Vor dem blumengeschmückten
Sarg im Flur des Pfarrhauses unter der Wehme stand der Vater im schwarzen
Talar, umgeben von seinen Töchtern und Söhnen, Julian erst fünfzehn. Theodor
sah ihm die Erleichterung an, als er seinen Ältesten erblickte. Er stellte sich
zwischen seine Brüder und sie nahmen den Vater in die Mitte. Nach einem Choral
des Männerchors begleiteten sie ihn hinter dem Sarg der Mutter auf dem wohl
schwersten Weg seines Lebens. Über den Marktplatz und die Lange Straße zog die
große Trauergemeinde hinauf zum Friedhof an der Weinbergstraße.
Als sie
zurückkamen, hielten sich die Schwestern zusammen mit Verwandten in der
Wohnstube auf. Neben Elisabeth auf dem Sofa saß Malwida von Meysenbug. Er
wusste selbst nicht, ob er sich über das Wiedersehen freuen sollte. Seit seinem
letzten Brief war eine lange Zeit vergangen. Auch sie hatte irgendwann
aufgehört ihm zu schreiben. War da nicht wieder dieser stille Vorwurf in ihrem
Blick, als er sie mit Handschlag begrüßte? Würde sie ihn verstehen? Doch ja,
sie wusste, was der Verlust dieses lieben Menschen für ihn bedeutete.
Theodor
begleitete Malwida zur Tür, als sie sich verabschiedete, und erinnerte sich an
die Zeit, als er sie bei derartigen Gelegenheiten in den Arm genommen hatte, als
noch in schlaflosen Nächten seine Wolkenträume durch das Fenster zu seiner
geliebten Hyazinthe gezogen waren und als sie noch glaubten, gemeinsam könnten
sie die Welt verändern. Die Zeiten hatten sich geändert, doch in eine andere
Richtung, als sie gemeinsam gehofft hatten. Nicht im Entferntesten hätten sie
geahnt, dass der Weg so steinig werden würde. Und so verlustreich. Er nahm sich
vor, ihr zu schreiben, wollte jedoch nichts versprechen. Eine Weile schaute er
ihr nach, wie sie die Treppe hinunter und den Weg zum Marktplatz ging, wieder
tiefschwarz eingehüllt, wie beim letzten Treffen nach dem Tod ihres Vaters.
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