Theodor Althaus schreibt in seinem Buch "Aus dem Gefängniß" (Bremen, Verlag von A. D. Geisler, 1850) über seine Erinnerungen an den Freund:
Die Robert-Blum-Legion im badischen
Feldzuge! Wie ein Racheschrei aus dumpfer Ferne klang mir das Wort nur einmal
herüber; eine Erinnerung, kaum aufgetaucht und schon wieder von den Ereignissen
überfluthet. Die Legion ist verschollen; wer hat von ihren Thaten gehört? Sie
wurde in das unselige Chaos jener Bewegung mit hineingerissen und zersprengt,
ohne eine bleibende Gestalt im Andenken des Volks, wie ein zehntes Regiment
oder wie die Hanauer Turner gewinnen zu können. Dann, bald darauf unter der
preußischen Herrschaft, ward Robert Blum wieder genannt, als die giftigen
Stiche des Hasses den Todten noch über das Grab hinaus verfolgten: Gefängniß
für den Arbeiter, der das Bild des Volksmannes auf dem Pfeifenkopfe trug,
Gefängniß selbst für die Trauerschleife am Hut, deren stumme Sprache vergebens
an den Frieden der Todten und ihre Ungefährlichkeit mahnte! Es konnte nicht
anders sein; ergrimmt über die, welche ihn als rächenden Geist auferwecken
wollten, thaten seine Feinde wie die alten Ketzerrichter, wenn sie die verehrte
Asche in den Wind streuen ließen. Und doch fanden sich noch immer Einzelne, die
der Drohung Trotz boten und die Strafe ertrugen. War er denn wie Hecker, die
Feuerzunge des jungen Ideals, Republikaner gewesen? Jeder glaubt, daß er es
war; aber vor welcher Versammlung hat er jemals die Republik gepredigt oder die
Fürstenvertreibung? Nie und nirgends! – So war euer Held denn einer von den
Schwankenden, die ihr verachtet? – Der Mann mit dem Blum-Hute erwidert nur zwei
Worte, um alle Verläumdungen zu widerlegen und alle Verehrung zu rechtfertigen:
- „Er war e i n M a n n d e s V o l k s !“
Dem Bürger, der ihn Abends unter
seinen Freunden beim Seidel Bier in vollster Behaglichkeit und gemächlich
langsamer Conversation sah, mußte unbedingt das ganze Herz aufgehn bei diesem
Ideale deutscher Wirthshausgemüthlichkeit. Der Proletarier, wenn er den mühseligen
Weg des kölner Küpersohnes von unten auf bis ins deutsche Parlament beschrieben
las, sah in ihm mit Befriedigung seines Gleichen, und wenn der Mann aus dem
Volke nun selbst auf der Tribüne vor ihm stand, im bequem-nachlässigen Anzuge,
mit dem Hemdkragen ohne Halstuch, mit dem dichten Bart- und Haupthaar um das
geröthete Gesicht: dann fühlte er unwidersprechlich: der gehört ganz zu uns!
Die Rede endlich erhob ihn und ließ den Redner in seinen Augen steigen, aber
wie dankbar war das große Publikum auch da für die unübertroffne wohlthuende
Deutlichkeit und Klarheit des Vortrags! Die Gedanken gingen nie über das
Allgemeinverständliche in sentimentaler Ausschmückung und entsprechendem Tone
hinaus, und hell bis in alle Winkel und Enden drang diese Glockenstimme. Es war
insofern für Jeden eine Lust, ihn zu hören, und nach dem ermüdend ängstlichen
Horchen auf so manche andre Nichtredner, ging ein allgemeines Aufathmen durch
die Paulskirche, wenn Blum die Tribüne bestieg. Verwöhnte Ohren konnte auch er,
wie Glockengeläut, ermüden, obwohl er nie zu lang sprach; das Volk aber konnte
nicht satt werden, ihn zu hören. Was seine Lebensgeschichte, sein Ruhm und
seine Reden vorbereitet hatten, vollendete jedes Mal seine persönliche
Gegenwart unter dem Volke, während die Gebildeten oft von ihr enttäuscht
wurden. Die Letzteren konnten sich über den würdelosen Eindruck seiner
Erscheinung hinwegsetzen; die Massen empfingen dagegen mit Befriedigung diesen
ganz ausgeprägten Repräsentanten ihres eignen Charakters, und dem idealen
Bedürfnisse derselben genügte vollkommen seine Beredsamkeit die von uns
gewöhnlich nur als gewaltiges Mittel zum Zweck der Massenwirkung bewundert
wurde.
Man hätte demnach meinen können,
zur Idealisirung und gar zum religiösen Cultus sei keine Persönlichkeit in
eminenterem Grade ungeeignet gewesen als eben Robert Blum. Wie mächtig im Volke
der dunkle Drang nach neuen Idealen und ihrer Verehrung ist, zeigte sich
überraschend, als im November 1848 die gedrängten Trauerzüge durch die
deutschen Städte zur Feier seines einsamen Märtyrertodes zogen. Die Choräle und
Gebete, bei denen wir doch manches frivole Haupt sehr ernst entblößt sahen,
hätten freilich nur dem Tode gelten können; aber die Redner sprachen ganz im
Sinne des Volks, wenn sie ihn verglichen mit allen Heroen und Märtyrern, bis
hinauf zu dem Galiläer, der für die Freiheit der ganzen Welt sein Blut gab. Und
wieder muß man doch gestehen, daß sie es im Geiste des Todten thaten. Ich
glaube, daß Blum, wenn er in einem ähnlichen Falle eine Leichenrede zu halten
gehabt hätte, in ähnlicher Weise geredet haben würde, und die Thränen würden
ihm aus vollem Herzen gekommen sein. Wer ihn auch nicht persönlich kannte, wird
doch aus seinen letzten Zeilen die charakteristische Weichheit seines Herzens
empfunden haben, und Niemand würde sich wundern, jene Worte: „Alles, was ich
empfinde, rinnt in Thränen dahin!“ in einem Psalm zu lesen, statt in Blums
Abschiedsbrief. Daß in fast allen seinen Reden die
m o r a l i s c h e Anschauung ihren Platz neben der bloß
politisch calculirenden fand, mag man als ein Resultat seiner Bildung bezeichnen,
aber diese Bildung war
s e i n geworden
und eben so wenig berechnet als die große persönliche Gutmüthigkeit und
Herzlichkeit seines Wesens. Viele haben ihn gehasst; er selbst hat schwerlich
einen persönlichen Feind gehabt. Was er redete oder that: der Mittelpunkt war
stets das Allgemeine, nur die Sache, der er so lange Jahre, länger und mehr als
die Meisten wissen, gedient hatte.
[…]
Seine Persönlichkeit, so ganz aus
Einem Guß, machte es allerdings schwer, ihn in dieser Beziehung anzugreifen;
sie machte manchen doch wieder irre in der verwerfenden Kritik. Das Resultat
dieses Schwankens war aber, daß seine Gegner ihn endlich, an der tieferen
Erklärung verzweifelnd, für einen geschickt berechnenden Intriganten und nichts
weiter erklärten. Man wird in allen Zeitungscorrespondenzen jener ersten Monate
die Verlegenheit der Beobachter sehen; alle vermuthen, daß noch etwas hinter
ihm stecke, keiner wagt zu entscheiden, was es denn eigentlich sei und wen man
vor sich habe. – Einzelne wollten damals, wie schon früher, etwas Lauerndes in
ihm bemerken; ich las etwas andres in seinem Auge und seinem ganzen Wesen.
Etwas von Triumph und Hoffnung! Es war zuweilen, als spiele er nur mit den
Dingen, als belustige seine Phantasie sich an diesen kleinlichen Kämpfen und
Vorbereitungen auf größere Dinge. Die Schöpfung der Centralgewalt gab dieser
Sicherheit den ersten Stoß, ich hörte es an einem sehr seltnen Ton seiner
Stimme, den ich nur zweimal vernommen habe, so oft ich ihn auch öffentlich und
im Privatleben reden hörte. Ein Ton, der aus dem tief erregten Seelengrunde
hervor, die glatte Oberfläche mächtig zerbrach.
Das erstemal in Leipzig, im
Privatkreise. Ein günstiger Zufall hatte mich gerade den Abend zu Blum geführt,
wo die sächsische Partei vor der Abreise zum Vorparlamente die in Frankfurt und
weiterhin zu befolgende Politik berieth. Es war eine kleine Gesellschaft, die
das Wohnzimmer des Hauses bequem faßte, aber die Meinungen zu vereinigen,
schien sehr schwer. Detaillirte Feldzugspläne wurden entwickelt, Einzelheiten
riefen sehr abschweifende Debatten hervor, hartnäckige Wiederholungen waren
häufiger als ausgleichendes Verständigen, und so waren nach einem frugalen
Abendbrod die nächtlichen Stunden eine um die andre verflogen und eine
unerfreuliche Zersplitterung schien das einzige Resultat zu sein. – Blum, der
am oberen Ende des Tisches sein Ehrenrecht des Präsidiums bisher kaum dann und
wann ausgeübt und selbst eigentlich noch gar nicht gesprochen hatte, pochte
plötzlich auf den Tisch und ergriff das Wort, rasch, kurz und heftig; es war
wie die Scene im Fiesko, wo mit Einemmal der Führer und Feldherr der
Verschwornen sich unter ihnen aufrichtet. Die
T h a t und nichts
als die That, der er voranging, war der Ton dieser Worte; es grollte etwas wie
Zorn über die unnützen Hindernisse, die eben diesen Weg ihm versperren wollten,
in seiner Stimme. Und doch ergreift mich wieder mit tiefer Rührung das Bild,
wie seine Schwester, halb seitwärts hinter seinem Stuhle lehnend, so zärtlich
stolz auf den geliebten Bruder herabsah!
Das zweitemal war es im Parlament,
in seiner Rede über die Centralgewalt. Die Rede floß wie die gewöhnlichen,
eintönig hin und hielt sich in den allgemeinen Gründen gegen die
Unverantwortlichkeit; aber in der Brust des Redners quoll unter diesem ebnen
Strome das Gefühl empor, daß die Verantwortlichkeit der Nerv der Freiheit sei,
das Erbtheil des Volks, die Ehre des Republikaners! Daß mit der
Unverantwortlichkeit der erste Grundstein zu dem kaum gebrochnen
Zwingdeutschland wieder gelegt, und seine Hoffnungen, auch seine persönlichen,
wie eine Wolke fern verschwinden würden vor dem Einzuge der alten Macht. Das
Wort vom „brechenden Himmelsauge der Freiheit,“ das vielverhöhnte, sprach er
noch halb im alten Kanzelton, aber am Schluß brach jenes unausgesprochne bittre Gefühl überwältigend aus in die mit
vollem Haß und Ingrimm hingeschleuderten halb verschluckten Worte: „so s c h a f f e n S i e I h r e
D i k t a t u r !“ Es war, als streckte er zum erstenmal die
Löwenklaue hervor.
Doch sein ursprünglich
sanguinisches Temperament, in dieser Zeit besonders lebhaft unter dem
angewohnten Phlegma durchscheinend, wiegte ihn bald wieder in Hoffnungen ein.
War es denn möglich, daß Gagern, der eben damals den kühnen demokratischen
Griff gethan, ihn nur zum Vortheil der Fürsten gethan haben sollte oder wollte?
Und würden die Fürsten, die doch beleidigt waren, diesen Vortheil auch nur
erkennen? Mußte also die neue Centralgewalt, um sich den eifersüchtigen Fürsten
gegenüber zu halten, nicht nothwendig populär auftreten und Concessionen an die
Linke machen? Damals erschien dieser Gedankengang eben so vernünftig, wie er
uns jetzt ein trauriges Lächeln ablockt. In ihm bewegte sich Blum und war guten
Muthes.
Eines Abends, kurz vor der Ankunft
des Reichsverwesers, begegnete ich ihm auf dem Rückweg in seine Wohnung. Wir
geriethen in ein so eifriges Gespräch, daß wir obwohl es ziemlich spät war,
noch in eine Gaststube traten und dort in einer ungestörten Ecke es
fortsetzten. „Nun, sagte er, es treten jetzt zwei Möglichkeiten ein, entweder
ein Johann von Gagerns Gnaden, oder – wenn das nicht, gleich Gagern a l l e i n hinterdrein. Für uns ist das ziemlich
gleichbedeutend, wenn mir ein Ministerium angeboten würde, soll man das
annehmen?“ – Ich erwiderte ihm „unbedingt!“ – und wie ich schon damals um seine
schwankende Stellung besorgt war, leitete ich gleich darauf über, wie sein
Verhältniß zu der Linken sich dann gestalten müsse. „Ja, sagte er ganz
seelenruhig, daß man in dies erste Ministerium nur eintritt, um es nachher bei
Gelegenheit sprengen zu können, das versteht sich von selbst.“ – Wir gingen
noch auf weitere Combinationen ein, und meine Bedenklichkeiten gegen sein
bisheriges Auftreten hörte er mit jenem ernsten Interesse an, das ich an ihm,
den mit Lob so verwöhnten, von jeher sehr hoch geachtet hatte. – Dann
begleitete ich ihn nach Haus und da wir oben auf seinem Zimmer noch Stimmen
hörten, folgte ich seiner Einladung und wir fanden einige Freunde in lebhaftem
Für und Wider über Gagern und den Charakter seines kühnen Griffs. Nur allzu
sehr bewährte Meinungen wurden schon damals ausgesprochen. Blum hatte sichs
bequem gemacht und lag halb träumend im Sopha; als aber ein geringschätziges
Wort über Gagerns Rednergabe fiel, widersprach er eifrig. „O sagte er, Du hast ihn
noch nicht ganz gesehn! Wenn der Gagern erst gereizt wird, dann wird er
erhaben. Wie hat er im Vorparlament die Linke wahrhaft zermalmt!“ Und unbeirrt
von allen Einwendungen überließ der Volksredner sich ganz der Lust, den Parlamentsredner
mit einigen Freskozügen zu schildern. – „Sehn wir uns morgen?“ – Nein,
erwiderte Blum, ich fahre nach Homburg, und ich
m u ß dorthin. Es ist
hier ein kleines verwaistes Mädchen, eine ausgezeichnete Klavierspielerin, für
die will ich da ein concert zusammenbringen. – Sie heißt Marrder, Marie, wenn
Sie das auch wissen wollen.“
Am nächsten Tage begegnete ich ihm,
wie er mit seiner kleinen Clientin und einer Verwandten nach Homburg fuhr.
Dreiviertel Jahre nachher brachte mich der Zufall unter mehrere
Parlamentsabgeordnete der Gagernschen Partei; es war an öffentlicher
Gasthaustafel, und einer dieser Herren erzählte als einen Beitrag zur
Charakteristik der Linken: Blum habe, obwohl Familienvater, doch in Frankfurt
mit zwei Maitressen gelebt und sei sogar öffentlich mit ihnen
spazierengefahren! – Blum war längst todt, seine Freunde glücklicherweise noch
nicht, ich dankte dem Zufall, der mich in den Stand setzte, die beschämende
Erklärung dieser Verläumdung zu geben.
Im April hatte er mir gesagt: „Nun,
in sechs Monaten haben wir doch die Republik.“ Im Sommer erinnerte ich ihn
einmal scherzend daran. „O, erwiderte er, ich habe noch bis November Zeit!“
Kapitel aus:
Anmerkung: Die zeittypische Rechtschreibung wurde beibehalten.
Diesen und mehr Texte von Theodor Althaus gibt es in einer Sammlung:
Theodor Althaus, Zeitbilder 1840 - 1850
Hrsg. von Renate Hupfeld
Aisthesis Verlag Bielefeld, 2010
Und hier gibt's die Lebensgeschichte von Theodor Althaus digital und print:
Theodor Althaus. Revolutionär in Deutschland
Theodor Althaus. Revolutionär in Deutschland
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen