Am 1. Januar 1849 erschien in Hannover die erste Ausgabe der „Zeitung für Norddeutschland". Ihren Lesern stellte sie sich als überregionales demokratisches Blatt vor. Hier der Leitartikel von Theodor Althaus:
Am Jahreswechsel
*Der Rückblick und das Vorwärtschauen zu dem uns beim
Uebergange vom alten in das neue Jahr die S i t t e auffordert, erscheint uns heute als
eine selten so sehr empfundene N o t h w e n d i g k e i t.
Die Weltbewegung des großen Jahres löste in den Geistern die alte Ordnung der
Gedanken, und wechselnd gewann einer nach dem andern von ihnen die ungemessene
Herrschaft; die Arbeit an dem allgemeinen Werke der Erneuung forderte einen so
rastlosen Dienst, daß die Parteien oft ohne viel Besinnen die Werkzeuge wählten
und die wahren Mittel und Kräfte wiederholt verkannten. Diese Rastlosigkeit,
dieses Ueberstürzen von ungeahnten Entwicklungen und Ereignissen Schlag auf
Schlag, ließ mehr als einmal das Ziel aus den Augen verlieren, wenn von den
erschütternden Stimmen der Revolution Herzen und Geister überwältigend bewegt
wurden.
Für diesen Blick auf das große Ganze der nächsten
Vergangenheit und Zukunft unsers Vaterlandes ist es jetzt, wo die letzten
Entscheidungen auf eine Weile vertagt und die Gemühter zu einer Art von
Erbebung in die Macht der Verhältnisse zurückgekehrt sind, ein günstiger
Zeitpunkt. Die Ruhe fördert die gute Sache nicht weniger als die Leidenschaft,
die Klarheit arbeitet für sie nicht schlechter, als die aufgeregte
Begeisterung. Die Schüler und Meister der alten Diplomatie haben nur dadurch
den alten Bau wieder zusammenfügen und die kühnen Pläne zum neuen zerstören
können, weil sie, niemals von eignem Herzensdrang beirrt, und stets ungläubig
an eine nachhaltige Macht der Geistesbewegungen, ruhig die bestehenden
Verhältnisse berechneten und mit den organisirten, disciplinirten Kräften
wirkten. Und darum, weil diese Umschau und ein
R e s u l t a t bringen soll zur
Kräftigung und Sammlung unserer Politik, versagen wir es uns, die Stimmen aus
allen Höhen und Tiefen, die Schlachtrufe, die Triumphlieder und Grabgesänge aus
der deutschen und europäischen Geschichte dieses Jahres in einen ergreifenden
Chor zu sammeln. Wir glauben zu der
E r k e n n t n i ß
mitwirken zu müssen, welche jetzt mächtiger ist, als Schmerz und Hoffen. –
Eine neue Welt ging uns Deutschen auf; es war natürlich, daß
wir zu viel auf das Allgemeine, auf alle höchsten Güter der Menschheit
blickten; aber das Viele, was wir erfassen wollten, konnten wir nicht zugleich
festhalten. Die edle menschliche Theilnahme an den verwandten Völkerschicksalen
ließ uns die ganze Bewegung zu sehr als eine überall gleiche und dieselbe
erscheinen. Wir vergaßen darüber das
E i g e n t h ü m l i c h e
und
U n t e r s c h e i d e n d e
der d e u t s c h e n
Bewegung stets im Auge zu behalten, aber gerade
d i e s müssen wir jetzt erkennen, weil nur aus
diesem e i g e n s t e n
Charakter die neuen Kräfte zu entwickeln sind, deren wir nach so bittern
Niederlagen bedürfen.
Uns erschien nach der Schmach unserer politischen Zustände
die F r e i h e i t als das
wesentliche Ziel und der eigentliche Charakter der deutschen Revolution. Sie
war und ist uns freilich so nothwendig wie die Lebenslust, und immer bleibt die
Ausbildung der Demokratie ein wesentliches Ziel. Aber – in einem demokratischen
Blatte dürfen wir es ohne Furcht vor Missverständnissen sagen: - es war ein
theilweiser Irrthum, wenn man in der Freiheit das
E i g e n t h ü m l i c h e
dieser Bewegung vorherrschend erkennen wollte. Sie war es vielmehr, die
Deutschland mit allen Völkern
g e m e i n s a m hatte; nicht
die deutsche, sondern die französische Revolution des vorigen Jahrhunderts hat
die Printzipien der Freiheit und Gleichheit, und diese allein, den Mächten der
alten Welt blutig abgerungen. Wir kannten sie, wir hatten sie allen liberalen
Glaubensbekenntnissen; und ohne große Kämpfe, ohne kräftigen Widerstand haben
wir diese Fahnen zum Siege getragen. Die demokratischen Institutionen , in den
Grundrechten der conservativen Reichsversammlung festgestellt, in die meisten
Einzelverfassungen schon übergegangen, ja selbst von der monarchischen Gewalt
in Preußen octroyirt, s i n d
e r r u n g e n für Deutschland. Wir
haben in ihnen die Mittel, diesen Geist im ganzen Umfang der politischen
F o r m e n von einer Stufe zur andern, und vom
Mittelpunkt bis in alle Spitzen des Lebens durchzubilden, und wer mit freiem
Blick an der Schwelle des neuen Jahres die großen Züge des Ganzen erfasst, wird
diese Kräfte zu stolz empfinden, als daß er dem Fastnachtsspiel des
Belagerungszustandes, den Chicanen der Processe, und allen widerwärtigen
Kämpfen, in denen die alten Gewlaten einen Scheinconstitutionalismus
zurückzuerobern suchen, noch die Ehre anthäte, ihre Besiegung für das
wesentliche und hauptsächliche Ziel unsers Strebens zu halten. Diesen
Unwürdigkeiten werden die ersten Worte in den preußischen Kammern ein Ende
machen. Was an jenen Grundmauern der Demokratie noch fehlt, wird bald vollendet
sein; und dahin blickt kein banges und zweifelndes Auge.
Noch im alten Jahre sind diese Grundrechte als Reichsgesetz
verkündet, und wo sie Widerstand finden, richtet er sich nicht gegen die
Bestimmungen, in denen freie Völker die genügende Gewähr der Freiheit erkennen.
Aber lasst sie eingeführt sein, lasst in ihrem Sinne die gesetzgebende Arbeit
in den Einzelstaaten beginnen: damit ist unsere Aufgabe nicht geschlossen und
unser Ziel nicht erreicht. Mit diesen Freiheiten sind die Schranken noch nicht
gefallen, die uns gehemmt und eingeengt haben; mit ihnen hat Deutschland noch
keine Macht, in die große Arbeit der Völkerbefreiung, der internationalen
Verbrüderung und Gerechtigkeit ebenbürtig einzutreten; mit ihnen mag der Preuße
wie der Baier frei sein, - aber
D e u t s c h l a n d
ist noch keine N a t i o n. Das volle Gefühl
unserer Selbstständigkeit, das hohe Ziel unseres eigensten Berufs, und endlich
die von Geist zu Geist entzündete, von Hand zu Hand verbundene Kraft zum
öffentlichen Leben und großen Schaffen -
f e h l t uns, so lange uns die
E i n h e i t fehlt!
Die Einheit Deutschlands! Sie war es, gegen die der Haß am
tiefsten wurzelte, für die die Liebe am nachhaltigsten gedauert hat. Sie ist
das Wort unserer Zukunft, das wir nicht ererbt noch gelernt haben und deren
Gesetze wir aus keiner Constitution herübernehmen können wie die andern, ---
weil ihre Erscheinung die n e u e Gestalt des
Jahrhunderts, eine neue Form im Völkerleben sein wird, wie weder Amerika noch
Frankreich sie gebildet haben. Was Deutschlands e i n i g e r
G e i s t für Europas Bildung geleistet hat, das hat
bis heute Deutschlands
p o l i t i s c h e
U n e i n i g k e i t
an der F r e i h e i t
gesündigt; und wie ein getheiltes Deutschland das Ziel und Mittel des
europäischen Despotismus war, so wird nur ein einiges Deutschland das Schwerdt
und Schild der europäischen Freiheit und Gerechtigkeit sein.
Wir werden daran zu Schanden werden, wenn wir noch länger
kurzsichtig, wie oft die Besten, diesen Kern unserer Revolution und unserer
Zukunft zerrütten lassen durch den Kampf um
F o r m e n der Freiheit, die sich doch
unfehlbar in ihrer Entwickelung gleichmäßig demokratisch ausbilden werden.
Diese Gleichmäßigkeit der inneren Verfassung hat höchstens in freier
Uebereinstimmung ihren Werth, aber sie ist keine Nothwendigkeit. Lassen wir der
Zeit, was langsam wächst und für den Moment zu entbehren [ist?] aber
s c h a f f e n wir um
j e d e n P r e i s, was nur
durch die unbeugsame Energie gegen die noch widerstrebenden Kräfte geschaffen
oder g e z w u n g e n
werden muß, weil es n i c h t zu entbehren ist.
Das ist der
B u n d e s s t a a t, in
welchem es nur e i n Ministerium des Kriegs und nur
e i n Ministerium des Auswärtigen giebt, und in dem nur
e i n e Gewalt, e i n Wille an der
Spitze steht. Einzig, geschlossen, fest, daß keine fremde Macht an den
Interessen von Staaten oder Dynastien
i n n e r h a l b Deutschlands
Handhaben finde, um Deutschland
s e l b s t zu zerreichßen zum Vortheil des
Egoismus oder des Wehrgeizes andrer Nationen.
Wer soll dieß Deutschlandschaffen? Die souveraine
Nationalversammlung hat noch heute wie damals die Vollmacht dazu durch die
Schwierigkeit oder Unmöglichkeit, daß es
a n d e r s zu Stande komme. Ist das so, dann
müssten wir demnach mit Verzagen die Umkehr der Verhältnisse sich vollenden
sehn, durch welche alle Einzelstaaten erstarkt sind und Frankfurt geschwächt
ist?
Nein, wir schließen nicht mit dieser Furcht. Was dem
Reichstage nicht glücken könnte, das würden die Landtage wieder aufnehmen, und
wenn er Hülfe braucht, so werden diese organisirten öffentlichen Kräfte, in
edlem Wetteifer verbündet, das zu Ende führen, was aus den kleinen
Zusammenkünften von Hallgarten und Heidelberg in wenig Monaten zu einer Macht
gewachsen ist, mit der zu brechen doch selbst den Uebermüthigen der Muth fehlt.
–
So mögen denn die, deren letzte Ziele noch weit über die
Resultate dieses Jahres hinausliegen, sich jetzt mit uns zu denen stellen, die
eine solche Einheit gründen wollen. Wir verlangen diese Entsagung und
Selbstbeherrschung von unsren Freunden, wie wir sie selbst auch ferner üben
werden. Und wie man am Menschen nicht das stets bewegliche Herz achtet, sondern
den Charakter: so wird die einzig
d a u e r n d e Empfehlung für eine
Zeitung darin liegen, wenn sie durch ihre Vergangenheit bewährt hat, daß das
Vaterland ihr höher al die Parteien, und die Ueberzeugungstreue mehr als
Freundschaft und Feindschaft gilt. Zu einem jubelnden „Glückauf“! ist es nicht
die Zeit, aber einen Gruß und Handschlag bringen wir Allen entgegen, die uns in
der ernsten Arbeit begleiten und fördern wollen!
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