Der Umzug nach Hannover verzögerte sich und das politische
Geschehen nahm unentwegt seinen Lauf, das hieß, die redaktionelle Arbeit ging
weiter. In der Frankfurter Paulskirche hatten die Abgeordneten der
Nationalversammlung auch bei zunehmender Fraktionsbildung noch immer ein
gemeinsames Ziel, eine Reichsverfassung. Die Arbeit an den Grundrechten und
einzelnen Passagen des Verfassungswerks ging voran. Man diskutierte in
Ausschüssen, bearbeitete Texte und fasste Beschlüsse. Darüber und über den
Ablauf der Sitzungen in der Paulskirche informierte die Bremer Zeitung ihre Leser regelmäßig und ausführlich,
ebenso über Entwicklungen und Geschehnisse in den einzelnen Ländern.
Ruhe gab es nicht. In jenen Oktobertagen
des Jahres 1848 sorgte die österreichische Hauptstadt für Schlagzeilen. Da die
blaugelbe Habsburgermonarchie so viele verschiedene Volksstämme unter sich
vereinigte, waren die revolutionären Zentren entsprechend weit gestreut. Neben
Wien waren das zum Beispiel auch Prag, Mailand und vor allem Ungarn. Unter dem
Titel Revolution in Wien
am 6. und 7. October ließ
Althaus am 10. Oktober zwei Korrespondentenberichte vom Schauplatz des
Geschehens in Wien abdrucken. Demnach gab es eine Meuterei von Angehörigen
zweier Bataillone, die auf Anordnung des Kriegsministers Latour gegen die
aufständischen Ungarn ausrücken sollten. Den Verweigerern schlossen sich
Arbeiter und Studenten an und unterstützten sie mit allen zur Verfügung
stehenden Mitteln. In der Nähe des Nordbahnhofs wurden Eisenbahngleise zerstört
und die Taborbrücke durch Entfernen eines Jochs und den Bau einer stabilen
Barrikade unpassierbar gemacht. Mit weiteren Barrikaden versuchten sie den
Nachschub der Armee zu stoppen. Eine aufgebrachte Menge stürmte zum
Kriegsgebäude. Dort wurde Latour aufgespürt und ermordet. Nach Eroberung des
Zeughauses waren die Aufständischen bewaffnet. Auf beiden Seiten gab es Tote
und Verletzte. Kaiser Ferdinand I. verließ mit seinem gesamten Hof das Schloss
Schönbrunn und der Wiener Reichstag übernahm sowohl die konstituierende als
auch die exekutive Gewalt. Fazit des Wiener Korrespondenten: Beim Schlusse dieses Berichtes war
ganz Wien bewaffnet und, eine übrig gebliebene Aufregung abgerechnet, ruhig. Grund zum Jubeln? Nein, meinte der
leitende Redakteur der Bremer
Zeitung und erinnerte tags
darauf an die gemeinsame Zugehörigkeit der Slaven und Magyaren zur Habsburger
Dynastie und die Bedeutung dieses Mehrvölkerlandes für Deutschlands demokratische
Entwicklung. Die sei weder in der slavischen Affinität zur Monarchie
ausgeschlossen noch sei sie im magyarischen Unabhängigkeitsstreben garantiert.
Die Kämpfe in Wien wertete er nicht als revolutionären Erfolg, sondern als
beginnenden Bürgerkrieg mit gräulichen Bildern wie die Blutlachen im
Stephansdom und den ermordeten Minister Latour aufgehängt an einer Laterne vor
dem Kriegsgebäude. Wir sehen
mit tiefem Schmerze und noch ohne versöhnende Hoffnung für die wahre deutsche
Einheit, den Beginn des Bürgerkriegs und den Wiederausbruch der kaum versöhnten
Völkerfeindschaft in den Octobertagen von Wien.
Dabei hatte das Trauerspiel Oesterreich so vielversprechend begonnen mit einem Frühlingsschauer von Liebe, Dank,
Jubel und stolzer Freude, der Metternich, den verhassten Drahtzieher des
Deutschen Bundes, verjagt hatte. Althaus dachte an seine vor der Knute
Metternichs geflüchteten österreichischen Dichterfreunde in Leipzig und deren
Erzählungen von jungen Märtyrern der Freiheit und von Klagelauten jenseits der
schwarzgelben Schranken, die am 13. März 1848 gefallen waren. In diesem Wiener
Frühling war sowohl der Zusammenhalt der österreichischen Volksgruppen als auch
die Zugehörigkeit zu Deutschland in Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit
gegeben. Doch mit den Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Volksgruppen und
der militärischen Einmischung der Deutschen war das gemeinsame Ziel völlig
verwischt und für Althaus in weite Ferne gerückt.
Das Trauerspiel hatte den Höhepunkt noch
nicht erreicht. Die Stadt Wien wurde von kaiserlichen Truppen unter
Windischgrätz eingekesselt und am 31. Oktober 1848 zurückerobert. Zweitausend
Todesopfer, viele Verletzte und schreckliche Verwüstungen hatte der Aufstand
gekostet. Und die herrschenden Rächer wüteten gnadenlos mit Verhaftungen,
Verhören und Todesurteilen.
Leseprobe aus: Theodor Althaus - Revolutionär in Deutschland
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