Sonntag, 2. September 2012

Brüder Grimm und Hoffmann von Fallersleben

aus Renate Hupfeld: Theodor Althaus (1822 - 1852) - Revolutionär in Deutschland

„Jawohl! Das ist der Conflict des Fortschritts mit dem Recht der Persönlichkeit. […] Wir wissen recht wohl, dass über fünfzig Jahre ein großer Theil von dem, was wir wollen, erlangt sein wird, aber wir sind die Opfer; wir genießen die Segnungen nicht mehr, unsere Existenz müssen wir theilweise drangeben. Die Freiheit ist zu erstürmen, aber nur wie eine Festung, wenn der Graben mit den Leichen derer, die um sie kämpfen, gefüllt ist.“
Trotz des schwierigen Beginns und der geringen Erfolgsaussichten arbeitete das Komitee eine Satzung aus, die  dann von Herrn Lachmann, dem Rektor der Universität, abgelehnt wurde. Ein Besuch bei Herrn von Ladenberg, der Theodor eingeladen hatte, um ihm für seine Rede auf dem Professorenball zu danken, gab ihm Gelegenheit, die Sache dort noch einmal anzusprechen. Das war aber von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil zum einen Theodor einem Regierungsvertreter gegenüber nicht offen die wahren politischen Absichten der Gruppierung ansprechen konnte und zum anderen gehörte diese Angelegenheit nicht in Ladenbergs Kompetenzbereich, sondern in den von Kultusminister Eichhorn und der wiederum würde nicht gegen das Votum von Rektor Lachmann agieren. Das Projekt „Leseverein zusammen mit Professoren“ verlief im Sande.
Doch Theodor hatte nicht lange Zeit darüber nachzudenken, als schon wieder eine Herausforderung auf ihn zukam. Ein Fackelzug für die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm in der Lennéstraße sollte veranstaltet werden. Die Brüder gehörten, wie Dahlmann, zu den sieben Göttinger Professoren, die 1837 gegen die willkürliche Aufhebung der Verfassung protestiert hatten und vom Hannoverschen König entlassen wurden. Im Zuge des vielversprechenden Amtsantritts von König Friedrich Wilhelm IV. waren sie im Jahre1840 rehabilitiert worden und hielten Vorlesungen an der Berliner Universität.
Als Cheforganisator der Veranstaltung hatte Althaus alle Hände voll zu tun, die vielen Meinungen unter einen Hut zu bringen und die Vorbereitungen zu koordinieren. Um jenaischen Verbindungsglanz nach Berlin zu holen, lieh man Kostüme bei  Ausstatter Noack. Die polizeiliche Erlaubnis wurde unter der Bedingung erteilt, dass einige wegen oppositionellen Verhaltens aufgefallene Studenten nicht teilnahmen, was natürlich im Vorfeld großen Unmut und erneute Diskussionen verursachte.
Als dann nach einer Menge Arbeit und vielen Schwierigkeiten am 10. Februar 1844 der Tag des Fackelzuges gekommen war, gab es einen fürchterlichen Schneesturm, sodass die Teilnehmer in Burschenschaftsoutfit abends auf dem Hof der Universität bis zu den Knien im Schnee standen. Als wäre das nicht genug, musste der Organisator noch beim Umlegen der Schärpen, Umschnallen der Schläger und beim Anzünden der Fackeln helfen. „…ein heilloser Gesammteindruck. […) denn überall war fürchterliches Pöbelgedränge und dabei ein entsetzlicher Mangel nicht nur an studentischem Tact, sondern an allgemeiner Anstelligkeit. Sie begriffen nichts als wozu man sie stieß und schob“, notierte er im Tagebuch.
Immerhin erreichte der Zug ohne Schneegestöber das Haus der Grimms in der Lennéstraße. Theodor und einige andere gingen hinauf in die Wohnung und huldigten den Brüdern Grimm mit einem dreifachen Hoch für ihr „echt deutsches Wesen und Wirken“. Da Jacob sich nicht gut fühlte, redete nur Wilhelm vom Balkon aus zu den Studenten, sinngemäß dahingehend, man solle die Wissenschaft nicht als etwas Totes, sondern als Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart sehen. Es folgten Hochrufe auf die Brüder, die Göttinger Sieben und Hoffmann von Fallersleben, der sich in der Grimm’schen Wohnung aufhielt und eigentlich nicht entdeckt werden wollte, weil er sich in Berlin gar nicht aufhalten durfte. Als dann auch noch Georg Herwegh in Abwesenheit gefeiert wurde, war es den Polizisten  zu bunt. Sie ritten in die Versammlung und trieben die Teilnehmer auseinander. Theodor ging noch einmal hoch zu den Grimms, wo er sich mit Hoffmann unterhalten konnte und ihn dabei an seinen Auftritt vor jenaischen Studenten zwei Jahre zuvor erinnerte.
Ein paar Tage später war er in einer Kneipe dabei, als Hoffmann von Fallersleben einen öffentlichen Auftritt als fahrender Sänger hatte. Nach dem Trinkspruch „Deutschland ohne Lumpenhunde“ gab der heimatlose Professor Gedichte, Lieder und Erzählungen über seine Wanderungen zum Besten. Mit großem Erfolg bei den Zuhörern, jedoch nicht bei den preußischen Behörden. Denn die teilten ihm am nächsten Tage mit, dass er wegen Störung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit schnellstens die Stadt zu verlassen habe.
Althaus begleitete den Poeten Hoffmann, bis der mit einer Kiste voller Bücher und Papieren in der Postkutsche saß, sich mit einem Zündhölzchen eine Zigarre anzündete und mit gewohntem Spott die viel gerühmte „Aufklärung in Berlin“ vorführte.

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