Von den bedeutendsten Charakteren unsrer Revolution ist
vielleicht keiner so rasch aus dem gelehrten Halbdunkel mitten in die helle
Popularität getreten und so geräuschlos, fast ohne absichtliches Zuthun, zum
idealen Repräsentanten einer Partei geworden wie Julius Fröbel. Von den
zahllosen Lesern der Schriften, welche aus dem schweizerischen Hauptquartier
der deutschen Opposition in das heißhungrige Deutschland herüber geschmuggelt
wurden, kannte nicht der tausendste Theil den Namen dessen, der das „Literarische
Comptoir“ leitete. Fröbel hatte Deutschland verlassen, als er selbst sich noch
nicht einmal mit Politik beschäftigte; sein Antheil an ihr in Zürich war nicht
so bedeutend, um außerhalb der Schweiz die Blicke auf ihn zu ziehn; und als
endlich die Revolution ausbrach, lebte er seit kaum einem Jahre, als stiller
wissenschaftlicher Einsiedler, auf deutschem Boden, wo auch die
Veröffentlichung seines Systems eben kein Aufsehen erregt hatte. Als das
zündende Wort: französische Republik! über den Rhein blitzte, mußte er die seit
längerer Frist über andren Studien vernachlässigten Zeitungen erst nachlesen,
um das Geschehene zu begreifen, und wenig Monate darauf stand er,
ohne auch nur den Blick nach einer solchen Stellung gerichtet, geschweige denn
dafür agitirt zu haben, an der Spitze sämmtlicher demokratischen Vereine
Deutschlands.
Er erlebte es hierbei nicht zum erstenmal, daß das Schicksal
ihn plötzlich auf eine Bahn brachte, für die ihn kein absichtlich
dahingerichtetes Streben und kein langgehegter Wunsch, sondern die ruhige
Entwicklung seines geistigen Lebens und seines ganzen Charakters vorbereitet
hatte. Auch zur Politik überhaupt war er auf eine ähnliche Weise gekommen.
Erziehung und zufällige Lebensverhältnisse hatten ihn – gegen seine eigentliche
Natur – ganz vom öffentlichen Leben abgelenkt. Als er im Jahr 1833 aus seiner deutschen
Heimath in die Schweiz kam, fand er im stillen Betrieb der Erdkunde und der
Naturwissenschaften seine volle Befriedigung, und die politischen Stürme der
Schweiz, von denen er gleich Anfangs so gut wie Andere hätte bewegt werden
können, gingen wie die Handlungen eines Drama’s auf der Bühne an ihm vorüber.
Zufällige Umstände und seine eigne Geistesstimmung brachten ihn in Zürich
vorherrschend mit Personen zusammen, die ein ähnliches außer den politischen
Bewegungen stehendes Leben führten. Wenn nach Verlauf der ersten Jahre dann und
wann ein augenblickliches Interesse für ein einzelnes Ereigniß in ihm erregt
ward mußte dasselbe in einem allezeit sich selbst bescheidenden Charakter bald
wieder von dem Gedanken beschwichtigt werden: daß er ein Fremder im Lande sei,
dem es nicht zustehe, sich in dessen öffentliche Verhältnisse einzumischen.
Indessen verstärkte sich doch allmählich mit der unwillkürlich gewonnenen
Einsicht in die Verhältnisse, dieses Interesse. Das Jahr 1838 war der Anfang zu
einer entschiedenen Veränderung seiner Lebensrichtung. Er erhielt in diesem
Jahre das Bürgerrecht des Cantons Zürich und mußte sich bald sagen, daß er sich
erst jetzt als ein Mann erschien. Wahre Freude gewährte es ihm nun, zunächst in
seiner Gemeinde an Gesellschaften und Vereinen theilzunehmen, in die er vorher
nicht zu gehören glaubte, und noch lieber unterzog er sich den Pflichten, die
ihm eine Wahl in die Secundarschulpflege von Neumünster auferlegte. In diesen
kleinen Verhältnissen, in den engsten Kreisen des politischen Lebens in einem
Freistaate, erhielt er das erste thätige Interesse für eine Seite des Lebens,
die ihm bis dahin fast ganz verschlossen gewesen war. Ein neuer Sinn ging ihm
auf, und das Neue fing an, auf Kosten dessen, was früher der Inhalt seiner geistigen
Thätigkeit gewesen, größeren Raum in Anspruch zu nehmen.
Es war eine verhängnisvolle Zeit, in der Fröbel diese
Elementarschule der Politik durchmachte, der Sommer 1839 mit den
Verhältnissen, welche die reaktionaire Revolution des 6. Septembers hervorriefen.
Er war bis dahin fast nur mit Personen umgegangen, welche entweder überhaupt
politisch indifferent waren, oder nachher auf Seiten der Septemberpartei
gesehen wurden; mit den Radikalen hatte er in gar keinen persönlichen
Berührungen gestanden. Aber am 6. September des Abends war er nicht nur in
seinen politischen Principien, sondern auch in seinen Sympathien ein Radikaler!
Der Umsturz jenes Tages erschien ihm noch Jahre nachher als die stärkste
geistige Einwirkung, die er in seinem Leben empfangen. Von da an hatte er am
Betrieb der Naturwissenschaften keine Freude mehr. Freiwillig legte er seine
Professur der Mineralogogie an der Universität nieder. Dann schien die
Geographie und Ethnographie ihm doch wieder noch ein Band der Natur mit dem
Menschenleben zu bilden, und in diesen Studien hoffte er Beruhigung zu finden,
aber vergeblich. Er sehnte sich nach dem praktischen Leben, nach einer Lage,
die ihm gestattete, auf die öffentlichen Zustände zu wirken, und diese glaubte
er sich zu schaffen, als er die literarische Leitung des „Comptoirs“ übernahm.
Die deutschen Regierungen empfanden bald bitter den neuen Geist. Welche Opfer
Fröbel und seine Familie diesem Unternehmen brachten, darf die Freundschaft um
so eher sagen, je seltner ein Wort davon über seine eignen Lippen gekommen ist.
– Außer den langsam gereiften Studien der folgenden Jahre wirkte er auch als
Publicist für seine Partei und scheute das Gefängniß nicht.
Im Sommer 1847, wo er nach Dresden übersiedelte, erschien
zum erstenmal unter seinem Namen das „System der socialen Politik.“ Dem
oberflächlichen Urtheile, welches nur auf eine gewisse Summe der Resultate für
die Neugestaltung des Lebens sieht, ist die Bedeutung dieses Werkes freilich,
ganz verschlossen; es erblickt darin nur eine Art der socialen Demokratie neben
manchen andren gleichbedeutenden Gestalten. Aber der Unterschied zwischen
diesem Werke und den früheren Systemen verzweigt sich bis in die allerletzten
Wurzeln, und so ist auch, wenn wir von der ethischpolitischen Wirkung auf die Menschen
reden wollen, Fröbels Theorie eine ernste nachhaltige Schule der praktischen
Sittlichkeit, ein Agens zur Totalreform des ganzen Menschen, ihre Frucht für
das Individuum eine innre Freiheit, die sich zwischen den Polen des energischen
Enthusiasmus und der still arbeitenden Resignation bewegt. Die meisten
französischen Systeme dagegen haben dem Publikum und ihren Schülern nur den
Brandstoff einer ganz nach außen geworfnen, permanent gewaltsamen Revolution in
die Adern geträufelt, einen lediglich auf das Allgemeine, auf politische
Institutionen und materielle Zustände der Gesellschaft gerichteten Enthusiasmus
in der Masse hervorgerufen. Denn der frühere Socialismus und Communismus, ganz
dem französischen Charakter gemäß, und darin mit den alten Politikern noch
verwandt, ging vom allgemeinen Begriffe des Staates aus und ordnete dies
Allgemeine nach den abstrakten Dereten der Feieheit und Gleichheit. Eben so
gehen die monarchischen Politiker von dem Begriffe des Staates aus und
construiren dann nach einem willkürlichen Gemisch religiöser, historisch
hergebrachter, und von der jedesmaligen Rechtsphilosophie begründeter
Forderungen. Das Gesellschaftsbild des französischen Theoretikers ist
gewöhnlich das Resultat vom erobernden Aufstreben der Untern zu den Höhen der
Reichen, und dem Herabstürzen der letzteren von ihren Sitzen; der
Individualität ist nur in Bezug auf die zu verwerthenden Talente und
Arbeitsfähigkeiten Rechnung getragen. Fröbel, der deutsche Theoretiker, hat
zuerst das gesammte politischsociale System auf eine neue Bearbeitung der Ethik
gegründet, und während die Franzosen aus der abstrakt allgemein decretirten
Freiheit und Gleichheit ableiten, hat er Alles aus den sittlichen Forderungen
des Individuums mit Nothwendigkeit erwiesen. Ihm ist die „Gesellschaft“ nicht
das Schema, in welchem die Einzelnen wohl oder übel untergebracht werden,
sondern sie ist ihm das werdende Resultat, welches aus der freien und sittlich
nothwendigen Verbindung der Individuen zum Gesammtwirken von den kleinsten
Kreisen bis in den allumfassenden, erst entsteht. Damit ist der französische
Erbfehler des Mechanismus, den unsre Büreaukraten copiren, principiell
vernichtet; aber auch das vage romantische Gerede vom bloß „Organischen“ findet
seine Kritik. Die Staatsgesellschaft erscheint als das höhere Ganze, welches am
Mechanismus Theil hat, insofern dieser nur das System der technischen Mittel
zur Freiheit ist, und welches einem Organismus darin gleicht, daß die Einzelnen
und jeder Lebenskreis in engster Wechselwirkung zu einem Ganzen verbunden sind.
Die ernste ethische Begründung dieses Systems, und die
Lebensfülle, welche dieses Ideal darstellt, mögen jene oben bezeichnete,
zwischen Enthusiasmus und Resignation schwebende Freiheit erklären, zu der es
heranbildet, und welche sich im persönlichen Charakter seines Schöpfers so ganz
offenbart. Diese Freiheit ist auch das Geheimniß des Respekts, mit welchem das
Buch aufgenommen wurde, eben wie der Achtung, die Fröbel so allgemein sich
rasch erwarb, und des Zaubers den seine Persönlichkeit selbst auf seine Feinde
ausübte. Der Enthusiasmus ist weder neu noch selten, seltner schon mit
der wissenschaftlichen Klarheit verbunden; erst durch die letztere werden
Charaktere möglich, in denen außer diesen beiden Eigenschaften eine neue Resignation,
ruhig und doch bewegt erscheint. Gegenüber dem sentimentalen und
unwiderruflichen Resigniren, das in Deutschland so weit verbreitet in brütenden
Klagen vegetirt, ist dieses neuen Charakters eigenthümlicher Reiz die geistvoll
lebendige Theorie und ein Etwas, das wie Morgenschimmer am dunklen Wolkensaum
schon einen allverwandelnden belebenden Tag ahnen läßt. In der
vorrevolutionairen Zeit mußte, zumal in einem weit mehr der Wissenschaft als
der Tagespolitik gewidmeten Leben, die Resignation ein leises Uebergewicht
erlangen. „Die Erfolge unsrer theoretischen Entwicklung,“ schrieb Fröbel in der
Vorrede zum System, „liegen noch in weiter Ferne, und der politische
Schriftsteller hat nur die Wahl, entweder die principielle Perspektive auf die
Zukunft, oder die politische Arena der Gegenwart aufzugeben. Ich habe das
letztere vorgezogen.“ – Die Revolution kam und führte ihn in die Arena. Aber
jene Freiheit war im Mittelpunkte seines Lebens schon so fest gewurzelt, und
die Harmonie zwischen jenen beiden Gegensätzen war schon so ganz in seinem
Charakter ausgeprägt, daß auch die erschütterndsten Schwankungen jener Zeit ihn
nicht ohnmächtigleidenschaftlich in ein Extrem verzerren konnten. Weder
geknickt und dann mühsam zum Fortleben aufgerichtet, noch jäh zerbrochen wurde
seinLeben in jenen Stürmen; der edle Stamm blieb festgewurzelt und stand
endlich wieder in elastischer Freiheit da.
Von der rein menschlichen Idealität, deren Eindruck das
unbewußte Gemüth nicht weniger wie das psychologisch scharfe Auge aus seiner Persönlichkeit
empfingen, hatte die Revolution, als solche und als deutsche Revolution, eine
letzte Beschränktheit entfernt, die ihm als Nachwirkung seiner früheren
Lebenssphäre geblieben war. Will man es nicht zu sehr pressen, so möchte ich
sagen: der schweizerische Zug in seinem Charakter verschwand, sofern er etwas
beschränkendes, ihm nicht nothwendig eigenthümliches war. In dieser
vielbewegten Zeit seines oft wechselnden Aufenthalts traten ihm persönlich eine
Fülle neuer Charaktere mit größerem Phantasiereichthum und anders belebter
Leidenschaft entgegen, als sie dem strengeren, einfacheren und mehr
verschlossnen schweizerischen Typus gewöhnlich sind; ein anregender Verkehr mit
originellen künstlerischen und speculativen Naturen, und überhaupt die weitere und
reichere deutsche Atmosphäre mußte den leisen befreienden Einfluß üben, der
vielleicht noch zur Erfüllung der Harmonie nothwendig war. Noch kurz vor dem
Ausbruche hatte Fröbel, wenn ich mich recht erinnre, den Gedanken: sich um das
Amt eines eidgenössischen Staatsschreibers (Unterstaatssecretair im
Auswärtigen) zu bewerben. Jetzt mußte aber natürlich die Theilnahme für
die friedlich langsame, fast allzu ruhige Reform der schweizerischen
Vorortsaristocratie in ein einigeres, centralisirteres Bundesregiment, so gut
wie ganz verdrängt werden von den gewaltigen Erschütterungen des
Nationalitätenkampfs in Mitteleuropa, wo seinem politischen Blick die ersten
ungeahnten Umrisse eines neuen großartigen Staatensystems sich enthüllten.
Verstand, Gemüth, Phantasie, den ganzen Menschen, hob die Revolution über jene
schweizerische Eigenthümlichkeit, die man, wenn auch selten, doch als eine
Schranke empfinden konnte, empor.
Das letzte Denkmal seiner Thätigkeit, welches noch innerhalb
derselben steht, ist das Trauerspiel: „Die Republikaner“, welches im Jahre 1847
geschrieben und Anfangs des folgenden in Leipzig aufgeführt wurde. Die edle
Sprache, die republikanischen Principien und das neue Interesse: den
entscheidenden Akt eines Drama’s ganz von einer regelmäßigen republikanischen
Volksversammlung auf der Bühne ausgefüllt zu sehn, erwarben dem Stück einen
ehrenden Beifall, den es außerdem recht eigentlich unmöglich zu machen schien.
Frauen mit lauter Nebenrollen – keine geschlechtliche Liebe als die sehr
einfache des Helden zu seiner Frau – keine Entwicklung der einzelnen Charaktere
im Verlauf des Drama’s, sondern nur die Entwicklung der Bürger von Genf aus dem
lockern Verhältniß zu Savoyen zur vollen Freiheit – Alles so einfach und der
Held selbst so ganz klar und ruhig anspruchslos wie der Dichter: das war kein
Drama für die große Bühne, sondern etwa für ein kleines Volksdilettantentheater
in irgend einem schweizerischen Canton, dessen Bürger mit Wohlgefallen sich
selbst und ihre tüchtige, aber bürgerlich beschränkte Welt idealisirt gesehn
hätten. Die poetischen Principien dieses Drama’s, sein Inhalt und der ganze
Charakter seines Helden, erscheint dem Auge nun wie ein noch immer ähnliches
Bild seines Dichters; aber mit seinen abgeblaßten Farben und seinem engen
Rahmen doch so fern von dem tieferen wärmeren Lebenscolorit und dem weiteren
Rahmen des gegenwärtigen Bildes.
Von Dresden wurde Fröbel nach Mannheim an die Redaktion der
deutschen Volkszeitung gerufen. Als dies Blatt, mit der Revolution entstanden,
nach dem Hecker’schen Aufstande unterdrückt wurde, ging er nach Frankfurt. „Ein
unthätiger Beobachter der Dinge, die da kommen werden – wie werde ich den Drang
des Kopfes und Herzens befriedigen? Was soll ich, dem es nicht vergönnt ist, im
Rathe des Volkes zu reden, was soll ich thun, wenn mich die Freude oder wenn
mich vielleicht der Unwille übermannt? Wenn ein kritischer Gedanke mir keine
Ruhe läßt, oder Betrübniß und Niedergeschlagenheit sich meiner Seele
bemächtigen?“ – Er griff zur Feder und schrieb diesen Anfang des ersten
„Reichstagsbriefs“, an Lamartine gerichtet, welchen er vor einigen Jahren, als
er zwischen den Rebenhügeln von Macon (auf einer Reise nach Paris) eine Stunde
mit ihm sich unterhielt, mit bestimmter Voraussicht seines geschichtlichen
Instinkts als den Mann der nächsten großen Situation erkannt hatte. Der zweite
Brief war an Gagern gerichtet, ein halb theoretisches, halb an die Person
gewendetes Plaidoyer für eine Amnestie der badischen Republikaner. Er bemerkte
schon in jenen ersten goldnen Tagen die erst später so schroff hervortretende
despotischleidenschaftliche Seite in Gagerns Naturell, aber vergebens
appellirte er an die andre Macht des Edelsinns und des gesunden
Freiheitsgefühls. Eine ähnliche Petition, die er für einen frankurter
demokratischen Verein entwarf, brachte ihn in nähere Bekanntschaft mit diesem
Lebenskreise, und Fröbels anspruchslose, ganz nur von der Sache erfüllte Natur
trat in helles Licht gerade neben den komischen Bestrebungen eines Agitators
aus dem Schweife der Demokratie, welcher seinen eignen gemeinen Maßstab
anlegend, unter der Hand den Mitgliedern zu verstehen gab, Fröbel sei als eine
Autorität, eine ungeheure Respektsperson zu behandeln, der man aufs Wort folgen
und glauben müsse. Nicht weniger komisch war die Art, wie einige Herren des
badischen Constitutionalismus ihren früheren guten Bekannten öffentlich
vermieden, um nicht als Mitschuldige der gefährlichen Wühlereien zu erscheinen,
mit denen sie ihn jetzt beschäftigt glaubten. Der Eindruck von Fröbels
Persönlichkeit auf die Geister, welche den seinen nicht begreifen, war diesmal
wie in andren Fällen die einzige Ursache der Vermuthung; das Bedeutende, was
sie fühlten, wurde von ihnen immer in eine andre als die geistige Sphäre
übertragen, und so galt er oft als der gefährlichste Verschwörer im Stillen,
während er vielleicht gerade dann einzig mit der Lösung irgend eines
theoretischen Problems beschäftigt war. An ihn ist die Intrigue zuweilen in
interessanter Weise gekommen, von ihm ist sie nie weder ausgegangen noch fortgeführt;
sein Geist ist gewandt genug, um ihr auf gewissen Wegen beobachtend zu folgen,
aber sein Charakter ist unfähig zu ihren Windungen und kleinlichen Mitteln.
Seine Waffen gegen sie sind nur die erworbnen der Erfahrung und
Menschenkenntniß; wie leicht aber seine harmlose Natur zu hintergehen war, hat
der große literarische Gauner Fr. Rohmer seiner Zeit in Zürich wohl calculirt.
Der „erste Congreß der deutschen demokratischen
Republikaner“ war zum 14. Juni nach Frankfurt ausgeschrieben, und der dortige vaterländische
Verein, dem die Vorbereitungen oblagen, hatte Fröbel zu einem seiner Deputirten
ernannt. Dem Volke wurde er erst auf einer in Hochheim abgehaltnen Versammlung
bekannt, zu der er nur von einem Bekannten fast gepreßt war, weil Mangel an
Rednern sei. Der erste Eindruck seines Auftretens in einer Vorversammlung des
Congresses war so mächtig, daß fast alle Stimmen sich auf ihn bei der Wahl des
ersten Präsidenten vereinigten. Wer ihn dann in den folgenden Tagen vor einer
von stürmischen Kämpfen bewegten Versammlung dies Amt ausüben sah, mußte nicht
nur aus der überlegnenen Gewandtheit im Allgemeinen, sondern noch mehr aus der,
weit schwerer zu erwerbenden technischen Vollendung (zu der Gagern es nie
gebracht hat) auf einen Meister vielfacher Praxis schließen, und doch war es
erst das zweitemal, daß Fröbel überhaupt öffentlich redete. Theoretisch hatte
er sich eine echt demokratische Präsidialtechnik ausgebildet, bei der es nie,
wie im hergebrachten parlamentarischen Schlendrian, dazu kommen konnte, daß
nach langen Debatten endlich nichts beschlossen wäre. Sie bewährte sich so
glänzend, daß einige Centrumsmänner aus der Nationalversammlung, von malitiöser
Neugier auf die Gallerie des „deutschen Hofes“ getrieben, nachher seufzend von
der „wahrhaft spartanischen Kürze und Energie“ der Verhandlungen sprachen.
Sehr wenige Mitglieder der Linken betheiligten sich daran;
die Fahne der demokratischen Republik war noch nicht im Parlamente
aufgepflanzt, und unter dieser erschien der ganze Congreß. Die besten Kräfte
der populären Revolution, besonders aus dem südlichen und mittleren
Deutschland, waren in ihm vereinigt. Dem oberflächlichen Witze bot sich der
leichte Spott dar: der Congreß hätte über die wichtige Frage debattirt, ob die
demokratischsoziale Republik die einzig haltbare oder die einzig mögliche
Verfassungsform für Deutschland sei. Jedenfalls ist das Parlament auch nicht
weiter als bis zu einer Verfassungsform gekommen. Aber die beiden genannten
Worte waren die Losung eines halb offenen halb versteckten Kampfes zwischen
zwei Parteien, der mit allem Aufwande von Kraft, List und Beredsamkeit geführt,
den Congreß fast zu zerreißen drohte. Einzig „haltbar“ wollte die besonnene,
gemäßigte Partei die Republik nennen, weil die geschichtliche Entwicklung und
alle Möglichkeiten von Uebergangsformen des Staatslebens klar vor ihrem
bebilderteren Auge lagen; „einzig möglich“ wollten die Revolutionaire sagen, um
die ganze Partei sofort in die Conspiration und Insurrektion um jeden Preis
herüberzuziehn und sich, als den Siegern in der Debatte, auch die praktische
Leitung durch die Wahl in das Centralcomité zu sichern. Nicht Bassermann’sche
Gestalten, aber wohl ergreifendere Persönlichkeiten und Physiognomien des
ausgeprägtesten Terrorismus, Robespierr’sche Töne und Conventsleidenschaften
traten in diesem Kampfe von der letzteren Seite auf. Mitten in und über dem
Gewirr dieser Gestalten und Stimmen war der Präsident in Mienen und Haltung die
geistig und ethisch über Alle hervorragende Erscheinung, und wie im Parlamente
Gagerns Stimme die mächtigste Wirkung von allen andren ausübte, so tönte
Fröbels weit feinere und schlankere Stimme, mit keiner anderen zu vergleichen,
doch überall vernehmlich und beherrschend; fast wie die beseelte menschliche
Stimme über allen Instrumenten eines mächtigen Orchesters sich behauptet. Die
Republik hatte, gegenüber jenem bewunderten Organe der constitutionellen
Monarchie, hier ihren ebenbürtigen Repräsentanten gewonnen. Wenn Hecker mit
seinen leidenschaftlich schroffen Formen durchaus den einseitigen und
diktatorischen Republikanismus der ersten französischen Revolution, und Struve
in jeder Beziehung den abstrakten Radikalismus derselben darstellte, so trat in
Fröbels Persönlichkeit die ganze Milde des socialen humanen Elements und die
vergeistigende Klarheit der großen theoretischen Arbeiten hervor, welche den
Charakter des neuen Ideals im Gegensatz zu den einseitigen überwundnen Idealen
bestimmen. – Sein eignes Wesen im Privatverkehr, so unendlich fern es von
demagogischer Cordialität war, machte eine demüthige und schmeichelnde
Bewunderung in’s Angesicht, wie sie für andre Kreise paßt, fast unmöglich; aber
der Enthusiasmus, den er unter den Gleichgesinnten und Gleichgestimmten
erweckte, wurzelte doch in einer innigen Verehrung, obwohl sie in den
demokratischen Umgangsformen kaum laut und äußerlich erschien.
In das Centralcomité der Vereine gewählt, ging Fröbel
zunächst nach Berlin. Die Reaktionspartei, welche damals noch im potsdamer
Fieber von einer Conterrevolution mit dem Prinzen von Preußen an der Spitze
träumte und projektirte, scheiterte in ihrem Versuch, unter der Vorspiegelung
gewisser gemeinsamer Interessen den Chef der populären Demokratie für ihre
Zwecke zu benutzen. Von Berlin ging Fröbel nach Wien, und der Aufenthalt in
dieser Weltstadt, wo die mitteleuropäischen Nationalitäten sich berühren,
reifte in ihm jene Anschauung eines neuen Staatensystems, welche später so
wunderbar eine Katastrophe seines Lebens entschied. Von Wien zurückgekehrt,
forderten ihn die Demokraten der reussischen Ländchen, denen er nur durch den
Ruf bekannt war, zu einer Bewerbung bei der neuen Wahl eines
Parlamentsmitgliedes auf, und so trat er, gegen sein Erwarten, in jene
Nationalversammlung, neben der er einst den demokratischen Volkscongreß
geleitet hatte. Die Mitglieder der Partei wählten ihn dann zu jener Deputation
mit Robert Blum nach Wien, wo er zum erstenmal in den Strudel einer Revolution
gerissen wurde und für die Freiheit in Waffen stand.
Das klare Bewußtsein des freien Menschen kann keine Freude
daran haben, wenn große Entscheidungen ganz allein durch den Zufall
herbeigeführt werden. Fröbel war glücklicher, indem wesentlich sein Charakter
sich selbst das rettende Schicksal schuf. Wien als Centralpunkt gefordert zu
haben, das würde schwerlich ein Milderungsgrund für das Urtheil gegen einen
fanatischen Republikaner gewesen sein; aber ohne irgend einen andren Antrieb
als den seiner Natur, hatte er in jener Broschüre mit dem ihm eignen
weitschauenden und besonnenen Blick alle Uebergangsformen berücksichtigt, in
denen das neue Staatensystem, retardirt durch die rohnatürlichen Elemente
seiner Bevölkerung, sich allmählig bis zur republikanischen Föderation
entwickeln könnte. Gegen die „monarchische Demokratie“ hatte er wenig zu
erinnern gefunden, wenn nur die rechtliche Stellung des erblichen Fürsten
vernünftig geordnet, nämlich rein auf die Executive beschränkt sei. Wenn seine
Richter das auch schwerlich ganz verstanden, so hatten die einflußreichen
Personen doch den richtigen Eindruck empfangen, daß sie es hier mit einem
Charakter zu thun hätten, der nicht rein in die Agitation und das
Revolutioniren aufgehe. So ward er freigesprochen und konnte mit Recht sich
selbst als den Schöpfer seines Schicksals betrachten.
In Frankfurt trat er dann mit seinem Berichte über Wien zum
erstenmal auf die Tribüne des Parlaments. Eine peinliche Spannung herrschte im
größeren Theile der Versammlung; denn was ließ sich nach gewöhnlicher Ansicht
anders erwarten, als daß der in seinem Recht wie in allen tiefsten Gefühlen
Gekränkte und Erschütterte, mit dem Mordgerichte und der brennenden Stadt in
frischer Erinnerung, volle Schalen des Zorns ausgießen und leidenschaftliche
Anklagen gegen die „Verräther“ schleudern würde! Was war vollends bei einem
Republikaner denkbar? – Nun erschien er in so vollendeter Ruhe und Einfachheit
der Darstellung, daß nur die Sache selbst zu reden schien; und dennoch war es
nicht die geschäftsmäßige Gleichgültigkeit eines Aktenreferates, sondern das
geschichtliche Bild zeigte sich wie auf dem künstlerisch ferngehaltnen
Hintergrunde eines von all den eignen Erlebnissen tief bewegten Charakters. Die
Centren konnten sich dem Eindrucke des Aristokratischen in dieser
Persönlichkeit nicht entziehn, aber es war ihnen neu in dieser demokratischen
Färbung, wo statt der vornehmen Würde die anspruchslose, statt der
herablassenden und noch etwas zurückhaltende Humanität, die einfach in sich
selbst ruhende und frei natürlich sich bewegende, ihnen entgegentrat. Was
damals weder Gagern noch irgend ein Andrer bei wichtigen Veranlassungen mehr
erreichen konnte, wurde dem Mitgliede der äußersten Linken zu Theil: ein
allgemeiner lebhafter Beifall am Schlusse des ganzen Vortrags.
Weiterhin hat Fröbel selten gesprochen. Gegen das Kaiserthum
haben Manche beredter und glänzender opponirt; aber daß es ein Windmühlenkampf
war, und ihre eifrigen Forderungen einer republikanischen Form damals, wo es
sich um eine sofortige Einführung handelte, Luftschlösserpläne waren: dies
nimmt ihren Reden das lebendige Interesse. Viel besonnener und schärfer faßte
der Idealist die Gegenwart ins Auge, als er seine Abstimmung rein theoretisch
motivirte und den einzigen Zweck, den sie haben konnte und sollte, genau
bezeichnete: „Ich vermuthe, Sie, die Anhänger des Kaiserthums, werden bei der
Abstimmung die Majorität haben. Ich kann mich damit zufrieden stellen, ich bin
nicht betrübt über die Aussicht auf diesen Erfolg. Aber glauben Sie mir und
denen, die mit mir gleichgesinnt sind, daß wir in diesem großen Wendepunkte der
Geschichte unsres Vaterlandes uns als die Fahnenträger der Zukunft betrachten;
erlauben Sie, daß wir uns die Verpflichtung auferlegen, die Ideen und Ideale,
in welchen das Volk angefangen hat, seine Zukunft zu erblicken, und den Glauben
an ihre ungeschmälerte Geltung bei ihren Bekennern in dieser Versammlung rein
zu erhalten und in die Zukunft zu retten, in welcher wir Zustände zu schaffen
hoffen, die nach unsrer Ueberzeugung das Wohl des Vaterlandes bedingen. Die
conservative Partei hat es Jahrzehnde hindurch zu ihrem Wahlspruch gemacht: „nach
uns erst kommt die Sündfluth;“ erlauben Sie mir, daß ich ihn nach meiner Art
für mich umstelle, indem ich Ihnen sage: „und nach der Sündfluth kommen wir!“
Die Ebbe, auf welche diese Fluth wieder folgen wird, warf
noch eine letzte Welle an den Strand zurück, die badische
Revolution. Fröbel hielt es für seine Pflicht, ihr seine Dienste anzubieten,
und Brentano sandte ihn mit unbedingter Vollmacht als Gesandten des badischen
Volkes in die Pfalz. Fröbel begriff, daß das traurige Chaos dieser Insurrektion
nur durch eine gänzliche Vereinigung mit den vergleichsweise doch besser
organisirten badischen Kräften vielleicht geordnet werden könne; er verschaffte
in der Pfalz seiner Ansicht Geltung und kehrte mit der fertigen, von der
dortigen provisorischen Regierung schon unterzeichneten Unionsakte nach Baden
zurück. Brentano’s Advokatenverstand erschrak über einen so energischen
Schritt, er sprach von Inventar, Vermögensauseinandersetzung und dergleichen
Friedensangelegenheiten und desavouirte seinen Gesandten. Die verlassene Pfalz
fiel, und wenig Wochen später war Fröbel mit den Trümmern der badischen
Insurrektion in der Schweiz.
Die alte Heimath konnte ihn nicht mehr fesseln, eine
Wirksamkeit in ihr ihm nicht mehr genügen. Paris unter der Herrschaft der
Ordnungsmänner, das er flüchtig wiedersah, ekelte ihn an. Auf deutschem Boden
war er nicht mehr sicher, er ging nach Amerika.
Er ging nicht wie Einer, der in einem Schiffbruch die
Gefährten ihrem Schicksale überläßt und nur noch an seine eigne Rettung denkt.
Er ging nur, weil er die Zeit, die ihm in Deutschland fruchtlos für ihn selbst
wie für die Sache verloren gegangen sein würde, für beide fruchtbar zu machen
suchte. Auch kehrte er nicht mit Haß gegen unsre Civilisation der alten Welt
den Rücken, um im friedlichen Kreise eines Bauern zu leben und Waldland zu
klären. Er wußte es zu sehr, daß unsre großen und edlen Gedanken doch ein
Erzeugniß eben dieser Bildung sind, so sehr sie gegenwärtig unsren Zwecken und
Idealen feindlich gestaltet ist; und daß ein widerwilliges Abwenden von dieser
Bildung soviel ist, als der eigentlichen Arbeit aus dem Wege gehn. Die Hoffnung
des Scheidenden war, mit neuen Anschauungen, Gedanken und Kräften des
Charakters bereichert, mit neuen Waffen des Geistes ausgerüstet, einst wenn die
Zeit kommen würde, zum Kampfe auf dieser Seite des Meeres zurückzukehren.
Bildquelle: Julius Fröbel 1848. Kreidelithographie von Valentin Schertle
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