Ein weiterer Freund aus Leipziger Zeit hatte in Frankfurt eine
Bühne gefunden. Robert Blum ließ ihn mit einer unglaublich leidenschaftlich
vorgetragenen Rede in der Nationalversammlung schon fast erschrocken
aufhorchen. In den Frankfurter Tagen war Theodor dem vielbeschäftigten Mann
schon einige Male begegnet. Die bereits in Leipzig erlebte Kraft seiner
Aktivitäten und Worte übertraf Blum am 20. Juni 1848 mit seiner Rede zur
Zentralgewalt, wie man die von Gagern ins Spiel gebrachte und zur Diskussion
stehende provisorische Regierung für Deutschland nannte. In Form eines
Direktoriums oder Ministeriums sollte diese Zentralgewalt installiert werden.
Die Schärfe des Tones der Rede übertraf alles, was Theodor bisher von Blum
erlebt hatte. Der verglich die Nationalversammlung mit dem an den Felsen
angeketteten Prometheus, stark wie er, doch an ihren Zweifeln angekettet.
Blum war gegen
ein Direktorium. Weder sei so ein Gremium legitimiert, noch habe es die Mittel,
Deutschland zu vertreten. Er und seine Partei sahen die Gefahr, dass eine
Zentralgewalt, die ja notgedrungen schwach sein müsste, die Fürstenmacht in den
Einzelstaaten wieder stärken und die gerade errungene parlamentarische Macht in
Gefahr bringen würde. Er und seine Mitstreiter schlugen einen
Vollziehungsausschuss vor. Der sollte sich darum kümmern, dass die gefassten
Beschlüsse der Nationalversammlung ausgeführt würden. Andernfalls sah er die
erkämpfte Freiheit wie ein
Himmelsauge brechen. In unbeschreiblicher Intensität trug er seinen Appell
an die Abgeordneten vor: Wollen
Sie der Anarchie entgegentreten. Sie können es nur durch den innigen Anschluß
an die Revolution und ihren bisherigen Gang. Das Direktorium, das Sie schaffen
wollen, ist aber kein Anschluß daran; es ist Widerstand, es ist Reaktion, es
ist Konterrevolution – und die Kraft erregt die Gegenkraft. Man wirft mitunter
schielende Blicke auf einzelne Parteien und Personen und sagt, daß sie die
Anarchie, die Wühlerei und was weiß ich wollen. Diese Partei läßt sich den
Vorwurf der Wühlerei gern gefallen; sie hat gewühlt und ein Menschenalter lang,
mit Hintansetzung von Gut und Blut mindestens von allen Gütern, die diese Erde
gewährt; sie hat den Boden ausgehöhlt, auf dem die Tyrannei stand, bis sie
fallen mußte, und Sie wären nicht hier, wenn nicht gewühlt worden wäre. Bei diesen Worten reagierten die
Anwesenden in der Paulskirche mit stürmischem, anhaltendem Beifall und dann
noch einmal nach dem leidenschaftlich vorgetragenen Schlusssatz: So schaffen Sie Ihre Diktatur.
Waren die Abgeordneten zu gutgläubig? Sah
Blum zu schwarz? Jedenfalls blieben seine Warnungen erfolglos. Am 28. Juni 1848
beschloss die Frankfurter Nationalversammlung das Gesetz über die Einführung
einer provisorischen deutschen Zentralgewalt, die bis zur Ausführung der
Reichsverfassung tätig sein sollte. Und am Folgetag wählte sie, wiederum auf
Vorschlag Heinrich von Gagerns, der ihn selbst als kühnen Griff bezeichnete, Erzherzog Johann
von Österreich zum Reichsverweser als Oberhaupt eines zu bildenden
Ministeriums. Althaus konnte sich mit der Konstruktion Zentralgewalt mit
Reichsverweser und Reichsministerium arrangieren. Er hatte eher Bedenken gegen
Blums Strategie. Wie sollte ein Vollziehungsausschuss funktionieren?
Beim Zweiergespräch in der stillen Ecke
eines Frankfurter Wirtshauses konnte Theodor seine Zweifel ansprechen. Im
Gegensatz zu seinem Freund hatte er zu Gagern und dessen politischem Handeln
ungetrübtes Vertrauen, der würde das Schiff schon in die richtige Bahn lenken.
Blum hingegen sprach spöttisch vom Reichsverweser als Johann von Gagerns Gnaden. Der
Jüngere musste zugestehen, dass er Blums Befürchtungen, diese Konstruktion Zentralgewalt
könnte einen Rückschritt in Metternichzeiten nach sich ziehen, nicht einfach
wegwischen konnte, zumal bereits erste Anzeichen aufkommender Reaktion zu
erkennen waren. Die durch die Revolution geschwächten Landesregierungen
eroberten ihre verlorene Macht allmählich zurück. Mit dem Antrag des Kölner
Parlamentariers Franz Raveaux nach Klärung der Priorität bei gleichzeitiger
Mitgliedschaft in der preußischen und der Frankfurter Nationalversammlung sowie
einem tödlichen Konflikt in Mainz zwischen preußischem Militär und Bürgerwehr
war deutlich geworden, dass im monarchischen System die Priorität der deutschen
Nation gegenüber den einzelnen Ländern nicht gegeben war. Im Falle der
Doppelmandate wurde keine eindeutige Regelung zugunsten der Nationalversammlung
geschaffen. So konnte mittels Einberufung der preußischen Landstände durch die
Regierung in Berlin die Parlamentsarbeit in Frankfurt in erheblichem Maße
gestört werden. Auch im Falle des Mainzer Konflikts war die Gewichtung klar.
Die Bürgerwehr zog sich zurück und das preußische Militär behielt die Oberhand.
Die Frage, wie Blum sich denn nun seinen Mitstreitern gegenüber verhalten
werde, wenn er in der provisorischen Zentralregierung ein Ministeramt angeboten
bekäme, beantwortete der mit beeindruckender Konsequenz. Er würde in das erste
Ministerium nur eintreten, um es nachher bei Gelegenheit sprengen zu können.
Ende des Monats
Juni 1848 war für Theodor Althaus nach sechs Wochen die Zeit als politischer
Beobachter im Frankfurter Sommer zu Ende. Ihn lockte ein Angebot, bei der Bremer Zeitung als Nachfolger von Karl Theodor Andree
die Stelle als leitender Redakteur zu übernehmen. Andree wollte Bremen
verlassen, in seiner Heimatstadt Braunschweig die „Deutsche Reichszeitung“
redigieren und sich verstärkt seinen Studien und Publikationen im
geographischen Bereich widmen.
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