Die Zeit des „friedlichen Wühlen’s“ war vorbei, als Theodor Althaus durch das Kreuzgitter seiner Zelle im „Staatsgefängniß vor dem Cleverthor“ in Hannover zuschaute, wie der Rauch seiner Zigarre „in hübschen blauen Wölkchen hinaus in die Freiheit“ wirbelte. Er befinde sich nun, wie es einem guten Patrioten anstehe, genau in demselben Zustande wie sein Vaterland, in einer „provisorischen Gefangenschaft“, schrieb er am 17. Mai 1849 den besorgten Eltern und Geschwistern nach Detmold.
In seinem demokratischen
Verständnis stellte sich die Frage: Wer war in diesem Lande legitimiert, ihn
wegen Staatsverrats anzuklagen? Doch nicht diejenigen, die seine Verhaftung
verfügt hatten, hatte er doch nichts anderes getan als die in mühsamem Ringen
um Meinungen und Mehrheiten verabschiedete Verfassung einzufordern. Dass die „provisorischen“
Ankläger über die nötigen Machtmittel verfügten, ihn gefangen zu halten,
betrachtete er als sein Schicksal. „Ich fühle mich hier dem Zufall und der
Gewalt gegenüber.“, notierte er im seinem Tagebuch.
Alles hatte er gegeben, um an der
Zukunft eines demokratischen deutschen Staates auf der Grundlage von
Volkssouveränität und Pressefreiheit mitzuarbeiten. Wenn ihm dennoch in seinem
geliebten Land kein Standort in Freiheit beschieden war, blieb ihm nichts
anderes übrig als die Gefangenschaft anzunehmen. Er nutzte die Zeit, sich
selbst wieder zu finden und seine Gedanken aufzuschreiben. Mit der im Jahre 1850
in Bremen erschienenen Schrift „Aus dem Gefängniß. Deutsche Erinnerungen und
Ideale“ übergibt er der Nachwelt einen eindrucksvollen Bericht über seinen
eigenen und den Zustand des „armen, armen Vaterlandes“.
Trotz unermüdlichen Schaffens als
Prediger, Rezensent, Journalist und Autor zahlreicher Schriften, Erzählungen
und Gedichten gelang es Theodor Althaus offensichtlich nicht, über die Kreise
von Gleichgesinnten hinaus bekannt zu werden, wie Georg Herwegh mit seinem Zyklus „Gedichte eines Lebendigen“ oder
Julius Fröbel mit der Schrift „System der socialen Politik“. Jedoch ist
es bemerkenswert, dass die Zensurbehörden bereits durch eine seiner ersten
Publikationen auf ihn aufmerksam wurden, als er im Hungerjahr 1846 angesichts
der Diskrepanz zwischen einer faszinierenden Landschaft, auf deren fruchtbarem
Boden es eigentlich Brot für alle geben müsste, und der Kluft zwischen wenigen
Besitzenden und bitterer Armut eines Großteils der Bevölkerung zu dem Schluss
kam, Geld sollte man besser im Rhein versenken. Seine „Rheinfahrt im August“
wurde gleich nach dem Erscheinen verboten. Bereits ein Jahr zuvor hatte er sich
mit seinem Artikel im Sonntagsblatt der Weserzeitung „Detmold am Jubeltag des Fürsten“ in das gesellschaftliche Abseits
der lippeschen Residenz manöwriert.
Selbst wenn ihm scharfer Wind ins
Gesicht blies, ließ er von Überzeugungen nicht ab. Schon als Student distanzierte
er sich von den Bonner Kommilitonen, die um des eigenen Vorteils willen gegenüber
den Professoren Zustimmung heuchelten, während er über Prinzipien wie
Volkssouveränität und Pressefreiheit längst nicht mehr diskutierte, sondern „gleich
derb“ zu werden pflegte. Beispielhaft für seine Haltung mag die
Auseinandersetzung im theologischen Seminar sein, bei der er trotz heftiger
Konflikte mit Professor Nitzsch, dem der Inhalt seiner Examenspredigt („Der
Werth eines öffentlichen Wirkens für das Gute“) zu wenig christlich
erschien, nicht einen Schritt zurückwich. Dass er trotzdem ein glänzendes
Examen ablegte, zeigt nur, dass wir es mit einem hochintelligenten, hellwachen
jungen Mann zu tun haben.
Selbstbewusst hielt er im darauf folgenden
Monat die umstrittene Predigt in der Detmolder Stadtkirche. Mit seiner
Vorstellung auf der Kanzel im April 1843 ließ er eine junge Frau aufhorchen,
die sich ebenfalls nicht gedankenlos anpassen wollte und andere Perspektiven für
ein Frauenleben suchte als in der aristokratischen Gesellschaft ihrer Zeit für
sie vorgesehen waren. Malwida von Meysenbug wurde von der Kühnheit des
Auftretens und der ungewöhnlichen Frische seiner Gedanken nachhaltig beeinflusst.
Sie erinnert sich in ihren Memoiren:
"...Eines Tages sagte man
mir, dass der älteste Sohn meines Religionslehrers, der sich gerade während der
Universitätsferien zu Haus befände, am folgenden Sonntag in der Kirche predigen
würde, da er Theolog sei wie sein Vater. Ich ging zur Kirche, um zu sehen, was
aus dem blassen stillen Knaben, den ich einst im Zimmer seiner Mutter hatte
arbeiten sehen, geworden sei. Nach dem Gesang der Gemeinde, welcher der Predigt
vorausgeht, stieg ein junger Mann, in schwarzem Talare, auf die Kanzel, beugte
das Haupt und verblieb einige Minuten in stillem Gebet. Ich hatte Zeit ihn
anzusehen. Er war gross wie sein Vater, aber sein Kopf hatte einen Typus, der
in jenen Gegenden, wo er geboren war nicht häufig ist. Sein Gesicht war bleich
mit scharf geschnittenen, edlen Zügen, wie man sie bei den südlichen Rassen
findet. Lange und dichte schwarze Haare fielen ihm bis auf die Schultern; seine
Stirn war die der Denker, der Märtyrer. Als er zu sprechen begann, wurde ich
sympathisch berührt durch den Klang seiner tiefen, sonoren und doch angenehmen
Stimme. Bald aber vergass ich alles andere über den Inhalt seiner Predigt. Das
war nicht mehr die sentimentale Moral, noch die steife kalte Unbestimmtheit der
protestantischen Orthodoxie, wie beim Vater. das war ein jugendlicher
Bergstrom, der daherbrauste voller Poesie und neuer belebender Gedanken. Das
war die reine Flamme einer ganz idealen Seele, gepaart mit der Stärke einer
mächtigen Intelligenz, die der schärfsten Kritik fähig war. Das war ein junger
Herder, welcher, indem er das Evangelium predigte, die höchsten philosophischen
Ideen zur Geschichte der Menschheit entwickelte. Ich war auf das tiefste und
glücklichste bewegt..."
Auch der Großvater, Bischof Dräseke, zeigt sich vom Inhalt der Predigt tief beeindruckt, wenn er von „Genialität der Textauffassung“, „Schriftmäßigkeit des Inhalts“ und „Durchsichtigkeit des Gedankens“ schreibt. Sein Brief an den Enkel ist zudem ein Indiz dafür, dass Theodor Althaus bei allem, was er tat, in seiner Familie bedingungslos Rückhalt fand.
Auch der Großvater, Bischof Dräseke, zeigt sich vom Inhalt der Predigt tief beeindruckt, wenn er von „Genialität der Textauffassung“, „Schriftmäßigkeit des Inhalts“ und „Durchsichtigkeit des Gedankens“ schreibt. Sein Brief an den Enkel ist zudem ein Indiz dafür, dass Theodor Althaus bei allem, was er tat, in seiner Familie bedingungslos Rückhalt fand.
Als engagierter Theologe setzte
sich der junge Prediger intensiv mit den Praktiken der beiden großen
Religionsgemeinschaften auseinander und erkannte schon bald, dass er in keiner
ein religiöses Wirken nach seinen Vorstellungen verwirklichen konnte. Was nützten
den Menschen kirchliche Rituale und die vermeintliche Aussicht auf Erlösung
nach dem Tod, wenn sie auf der Erde in Elend und Not lebten? Diese Gedanken sah
er nicht vordergründig politisch, vielmehr rückblickend auf das Urchristentum,
als Streben nach einem gerechten Miteinander in Freiheit und Liebe. Das war für
ihn nur möglich, wenn alle ein menschenwürdiges Leben hatten, ein Ansatz, der
ihm häufig von ignoranten Kritikern den Vorwurf bescherte, ein „Rother“
zu sein.
Im vormärzlichen Leipzig war der
junge Intellektuelle aus Detmold dann unter Gleichgesinnten. Er knüpfte Kontakte
zu Mayer, Ruge, Wigand und Robert Blum, traf Julius Fröbel, Hebbel und die
österreichischen Literaten Mautner, Hartmann, Meißner und Kuranda. Der rege
Literaturbetrieb der Stadt ermöglichte ihm, dass er „ganz anständig sein
Brod verdienen“ konnte durch eine Vielzahl von Aufträgen. Er schrieb Rezensionen,
Übersetzungen, Beiträge zu Publikationen sowie Presseartikel, die auch in den
liberalen Organen in Köln, Augsburg und Bremen gedruckt wurden.
Wie für alle, die auf einen
baldigen Umschwung in Deutschland hofften, begann auch für Theodor Althaus das
Jahr 1848 mit einer Kette von Ereignissen, die in einen nie gekannten
Freudentaumel mündeten, die Lichter von Palermo am 12. Januar und die
Sturmglocken von Notre Dame am 24. Februar. Doch spätestens das Drama des 18.
März 1848 in Berlin brachte ihn auf den Boden der Tatsachen zurück. Der Anblick
der Märzgefallenen, die seidenen Trauerfahnen in schwarzrotgold und „die
anarchische Schwüle über Berlin“ mussten in dem sensiblen jungen Mann tiefe
Spuren hinterlassen, wurde ihm doch drastisch vor Augen geführt, wie
rücksichtslos die Machthabenden gegen Andersdenkende vorgingen. Elisabeth
Althaus erinnert sich, wie sie ihren Bruder am Abend nach dem Gang durch die
Stadt erlebte: "…Er war, von äußerster Erschöpfung getrieben, schon zu
Bette gegangen. Ich setzte mich zu ihm und sah nun erst, wie verändert, wie von
Erregung und Schmerz durchwühlt, seine Züge waren. Noch sehe ich seinen Kopf
mit den schwarzen Locken auf dem weißen Kissen liegen und in der allmälig
kommenden Ruhe eine Verklärung, aber wie eine Verklärung des Todes, sich über
seine Züge breiten. Er erzählte von den Gefallenen, die in den Kirchen
ausgestellt waren, damit die Angehörigen sie finden und erkennen könnten. 'O',
rief er aus, 'diese feste, stille Siegesgewißheit auf den jungen Gesichtern -
und dann die Wunden, die tödtlichen Wunden!'"
Die Faszination der Aufbruchstimmung
auf Straßen, Plätzen und Bahnhöfen im ganzen Land konnte ihn nicht darüber
hinwegtäuschen, wie lang und steinig der Weg in die Freiheit noch werden würde.
Nur in besonnenem Handeln sah er eine Chance das Ziel zu erreichen und
beobachtete mit Sorge ungeduldige Poltergeister, die alles von heute auf morgen
herumreißen wollten und durch übereilte Aktionen leichtfertig politisches
Kapital verschenkten.
Dennoch konnte er nicht verhindern,
dass er vom Strudel der auf- und abwogenden Entwicklungen mitgerissen wurde und
im Laufe des Jahres 1848 in ein unvorstellbares Dilemma schlitterte. Die Misere
begann mit dem misslungenen Bemühen um ein Mandat im Frankfurter Parlament,
setzte sich fort im Scheitern einer Zusammenarbeit mit der „Weserzeitung“ und
endete im Desaster um seine Leitartikel zu Eckernförde und dem Mord an
Auerswald und Lichnowski, was zum Zusammenbruch der von ihm redigierten „Bremer
Zeitung“ führte. Mit der Gründung der „Zeitung für Norddeutschland“ in Hannover
bekam er noch eine Chance, bemerkte aber nicht, wie er immer weiter in die Mühlen
seiner Gegenspieler hineingeriet, die dann auch bei nächster Gelegenheit
zuschlugen, etwas mehr als ein Jahr nach den strahlenden Märztagen im
Frankfurter Frühling und fast zeitgleich mit dem Scheitern der
Nationalversammlung.
Wie konnte es so weit kommen? Wollte
er ein Märtyrer sein? War ihm entgangen, wie stark die Reaktion inzwischen
wieder geworden war? Warum hatte er nicht bemerkt, wie sich das Unwetter über
ihm zusammenbraute? In seinem Resümee, formuliert er selbst in dem Zusammenhang
das Stichwort „Anarchie der Seelenkräfte“. Zweifelhaft, ob er sich mit
dieser Erklärung zufrieden geben konnte. Vielleicht dachte er auch darüber
nach, ob es nicht besser gewesen wäre, nach dem Prinzip der Besonnenheit hin
und wieder einen Schritt langsamer zu gehen. Vorstellbar, doch wir wissen es
nicht.
Die Entlassung aus dem Staatsgefängnis
Hildesheim am 15. Mai 1850 überlebte er um knapp zwei Jahre. Er konnte seine
vor- und nachmärzliche Schaffensphase nicht fortsetzen, schon allein, weil die
seit Jahren schleichende Krankheit erbarmungslos Macht über seinen Körper
gewann. Das hoffnungsvolle Talent wurde nicht einmal dreißig Jahre alt.
Auf den Spuren von Theodor Althaus in
seiner Heimatstadt finden wir das Geburtshaus in der Bruchstraße 2, das
Pfarrhaus unter der Wehme sowie die Marktkirche mit der Kanzel, auf der er im
Jahre 1843 seine bemerkenswerte Predigt gehalten hatte. Im Vergleich zu
Ferdinand Freiligrath und dem im gleichen Jahr geborenen Georg Weerth ist er in
Detmold weitgehend unbekannt.
Mehr als drei Jahrzehnte nach
seinem Tod zeichnet sein jüngerer Bruder Friedrich Althaus ein detailliertes
Portrait in "Theodor Althaus. Ein Lebensbild". Auf der Basis
eigener Erinnerungen sowie Theodors Schriften, Tagebuchaufzeichnungen und Briefen,
wie auch des Tagebuchs und Jugenderinnerungen der Schwester Elisabeth Althaus (später
Lewald) dokumentiert er in liebevoller Zuneigung diese „verheißungsvolle,
tragisch schöne Laufbahn…“ und setzt dem geliebten Bruder ein
biographisches Denkmal.
"Ob es der Mühe wert war,
die Gestalt des früh geschiedenen Th. Althaus...aus dem Schatten
hervorzuholen...Sein weit vorausgreifender Geist berührt uns jedenfalls seltsam nah.", schreibt
Dora Wegele im Vorwort zu ihrem im Jahre 1927 erschienenen Werk "Theodor
Althaus und Malwida von Meysenbug. Zwei Gestalten des Vormärz".
Es kostet zwar anfangs (aber nur
anfangs!) Mühe, die zum Teil weit ausschweifenden Phantasien und Gedanken in
den Texten von Theodor Althaus nachzuvollziehen und zu verstehen, aber der
Leser wird hineingezogen in einen facettenreichen Bilderreigen aus dem
turbulenten Jahrzehnt von 1840 bis 1850. Da sitzt der rehabilitierte Bonner Professor
Arndt am grünen Tisch und begrüßt die neuen Studenten, in Berlin droht ein Fackelzug
für die Brüder Grimm im Netz der preußischen Polizei und später im Schnee zu
versinken, Hoffmann von Fallersleben gibt in einer Kneipe politische Lieder nach
dem Motto „Deutschland ohne Lumpenhunde“ zum Besten und wird aus der
Stadt ausgewiesen. Der Autor führt uns auf die sonntägliche Promenade einer
kleinen deutschen Residenz und „Ein Idyll“ auf der Grotenburg weckt unwillkürlich
Gedanken an die Bergpredigt aus dem neuen Testament. Die schöne Tänzerin Lola Montez
liegt vor den faszinierten Blicken des alternden bayrischen Königs auf dem
Diwan und „klätschelt“ mit ihrer kleinen Reitpeitsche ihr rechtes Bein.
Mal grob-, mal feingemalt sehen wir Heines Tendenzbären „Atta Troll“ auf dem
Marktplatz von Cauterets und in seiner Höhle in den pyrenäischen Bergen. Dabei
versäumt der Autor es nicht, mit spitzer Feder die Blicke unter glatte
Oberflächen zu lenken. So begleiten wir einsame Wanderer mit ihren
Erinnerungen, Träumen und Alpträumen in ihre „Profeteneinsamkeit“,
erleben mit, wie sie sich von den Erscheinungen der sie umgebenden Natur überwältigt
fühlen wie von einem unfassbaren Weltgeist und sind am Ende mit der hoffnungslosen
Misere in den Hütten konfrontiert. Schließlich erleben wir einen
angeschlagenen Rebellen hinter vergitterten Fenstern, der über die Gründe des
Scheiterns nachdenkt. Die seit Jahrzehnten angesammelte revolutionäre Kraft war
in seinen Augen nicht nur deshalb verpufft, weil die Reaktion so rasch wieder
erstarkt war, sondern auch, weil niemand der herausragenden Männer es geschafft
hatte, in Frankfurt die progressiven Bestrebungen zu bündeln. Blum war in Wien
zum Märtyrer geworden, Kinkels Energien waren durch berufliche Querelen im
Zusammenhang mit seiner Heirat zu sehr gebunden, Gagern hatte die Badener
Aufständischen im Stich gelassen und somit die gemeinsame Sache verraten. Für
Theodor Althaus wäre sein Freund Julius Fröbel der richtige Mann gewesen, doch
das hatten wohl die meisten zu spät erkannt.
Seinen Traum von einem Leben in
Freiheit und Liebe konnte der junge Stürmer aus Detmold nicht mehr verwirklichen.
Mit seinen Schriften, Briefen, Erzählungen und Gedichten hinterlässt er die
Ergebnisse seines umfangreichen Schaffens, die weit größere Beachtung verdient
haben als ihnen bisher zuteil wurde. Die Berichte und Gedanken von Theodor
Althaus wirken noch immer erstaunlich frisch, seine Botschaften und Visionen haben
bis heute nichts an Aktualität eingebüßt.
Renate Hupfeld
Vorwort aus: Theodor Althaus, Zeitbilder 1840 -1850 und erhältlich im Aisthesis Verlag Bielefeld
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