zuchtrute des Belagerungszustandes
und Kriegsgesetzes, d.h. der Rechtlosigkeit […].
Wie die geeigneten Maßregeln zur Verhinderung der Ausschreitungen
ausgesehen hätten, wurde in einem Artikel der von Robert Blum und Georg Günther
redigierten Deutschen
Reichstagszeitung erläutert,
den Althaus in der zweiten Ausgabe der Bremer
Zeitung vom 23. September
1848 wortgetreu abdrucken ließ. Demnach sprachen an jenem Montag, dem 18.
September 1848, die Abgeordneten Ernst Schilling, Ludwig Simon von Trier und
Robert Blum mit Vermittlungsabsichten im Reichsministerium vor, nachdem sie
sich mit den Demonstranten vor der Paulskirche ausgetauscht hatten. Dem
Reichsverweser Erzherzog Johann und Reichsminister von Schmerling rieten sie
dringend, die Truppen aus Frankfurt zurückzuziehen. Man könne nach ihrer
Einschätzung darauf vertrauen, dass sich die Demonstration ohne militärischen
Einsatz friedlich auflösen werde. Davon habe jedoch Schmerling überhaupt nichts
wissen wollen. Mit herzloser
Kälte und grinzendem Lächeln habe
er einen Truppenabzug abgelehnt. Kurz nach diesen Friedensbemühungen der drei
Abgeordneten sei der erste Schuss gefallen und die verhängnisvollen Kämpfe
hätten begonnen. So wurde es im Artikel der Reichstagszeitung und in der Bremer Zeitung publiziert.
Je mehr
Wahrheiten über die Frankfurter Ereignisse zum Ende des Monats hin offenbar
wurden, desto klarer wurde selbst den in der Paulskirche rechts sitzenden
Konservativen, dass in der Tat sechstausend Soldaten gegen vierhundert
Barrikadenkämpfer ein lächerliches Missverhältnis war. Ebenfalls wurde der
Unterschied zwischen brutaler
Mordlust und Empörung des beleidigten
Nationalgefühls, als der wahren Quelle des Kampfes, wie Althaus ihn im
Artikel Zur Orientierung am 3. Oktober 1848 herausstellte,
inzwischen emotionsloser gesehen. Und nicht zuletzt war auch klar, dass das
heraufbeschworene Komplott wohl außer Schmerling niemandem bekannt war, denn
Beweise gab es nicht. Schon
einige Tage zuvor hatte Althaus festgestellt, dass dieser unheilvolle
Septembertag einen Wendepunkt in der Geschichte der deutschen Revolution
darstellte. Wieder einmal wurde ihm klar, wie recht Robert Blum mit seiner
Junirede zur Zentralgewalt gehabt hatte. Gagern war als erster Mann der Nation
vom Thron herabgestiegen in die Partei der Konservativen und hatte mit seiner
Zustimmung zum Waffenstillstand das Vertrauen des Volkes verloren. Den kühnen Griff hatte er Schmerling überlassen, der
sich mit Belagerungszustand und Kartäschen diktatorisch gegen Blums
diplomatische Vermittlungsversuche gestellt hatte. Man befinde sich in einer
Übergangsphase, in der man das Vertrauen des Volkes zurückgewinnen müsse,
resümierte Althaus. Doch anstatt zügig die konstituierende Arbeit vor allem in
den Ländern zu tun, werde derzeit die Agitation für demokratische Gesetze
als Anarchie denunzirt und in politischen Streitigkeiten die Zeit
vergeudet.
Leseprobe aus: Theodor Althaus - Revolutionär in Deutschland
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